ADAGIO: Interview mit Stéfan Forté

23.07.2006 | 14:15

ADAGIO scheinen sich mit jedem Album ein wenig neu zu erfinden. Auf das neoklassische und stark gitarrenorientierte Debüt "Sanctus Ignis" folgte das eher düster-orchestrale zweite Album "Unterworld", und auch auf dem Besetzungskarussell ging es stets rund. Besonders gravierend dürfte der Weggang von PINK CREAM 69-Sänger David Readman vor zwei Jahren gewesen sein, und auch wenn sein Nachfolger, der Brasilianer Gus Monsanto, auf dem aktuellen Werk "Dominate" einen guten Job hinlegt, so müssen sich die Fans ein wenig umgewöhnen. Denn nicht nur in Sachen Gesang schlägt die französisch-brasilianische Formation neue Töne an - "Dominate" klingt verdammt heavy und gerade heraus! Bandchef Stéfan Forté erklärt warum.

Elke:
In der Geschichte von ADAGIO gab es bereits einige Besetzungswechsel - zuletzt stieg Eric Lebally 2003 als Ersatz für Schlagzeuger Dirk Bruinenberg ein, und David Readman wurde 2004 durch euren neuen Sänger Gus Monsanto ersetzt. Glaubst du, dass du jetzt die perfekte Besetzung gefunden hast?

Stéfan:
Zumindest hoffe ich das. Die meisten der jetzigen Mitglieder sind Franzosen und verstehen und kennen sich untereinander sehr gut. Dadurch gibt es auch einen stärkeren Team-Gedanken. Mit Dirk und David war es etwas schwieriger - der eine war in Holland, der andere in Deutschland, so dass die Beziehungen untereinander nicht so stark ausgeprägt waren.

Elke:
Euer neuer Sänger ist aber Brasilianer - also auch nicht gerade von um die Ecke.

Stéfan:
Das stimmt. Als wir nach einem neuen Sänger suchten, hielten wir eigentlich nach einem europäischen Kandidaten Ausschau. Aber Gus stand sofort zur Verfügung, beherrschte das Material sehr schnell, also ließen wir es auf einen Versuch ankommen. Im Moment fahren wir gut damit. Er lebt immer noch in Rio, aber kommt für drei oder vier Monate nach Frankreich, wenn wir zusammen arbeiten müssen.

Elke:
Warum ist David Readman eigentlich ausgestiegen?

Stéfan:
Es gab Probleme mit seinem Management. Wir hatten unterschiedliche Ansichten und Vorstellungen, so dass es besser war, sich zu trennen.

Elke:
Stehst du noch in Kontakt mit David?

Stéfan:
Ich weiß, dass Kevin (Codfert - Keyboards) und Franck (Hermanny - Bass) hin und wieder von ihm hören, aber ich leider nicht.

Elke:
Auch bezüglich des Plattenlabels hattet ihr bisher wenig Glück. Denkst du, dass der Deal mit Locomotive Records etwas dauerhafterer Natur ist?

Stéfan:
Da dies das erste Album ist, das bei Locomotive erscheint, wissen wir noch nicht so ganz, wie sich die Zusammenarbeit entwickeln wird - aber im Moment läuft es gut. Natürlich hoffen wir, dass wir eine längere Zeit zusammen arbeiten werden.

Elke:
Euren neuen Sänger Gus habt ihr über das Internet gefunden. Wie viele potentielle Kandidaten haben sich denn beworben?

Stéfan:
Genau kann ich mich nicht erinnern. Wir brauchten sehr schnell einen Ersatz für David, da wir einige Konzerte anstehen hatten, und erhielten viele Demos, vielleicht so um die fünfzig. Einige Jungs waren sehr talentiert, sahen aber nicht besonders gut aus. Andersrum sahen einige sehr cool aus, aber der Gesang war nicht so toll. Es war also sehr schwierig, jemanden in einer so kurzen Zeit zu finden, der beiden Aspekten gerecht wurde. Außerdem suchten wir nach jemandem, der noch eher unbekannt ist, damit er als Sänger von ADAGIO wahrgenommen wird und nicht als der Sänger einer anderen Band, der auch bei uns tätig ist. Gus erwies sich letztendlich als der beste Kandidat.

