AGNOSTIC FRONT: "Wir stellen die Autorität in Frage!"
06.10.2025 | 19:56Nicht weniger als eine veritable Legende, das ist AGNOSTIC FRONT. Seit 1980 existiert die von Gitarrist Vinnie Stigma alias Vincent Capuccio mit drei Mitstreitern gegründete Band, seit 1982 ist Sänger Roger Miret dabei. Heute sind Stigma und Miret die beiden Eckpfeiler der Band, seit fünfundvierzig beziehungsweise dreiundvierzig Jahren – mit einer kurzen Unterbrechung Mitte der Neunziger, als sie Mitbegründer der Band MADBALL waren. Damit ist AGNOSTIC FRONT eine der dienstältesten Hardcore-Punk-Bands, dabei aber auch die Band, die den meisten Einfluss auf Metal hatte und selbigen auch selbst verarbeitete.
Ich sah das Bandlogo erstmals auf einem T-Shirt, das ANTHRAX’ Scott Ian trug. Damals war es gar nicht so einfach, an die Musik von AGNOSTIC FRONT zu kommen, und als ich sie dann erstmals hörte, war das eine ganz andere Welt als der riffbetonte Metal, der sonst aus meinen Boxen schallte. Heute, vier Jahrzehnte später, sitze ich mit den beiden Köpfen der Band zusammen, denn in diesem Jahr wird am 7. November das neue Album "Echoes In Eternity" erscheinen. Naturgemäß sind die beiden diesbezüglich bester Laune und loben das neue Werk ausgiebig.
Roger: "Das neue Album ist ein echtes Biest, es ist natürlich immer noch AGNOSTIC FRONT, aber auch anders. Frisch, mit einem fetten Sound, und wir haben einen Gast, nämlich Darryl McDaniels von RUN DMC, der mit mir zusammen einen Song aufgenommen hat. Was meinst du, Vinnie?"
Vinnie: "Ich kann es gar nicht abwarten, dass das Album veröffentlicht wird. Dabei machen wir eigentlich alle drei bis vier Jahre ein Studioalbum. Parallel dazu ein paar Live-Alben, Roger hat seine Band [THE ALLIGATORS], ich habe ein paar Solo-Sachen, einen Film ["The Godfathers Of Hardcore", 2017], Roger ein Buch ["My Riot"] und zuletzt habe ich eine Autobiografie veröffentlicht ["The Most Interesting Man In The World"]."
Ja, die beiden sind vielbeschäftigt. Und auch wenn Vinnie meint, sie wären reifer geworden – musikalisch muss man mit mittlerweile siebzig Jahren erst einmal in der Lage sein, eine echte Hardcore-Show auf die Bühne zu bringen, eine Show, die später die T-Stage erschüttern wird. AGNOSTIC FRONT war zuvor bereits mehrfach auf dem "Summer Breeze" aufgetreten; wir überlegen gemeinsam, wie lange das jetzt her ist, waren es zehn Jahre?
Vinnie meint, es müssten etwa fünf Jahre vor Covid gewesen sein: "Covid hat mein Zeitgefühl völlig durcheinandergebracht. Aber wir sind wieder da, wir haben es durchgestanden!" Tatsächlich in dem Fall der Beiden auch unbeschadet, wenn die neue Single 'Way Of War' repräsentativ für das kommende Album steht. Roger erwähnte zuvor den fetten Sound des Albums, was bei Hardcore eher ungewöhnlich klingt. Aber ich hörte auch einen eher metallischen Ansatz in den Alben der Band im neuen Jahrtausend.
Roger merkt an: "Ja, das stimmt. Mit dem neuen Album gehen wir wieder ein wenig zurück, aber mit einem offenen, überwältigenden Sound, den man aufdrehen kann und trotzdem alles klar und kraftvoll hört." Na klar, die Jungs sind erfahrener als früher, wobei ich glaube, sie könnten auch in ihrer Garage aufnehmen, ihre Fans würden den Weg mitgehen. Vinnie fügt hinzu: "Da war immer viel Hardcore in unseren Alben, aber wir sind die Hardcore-Band für Metal-Kids!"
Es muss interessant für die beiden Urgesteine der Szene sein, mit Bands auf Tour zu gehen, die sie zuvor maßgeblich beeinflusst haben, aber Roger meint, auf Tour wären einfach alle Freunde. "Es ist großartig, viele der jungen Bands spielen einfach tolle Sachen, und wir sind mit jeder Band, mit der wir auf Tour waren, befreundet. Klar, sie sind alle durch uns beeinflusst, aber umgekehrt beeinflussen sie auch uns. Wir glauben daran, den Staffelstab weiterzugeben. Jemand muss ihn schließlich tragen!"
