State of Mind
- Regie:
- Matthew Ryan Hoge
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- The United States of Leland
2 Review(s)
23.07.2006 | 07:33"American Beauty" lässt schön grüßen
Der 16-jährige Leland begeht eine unfassbare Tat: mit 20 Messerstichen tötet er einen geistig behinderten Jungen. In der Isolierstation der Jugendstrafanstalt begegnet er dem Gefängnislehrer Pearl Madison. Dieser ermöglicht ihm, ein Schreibheft und einen Stift in die Zelle zu nehmen, um seine Geschichte aufzuschreiben. Pearl ist jedoch nicht nur aus idealistischen Gründen an dem jugendlichen Straftäter interessiert, sondern sucht auch Stoff für sein eigenes Buch. Je tiefer er in die Vergangenheit des Jungen eindringt, desto komplexer wird das Mysterium um dessen Beweggründe. (Verlagsinfo)
Filminfos
O-Titel: The United States of Leland (USA 2002)
Dt. Vertrieb: e-m-s
Kauf-DVD: 11.05.2006; Verleih: 23.03.2006
FSK: ab 12
Länge: ca. 105 Min.
Regisseur: Matthew Ryan Hoge
Produzent: Kevin Spacey
Musik: Jeremy Enigk
Darsteller: Kevin Spacey, Ryan Gosling, Sherilynn Fenn, Don Cheadle, Jena Malone, Martin Donovan, Lena Olin, Chris Klein u. a.
Handlung
Leland Fitzgerald (Gosling) ist ein Sucher, und er blickt mit seinen 16 Jahren bereits tiefer unter die Oberfläche der Dinge und Menschen als so mancher Erwachsene. Im ersten Bild sehen wir, dass er sich in die Hand geschnitten hat, um herauszufinden, wie sich ein Schnitt anfühlt. Vielleicht hat er aber auch etwas Schlimmeres getan und tischt uns eine Story auf. Wir können es nicht wissen, denn er ist es selbst, der uns seine Geschichte erzählt.
Seine Mutter Marybeth (Olin), mit der er alleine lebt, findet zufällig Blutstropfen auf der Türschwelle und schaut nach ihrem Sohn. Er sitzt vor dem Aquarium und erklärt sehr ruhig und lapidar: "Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht." Was dies war, stellt sich im Laufe der Ereignisse heraus. Er hat den geistig behinderten Ryan Pollard (Michael Welch) mit einem Messer erstochen.
Leider kann Leland keine plausiblen Gründe für diese Wahnsinnstat angeben. Vorsichtshalber bringen ihn die Polizisten in eine Sonderabteilung der Jugendhaftanstalt. Albert Fitzgerald, ein Schriftsteller (Spacey), reist aus Paris an, wo er lebt. Er weiß noch nicht, was auf ihn zukommt.
Während die Pollards trauern, interessiert sich Lelands Knastlehrer Pearl Madison (Cheadle) zunehmend für die Geschichte des Jungen. Leland weiß, was er will: "Ein Warum, wie alle. Aber was, wenn es kein Warum gibt? Wenn es einfach nur passiert ist?" Doch Madison hat noch einen persönlichen Grund, sich mit Leland auseinander zu setzen. Er will einen Tatsachenroman über ihn schreiben. (Als er zwecks Recherche zu Albert Fitzgerald geht, durchschaut dieser Madisons Vorhaben sofort.) Er gibt Leland vorschriftswidrig Notizblock und Bleistift. Der Delinquent beginnt wie erhofft zu schreiben.
