Malastrana
- Regie:
- Aldo Lado
- Jahr:
- 1971
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Italien/Deutschland/Jugoslawien
- Originaltitel:
- La corta notte delle bambole di vetro
1 Review(s)
08.06.2006 | 14:08Story
Der amerikanische Journalist Gregory Moore wird im Prager Stadtbezirk tot aufgefunden. Allerdings ist sein derzeitiges Befinden den Medizinern ein Rätsel, denn obwohl der Herzschlag ausgesetzt hat und alle Anzeichen ganz klar für den Tod des Fremden sprechen, will die Leichenstarre bei Moore nicht einsetzen. Und tatsächlich: Der Mann auf der Leichenbahre ist bei vollem Bewusstsein und bekommt alles mit, was in seinem Umfeld geschieht; die Worte der Polizeiärzte, die ihn ja sowieso schon aufgegeben haben, die Aussagen des Leichenbeschauers, der gerade noch überlegt, ob er nicht die noblen Stiefel des Verstorbenen für den Privatgebrauch einkassieren soll, aber auch die Zweifel, die sein körperlicher Zustand in den Anwesenden auslöst. Während er dieser verhängnisvollen Lage ausgesetzt ist, erinnert sich Gregory an die Tage vor seinem Fund zurück und damit auch an seine Freundin Mira, die eines Tages spurlos verschwunden war. Obwohl sie ihre gesamten Papiere in der Wohnung hinterließ, tauchte sie nicht mehr wieder auf. Moore, der Polizei gegenüber sehr skeptisch eingestellt, machte sich alsbald auf eigene Faust auf die Suche nach Mira, unterstützt von seinen Kollegen Jessica und Jack, und stieß dabei auf eine mysteriöse Vereinigung, die schon mehrere junge Damen auf dem Gewissen zu haben scheint. Doch was hat das alles mit seinem Tod zu tun?
Meine Meinung
"Malastrana" ist ein Psycho-Thriller der allerfeinsten Sorte, der einerseits dem italienischen Giallo zuzuordnen ist, sich dann aber wieder sehr stark von dessen grundlegenden Aufbauten löst und zum Ende hin sogar ein sehr deutliches Horror-Flair ausstrahlt. Zudem ist es aber auch ein sehr, sehr ungewöhnlicher, in dieser Form einzigartiger Film, der ebenso viel Verwirrung wie Begeisterung im Zuseher hervorruft. Es ist nämlich schon sehr beängstigend, dem eigentlich Verstorbenen dabei zuzusehen, wie er sich gedanklich gegen sein Schicksal wehrt, es dabei aber nicht mehr schafft, diesem zu entrinnen oder auch nur seine Muskel zu bewegen. Alleine die Vorstellung, dass eine solche Situation tatsächlich real sein könnte, jagt einem schon zu Beginn einen kalten Schauer über den Rücken, wird durch die einzelnen Rückblenden dann aber wieder in den Hintergrund gedrängt - vorerst.
Im Folgenden funktioniert "Malastrana" quasi wie ein Thriller in "Memento"-Machart, zwar nicht so konfus, aber mindestens so beeindruckend. Unterstützt durch die eisige Atmosphäre der zwielichtigen Prager Gassen und der sowieso schon beklemmenden Stimmung, ausgelöst durch den Hauptakteur, startet Gregory sein Gedankenspiel und versucht, die Umstände, die zu seinem Tode führten, aufzudecken. Und langsam fügt sich dann auch das Puzzle zusammen, wenngleich es immer wieder einige Lücken aufweist, die sich erst nach und nach füllen. So wird aber nicht nur das Verschwinden von Mira erörtert, sondern auch das Beziehungsgefüge zwischen Jack, Jessica und Gregory analysiert, wobei Moore immer deutlicher erkennen muss, dass es nicht nur die fremde Organisation ist, bei der er mit geordneten Gedanken nachforschen muss. Immer tiefer taucht er in seine letzten Stunden unter den Lebenden ein, entdeckt dabei immer weitere erschreckende Fakten und verwandelt die 'Ermittlungen' in einen psychologischen Nerventest von finsterstem Ausmaß - sowohl für sich, als auch für den Betrachter.
Aldo Lado hat hier ein echtes Meisterwerk des italienischen Kinos kreiert und bewegt sich mit seinem Regiedebüt "Malastrana" auf den Spuren von Meistern wie Fulci und Bava. Anpassung ist jedoch nicht seine große Stärke, und so versucht der Regisseur durch die Verbindung aus Psycho-Thriller und Horror eigene Wege zu beschreiten - erfolgreich, wie ich finde. Derart eigenwillige Ansätze waren selbst für das zur damaligen Zeit revolutionäre italienische Kino neu und demzufolge auch eine ganz klare Bereicherung. Dank der wunderbaren Besetzung - Jean Sorel und Mario Adorf spielen hier zwei Paraderollen - ist auch die Umsetzung dieses nicht nur auf den ersten Blick eigenartigen Films prima gelungen. Man sieht die reale Welt durch die Augen eines Toten und dies dementsprechend emotionslos und hoffnungslos. Und ein solches Gefühl jemals zu erfahren, ist schon ein echt einzigartiges, wenn auch nicht zwingend wünschenswertes Ereignis.
DVD-Aufarbeitung
Wo der Film inhaltlich unantastbar bleibt, hat die audiovisuelle Aufarbeitung leider einige Schwächen, vor allem was den sehr dumpfen Ton anbelangt, für den man die Surround-Anlage nun nicht unbedingt anschalten muss. Schade ist dies lediglich um den gewohnt superben Soundtrack von Score-Legende Enno Morricone. Das Bild ist auch nicht gerade superscharf, in Anbetracht des Alters (der Film stammt aus dem Jahre 1971) aber noch in Ordnung, trotz einigem Bildrauschen und Schwächen bei den düsteren Sequenzen.
Dafür ist das Extramaterial dann aber wiederum vom feinsten und zeugt einmal mehr von der ambitionierten Herangehensweise der Firma Koch Media. Neben einem aufschlussreichen 8-seitigen Booklet mit vielen interessanten Hintergrundinformationen enthält der Silberling noch den englischen Kino-Trailer, einen Audiokommentar von Jürgen Drews (ja, genau von dem...) und ein knapp halbstündiges Featurette um Hauptdarsteller Mario Adorf namens "Abenteuer Filme machen: Mario Adorf erzählt", in dem dieser das heutige Kino mit dem von damals vergleicht. Alles Sachen, die für die ansonsten eher durchschnittliche Aufarbeitung entschädigen.
Fazit
"Malastrana" ist eines der wohl am meisten unterschätzten Werke des europäischen Thriller-Kinos der Siebziger und für ein Regiedebüt schon echt grandios. Besonders den jungen Mario Adorf noch einmal in einer solch überzeugenden Rolle zu sehen, sollte die Kaufentscheidung enorm erleichtern. Und wem dieses Argument noch nicht ausreicht, der sollte mal bedenken, dass ein gewisser Herr Morricone sicherlich nicht jedem Regisseur sein Genie geborgt hat. Freunde des italienischen Giallos kommen an diesem Streifen ebenso wenig vorbei wie Fans von Horror-Regisseur Bava und Italo-Ikone Mario Bava.
- Redakteur:
- Björn Backes