Die New Yorker Hardcore-Szene war mir immer lieber als die Westküste, vor allem wegen der Texte. Ich mochte auch sonst eher die britische Punk-Szene, weil sie politisch war. Das wiederum trifft auf AGNOSTIC FRONT ebenfalls zu. Ich frage mich, ob man heutzutage in den USA vorsichtiger sein muss mit seinen Aussagen, aber Roger verneint: "Meine Texte sind meine Texte, heute wie früher, ich rede über die wichtigen Dinge! Die Leute erkennen es erst jetzt, aber wir haben schon immer über das Leben gesprochen!" Vinnie ergänzt: "Über Gemeinschaft, Familie, Brüderlichkeit!" "Werte, die wir immer hinterfragen!", fügt Roger hinzu. "Wir stellen die Autorität, wir stellen alles in Frage." Vinnie schließt den Kreis: "Das steckt schon in unserem Namen – agnostisch wie in 'im Zweifel'. Wir wollten damals keinen Bandnamen wie BLONDIE oder THE CARS, wir wollten ein Statement. Das haben wir geschafft. Es ist ein guter Name, denn er hat Bedeutung, bleibt dir im Kopf. Und heute bedeutet er etwas in der Szene!"
Das kann man wohl so stehen lassen. Ein erheblicher Teil des Ruhms stammt aber auch von den explosiven Auftritten der Band, denn Albumverkäufe sind ja nicht mehr das, was sie mal waren. Heute muss man touren, um über die Runden zu kommen. Roger: "Ja, offensichtlich, alles ist digital und Downloads – die jungen Leute kaufen keine CDs mehr, aber das ist nun einmal so. Dann kommen wir eben auf Tour. Wir brauchen Leute, unser Label, unsere Freunde, die die Information verbreiten, und dann kommen wir und haben Spaß zusammen."
Die erste Single von "Echoes In Eternity" heißt 'Way Of War' und ist genau die Art von Hardcore, die ich mag, kraftvoll, aber mit Aussage. Roger sagt: "Man muss es nicht erklären, der Titel sagt es bereits. Es geht darum, gefangen zu sein in Umständen, die einen Krieg beginnen können. Wir reden über politischen Betrug, die Regierung, die Menschen betrügerisch in sinnlose Kriege führt. Wir können es heute sehen – es ist aktueller denn je, obwohl wir schon immer darüber geredet haben. Es ist nichts Neues! Auf unserer ersten Single 'United Blood' gibt es einen Song mit dem Titel 'Final War', es geht um das Gleiche. Der Unterschied ist Social Media!" Vinnie nickt: "Alles geht viel schneller."
Roger redet weiter: "Wenn 1981 ein Album veröffentlicht wurde, dauerte es Monate, bis wir es hören konnten. Heute hat man es über Nacht! Und über Nacht können sich Dinge verändern. Nimm eine Band wie die SEX PISTOLS – revolutionär, sie veränderten die Musik. Heute wären sie schnell verboten, würden gecancelt." Vinnie ergänzt: "Sie waren damals provokativ, als das noch etwas bedeutete. Heute ist da einfach eine große Menge Hintergrundlärm."
Roger bringt noch ein paar Beispiele: "THE CLASH hat darüber gesungen, die Kasbah zu rocken, THE CURE hatte einen Song namens 'Killing An Arab' [über das Buch 'The Stranger' von Albert Camus, in dem der Protagonist einen Mord an einem Araber begeht]. Heute wird das aus dem Kontext genommen, es ist verrückt. Aber es war eine andere Zeit, ein anderer Ort, heute sind die Menschen sensibler diesbezüglich." Dann wird er nachdenklich: "Ich bin Vater, ich erziehe meine Kinder in der heutigen Zeit. Ich werde sie nicht im Sinne von Archie Bunker erziehen [fiktionaler Charakter einer US-Fernsehserie in den siebziger Jahren, grob vergleichbar mit Alfred Tetzlaff aus der deutschen Serie 'Ein Herz und eine Seele'; beide gehen zurück auf Alf Garnett aus der britischen Serie 'Till Death Us Do Part'], aber ich bin besorgt wegen meiner Kinder. So viele der Leute da draußen haben einen Plan, den ich nicht immer gleich verstehe. Es ist eine völlig andere Welt heute."
Aber auf einer so deprimierenden Note möchte Roger unser Gespräch nicht beenden: "Aber man muss leben! Ich stehe jeden Tag auf und versuche, es zum besten Tag meines Lebens werden zu lassen. Ich kann morgen nicht mehr da sein. Man kann das Unvermeidbare nicht aufhalten, also lebe, so gut du kannst! Natürlich mache ich mir Sorgen, aber ich möchte auch leben!"
Jetzt kommt erst einmal das neue, dreizehnte Studioalbum, dessen Titel nicht besser zu unserem Gespräch passen könnte, denn Roger sagt: "Wir wollen hier unser Album bewerben, alles andere geschieht sowieso. Wir sind noch da, wir tun, was uns gefällt, und wir werden es weiterhin tun. Solange es Nachfrage nach AGNOSTIC FRONT gibt, wird AGNOSTIC FRONT da sein. Selbst wenn wir nicht mehr da sein sollten, denn unsere Musik, unsere Texte werden bleiben – hoffentlich für immer – und werden 'echoes in eternity'."
Auch wenn hoffentlich zukünftige Generationen sich dann über den seltsamen Text der ersten Single 'Way Of War' wundern werden, weil sie das Problem nicht mehr kennen werden. Bis dahin... hier ist 'Way Of War':
Photo Credit: Noah-Manuel Heim
- Redakteur:
- Frank Jaeger