Doch was ist das für eine seltsame Geschichte? Leland liebt ein Mädchen: Es ist Becky Pollard (Jena Malone), die Schwester des ermordeten Ryan. Becky geht auf eine Sonderschule, weil sie drogenabhängig ist. Sie bat Leland, ihr Schutzengel zu sein und ihr zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Deshalb machte sie ihn mit Ryan bekannt, dessen Eigenart er sofort erkennt. Er fühlte Sympathie für den geistig Behinderten und half ihm. Auf seine Weise …
Becky hat jedoch schwere psychische Probleme. Als ihr Dealer Kevin aus dem Knast entlassen wird, zieht sie sofort bei ihm ein und knallt sich mit Stoff zu. Doch ihr Auszug bleibt nicht unbemerkt. Ihre Schwester Julie (Michelle Williams) hat einen Freund, Allen (Chris Klein), der mit ihr zusammen auf die Uni gehen will. Doch als Julie Probleme hat, den Mord an ihrem Bruder zu verarbeiten und mit Allen Schluss macht, beginnt Allen durchzudrehen. Er geht zu Kevin und schlägt ihn zusammen, bevor er Becky dort wegholt.
Aber das ist noch nicht alles. Er ahnt, dass die Probleme der Pollards und somit Julies erst zu Ende sein werden, wenn das Kapitel abgeschlossen ist. Während sich also Pearl immer tiefer in Lelands Vergangenheit vergräbt, um ihn zu verstehen, fasst Allen einen tödlichen Entschluss …
Mein Eindruck
Bei der Beurteilung dieses Films führt kein Weg daran vorbei, auch über Lelands Motiv zu sprechen. Wer dies nicht erfahren will, sollte diesen Abschnitt überspringen und gleich zur DVD-Besprechung gehen.
Wie schon erwähnt, ist Leland Fitzgerald ähnlich wie sein Vater ein genauer Beobachter der Menschen. Aber er geht viel weiter als sein Vater, dessen Bücher er genau kennt, aber nicht ihn selbst. Er blickt weit unter die Oberfläche. Dort findet er Gefühle und Verhältnisse, die ihn sehr traurig machen.
Becky ist seine wichtigste Bezugsperson, doch sie fordert von ihm Dinge, die er kaum erfüllen kann: Schutzengel und Seelentröster? Und sie hat ihn angelogen, obwohl sie doch drogenabhängig ist. Auch ihre Familie, die Pollards, scheint Beckys Probleme, die vor allem auf Einsamkeit beruhen, nicht lösen zu können. Und ihre Schwester Julie ist ihr kein Seelengefährte. Auf ihre sprachlose Weise scheinen die Pollards – eine scheinbar intakte Familie im Vergleich zu Lelands eigener – ihre Probleme auf unkonventionelle Weise zu lösen: Becky fixt, Julie schweigt, ihr Vater gedenkt, Leland mit einem Revolver zu töten, und Allen Harris schließlich fasst einen tödlichen Plan. Die Unfähigkeit, über persönliche Schwierigkeiten zu reden, und daher Gewalt als Mittel zu wählen, scheint symptomatisch für die amerikanische Mittelschicht zu sein.
Ganz anders hingegen Pearl Madison. Er ist nicht gerade der Reichste, hat aber einen Job als Knastlehrer und den Ehrgeiz, ein Buch zu schreiben. Er findet über den Dialog einen Zugang zu Leland, der sich ihm zaghaft öffnet und ihm schließlich sein Notizbuch anvertraut. Aber Madison ist kein Engel. Auch er ist ein Betrüger. Er betrügt, wie man so sagt, seine Freundin Miranda, die in L.A. lebt, mit einer Arbeitskollegin im Knast. Dieses Fehlverhalten versteht Leland auffällig gut, und zwar wegen der Dinge, die er in New York City erlebt hat.
Auf einer seiner Reisen mit Papis Flugticket lernte er die Modellfamilie Calderon kennen. Mrs. Calderon (Sherilynn Fenn) nimmt sich des quasi vaterlosen Jungen in der großen Stadt an. Doch sie selbst wird von ihrem Mann betrogen und lässt sich scheiden. Als sie also das nächste Mal Leland wiedersieht, nennt sie ihn "Schätzchen" und geht mit ihm ins Bett. Sie erklärt ihm, dass es meistens so läuft im Leben, aber er denkt, dass in ihrer Logik eine Lücke steckt. Was er aber weiß: Das Licht der Hoffnung hat sie verlassen und ist Traurigkeit gewichen.