Elke:
Warum war es euch so wichtig, dass der neue Sänger auch gut aussieht?

Stéfan:
Ich denke, heutzutage reicht gute Musik allein nicht aus, um das Interesse von Labels und Fans zu wecken. Der visuelle Aspekt ist beinahe genauso wichtig. Vielleicht klingt das nach einem reinen Marketing-Aspekt, aber für uns war es denke ich bedeutend.

Elke:
ADAGIO war nie die typische Band, bestehend aus einer Hand voll Jungs, die mehr oder weniger am gleichen Ort leben. Jetzt habt ihr sogar ein Mitglied von einem anderen Kontinent. Da du dich für das Songwriting verantwortlich zeigst - wie demokratisch geht es bei euch zu?

Stéfan:
Schon sehr demokratisch. Ich komponiere und arrangiere zwar das Grundgerüst der einzelnen Songs, aber die anderen arbeiten ihre Parts selbständig aus.

Elke:
Die Arbeiten an eurem letzten Album "Underworld" nahmen nicht zuletzt auf Grund dessen orchestraler Ausrichtung sehr viel Zeit in Anspruch. Ging es dieses Mal etwas schneller?

Stéfan:
"Underworld" war für mich ein sehr persönliches Album, und ich wollte eigentlich alles mit einem echten Orchester und Chor einspielen. Deshalb hat es allein sehr lange gedauert, die Orchester- und Chor-Passagen auszuarbeiten. "Dominate" ist eher Metal-orientiert mit weniger Orchestrierungen, von daher war es leichter zu komponieren.

Elke:
Du hattest allerdings bisher nicht die Gelegenheit, mit einem Orchester zusammenzuarbeiten.

Stéfan:
Mit einem Orchester nicht, aber mit einem Chor. Es war aber eine gute Übung für mich, das alles auszuarbeiten, und phantastisch, wenigstens einen Chor zu haben.

Elke:
Als du "Underworld" schriebst, soll es dir persönlich nicht sehr gut gegangen sein, was sich auch auf die sehr düstere Musik ausgewirkt hat. "Dominate" klingt vergleichsweise frisch und optimistisch. Spiegelt auch dieses Album wieder, in welcher Stimmung du es geschrieben hast?

Stéfan:
Ja, definitiv. Als ich "Underworld" schrieb, war ich sehr deprimiert. Für "Dominate" beschloss ich, eine härtere Richtung einzuschlagen, und das Album repräsentiert gut, wie ich mich heute fühle.

Elke:
"Underworld" war stark von Film-Musik inspiriert. Welches Genre stand Pate für das deutlich metallischere neue Album?

Stéfan:
Ich verwende immer noch Elemente aus der klassischen und der Film-Musik, die auch meine Art beeinflusst, die Stücke zu arrangieren. Aber "Dominate" sollte direkter werden. Ich höre mir derzeit viel DIMMU BORGIR und ARCH ENEMY an, daher klingt das Album mehr nach diesen Bands.

Elke:
"Dominate" wurde außerdem von Kevin Codfert und dir selbst produziert, mit nur geringer Unterstützung eures bisherigen Produzenten Dennis Ward. Warum habt ihr euch für diesen Alleingang entschieden?

Stéfan:
Es ist immer schwierig, wenn man Musik erschafft und am Ende sehr genaue Ideen hat, wie das Ergebnis klingen soll, und dann an jemanden gerät, der nicht die gleichen musikalischen Visionen hat und einem erklärt "der Teil hier gefällt mir nicht so gut" oder "diese Passage passt hier überhaupt nicht rein" usw. Kevin hat von Dennis viel über das Produzieren gelernt, daher haben wir es einfach gemeinsam versucht. Wir sind mit der Ergebnis sehr zufrieden.

Elke:
Welches Stück auf "Dominate" hast du eigentlich zuerst komponiert?

