Memories of Murder
- Regie:
- Joon-Ho Bong
- Jahr:
- 2003
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Korea
1 Review(s)
22.05.2006 | 20:39Die Polizei, dein Freund und Folterer
"1986: Südkorea steht unter einer Militärdiktatur. In einem kleinen Dorf nahe Seoul erschüttern die Taten eines Serienmörders die Bevölkerung. Die beiden örtlichen Polizisten Park und Jo jagen den brutalen Frauenmörder, wobei ihre Methoden jenseits der Legalität stehen. Obwohl sie schon diverse Verdächtige mittels Einschüchterung und körperlicher Gewalt zu Geständnissen gezwungen und inhaftiert haben, bleibt der wahre Mörder weiterhin auf freiem Fuß. Erst als ein gewitzter Detective aus Seoul zur Hilfe kommt, lichtet sich nach und nach das Geheimnis um den Mörder." (Verlagsinfo inklusive falschem Deutsch) Laut Verleih gilt der Film als einer der "ganz großen Klassiker des asiatischen Kinos". Na, dann prost!
Filminfos
O-Titel: Memories of Murder (Korea 2003)
Dt. Vertrieb: i-on (30.01.2006)
FSK: ab 16
Länge: ca. 132 Min.
Regisseur: Joon-Ho Bong
Drehbuch: Joon-Ho Bong, Kwang-Rim Kim, Sung Bo Shim
Musik: Taro Iwashiro
Darsteller: Kang Ho-Song, Sang Kyung-Kim, Roe-Ha Kim, Jae-Ho Song, Hie-Bong Byeon u.a.
Handlung
Am 12. und 16. Oktober 1986 werden in den Feldern nahe eines koreanischen Städtchens der Provinz Terung zwei nackte Frauenleichen gefunden. Stets sind sie vergewaltigt, gefesselt und geknebelt, ihr eigener Schlüpfer wurden ihnen über den Kopf gezogen. Stets hat es in der Mordnacht geregnet. Eine von ihnen wurde im Abzugsgraben eines Feldes gefunden.
Inspektor Park von der Abteilung für Gewaltverbrechen (= Kripo) ist stinksauer. Jedermann darf einfach über den Tatort trampeln, niemand achtet auf seine Kommandos, und dann fährt auch noch ein Traktor seelenruhig über die einzige Fußspur. Klasse! Sein Chef meint, dass hier "irgendwie der Wurm drin" sei. Da hat er wohl Recht. Nicht Park ist es daher, der die erste Spur findet, sondern seine Frau, eine Ärztin am Ort. Deren Bekannte weiß, dass der geistig zurückgebliebene Junge Kwang-ho Baek hinter einer der Ermordeten her war, hinter Hyung-Sook Lee.
Ein Polizist aus Seoul stößt zu ihrem Team. Zunächst hält Park ihn sogar für einen Vergewaltiger, dabei wollte Taeyun Seo nur eine Frau nach dem Weg fragen. Offenbar herrscht bereits eine gewisse Hysterie unter den Menschen. Mit ihren brutalen Methoden schüchtern die Inspektoren Park und Yo ihren Verdächtigen derart ein, dass dieser alles zugibt. Doch die Verbrennungen, die Kwang-ho an den Händen hat, seit er ein Kind war, erlaubten es ihm nach Meinung Taeyuns nicht, die Knoten zu knüpfen, mit denen die Frauen gefesselt waren. Kwang-ho ist für ihn unschuldig. Der Haftbefehl wird aufgehoben. Aber Kwang-ho macht eine Zeugenaussage, die später wichtig wird.
Nach diesem Justizdesaster bekommt die Abteilung einen neuen Chefinspektor. Der schenkt Taeyuns Theorien mehr Gehör. Taeyun ist sicher, dass es bereits drei Tote gibt, aber wo ist Leiche Nr. 3? Als man die verweste Hyun-soo Dokku endlich findet, ist klar, dass sie es mit einem gewissenhaften, gründlich vorgehenden Killer zu tun haben. Sicher nicht mit einem Schwachsinnigen wie Kwang-ho.
Während wilde Theorien ins Kraut schießen, stößt Polizistin Gui-Ok auf eine wichtige Übereinstimmung. Nicht nur regnete es an jedem Mordabend, sondern wurde auch immer das gleiche Lied im Radio gespielt: „Sad Letter“. Da es sich um eine Wunschsendung handelt, bei der Postkarten eingeschickt werden. Dieser spezielle Wunsch kommt immer von einem Mann aus dem Terung-Distrikt. Doch es ist wie verhext: Die Postkarten sind bereits alle im Müll gelandet.