Deshalb betrachtet er Ryan Pollard mit einem Bedauern, das aus Erfahrung gewachsen ist. Ryan, der geistig Behinderte, der wie ein Baby behandelt wird, wird nie die Ziele erreichen, von denen die Normalos glauben, dass sie sie erreichen könnten - was sich als Illusion erwiesen hat. Und Leland macht den Fehler zu glauben, er könne Ryan mit einem Messer von einem Schicksal erlösen, das nur aus Enttäuschung und Traurigkeit bestehen kann.
Wozu dies alles gut sein soll, kann man sich zu Recht fragen. Immerhin für einen hat es etwas Gutes: für Pearl Madison. Nachdem seine Untreue aufgeflogen ist, findet dies seine derzeitige Geliebte gar nicht witzig und seine Freundin in L.A. hat ein echtes Problem. Da Pearl aber nun gelernt hat, welche Auswirkungen Untreue und Betrug haben können, zeigt er Reue und fliegt nach L.A., um sich mit Miranda zu versöhnen.
~ Die Darsteller ~
Der Produzent Kevin Spacey hat eine Reihe großer Namen versammelt, nicht zuletzt sich selbst. Doch es ist ein wenig verwunderlich, wie das Wirken dieses Aufgebots fast völlig wirkungslos verpufft. Lena Olin und Sherilynn Fenn sind lediglich Randfiguren, die nur für Minuten auftauchen. Spacey selbst tritt kaum länger auf und zweimal nur dann, wenn ihn Cheadle konfrontiert. In den anderen Szenen erweist sich seine Figur Albert Fitzgerald (ein Verweis auf F. Scott Fitzgerald, den Autor von "Der große Gatsby") als ein großes Arschloch. Er nimmt eine ältere Dame auf den Arm, der er mit ernster Miene vorschwindelt, er habe in einem Musical von Stanley Kubrick (!) den Captain Morgan, einen Piraten, gespielt. Kubrick hat nie ein Musical gedreht. Diese Lügen gehören zu Fitzgeralds Strategie, sich Bindungen und Verantwortung zu entziehen: immer der Beobachter, nie der Beteiligte, der Liebende.
Das zentrale Duo sind Ryan Gosling und Don Cheadle, und sie bewegen wirklich die Story nach vorne. Aber es gibt eine zweite, ebenso gewichtete Story um die Familie Pollard, besonders Becky. Das ist in Ordnung, denn daraus ergibt sich der überraschende Schluss. Aber dennoch hätte ich mir gewünscht, mehr über Leland zu erfahren. Stattdessen bekam ich eine Menge Zitate aus dem Off, in denen er sich über Gott, den Teufel und die armen, armen Menschen auslässt, denen einfach nicht zu helfen sei.
Allen Harris (Chris Klein), Lelands Nemesis, spielt zunächst eine irritierend zentrale Nebenrolle, schließlich gehört er nicht eigentlich zur Pollard-Familie, sondern ist so eine Art Schwiegersohn in spe, sehr schmuck anzusehen in seiner Baseballer-Windjacke. Dass er plötzlich ein Verbrechen begeht, ist schon recht sonderbar. Doch schließlich wird sein Plan deutlich … Chris Klein spielt hier – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – eine hintergründige Gestalt: einen jungen Saubermann, der aus den falschen Gründen eine schreckliche Tat begeht, um etwas Gutes zu erreichen. Darin gleicht Allen Harris auffällig Leland Fitzgerald – eine unheimliche und makabre Ironie.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DD 2.0 und DD 5.1, Englisch in DD 25.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: keine
Extras:
- O-Trailer in Deutsch und Englisch
- 3 TV-Spots
- Bio- und Filmografien von: Spacey, Cheadle, Golsing, Olin, Fenn
Mein Eindruck: die DVD
Die DVD ist nicht angemessen ausgestattet. Sound und Bild sind auf einem guten Niveau, doch das Zusatzmaterial ist es nicht. Das beginnt schon damit, dass man dem deutschen Zuschauer Untertitel verweigert. Offenbar ist der Verleih (zu Recht) der Meinung, dass die kleine Minderheit, die der Film interessiert, sowieso fließend englisch versteht und sich so das Original erschließen kann.
