Drecksau - Es ist Zeit versaut zu
- Regie:
- Baird, John S.
- Jahr:
- 2013
- Genre:
- Komödie
- Land:
- GB
- Originaltitel:
- Filth
1 Review(s)
14.03.2014 | 16:32Lass die Sau raus, auch wenn's wehtut
Detective Sergeant Bruce Robertson (James McAvoy) hasst seinen Job bei der Polizei von Glasgow. Doch er will unbedingt befördert werden. Denn nur dann wird seine Frau zu ihm zurückkehren - meint er. Auf dem Weg zum begehrten Posten des Detective Inspectors gibt es leider ein paar Hindernisse: Bruce ist kokainsüchtig, ein geistiges und körperliches Wrack und überhaupt kein netter Mensch, sondern eine Drecksau.
Aus seiner eigenen Perspektive kommt allerdings nur er für diese Beförderung in Frage. Denn die Kollegen sind Idioten. Bruce tut alles dafür, die Konkurrenten gegeneinander aufzuhetzen. Er deckt ihre dunklen Geheimnisse auf, verführt ihre Frauen und stürzt sie ins Unglück - alles direkt vor den Augen seines Vorgesetzten Bob Toal und stets im Dialog mit seinem Psychiater Dr. Rossi.
Schon bald verheddert sich Bruce in einem Netz aus Intrigen, Drogen, Sex und Wahnsinn. (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Filth (GB 2013)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: 25.2.14
EAN: 7613059404014
FSK: ab 16
Länge: ca. 98 Min.
Regisseur: John S. Baird
Drehbuch: nach dem Roman "Filth" von Irvine Welsh
Musik: Clint Mansell
Darsteller: James McAvoy, Jamie Bell, Jim Broadbent, Eddie Marsan, Gary Lewis u.a.
Handlung
Prolog
Eine sehr schöne Frau schminkt sich verführerisch und zieht schwarze Seidenstrümpfe an. Sie tut es für ihren lieben Bruce, sagt sie uns in die Kamera. Denn Bruce wird schon bald die Beförderung vom Detective Sergeant zum Detective Inspector erhalten und dann "werden sie alle eine glückliche Familie sein".
Wenig später sehen wir die Lady, wie sie in einem düsteren Durchgang eine Gruppe von männlichen und weiblichen Schlägern verjagt, die gerade einen japanischen Studenten zusammengeschlagen hat. Die Lady scheint wirklich Respekt zu genießen. Aber sie schaut immer in die Kamera. Etwas stimmt hier nicht...
Haupthandlung
DS Bruce Robertson (McAvoy) hat seinen Job als Cop in Glasgow. Das einzige, was er noch mehr hasst, sind seine Kollegen. Denn die halten ihn von der längst überfälligen Beförderung zum Detective Inspector ab. Als DI dürfte er endlich richtige, wichtige Fälle lösen, nicht diesen Popelkram wie den toten japanischen Studenten. Doch Chief Inspector Bob Toal, der Freizeitschriftsteller, weiß, wie er seine Untergebenen motiviert: Inoffiziell und ohne Extralohn soll Bruce die Ermittlung leiten. Doch Robertson weiß, worauf es wirklich ankommt: Er muss seine Rivalen erst einmal vernichten.
Während er mit seinen rüden Methoden Zeugen zum Reden bringt und seine Kollegen fertigmacht, erfreut er sich täglich an einer halben Flasche Whisky und mindestens eine Line Koks, das er abgezweigt hat. Außerdem vergnügt er sich mit Chrissy, der Frau des Rivalen Doug Gillman, und mit Bunty, der Frau des lieben Bruderschaftskollegen Blades. Denn selbstverständlich ist Robertson auch bei den Freimaurern.
Immer schwieriger findet er es, morgens zum Dienst anzutreten. Er macht sich allmählich Sorgen. was es wohl zu bedeuten hat, dass er Leute mit Tiergesichtern zu sehen meint. Seinem Psychiater Rossi erzählt er, alles sei ihn Ordnung, damit er die verschriebenen Medikamente bekommt. Auch bei dem Wiederbelebungsversuch eines Infarktopfers auf dem Marktplatz hat er eine Horrorvision erlebt - ein geschwärztes, totes Kind. Ist es ein Flashback an seinen toten Bruder, der unter einer Halde Kohle begraben wurde?
"Etwas stimmt nicht mit mir", stöhnt er zu Dr. Rossi. Doch obwohl die Anfälle und Flashbacks schlimmer werden, schlägt er die Hilfe aus, die Amanda, die Sekretärin des Chief Inspectors, ihm anbietet: Für Bruce ist sie nur eine weitere Rivalin beim Kampf um die Beförderung. Dass sich die Witwe des am Infarkt Verstorben vertrauensvoll an ihn wendet, macht es nur schlimmer. Sie erinnert ihn daran, dass sich seine Frau Carol von ihm hat scheiden lassen und die geliebte Tochter Stacy mitnahm.
