Poseidon
- Regie:
- Petersen, Wolfgang
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Action
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Poseidon
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03.02.2007 | 14:38Irgendwo auf dem Ozean wird an Bord des Hightech-Kreuzfahrtschiffs "Poseidon" heute Silvester gefeiert. Die Reichen & Schönen treffen sich im festlich geschmückten Ballsaal, wo sie pompös bewirtet & von Popsternchen Fergie angesungen werden. Auf der Kommandobrücke stellt sich um Mitternacht nicht Neujahrsstimmung, sondern Panik ein: In der Ferne taucht urplötzlich eine "rough wave", eine Monsterwelle auf. Mehr als 30 Meter wächst sie in die Höhe und trifft die "Poseidon" seitlich. Das Schiff wird erst auf die Seite gedreht und treibt schließlich kieloben auf dem wieder ruhigen Wasser.
Unbeschreibliche Szenen spielen sich im Inneren des Rumpfes ab. Die meisten Passagiere und Besatzungsmitglieder sterben schnell und grausam. Im Ballsaal, der wasserdicht blieb, rät der dort anwesende Kapitän zum Warten auf Rettung, die nicht lange auf sich warten lassen wird. Doch Robert Ramsey, ehemaliger Feuerwehrmann und Bürgermeister von New York, will seine Tochter Jennifer suchen, die mit ihrem Freund Christian in der Schiffsdisco verschollen ist. Berufsspieler Dylan Johns, ein ehemaliger Elitesoldat, setzt auf Eigeninitiative statt aufs Warten. Den beiden Männern schließen sich noch die junge Mutter Maggie und ihr Sohn Conor sowie der gerade von seinem Liebhaber verlassene Richard Nelson und ein Kellner an.
Jennifer und Christian werden schnell gefunden, ein Saufbold und die blinde Passagierin Elena stoßen ebenfalls zu der Gruppe. Das Ziel - ein Luftschacht in der Nähe der Schiffsschrauben - liegt weit über den Fliehenden. In der verkehrten Welt des umgedrehten Schiffes findet man sich schwer zurecht. Immer wieder türmen sich Hindernisse auf, werden die Überlebenden mit Feuersbrünsten, Wassereinbrüchen und anderen Bedrohungen konfrontiert. Die Zeit wird umso knapper, als die "Poseidon" zu sinken beginnt. Das Wasser folgt den Verzweifelten mit rasender Geschwindigkeit. Der Aufstieg wird zum Wettlauf mit dem Tod, den nicht alle Teilnehmer überleben werden ...
Zu den großen Filmdesastern des Kinojahres 2006 gehört sicherlich "Poseidon". Das bezieht sich nicht auf die Handlung: Nach vom finanzierenden Studio lieber nicht kommentierten Schätzungen sollen im Vertrauen auf einen Blockbuster bis zu 200 Millionen Dollar in diesen Streifen geflossen sein. Doch Erfolg lässt sich nicht erzwingen. Zumindest das Kinopublikum ließ die "Poseidon" vergleichsweise unbeachtet sinken. Ob das dadurch entstandene Kassenloch durch die DVD-Verkäufe wieder gefüllt werden kann, ist eine Geschichte, die uns hier nicht weiter interessiert.
Was war da geschehen? "Poseidon" ist filmhandwerklich ein untadeliges Werk, Wolfgang Petersen als Regisseur ein alter Hase, der sehr gut weiß, wie staunenswerte Bilder erzeugt werden. Seine Einführung der "Poseidon" als Ort der Handlung ist grandios: In knapp drei Minuten umkreist die Kamera das riesige Schiff, nähert sich einzelnen Abteilungen, die für das spätere Geschehen bedeutungsvoll werden, begleitet gar einen einzelnen Passagier auf seinem morgendlichen Trimmlauf, bevor sie sich wieder in die Höhe schwingt und ihre Runde vollendet. Ist dies geschehen, kann sich der Zuschauer ein Bild von der Topografie der "Poseidon" machen und ist Zeuge einer bemerkenswert intelligenten Verschmelzung von Filmtrick und "Realität" geworden.
Sehr richtig ist Petersens Entscheidung, die digitalen Tricks ansonsten auf ein Mindestmaß zu beschränken bzw. dorthin zu verbannen, wo sie sinnvoll sind, weil sie Unmögliches darzustellen gestatten oder Lebensgefährliches entschärfen. Ganze Säle und Raumfluchten der "Poseidon" wurden deshalb wie im guten, alten Hollywood als (auf den Kopf gestellte) Großkulissen nachgebaut. Das menschliche Auge weiß solchen Aufwand immer noch zu honorieren: Die Expedition durch das Innere der "Poseidon" wirkt erschreckend echt. Auch gigantische Wassereinbrüche werden nicht am Computer gebastelt, sondern die Kulissen tatsächlich geflutet, während unzählige Stuntmen und -women in alle Richtungen gewirbelt werden. In allen Bereichen der gigantischen Räume geschieht etwas; beim mehrmaligen Anschauen würden wahrscheinlich immer neue Details zu registrieren sein. (Das schließt übrigens diverse ziemlich fiese Sterbeszenen mit ein; wieso "Poseidon" für Zuschauer ab 12 Jahren freigegeben wurde, ist angesichts der sonst so regen Zensur in Deutschland - obwohl sie unter diesem Namen nicht mehr stattfindet - reichlich mirakulös. Laut "imdb.com" fehlen in der deutschen Fassung jedoch fünf Minuten, so dass die Schere hierzulande wohl doch angesetzt wurde.)