Neben Werbung in Form von TV-Spots und den beiden Trailern gibt es auch Informationen. In vier Biografien und Filmografien werden uns fünf Darsteller vorgestellt: Spacey, Cheadle, Gosling, Olin, Fenn, also zwei Haupt- und drei Nebendarsteller. Weil Gosling schon in "Ché" und "Stay" mitgespielt hat, zählt er vermutlich mittlerweile zu den bekannten Schauspielern. Andererseits hätte es wohl seltsam ausgesehen, wenn ausgerechnet der Hauptdarsteller in dieser Sammlung gefehlt hätte.
Unterm Strich
Der Film wurde unter dem bedeutungsschwangeren O-Titel "The United States of Leland" auf dem Sundance Film Festival für den unabhängigen Film gezeigt. Die Kritik lobte den Mut des Streifens, wohl in Erinnerung an Meisterwerke wie "American Beauty", in dem ja auch die amerikanische Mittelklasse demontiert wurde, allerdings wesentlich humorvoller und bissiger.
"State of Mind" – zu deutsch "Geisteszustand" – ist wesentlich langsamer, ernsthafter und vielleicht sogar weinerlicher. Man möchte am liebsten den Arm um Leland legen und ihm sagen, alles könne ja nicht so schlimm sein, wie er es sich ausmale. Man bedenke: Wir sehen und hören (per Off-Kommentar) meist nur seine Sicht der Dinge in Suburbia, USA.
Nach einer Weile hält den Zuschauer nur eine einzige Frage bei der Stange: Warum tat Leland es wirklich? Und ergeben die Bruchstücke der Storys, die der Film präsentiert, ein plausibles Ganzes, womöglich eines, das größer ist als die Summe seiner Teile? Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten.
Die DVD ist wie gesagt unterdurchschnittlich ausgestattet. Mehr Bonusmaterial kann man wohl nur noch von einer Special Edition erwarten, die aber bei einem Independet-Film recht unwahrscheinlich ist.
- Redakteur:
- Michael Matzer
"American Beauty" lässt schön grüßen
Der 16-jährige Leland begeht eine unfassbare Tat: mit 20 Messerstichen tötet er einen geistig behinderten Jungen. In der Isolierstation der Jugendstrafanstalt begegnet er dem Gefängnislehrer Pearl Madison. Dieser ermöglicht ihm, ein Schreibheft und einen Stift in die Zelle zu nehmen, um seine Geschichte aufzuschreiben. Pearl ist jedoch nicht nur aus idealistischen Gründen an dem jugendlichen Straftäter interessiert, sondern sucht auch Stoff für sein eigenes Buch. Je tiefer er in die Vergangenheit des Jungen eindringt, desto komplexer wird das Mysterium um dessen Beweggründe. (Verlagsinfo)
Filminfos
O-Titel: The United States of Leland (USA 2002)
Dt. Vertrieb: e-m-s
Kauf-DVD: 11.05.2006; Verleih: 23.03.2006
FSK: ab 12
Länge: ca. 105 Min.
Regisseur: Matthew Ryan Hoge
Produzent: Kevin Spacey
Musik: Jeremy Enigk
Darsteller: Kevin Spacey, Ryan Gosling, Sherilynn Fenn, Don Cheadle, Jena Malone, Martin Donovan, Lena Olin, Chris Klein u. a.
Handlung
Leland Fitzgerald (Gosling) ist ein Sucher, und er blickt mit seinen 16 Jahren bereits tiefer unter die Oberfläche der Dinge und Menschen als so mancher Erwachsene. Im ersten Bild sehen wir, dass er sich in die Hand geschnitten hat, um herauszufinden, wie sich ein Schnitt anfühlt. Vielleicht hat er aber auch etwas Schlimmeres getan und tischt uns eine Story auf. Wir können es nicht wissen, denn er ist es selbst, der uns seine Geschichte erzählt.