Wird ihm ein wilder Trip ins Hamburger Rotlichtviertel, den er mit Blades unternimmt, wirklich Ablenkung von seinen Problemen verschaffen? Zweifel sind berechtigt, und nach seiner Rückkehr erfährt sein prekärer Geisteszustand eine dramatische Steigerung...
Mein Eindruck
Bruce Robertson ist eine satirisch anmutende Ansammlung von politisch nicht korrekten Abneigungen und Ansichten: Er ist homophob, pädophil, sektiererisch (bei den Freimaurern), fremdenfeindlich, sexistisch, rassistisch und viele unappetitliche Dinge mehr. Das Merkwürdigste: Er ist höchstwahrscheinlich ein Transvestit. Warum sich dies nicht eindeutig festlegen lässt, liegt an der fortwährenden Verschmelzung von Innen- und Außenwelt in der Darstellung.
So tauchen immer wieder Tiermasken in Bruces Gesichtsfeld auf. Auch das ist ein Stilmittel, die der Form der Satire erlaubt ist. Ganz besonders beunruhigend wird diese Verschmelzung des Innen und Außen, des Sub- und des Objektiven, als Bruce mit Chrissy Gillman Sex hat. (Das ist im Trailer gut zu sehen.) Er liegt unten und lässt sich von mit einem Strick die Luft abschnüren, weil er dadurch schneller bzw. leichter einen Orgasmus bekommt - er ist nämlich sonst impotent. Über sich sieht er auf einmal nicht mehr Chrissy, sondern auch Amanda und - Oh Schreck! - den Kollegen Peter Inglis. Ist Bruce vielleicht nur nach außen so ein Ekel, innerlich aber das genaue Gegenteil? Wer den Schluss gesehen hat, hält nichts mehr für unmöglich.
Während Bruce nach außen hin die Sau rauslässt, ist er innerlich eine arme Sau. Um seine psychische Not zu unterdrücken, wirft er sich ständig irgendwas ein: Pillen, Koks, Whisky pur. Dass diese ständige Selbstmisshandlung auf Dauer nicht gutgehen kann, ist abzusehen. Doch der Arzt, total durchgeknallt von Jim Broadbent dargestellt, ist ebenso wenig eine Hilfe wie der gelangweilte Psychiater Dr. Rossi. Die vorletzte Station ist die masochistische Konfrontation mit den eigenen Dämonen, die letzte ist unausweichlich - und sehr sehr komisch. Mehr darf nicht verraten werden.
Der Zuschauer kommt sich vor wie auf einem schlimmen Drogen-Trip, und wer Tiefschläge verbaler Art nicht weg stecken kann, sollte einen großen Bogen um den Film machen. Aber genau diese Struktur der ausweglosen Reise ans Ende der Nacht macht es so spannend, Bruces Weg mitzuverfolgen. Das Seltsamste ist nämlich, dass wir ihm die Stange halten und ihm wünschen, aus dem ganzen Schlamassel in seinem Innern herauszukommen. Er mag zwar ein Charakterschwein sein, aber der Schweinehund in uns allen erkennt ihn als Seinesgleichen wieder und will ihm helfen.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS-HD 5.1, Englisch in DTS-HD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
Interviews
B-Roll
Featurette
Original-Kinotrailer
Dt. Kinotrailer
Trailershow
Mein Eindruck: die Blu-ray
Bild und Ton entsprechen dem hohen Qualitätsstandard einer Blu-ray. Das Bild ist entsprechend scharf, doch der Stereoton wird leider wenig ausgenützt. Wenn Mehrkanalsound zu hören ist, wird er in der Regel von der Musik genutzt.
EXTRAS
1) Featurette (3:37 min)
Dieser plakative Beitrag ist nicht mal im entferntesten ein Making-of, sondern ein TV-Schnipsel: Es wird versucht, die Hauptfigur als richtiges Ekel darzustellen. Dazu dienen natürlich die aus dem Trailer bekannten Filmausschnitte, aber auch vereinzelte Interview-Statements (s.u.).
2) Interviews
a) James McAvoy (14:30 min) ist einer der Produzenten und somit stark am Erfolg des Films beteiligt. Er liefert eine ziemlich gute, erhellende Psychostudie der Hauptfigur und vergleicht die mit Figuren bei Shakespeare. Er lobt das Skript und erwähnt, dass er nicht nur beim Regisseur Baird, sondern auch beim Autor Welsh vorsprechen musste. Er wollte, dass Jamie Bell unbedingt dabei sei.
b) Regisseur Ron Baird (11:25 min) wollte offenbar schon immer "Filth" verfilmen. Deshalb besorgte er sich mühselig die Rechte am Buch und schrieb ein Drehbuch, das sowohl dem Autor Welsh als auch dem Hauptdarsteller McAvoy sehr gut gefiel. Er wollte nämlich die Hauptfigur vielschichtig anlegen und keineswegs nur "realistisch" darstellen. Das Bild eines Schweinekopfes mit einem Polizistenhelm darauf war für ihn der Auslöser. Und das Schweinsmotiv zieht sich bis in den Abspann hinein, wo ein kleines Schweinchen auftritt. Das einzige Bild, das Baird erwähnt, aber nicht im Film zu finden ist, ist die Frau mit den sprechenden Brüsten.