Stéfan:
Ich glaube, es war der Titeltrack.

Elke:
Ich frage deshalb, weil die orchestraleren Werke wie 'R'lyed The Dead' mich etwas stärker an die "Underworld"-Phase erinnern, während 'Dominate' schon recht anders klingt. Warum hast du mit einem der härteren Tracks angefangen?

Stéfan:
Unser Ziel war, ein Metal-Album zu machen, daher bewegte ich mich zunächst in diese Richtung. Aber natürlich mussten auch orchestrale Elemente hinein, die einen wichtigen Teil von ADAGIOs Musik ausmachen. 'R'lyed The Dead' oder 'The Darchitecht' enthalten daher etwas mehr klassische Elemente. Die ersten Songs waren aber 'Dominate' und 'Children Of The Dead Lake'. 'Fire Forever' hätte hingegen eigentlich gar nicht auf das Album kommen sollen, weil es als Japan-Bonustrack gedacht war. Aufgrund von Zeitproblemen mussten wir dann kurzfristig umdisponieren.

Elke:
"Dominate" ist außerdem weniger solo-orientiert - Keyboards und Gitarre nehmen sich sehr zurück. Warum?

Stéfan:
Ich wollte kürzere Songs schreiben, damit sie auch live besser funktionieren, und da blieb nicht viel Platz für Soli, weshalb wir uns diesbezüglich zusammenreißen mussten. Es war andererseits aber auch cool, denn wenn man das größtmögliche in weniger Zeit unterzubringen versucht, ist man manchmal spontaner.

Elke:
Auf "Underworld" gab es diese beiden sehr kurzen Passagen, in denen RMS Hreimarr, Ex-Sänger von ANOREXIA NERVOSA, ein paar Growls beisteuerte. Dieses Mal gibt es sogar noch viel längere Grunz-Parts, die du selbst erfolgreich eingesungen hast. Warum nicht gleich so?

Stéfan:
In meiner ersten Band war ich für die Growls zuständig, aber das war zu "Underworld"-Zeiten bereits so lange her, dass ich mir nicht sicher war, ob ich das noch hinbekommen würde. Darüber hinaus ist Hreimarr ein alter Freund von mir und ich mochte die Idee, diesen Part jemand anderen übernehmen zu lassen. Da auf "Dominate" aber viel mehr Death-Metal-Gesang enthalten ist und ich ihn außerdem live selbst übernehmen wollte, habe ich es dieses Mal gleich selbst gemacht.

Elke:
Besonders in der Progressive-Metal-Szene kommen Growls nicht immer gut an, und einige Reviews befanden auch, dass du es dieses Mal damit etwas übertrieben hast. Wie wichtig ist dieser Gesangsstil für den Sound von ADAGIO?

Stéfan:
Das ist schwer zu sagen. Unsere drei Alben sind sehr unterschiedlich: Das erste Album "Sanctus Ignis" war das typische neoklassische Zeug, das zweite Album "Underworld" beinhaltete eher Progressive Metal, aber jetzt wollen wir in die gradlinigere Richtung von "Dominate" gehen. Die Growls sind heute eines der wichtigsten Elemente in unserer Musik, da es unser Ziel ist, stets düsterer zu werden, und sie einfach ein sehr starkes dunkles Element beisteuern.

Elke:
Du arbeitest bereits am nächsten Album.

Stéfan:
Das stimmt, ich bin mittendrin. Die Struktur und die Aggressivität wird sich an "Dominate" orientieren, mit einem besseren Schlagzeug- und Gitarrensound, der dieses Mal bei der Produktion leider etwas untergegangen ist. Aber wie auf "Underworld" werde ich auch wieder stärkeres Gewicht auf die Orchestrierung legen.

Elke:
Diese merkwürdige Kreatur auf dem Cover von "Dominate" soll euer neues Maskotten sein und hört auf den Namen "The Creeper". Warum braucht ihr ein Maskottchen?