Seine Mutter Marybeth (Olin), mit der er alleine lebt, findet zufällig Blutstropfen auf der Türschwelle und schaut nach ihrem Sohn. Er sitzt vor dem Aquarium und erklärt sehr ruhig und lapidar: "Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht." Was dies war, stellt sich im Laufe der Ereignisse heraus. Er hat den geistig behinderten Ryan Pollard (Michael Welch) mit einem Messer erstochen.
Leider kann Leland keine plausiblen Gründe für diese Wahnsinnstat angeben. Vorsichtshalber bringen ihn die Polizisten in eine Sonderabteilung der Jugendhaftanstalt. Albert Fitzgerald, ein Schriftsteller (Spacey), reist aus Paris an, wo er lebt. Er weiß noch nicht, was auf ihn zukommt.
Während die Pollards trauern, interessiert sich Lelands Knastlehrer Pearl Madison (Cheadle) zunehmend für die Geschichte des Jungen. Leland weiß, was er will: "Ein Warum, wie alle. Aber was, wenn es kein Warum gibt? Wenn es einfach nur passiert ist?" Doch Madison hat noch einen persönlichen Grund, sich mit Leland auseinander zu setzen. Er will einen Tatsachenroman über ihn schreiben. (Als er zwecks Recherche zu Albert Fitzgerald geht, durchschaut dieser Madisons Vorhaben sofort.) Er gibt Leland vorschriftswidrig Notizblock und Bleistift. Der Delinquent beginnt wie erhofft zu schreiben.
Doch was ist das für eine seltsame Geschichte? Leland liebt ein Mädchen: Es ist Becky Pollard (Jena Malone), die Schwester des ermordeten Ryan. Becky geht auf eine Sonderschule, weil sie drogenabhängig ist. Sie bat Leland, ihr Schutzengel zu sein und ihr zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Deshalb machte sie ihn mit Ryan bekannt, dessen Eigenart er sofort erkennt. Er fühlte Sympathie für den geistig Behinderten und half ihm. Auf seine Weise …
Becky hat jedoch schwere psychische Probleme. Als ihr Dealer Kevin aus dem Knast entlassen wird, zieht sie sofort bei ihm ein und knallt sich mit Stoff zu. Doch ihr Auszug bleibt nicht unbemerkt. Ihre Schwester Julie (Michelle Williams) hat einen Freund, Allen (Chris Klein), der mit ihr zusammen auf die Uni gehen will. Doch als Julie Probleme hat, den Mord an ihrem Bruder zu verarbeiten und mit Allen Schluss macht, beginnt Allen durchzudrehen. Er geht zu Kevin und schlägt ihn zusammen, bevor er Becky dort wegholt.
Aber das ist noch nicht alles. Er ahnt, dass die Probleme der Pollards und somit Julies erst zu Ende sein werden, wenn das Kapitel abgeschlossen ist. Während sich also Pearl immer tiefer in Lelands Vergangenheit vergräbt, um ihn zu verstehen, fasst Allen einen tödlichen Entschluss …
Mein Eindruck
Bei der Beurteilung dieses Films führt kein Weg daran vorbei, auch über Lelands Motiv zu sprechen. Wer dies nicht erfahren will, sollte diesen Abschnitt überspringen und gleich zur DVD-Besprechung gehen.
Wie schon erwähnt, ist Leland Fitzgerald ähnlich wie sein Vater ein genauer Beobachter der Menschen. Aber er geht viel weiter als sein Vater, dessen Bücher er genau kennt, aber nicht ihn selbst. Er blickt weit unter die Oberfläche. Dort findet er Gefühle und Verhältnisse, die ihn sehr traurig machen.