In den genannten Punkten "funktioniert" Poseidon also prächtig und bietet katastrophal gute Unterhaltung. Leider ist die Story bzw. die Art ihrer Umsetzung dem Rahmen nicht gewachsen. "Poseidon" erzählt eine ganz einfache, eigentlich narrensichere Geschichte: Eine kleine Gruppe zuvor individuell eingeführter und charakterlich durchmischter Menschen muss sich von Punkt A zu Punkt B durchkämpfen, dabei eine je nach Laufzeit des Film kalkulierbare Kette von Gefahren durchleben und zusätzlich diverse zwischenmenschliche Konflikte überstehen. 1972 ging dieses Konzept auf: "Das Poseidon- Inferno" war und ist kein filmischer Meilenstein, aber spannendes Popkornkino mit einer Besetzung, um die man bangt und mit der man hofft.
Davon ist im Remake kaum etwas zu spüren. Den Darstellern ist kein Vorwurf zu machen (s. u.). Sie setzen um, was ihnen das Drehbuch vorschrieb. Genau hier mag das grundsätzliche Problem liegen: Die "Poseidon"-Filme von 1972 und 2006 erzählen nicht nur dieselbe Story, sondern bedienen sich identischer Figurencharaktere. In einem Vierteljahrhundert hat sich die Filmsprache freilich verändert. Was 1972 noch üblich war und auch heute noch verstanden wird, ist in einem aktuellen Film nicht mehr tolerabel. Die Zeit für hunderprozentige Helden und Feiglinge ist vorbei; wir haben uns daran gewöhnt, dass Menschen auch im Film beides sein können. Ein Feuerwehrmann und ein Soldat führen unsere Gruppe an, zu der ein Muttertier und ihr naseweiser Sprössling gehören, um den man offenbar bangen soll, der aber nur an die schweinsnasig-hasenzähnig-sommersprossigen Hollywood-Blagen erinnert, die in allzu vielen ansonsten sogar guten (Katastrophen-) Filmen für billige Krisenspannung sorgen sollten. Auch sonst dominieren Klischees, die "Poseidon", sonst ein im positiven Sinn "altmodischer" Streifen, schwer erträglich werden lassen.
Noch eine richtige Entscheidung: In der "Poseidon" tummeln sich keine Hollywoodstars, sondern gute Schauspieler der sog. "zweiten Garnitur". Das ist nicht abwertend gemeint, denn Darsteller wie Kurt Russell oder Richard Dreyfuss haben ihr Talent schon in zahlreichen Filmen bewiesen. Die jungen Kolleginnen und Kollegen, die sich hier zu ihnen gesellen, fügen sich gut ein. Halbwegs gelingt die Illusion ganz normaler Durchschnittsmänner und -frauen in der Krise, was mit gar zu berühmten Darstellern wahrscheinlich gescheitert wäre. Mindestens zweimal überrascht und berührt uns das Drehbuch mit Wendungen für Figuren, von denen wir nicht gedacht hätten, dass es sie treffen wird.
Leider geschieht es wesentlich öfter, dass wir schon lange vorab wissen, wen es erwischt. Die Versimpelung menschlicher Charaktere ist insgesamt zu stark ausgeprägt. Offensichtlich glaubten Regisseur und Drehbuchautor, dass ein Feinschliff im "Poseidon"- Getümmel untergehen würde und deshalb unterbleiben könnte. Sie haben unterschätzt, wie gut sich des Zuschauers Hirn heutzutage in flirrenden Bildgewittern zurechtfindet: Es gelingt spielend, die Stereotypen zu erkennen und sie als ärgerlich zu empfinden. Warum muss Robert Ramsey Feuerwehrmann und Bürgermeister von New York sein? Das ist nichts als ein billiger Trick, mit Bezug auf das 9/11-Fiasko von 2001 eine Heldenfigur zu schaffen. Aus welchem Grund spielt Richard Dreyfuss einen Homosexuellen? Für die Handlung ist das nie von Belang und wird bald ignoriert. So manches, was sonst noch eingefädelt wird, löst sich in Luft auf, als endlich die große Welle kommt und der filmischen Einleitung ein Ende bereitet.