Stéfan:
Auch das hängt mit dem optischen und dem Marketing-Aspekt zusammen. Der visuelle Gesichtspunkt ist meiner Meinung nach sehr wichtig für eine Band. Man sollte sie nicht nur an ihrer Musik erkennen, sondern auch mit etwas Optischem in Verbindung bringen können. Ich wollte also einen Charakter, der die Band repräsentiert. Die Musik von ADAGIO ist sehr düster, von daher fand ich den Creeper als Maskottchen sehr passend. Außerdem gab es in meiner Kindheit solche Figuren wie Eddie von IRON MAIDEN, die wir damals cool fanden. Also warum nicht unseren eigenen Eddie erschaffen?!

Elke:
Gibt es denn schon eine große Creeper-Puppe für Live-Auftritte?

Stéfan:
Leider nicht. Im Moment befindet er sich nur auf den Merchandising-Artikeln. Vielleicht nehmen wir das für die Zukunft in Angriff - aber es muss auf jeden Fall gut umgesetzt und nicht einfach schnell und mies zusammengebastelt werden.

Elke:
ADAGIO hat bisher die größten Erfolge in Frankreich und Japan, wo "Dominate" auch deutlich früher veröffentlicht wurde als in Deutschland. Wie erklärst du dir das?

Stéfan:
Wir hatten nur beim ersten Album einen weltweiten Vertag, aber nicht mehr für "Underworld", wo noch nicht einmal über einen entsprechenden Vertrieb verfügten. Von daher funktionierte die Promotion außerhalb von Frankreich und Japan nicht besonders. Jetzt haben wir endlich wieder einen internationalen Deal, so dass es dieses Mal besser laufen dürfte.

Elke:
Wie haben die Franzosen und Japaner, die "Dominate" ja schon etwas länger kennen, das Album aufgenommen?

Stéfan:
Fans von "Underworld" waren über die neue Ausrichtung der Musik sehr schockiert - sie hätten gerne längere Instrumentalparts und mehr Melodie gehabt. Viele Leute hatten jedoch in der Vergangenheit Probleme mit unserem Stil, weil er ihnen zu kompliziert erschien. Sie mögen das neue Album, weil es einfacher und direkter ist. Es gab also sehr unterschiedliche Reaktionen. Aber ich werde wohl erst an den Verkaufszahlen sehen, ob unser neuer Stil ankommt oder nicht.

Elke:
Du verdienst dein Geld ausschließlich als Musiker. Was machst du neben ADAGIO?

Stéfan:
Ich schreibe Kolumnen für drei verschiedene französische Magazine, unterrichte Master-Klassen, gebe Gitarren-Unterricht und habe außerdem einige Sponsor-Verträge. Die Kombination aus all dem plus ADAGIO gefällt mir ziemlich gut.

Elke:
Ihr habt bereits des Öfteren in Frankreich gespielt. Wo noch?

Stéfan:
Wir sind außerdem bereits in Holland, in Atlanta/USA und Spanien aufgetreten. In Japan waren wir noch nicht, obwohl wir dort ein Live-Album herausgebracht haben, das allerdings in Paris entstanden ist. Und Deutschland fehlt uns natürlich auch noch.

Elke:
Gibt es Pläne für eine Europa-Tournee?

Stéfan:
Das hängt davon ab, wie sich das Album verkauft. Läuft es gut, wollen wir natürlich überall spielen.

Elke:
Du hast bereits erwähnt, dass euch der optische Aspekt sehr wichtig ist. Wie darf man sich ein Konzert von ADAGIO vorstellen?

Stéfan:
Das kommt natürlich darauf an, wie groß unser Budget ist. Natürlich dunkel, mit vielen Kerzen, Ketten und solchen Sachen. Wir versuchen stets, selbst mit bescheidenen Mitteln eine sehr gruselige und dunkle Atmosphäre zu erschaffen. Unser größtes Konzert fand letzten März in Tunesien vor ca. 5000 Menschen statt. Viele kannten bereits die neuen Songs, und wenn 5000 Menschen 'Dominate' mit uns singen, ist das schon sehr beeindruckend.

Redakteur:
Elke Huber

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