Becky ist seine wichtigste Bezugsperson, doch sie fordert von ihm Dinge, die er kaum erfüllen kann: Schutzengel und Seelentröster? Und sie hat ihn angelogen, obwohl sie doch drogenabhängig ist. Auch ihre Familie, die Pollards, scheint Beckys Probleme, die vor allem auf Einsamkeit beruhen, nicht lösen zu können. Und ihre Schwester Julie ist ihr kein Seelengefährte. Auf ihre sprachlose Weise scheinen die Pollards – eine scheinbar intakte Familie im Vergleich zu Lelands eigener – ihre Probleme auf unkonventionelle Weise zu lösen: Becky fixt, Julie schweigt, ihr Vater gedenkt, Leland mit einem Revolver zu töten, und Allen Harris schließlich fasst einen tödlichen Plan. Die Unfähigkeit, über persönliche Schwierigkeiten zu reden, und daher Gewalt als Mittel zu wählen, scheint symptomatisch für die amerikanische Mittelschicht zu sein.
Ganz anders hingegen Pearl Madison. Er ist nicht gerade der Reichste, hat aber einen Job als Knastlehrer und den Ehrgeiz, ein Buch zu schreiben. Er findet über den Dialog einen Zugang zu Leland, der sich ihm zaghaft öffnet und ihm schließlich sein Notizbuch anvertraut. Aber Madison ist kein Engel. Auch er ist ein Betrüger. Er betrügt, wie man so sagt, seine Freundin Miranda, die in L.A. lebt, mit einer Arbeitskollegin im Knast. Dieses Fehlverhalten versteht Leland auffällig gut, und zwar wegen der Dinge, die er in New York City erlebt hat.
Auf einer seiner Reisen mit Papis Flugticket lernte er die Modellfamilie Calderon kennen. Mrs. Calderon (Sherilynn Fenn) nimmt sich des quasi vaterlosen Jungen in der großen Stadt an. Doch sie selbst wird von ihrem Mann betrogen und lässt sich scheiden. Als sie also das nächste Mal Leland wiedersieht, nennt sie ihn "Schätzchen" und geht mit ihm ins Bett. Sie erklärt ihm, dass es meistens so läuft im Leben, aber er denkt, dass in ihrer Logik eine Lücke steckt. Was er aber weiß: Das Licht der Hoffnung hat sie verlassen und ist Traurigkeit gewichen.
Deshalb betrachtet er Ryan Pollard mit einem Bedauern, das aus Erfahrung gewachsen ist. Ryan, der geistig Behinderte, der wie ein Baby behandelt wird, wird nie die Ziele erreichen, von denen die Normalos glauben, dass sie sie erreichen könnten - was sich als Illusion erwiesen hat. Und Leland macht den Fehler zu glauben, er könne Ryan mit einem Messer von einem Schicksal erlösen, das nur aus Enttäuschung und Traurigkeit bestehen kann.
Wozu dies alles gut sein soll, kann man sich zu Recht fragen. Immerhin für einen hat es etwas Gutes: für Pearl Madison. Nachdem seine Untreue aufgeflogen ist, findet dies seine derzeitige Geliebte gar nicht witzig und seine Freundin in L.A. hat ein echtes Problem. Da Pearl aber nun gelernt hat, welche Auswirkungen Untreue und Betrug haben können, zeigt er Reue und fliegt nach L.A., um sich mit Miranda zu versöhnen.
~ Die Darsteller ~
Der Produzent Kevin Spacey hat eine Reihe großer Namen versammelt, nicht zuletzt sich selbst. Doch es ist ein wenig verwunderlich, wie das Wirken dieses Aufgebots fast völlig wirkungslos verpufft. Lena Olin und Sherilynn Fenn sind lediglich Randfiguren, die nur für Minuten auftauchen. Spacey selbst tritt kaum länger auf und zweimal nur dann, wenn ihn Cheadle konfrontiert. In den anderen Szenen erweist sich seine Figur Albert Fitzgerald (ein Verweis auf F. Scott Fitzgerald, den Autor von "Der große Gatsby") als ein großes Arschloch. Er nimmt eine ältere Dame auf den Arm, der er mit ernster Miene vorschwindelt, er habe in einem Musical von Stanley Kubrick (!) den Captain Morgan, einen Piraten, gespielt. Kubrick hat nie ein Musical gedreht. Diese Lügen gehören zu Fitzgeralds Strategie, sich Bindungen und Verantwortung zu entziehen: immer der Beobachter, nie der Beteiligte, der Liebende.