c) Imogen Poots (1:05 min) spielt Amanda Drummond, Robertsons Rivalin und Möchtegernhelferin auf dem Polizeirevier. "Sie verfügt ausnahmsweise über Mut und Autorität", ist also kein kleines Mädchen wie etwa Bunty Blades, das leichte Opfer von Robertsons Telefonsex-Belästigungen.
d) Jamie Bell (2:20 min) spielt Ray Lennox. "Er ist naiv, formbar, aber berechnend und besitzt somit zwei Gesichter. Für ihn ist Robertson ein sympathischer Antiheld."
3) Originaltrailer (2:19 min)
Zunächst wird die Hauptfigur charakterisiert. Jede Menge spielt hierbei eine Rolle, auch der mit der minderjährigen Anwaltstochter.
4) Deutscher Trailer (1:30 min)
Fast der ganze Sex wurde herausgeschnitten, insbesondere der mit der Minderjährigen.
5) B-Roll (5:41 min)
Die B-Roll ist lieblos zusammen geschnipselt, ohne Musik oder Kommentar. Sie zeigt McAvoy in zwei Szenen: einer Straßenszene und auf der Weihnachtsfeier der Polizeibelegschaft. Zumindest wird deutlich, welcher Aufwand hier getrieben wurde. Es ist eine professionelle Produktion, ohne Zweifel.
6) Trailershow
a) Dallas Buyers Club
b) Don Jon
c) Into the Never - Metallica 3D
d) Dschungelcamp
e) The Philosophers
f) Devil's Pass
g) Odd Thomas (siehe meinen Bericht)
h) Sibirische Erziehung (siehe meinen Bericht)
i) Europa Report (siehe meinen Bericht)
Unterm Strich
"Drecksau" ist ein echter Irvine Welsh. Was zuvor wie "Trainspotting" als unverfilmbar galt, hat nun die herausfordernde Form einer Tragikomödie angenommen. Bruce Robertsons Intrigieren hat die maliziöse Größe eines Jago ("Othello") oder einer Königs Richard III. Sein Sexleben ist wild, wüst und verletzend. Leichen pflastern quasi seinen Weg.
Doch all dies dient nur dazu, sein inneren Dämonen zu kaschieren. Die Kunst des Drehbuchautors und Regisseurs besteht darin, diese Dämonen einen nach dem anderen freizulegen, bis der Zuschauer erkennt: Diese "Drecksau" ist auch nur ein armes Schwein wie ich selbst, mit dem Unterschied, dass Bruce Robertson über die Macht eines Cops verfügt. Nur so ist es ihm möglich, auf allen anderen herumzutrampeln. Aber die anderen, wie etwa sein Kumpel Ray (Jamie Bell), drehen den Spieß liebend gerne um, sobald sie die Gelegenheit haben.
Die Figur des Robertson ist das Produkt einer Gesellschaft, deren hierarchischen Strukturen auf Gewalt und Macht basieren. Diese wiederum erzeugen wieder Gewalt, Verletzungen und Opfer. Ein Außenseiter wie ein Japaner ist das willkommene Opfer: Niemand schützt ihn, schon gar nicht das Gesetz. Damit der Teufelskreis aus Machtausübung und Gewalt überhaupt ertragen werden kann, muss ständig verdrängt und unterdrückt werden. Das erzeugt Halluzinationen. Sie tragen einen Gutteil an Komik bei, derer sich die Form der Satire bedienen darf.
Mit anderen Worten: Diese Tragödie ist einerseits todtraurig und abstoßend, andererseits aber auch lustig und unterhaltsam - wie ein Blick in eine besondere Form der Vorhölle.
Die Blu-ray
Dass die Blu-ray kein Making-of anzubieten weiß, bringt ihr einen Minuspunkt ein. Das Featurette ist mehr Werbung als Offenbarung, und die Interviews sind zwar informativ, aber zusammenhanglos. Die B-Roll ist lieblos zusammen geschnipselt, ohne Musik oder Kommentar.
Für wen sich die Blu-ray eignet
Wegen der zahlreichen anstößigen Themen, die der Film satirisch anschneidet, sollte der Zuschauer gefestigtes Weltbild und kritisches Urteilsvermögen mitbringen. Wem Sex mit Minderjährigen zuwider ist - und vieles mehr - der sollte um den Film gleich einen großen Bogen machen. Ansonsten bietet der Film nicht nur schwarzen Humor, sondern auch eine interessante innere Entwicklung der Hauptfigur, die den Ausgang dieser Tragikomödie spannend macht.
Michael Matzer (c) 2014ff
- Redakteur:
- Michael Matzer