Hellsing Vol. 1
- Regie:
- Yasunori Urata
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Trickfilm
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Hellsing
1 Review(s)
14.02.2004 | 15:45Wer sich nur ein wenig in Sachen Animes, beziehungsweise japanischer Comic- und Zeichentrickkunst auskennt, wird wissen, wie schmal der Grad zwischen genialem Stoff und künstlerischem Schrott ist.
So driftet ein zuerst vielversprechender Streifen in Chaos und Belanglosigkeiten ab, in denen die Macher leider nur allzu oft beweisen, dass sie zwar geniale Künstler sind, wenn es ums Zeichnen geht, aber kläglich am Drehbuch und filmischer Dramaturgie scheitern. "Blue Submarine" zum Beispiel ist zeichnerisch ein Muss und von der Gestaltung mal was anderes. Die Story allerdings hinkt und der Film ist so spannend wie ein Toaster, der mal ne Sekunde länger braucht als normal. Torpedos durch die Gegend rauschen zu lassen, ist ja ganz aufregend, aber wenn sich die Spannungslinie auf diese rumschwimmenden Röhren beschränkt, spricht das nicht gerade für das Drehbuch.
Andererseits gibt es auch Animes mit genialer Storyline und gutem Drehbuch, die leider zeichnerisch total durchfallen, was normalerweise bei jungen Serien wie "Dragonball", "Conan" und "Ranma" zutrifft, solange diese und die Künstler noch unbekannt sind. Mittlerweile trifft das 'kein Geld'-Argument nicht mehr zu, da alles, was auch nur ungefähr nach Anime aussieht, gekauft wird wie blöd. Da bleibt dann bei billiger Grafik nur noch das 'kein Bock'-Argument, wenn man die Abzocke nicht allzu offensichtlich betreiben will.
Eins der besten Beispiele für diesen schmalen Grad zwischen Top oder Flop ist der neue Anime "Hellsing", der jetzt aktuell im TV läuft und auf DVD gebrannt im Handel erhältlich ist. Die Story ist ein neuer Beweis dafür, wie verdammt dreist japanische Künstler in der westlichen Welt Material für ihre Stories klauen: Um über die Bedrohung durch Vampire und andere Dämonen Herr zu werden, lässt die englische Regierung eine von der Queen abgesegnete Institution ausheben, die sich fortan mit der Beseitigung bösartiger Geschöpfe aus dem englischen Nachtleben beschäftigt. Diese Institution trägt den markanten Namen 'Hellsing', benannt nach genau dem Vampirjäger, den Bram Stoker auf Dracula losgehen ließ, nur mit einem L mehr, eine wirklich originelle Wortspielerei. Geführt wird diese Institution von der Tochter des eben genannten Vampirjägers, Lady Integra Wingates Hellsing, der eiskalten Karrierefrau schlechthin. Wenn es in amerikanischen Filmen kalte Sektionsleiter waren, die ohne mit der Wimper zu zucken, Mordbefehle für unbequemen Zeugen ausgaben, so lässt Lady Integra gleich noch die Familie, die Clique, den Fußballclub und den Postboten des Opfers umlegen, nur um sicher zu gehen.
Geheimwaffe dieses mega-geheimen und mega-gut ausgestatteten Vereins ist ein Typ namens Alucard, der Superheld der Serie. Alucard (noch so ein originelles Ding: Dracula rückwärts, zudem haben sich diesen sprachlichen Knüller schon die Macher vom CASTLEVANIA Computerspiel einfallen lassen) ist ein Vampir, natürlich einer von der guten Sorte und der Superheld der Serie.
Ein Superheld braucht auch Fähigkeiten, und ein Vampir der altmodischen Sorte ist Alucard natürlich auch nicht. Deswegen begnügt er sich nicht einfach damit unverwundbar zu sein und auf Kugeln nicht anzusprechen, nein, Alucard wird getroffen und zerfetzt, aber sein Körper verwandelt sich an den Wunden sofort in einen Haufen schwarzer Materie, die sich effektreich wieder zusammensetzt. Zudem kann Alucard seine Körperteile verlängern, Mr. Gadget lässt grüßen. Bewaffnet ist er nicht nur mit Gummiarmen und den bezeichnenden Zähnen, seine wahre Macht bekommt Alucard durch etwas ziemlich irdisches: zwei Kanonen der Marke 'Jackal' und '.454 Casult', geladen mit Silberkugeln, gegossen aus dem Kreuz einer besonderen Kirche Englands. Soviel zu den physischen Merkmalen Alucards. Des weiteren besitzt Alucard das enorme Selbstbewusstsein eines Unsterblichen und den sarkastischsten Humor der Unterwelt. Sein Kleidungsstil erscheint von der venezianischen Sommermode der 20er Jahre inspiriert und ist gänzlich in schwarz-rot gehalten. So würden sich untote Anarchisten mit Stil kleiden. Dazu darf natürlich nicht fehlen: die bei den irrsinnigsten Lichtverhältnissen blinkende Sonnenbrille, die schon Mickey aus "Natural Born Killers", Léon, den Profi, und Lara Croft cool gemacht hat.