Das zentrale Duo sind Ryan Gosling und Don Cheadle, und sie bewegen wirklich die Story nach vorne. Aber es gibt eine zweite, ebenso gewichtete Story um die Familie Pollard, besonders Becky. Das ist in Ordnung, denn daraus ergibt sich der überraschende Schluss. Aber dennoch hätte ich mir gewünscht, mehr über Leland zu erfahren. Stattdessen bekam ich eine Menge Zitate aus dem Off, in denen er sich über Gott, den Teufel und die armen, armen Menschen auslässt, denen einfach nicht zu helfen sei.
Allen Harris (Chris Klein), Lelands Nemesis, spielt zunächst eine irritierend zentrale Nebenrolle, schließlich gehört er nicht eigentlich zur Pollard-Familie, sondern ist so eine Art Schwiegersohn in spe, sehr schmuck anzusehen in seiner Baseballer-Windjacke. Dass er plötzlich ein Verbrechen begeht, ist schon recht sonderbar. Doch schließlich wird sein Plan deutlich … Chris Klein spielt hier – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – eine hintergründige Gestalt: einen jungen Saubermann, der aus den falschen Gründen eine schreckliche Tat begeht, um etwas Gutes zu erreichen. Darin gleicht Allen Harris auffällig Leland Fitzgerald – eine unheimliche und makabre Ironie.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DD 2.0 und DD 5.1, Englisch in DD 25.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: keine
Extras:
- O-Trailer in Deutsch und Englisch
- 3 TV-Spots
- Bio- und Filmografien von: Spacey, Cheadle, Golsing, Olin, Fenn
Mein Eindruck: die DVD
Die DVD ist nicht angemessen ausgestattet. Sound und Bild sind auf einem guten Niveau, doch das Zusatzmaterial ist es nicht. Das beginnt schon damit, dass man dem deutschen Zuschauer Untertitel verweigert. Offenbar ist der Verleih (zu Recht) der Meinung, dass die kleine Minderheit, die der Film interessiert, sowieso fließend englisch versteht und sich so das Original erschließen kann.
Neben Werbung in Form von TV-Spots und den beiden Trailern gibt es auch Informationen. In vier Biografien und Filmografien werden uns fünf Darsteller vorgestellt: Spacey, Cheadle, Gosling, Olin, Fenn, also zwei Haupt- und drei Nebendarsteller. Weil Gosling schon in "Ché" und "Stay" mitgespielt hat, zählt er vermutlich mittlerweile zu den bekannten Schauspielern. Andererseits hätte es wohl seltsam ausgesehen, wenn ausgerechnet der Hauptdarsteller in dieser Sammlung gefehlt hätte.
Unterm Strich
Der Film wurde unter dem bedeutungsschwangeren O-Titel "The United States of Leland" auf dem Sundance Film Festival für den unabhängigen Film gezeigt. Die Kritik lobte den Mut des Streifens, wohl in Erinnerung an Meisterwerke wie "American Beauty", in dem ja auch die amerikanische Mittelklasse demontiert wurde, allerdings wesentlich humorvoller und bissiger.
"State of Mind" – zu deutsch "Geisteszustand" – ist wesentlich langsamer, ernsthafter und vielleicht sogar weinerlicher. Man möchte am liebsten den Arm um Leland legen und ihm sagen, alles könne ja nicht so schlimm sein, wie er es sich ausmale. Man bedenke: Wir sehen und hören (per Off-Kommentar) meist nur seine Sicht der Dinge in Suburbia, USA.
Nach einer Weile hält den Zuschauer nur eine einzige Frage bei der Stange: Warum tat Leland es wirklich? Und ergeben die Bruchstücke der Storys, die der Film präsentiert, ein plausibles Ganzes, womöglich eines, das größer ist als die Summe seiner Teile? Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten.
Die DVD ist wie gesagt unterdurchschnittlich ausgestattet. Mehr Bonusmaterial kann man wohl nur noch von einer Special Edition erwarten, die aber bei einem Independent-Film recht unwahrscheinlich ist.
- Redakteur:
- Michael Matzer