Mit seinem Latein em Ende hört Park auf den Rat seiner Frau, eine Wahrsagerin zu konsultieren. Er geht sogar soweit, ein Zauberritual an einem der Tatorte auszuführen. Die Moderne ist hier auf dem Land noch nicht angekommen. Doch da kommt auch Oberinspektor Taeyun Seo herbeispaziert. Park und Yo verstecken sich und schauen zu, was dieser verhasste Besserwisser jetzt schon wieder ausheckt. Doch es kommt noch heftiger: Ein vierter Mann will zum Tatort. Und dort führt er selbst ein Ritual aus, ein ziemlich obszönes sogar … Ist das ihr Mann?
Mein Eindruck
Dies ist eindeutig keine 08/15-TV-Ware, sondern ein Krimidrama, das mehr europäischen Mustern folgt. Die langsamen Bilder fangen die Stimmung über der Landschaft des Jahres 1986 ein, die noch den traditionellen Rhythmen der Jahreszeiten folgt. Die Auseinandersetzungen in Seoul, die sich gegen die Militärdiktatur richten, sind hier fern und nur über das Fernsehen zu registrieren. Alle Morde geschehen in strömendem Regen, auf freiem Feld oder im Wald: in der Natur.
Vielleicht auch deswegen werden die neumodischen Kripo-Beamten Park und Yo von den Leuten ignoriert oder sogar gefürchtet. Als Taeyun einmal in Zivilklamotten die Außentoilette der Kreisschule inspiziert – hier soll Kwang-ho seiner Angebeteten nachspioniert haben – wird er für einen Perversling gehalten. Doch die entrüstete Lehrerin liefert wenigstens einen brauchbaren Hinweis. Dieser führt ihn zu einer völlig verängstigten und allein lebenden Frau – bingo! Als einziges Opfer des Serienmörders hat sie überlebt.
Die Gegensätze zwischen alten Traditionen und der Moderne sind auch Inspektor Park, einer der Hauptfiguren, nicht entgangen. Er macht es bei einem Männerabend im Nachtklub klar: Hier ist das kleine, rückständige Korea – und dort die riesigen, reichen, fortschrittlichen USA, wo das FBI auf unglaubliche Ressourcen zurückgreifen kann. Dass sich Park dies nicht zusammenfantasiert, wird spätestens dann klar, als Spermaspuren mit dem Blut eines neuen Verdächtigen (der "Sad-Letter-Mann") verglichen werden sollen. Die DNS-Analyse kann nicht in Korea ausgeführt werden, sagt das Labor. Die Technik dafür gebe es nur in den USA. Und das dauert natürlich.
Ob der Serienmörder jemals dingfest gemacht werden kann, bleibt stets zweifelhaft. Immer wieder produziert der Polizeiapparat Verdächtige, nur um sie dann wieder mangels Beweisen laufen lassen zu müssen. Diese Beweise kommen in der Regel von Taeyun. Denn er ist der Vertreter moderner, wissenschaftlicher Denkweisen. Einmal wendet er sogar induktives Denken an, um sich in die Täterpsychologie hineinversetzen zu können.
Dass seine Methoden den Verfechtern der Methode "erst schießen, dann fragen" in die Quere kommen, dürfte klar sein. Deshalb ist Inspektor Park ja so wütend auf den Besserwisser aus der Hauptstadt, der obendrein studiert hat. Doch während Park in der Lage ist hinzuzulernen (außer bei gewissen magischen Ritualen), bleibt sein Kollege Yonggo auf dieser Stufe stehen: Er setzt weiterhin auf die Anwendung brutaler Verhörmethoden. Und da er so ebenfalls Geständnisse erhält – wohlgemerkt: keine Beweise – ist auch der Chef zufrieden.
Doch der Druck von Presse und höheren Beamten erzwingt einen Wechsel des Vorgehens. Geständnisse reichen jetzt nicht mehr. Beweise müssen her. Jetzt wird Yonggo geschasst und Taeyun ist gefragt. Doch zu unserem Befremden ist er keineswegs der Strahlemann, dem die Wissenschaft den Weg weist, sondern anfällig für die alten Methoden. Er hat sich beispielsweise auf einen Verdächtigen festgelegt, und als dieser Verdacht widerlegt wird, rastet er aus, greift sogar zur Selbstjustiz. Nun ist es Kollege Park, der ihm in den Arm fällt. Und was mich immer noch stört, ist die Frage, was denn Taeyun Seo überhaupt von der Stadt aufs Land getrieben hat – niemand hat ihn gerufen, und er selbst gibt keine Erklärung.
17 Jahre später kehrt Park an den Ort zurück, an dem er die erste Leiche fand. Die Zeiten haben sich geändert, wie auch er selbst. Aber es sieht so aus, als laufe der Mörder immer noch frei herum …
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph), 16:9
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Koreanisch in DD 5.1
Sprachen: D, Koreanisch
Untertitel: D
Extras:
- Trailershow: Casshern (JP), Ghost (Korea), H (Korea), Matando Cabos (Spanien), No blood no tears (Korea), Rojo sangre (Spanien), Save the Green Planet (Korea oder Kambodscha), The Scarlet Letter (Korea), Sympathy für Mr Vengeance (Korea), Una de Zombis (Spanien).