Dieses Gespann aus Lady Ice, nein, Integra und halb-wahnsinnigem Vampir wird unterstützt von einer Einheit von Untot-wieder-tot-mach-Spezialisten und ebenso merkwürdigen Hausdienern. Zu kämpfen hat diese Spezialinstitution nicht nur mit Untoten und Supervampiren, auch eine erz-erz-erz-erz-konservative Delegation des Vatikans sorgt für Ärger, mit demselben Auftrag wie die Hellsing-Institution, nur ohne Vampir in den eigenen Reihen und um einiges aggressiver und fanatischer am Werk wie die protestantischen Vampirjäger. Das Klischee konservative Kirchenmänner gegen das Böse und Andersgläubige findet hier seine Wiederbelebung in schwertfuchtelnden Fanatikern und unheimlichen Predigern.
In der ersten Folge der Serie kommt es erst einmal zur Vorstellung der Charaktere, in dem eine Vampirhure von Alucard ausgeknipst wird, natürlich so lässig wie möglich. Kurze Zeit später wird die Polizistin Seras Victoria gezeigt, die zwar nicht genau mitbekommt, wie ihre Einheit innerhalb kurzer Zeit in willenlose Ghoule verwandelt wird, sich aber durchaus mit den Folgen herumschlagen darf. Als sie letztendlich in die Gewalt des Vampirs gerät, der für dieses Desaster verantwortlich ist, kommt Alucard in letzter Sekunde und macht im Handstreich diese 'Armee der Finsternis light' platt, natürlich nicht, ohne einen lockeren Spruch loszulassen. Im Zwiegespräch mit dem verdutzten Vampir, der mit Widerstand seiner eigenen Art nicht gerechnet hat, offenbart Alucard seine quasi vampirfaschistische Motivation für Hellsing zu arbeiten: er hält andere Vampire für (un)lebensunwürdig und dreckig, man müsse sie wie Geziefer ausrotten und die reinen Vampire (die mit Stil und einem gesunden Egokomplex) seien die einzigen, die es verdienten, auf Erden zu wandeln.
Nach dieser (zumindest für mich geschichtsbewussten Deutschen) gewagten Ansprache muss Alucard Seras erschießen. Um dadurch den Vampir zu erledigen, lässt er ihr aber vorher die Wahl zu sterben oder eine der seinen zu werden. Die Entscheidung geht Seras relativ locker über die Lippen, und als sie mit einem Loch in der Brust so groß wie ein Fußball von Alucard gebissen wird (Vampirkenner werden sich aufregen, dass das so aber nicht funktioniert), flickt sich das Loch von selbst und Seras tut ab dann Dienst in der Hellsing-Gewerkschaft für angestellte Vampire. Am Anfang tut sie sich noch etwas schwer mit ihrem Dasein als Vampirin und begreift noch nicht ganz, was sich in ihrer Welt alles verändert. Als Scharfschützin von Hellsing wird sie nun dafür eingesetzt, randalierende Vampire und andere Untote aus dem Verkehr zu ziehen. Dies geschieht nicht ohne gewisse Probleme bei der Umsetzung dieser Aufträge, aber es dauert nicht lange, da wird die Hellsing-Einheit wieder gerufen, um mordende Vampire auszuschalten, und Seras kann sich nicht mehr vor ihrem Dasein als Vampirkillerin verstecken.
An sich ist die Story ziemlich cool. Vampire haben schon immer einen Bonus, weil man mit ihnen entweder wahnsinnige Massenmorde veranstalten oder kaltblütige Killer erster Güte in die Story einbauen kann. Andererseits habe ich selten einen Anime gesehen, bei dem so verdammt dreist und offensichtlich bei westlichen Film- und Romanvorlagen geklaut wurde. So fällt die Verwendung des Bram Stoker-Romans nicht mal mehr ins Gewicht, weil japanische Künstler eh ein Faible für westliche Handlungsplätze haben. Aber: Alucard als vampirjagender Vampir erinnert ohne Zweifel direkt in der ersten Sekunde an niemand anderen als den amerikanischen Comichelden (ja, es gab da vorher mal 'nen Comic) "Blade". Eine Institution, die Untote und Dämonen jagt, kennt man bereits aus "John Carpenters Vampires". Die junge Untote, die ihr Schicksal frei gewählt hat und sich erst einmal auf ihr neues Ich und ihre neuen Kräfte einstellen muss, ist ganz klar vom amerikanischen Antihelden Spawn geklaut. Die eiskalte Chefin erinnert mich sehr stark an die kühle M, die James Bond durch die Gegend hetzt, nur mit viel mehr Haarspray, und die wahnsinnigen Vatikanler konnte man sich bis vor 50 Jahren noch selbst aus Rom einfliegen lassen. Bei so dreist geklautem Gedankengut müsste der Film eigentlich sofort bei mir durchfallen, was er seltsamerweise nicht macht.