Dreist ist in diesem Zusammenhang die Behauptung, "Poseidon" bediene sich nur verschiedener Vorbilder und Motive aus dem Vorgängerfilm, aus denen hier ein ganz neuer Film entstanden sei. Regisseur Petersen selbst will uns das in einem der Feature-Interviews weismachen. Wie nichtig diese "Erklärung" ist - die nur als Werbung für den Film zu verstehen ist -, wird bereits klar, wenn man darüber nachdenkt, welche Alternativstory sich in einem kieloben treibenden Riesenschiff abspielen könnte: keine, die überzeugender oder spannender als eine Flucht vor dem Verderben ist. Doch die Variationen zwischen den beiden "Poseidon"-Filmen sind so gering, dass die Parallelen umso deutlicher auffallen.
So ist dieses Mal für Hollywood die Rechnung nicht aufgegangen. Alter Wein in neuen Schläuchen schmeckt halt nicht, wenn er schon gar zu abgestanden ist. Als pure Unterhaltung ohne Anspruch kann "Poseidon" seine Zuschauer durchaus über einen Feierabend bringen. Nur ins Kino wollten sie dafür offenbar nicht gehen. Schade um den Aufwand, schade, wie gute Darsteller verheizt werden. Die Hollywood-Studios setzen dennoch weiter auf Remakes einstiger Erfolge, anstatt eventuell weniger Geld, aber mehr Gehirnschmalz in Filme mit Storys zu investieren, die nicht auf den größten gemeinsamen Zuschauernenner setzen, sondern überraschen.
Daten
Originaltitel: Poseidon
USA 2006
Regie: Wolfgang Petersen
Drehbuch: Mark Protosevich (nach einem Roman von Paul Gallico)
Kamera: John Seale
Schnitt: Peter Honess
Musik: Klaus Badelt
Darsteller: Andre Braugher (Kapitän Bradford), Josh Lucas (Dylan Johns), Kurt Russell (Robert Ramsey), Emmy Rossum (Jennifer Ramsey), Jacinda Barrett (Maggie James), Jimmy Bennett (Conor), Mía Maestro (Elena), Richard Dreyfuss (Richard Nelson), Freddy Rodríguez (Valentin), Mike Vogel (Christian), Kevin Dillon ("Lucky" Larry) uva.
Anbieter: Warner Home Video
Erscheinungsdatum: 10. November 2006 (Verleih- u. Kauf-DVD)
Bildformat: 16:9 (2.35:1) anamorph
Audio: Dolby Digital 5.1 (deutsch u. englisch)
Untertitel: Deutsch, Englisch, Deutsch für Hörgeschädigte
DVD-Typ: 2 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 94 min.
FSK: 12
DVD-Features
Wie es sich (selbst für einen gescheiterten) Blockbuster ziemt, wird dem Hauptfilm sogar in der Leihversion eine Extra-DVD mit diversen Features beigegeben, statt diese mit auf die Film-DVD zu brennen. Darunter sind gleich drei Dokumentationen ("Tagebuch eines Schiffskameraden", "Poseidon: Ein Schiff im Tonstudio", "Poseidon: Auf den Kopf gestellt"), aus der problemlos eine einzige gemacht werden könnten, beschäftigen sie sich doch alle mit diversen Aspekten der technisch komplizierten Dreharbeiten. Was im Film sehr überzeugend erscheint, wird hier erläutert bzw. entzaubert. Der Reiz dieser ausgiebigen Blicke hinter die Kulissen lässt sich nicht leugnen. Die weitgehend überflüssigen, weil sich in gegenseitigen Beweihräucherungen ergehenden Anmerkungen der Darsteller und des Regisseurs lassen sich überspringen.
Eine vierte Dokumentation beschäftigt sich mit dem Phänomen der "Monsterwellen" oder "rough waves" - Wogen von grotesker Höhe, die scheinbar aus dem Nichts entstehen und die Forschung verstärkt beschäftigen, seit sich herausgestellt hat, dass sie wesentlich häufiger auftreten als gedacht und verantwortlich sind für manchen bisher rätselhaft gebliebenen Schiffsverlust. Forscher erläutern, wie Monsterwellen entstehen, authentische Fotos und Filmaufnahmen dokumentieren ihr spukhaftes Erscheinen und ihre mörderischen Folgen. Ein wenig zu dramatisch werden diese Erkenntnisse präsentiert, doch die Bilder sprechen eindrucksvoll genug für sich.
Bild- und Tonqualität zu beurteilen überlasse ich einmal mehr den dafür zuständigen Spezialisten; ein Multi-Millionen-Dollar-Film wie "Poseidon" wird freilich mit der ihm gebührenden Sorgfalt auf DVD gebrannt; während die Bilder fast plastisch wirken, kracht und knirscht es unterstützend auf der Tonspur, dass es eine schauerliche Freude ist.
- Redakteur:
- Michael Drewniok