Mein Eindruck: die DVD
Die DVD behauptet, nun die ungeschnittene Fassung zu bieten. Das erzeugt die Erwartung, hier werde der Zuschauer mit grässlichsten Details à la "Schweigen der Lämmer" oder "Hannibal" konfrontiert. Die Wirklichkeit ist weitaus prosaischer. Was bitte soll an einem starren Auge oder einem übers Gesicht gestülpten Schlüpfer grausig sein? Noch dazu, wenn diese Bilder nur wenige Sekunden lang zu sehen sind.
Es könnte vielmehr die erotische Seite des Films sein, die in der Kinofassung den Zensoren zum Opfer fiel. Doch auch diese entpuppt sich als Windei: Wenn ein Mann auf BH und Schlüpfer wichst, noch dazu beglotzt von drei Augenpaaren, so wirkt dies in der Kinooptik doch mehr lächerlich als sinnlich.
Die Deleted Scenes, die der Werbetext auf der Box-Rückseite verspricht, sucht man vergeblich. Kein Wunder, denn sie befinden sich ja jetzt in der "ungeschnittenen Fassung"! Auch der Trailer zum Film ist über das angebotene Menü nicht zu erreichen. Sollte es ihn geben, dann nur als Easter Egg. Dass die Trailershow (s.o.) besonders umfangreich ausgefallen ist, ist nur ein geringer Trost.
Die DVD bietet mit DTS und DD 5.1 eine erstaunlich hohe Soundqualität. Der Surround-Klang wird auch einige Male genutzt. Allerdings zeigen sich die Vorteile mehr in den Natur- als in den Innenraumszenen. Besonders der Wind und der Regen sind als Sounds gut eingefangen. (Im Gegensatz etwa zu einer Hollywood-Produktion wie "Schatten der Wahrheit", in welcher der Wind-Sound verrauscht wiedergegeben wird.)
Am Bild hat mir besonders die Cinemascope-Optik gefallen. Sie zeigt sich am eindrücklichsten an den Landschaftsaufnahmen, die am Anfang und am Schluss stehen. Hier kommen Breite wie auch Tiefe des Raums voll zur Geltung. Aber auch in den Innenraumszenen entsteht nie der Eindruck einer billigen Videoaufnahme.
Unterm Strich
"Memories of Murder" ist offensichtlich eine ernst zu nehmende Parabel auf die Zeit des Übergangs von der Militärdiktatur zur Demokratie, von der alten Tradition zur westlichen Moderne. Der Frauenmörder verkörpert für mich den Terror des Militärregimes, der alle Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Doch statt ihm in den Arm zu fallen, macht die Kripo ihrerseits Jagd auf Verdächtige, nur darauf bedacht, Geständnisse per Folter zu erzwingen. Sie ist somit der verlängerte Arm der Militärs. Einmal ist sogar von Geheimpolizei die Rede. Wir Deutsche sind sofort an die Gestapo und das Nazi-Regime erinnert.
Der koreanische Film erinnert mich in seiner Kritik an der Polizeiarbeit und ihren gewandelten Methoden an gute Kriminalfilme aus Europa. Es müssen nicht unbedingt die Mankell-Verfilmungen des ZDF sein. Es gibt auch hochwertige Krimis aus England, die allerdings meist fürs TV produziert wurden, welche die Polizeimethoden im Zwielicht erscheinen lassen. Die John-Rebus-Romane von Ian Rankin zählen zum Besten, was sich in die Richtung lesen lässt, und ganz besonders "Die Tore der Finsternis" ist hier zu erwähnen.
Mein Eindruck von der DVD ist hingegen zwiespältig. Wie gerne hätte ich mehr über die Ansichten des bemerkenswerten Regisseurs erfahren sowie über den historischen Hintergrund, vor dem die Handlung spielt. All dies dürfte wohl einer Special Edition vorbehalten sein. Die Werbung kann man vergessen, und die auf der Verpackung angepriesenen Features "Deleted Scenes" und den Trailer sucht man vergebens.
Für mich liegt der Film "Memories of Murder" auf einer Stufe mit dem ausgezeichneten Film "JSA – Joint Security Area". Werden hier die bizarren Zustände an der Waffenstillstandslinie zwischen Nord- und Südkorea kritisiert, so ist es in "Memories" das System der (Geheim?-)Polizei im Jahr 1986. Beide Filme greifen gesellschaftlich brisante Themen auf, die in Korea auf ein breites Echo gestoßen sind, weil sie die Vergangenheit verarbeiten. ("JSA" war sogar verboten.) Schließlich kann man davon ausgehen, dass, anders als im Film "Memories", die gefolterten Verdächtigen nicht laufen gelassen, sondern irgendwo erschossen und verscharrt wurden.
- Redakteur:
- Michael Matzer