Der Grund: Der Film hat Stil.
Trotz der Effekthascherei bei Alucards Verletzungen und seinen selten dämlichen Verrenkungen bleibt der Film schön auf dem Teppich und hebt nicht in ungefähre metaphysische und komplexe Gefilde ab, die sich jeder Animekünstler ausdenkt, wenn er nicht mehr mit seiner Story weiterkommt.
Zwar hebt Alucard regelmäßig mit seinem Ego ab und platzt fast vor Sarkasmus und Schadenfreude, aber er bringt das so glaubhaft rüber, dass es in keiner Sekunde aufgesetzt wirkt. Auch die superernste Umgebung Alucards mit seiner eisernen Chefin lebt durch seine Extravaganz und seine Coolness auf. Der schwarz-rote Paradiesvogel bringt alle Facetten seiner Mitmenschen, bzw. Mituntoten so richtig zur Geltung. Rein filmtechnisch überzeugt der Film ebenso, auch wenn sich oft genug die typischen Anzeichen von fehlerhafter Interpretation von Filmdogmen zeigt: Szenen in unglaublich ungünstigen Kamerawinkeln und sagenhaft lange Kameraeinstellungen in der Totalen. So etwas nervt natürlich ohne Ende, hält sich bei "Hellsing" aber Gott sei Dank in Grenzen.
Zeichnerisch ist der Film ein sehr gutes Beispiel für Filme, in denen die Künstler auch Wert auf die Nebensächlichkeiten legen, und nicht nur super gezeichnete Hauptfiguren mit billig drauf geklatschten Nebendarstellern interagieren oder sich in öden Vier-Strich-Welten bewegen lassen.
Die ganze Storyline ist kühl ausgearbeitet und verfängt sich nicht in Tausenden Handlungssträngen, da die Anzahl der wichtigen Protagonisten arg begrenzt wurde. Auch hat man mit sichtlicher Mühe an der Charaktergestaltung gearbeitet. So wirken die Dialoge nicht aufgesetzt, sondern werden durch das restliche Gebaren der Figuren noch unterstrichen.
Die Macher von "Hellsing" haben einfach kapiert, dass ein guter Anime nicht nur aus tollen Grafiken und einer abgedrehten Storyline besteht, sondern auch aus dem dazugehörigen Drehbuch und einer gekonnten Charakterentwicklung, ohne die die ganze Geschichte unglaubwürdig erscheinen würde. Deshalb trägt auch die dreist zusammengeklaute Story eher zur Qualität des Streifens bei, als dass sie ein Grund wäre, den Anime als billige Kopie abzutun.
Die erste DVD "Hellsing Vol. 1" beinhaltet neben den ersten beiden Folgen der Serie noch eine Bildergalerie, Originalskizzen, einen Screensaver, den kein Mensch braucht, und ein Interview mit den Machern der Serie.
Der Sound ist im gängigen Dolby Digital 5.1 gehalten und in den Sprachen deutsch und japanisch vorhanden, natürlich mit deutschen Untertiteln.
Hier sei noch dringend empfohlen, sich gar nicht erst die deutsche Sprachfassung anzutun, sondern sofort die japanische mit Untertiteln zu genießen, weil die deutsche Version trotz hochkarätiger Synchronsprecher (u.a. Sprecher von Sean Penn oder Antonia Banderas) einfach nur grauenhaft verhunzt ist.
Dazu kommt, dass die Musik im Intro durch Songs vom Prodigy-Mann Keith Flint ersetzt wurde, was noch einmal zur leidlichen Verwestlichung der Animekultur beiträgt.
Fazit: Ein technisch perfekter Anime mit geklauter Story, aber überzeugender Handlung und einer grottenschlechten Synchronisation; aber zeigt mir nur einen Anime, der das nicht hat.
Übrigens wird die DVD im hübschen Pappsarg geliefert, was letztlich kein Kaufgrund ist, dazu schafft es einer der interessantesten Animes der letzten Zeit auch alleine.
- Redakteur:
- Michael Kulueke