AVANTASIA: Interview mit Tobias Sammet
13.02.2008 | 14:13Was viele nicht für möglich gehalten hatten, wird endlich wahr: eine neue AVANTASIA-Scheibe macht sich auf den Weg in die Plattenläden, randvollgefüllt mit illustren Gästen wie Alice Cooper, Michael Schenker, Jorn Lande oder sogar Michael Kiske, wobei vor allem letzteren viele aufgrund seiner Aussagen für diskussionswürdig halten. Aber nicht nur darüber konnte ich mich mit AVANTASIA- und EDGUY-Mastermind Tobias Sammet unterhalten, auch kamen viele Details zum kommenden Album zum Vorschein sowie eine Diskussion über die Metalszene und den Sinn von EPs.
Lars:
Hi Tobi, wie geht's?
Tobias Sammet:
Geht gut. Scheiß Wetter, aber man kann sich nicht beklagen.
Lars:
Immerhin noch keine Klimakatastrophe.
Tobias Sammet:
Naja, in Fulda gibt es selten Klimakatastrophen. Außer letztes Jahr, da hatten wir ja den Orkan.
Lars:
Den Kyrill?
Tobias Sammet:
Genau, den Kyrill. Kyrill, Kyrill, der macht was er will... Boah, gleich mit 'nem Flachwitz angefangen, aber naja.
Lars:
Macht ja auch nichts. Erst mal Glückwunsch zum zweitbesten Charteintritt neben TOKIO HOTEL mit eurer "Lost In Space"-EP.
Tobias Sammet:
Danke schön, naja, neben TOKIO HOTEL. Dirk (Sauer, Gitarrist bei EDGUY – Anm. d. Verf.) hat ja die Theorie aufgestellt, dass die Fans dachten, es wäre eine CD von TOKIO HOTEL und die sich "verkauft" haben. Und zwar wegen des Covers. Aber er hätte wohl das gleiche gesagt, wenn er auf dem Cover gewesen wäre. Vielleicht hätte man dann gesagt: "Oh, die neue MSG (MICHAEL SCHENKER GROUP)".
Lars:
Die "Scarecrow" selber übrigens ist auch sehr gut geworden.
Tobias Sammet:
Ja, ich hab mir sehr viel Mühe gegeben. Ich wollte es spannend machen ohne auf Nummer sicher zu gehen. Natürlich hätten sich einige gefreut, wenn ich die erste Platte kopiert hätte, aber das geht einfach nicht. Es kann nichts dabei herauskommen, wenn du versuchst zu kopieren. Ich meine, die erste war wahrscheinlich auch nur so gut, weil ich nichts kopiert habe. Also bin ich frisch von der Leber weg hingegangen und habe gesagt: "Okay, da kommst du her, das ist die Mucke, die du magst, aber kopier nicht auf Teufel komm raus". Das bringt ja nichts. Ich fand es früher total bescheuert, wenn Musiker irgendwie von Weiterentwicklung gelabert haben und dann hattest du auf einmal diese gewissen Sachen von QUEENSRYCHE, wo einfach keine Weiterentwicklung war. Ich denke, als Musiker muss man einfach kompromisslos das machen, worauf man Bock hat und dann hoffen, dass es den Leuten gefällt. Aber auch dann so risikobereit sein, dass man auch Neuerungen einbaut auf die Gefahr hin, dass es vielleicht einigen Leuten vor den Kopf stößt. Aber das muss man, alles andere ist falsch, das wirkt nur verlogen und ist aus dem künstlerischen Aspekt heraus nicht tolerierbar, finde ich.
Lars:
Deine letzte AVANTASIA-Scheibe ist ja 2005 erschienen, also schon verdammt lang her. Warum hast du dich nach all der Zeit noch mal darüber hergemacht?
Tobias Sammet:
Für mich war das Thema an sich durch. Es gab bei der Arbeit an den ersten Alben viele schwierige Aufgaben, die für einen jungen Musiker eigentlich gar nicht zu lösen sind. Es gab so viele Hürden, die man ohne Routine einfach nervöser angeht, und danach hatte ich mir gesagt, diesen Stress gibst du dir nie wieder. Dieses Hoffen und von einzelnen Leuten abhängig zu sein, dass die dann doch zusagen und das Ganze dann pünktlich abliefern. Und natürlich, dass es im Studio funktioniert. Als Folge hatte ich dann irgendwann nicht mehr darüber nachgedacht.
Dann aber hab ich mit zwei Freunden im Zug bei ein paar Bier gesessen, witzigerweise waren das Oliver Hartmann (ex-AT VANCE) und Ralf Zdiarstek von AMITAV (beide wirkten an AVANTASIA I und II mit - Anm. d. Verf.), und die meinten, ich wäre doch bescheuert, wenn ich da jetzt nichts mache. Ich hätte doch viel mehr Erfahrung als damals und das nötige Kleingeld um das Ganze vernünftig zu etablieren. Dazu noch einen gigantischen Namen, und die richtigen Leute kenn ich auch noch. Es gab also viele Argumente, die dafür gesprochen haben, und ich hab überlegt, warum sagst du die ganze Zeit nein, eigentlich haben die völlig recht. Dazu kam noch, dass Sascha Paeth (HEAVENS GATE, Besitzer der Gate Studios, in denen AVANTASIA aufgenommen wurde - Anm. d. Verf.) zu meinem Freundeskreis zählt, der einfach ein superzuverlässiger Produzent ist, der Verantwortung übernehmen kann und wahnsinnig engagiert ist und mit dem ich gut zusammenarbeiten kann. Spätestens da hatte ich mir überlegt, warum eigentlich nicht, zumal mir da schon Ideen gekommen sind, also die Vision. Nicht dass mir Songideen im Zug gekommen sind, aber die Vision, was man eigentlich könnte, wenn sich das mit meinem Zeitplan vereinbaren lässt. Und wenn die Ideen, die Vision und die Gedanken erstmal da sind, da ist es eh zu spät, da muss ich einfach loslegen.
Und so kam es dann, es war nicht geplant oder so. Ich hatte natürlich schon Songideen für etwaige Projekte, aber ich hatte mich nie darum gekümmert. Aber als dann die Idee konkret wurde und die Vision da war, habe ich überhaupt nicht mehr daran gezweifelt, dass ich das machen würde. Ich bin dann sofort zu Sascha gefahren und den ersten Song, den wir dann gleich gemacht haben, war 'The Scarecrow' (11-minütiger Titelsong - Anm. d. Verf.). Danach hab ich Sascha dann noch ein paar Songideen um die Ohren geknallt und wir haben irgendwie sofort gewusst, wenn wir das jetzt nicht machen, wäre es echt ein Verbrechen an der Metalszene. So ähnlich ging es dann auch bei der Produktion, wir haben einfach gemacht, worauf wir Bock hatten. Direkt ins teuerste Drumstudio gegangen, sofort mit dem Schlagzeuger angefangen die Drums aufzunehmen, und alles vom Feinsten gemacht, alles was wir wollten. Das ist vielleicht wirtschaftlich nicht sehr gut gedacht, aber dafür gibt es nichts, was ich an der Produktion jetzt anders machen würde. Ich muss mich jetzt einfach zurücklehnen, schlucken und sagen "Ja, so wird's gemacht." Das soll jetzt nicht großkotzig wirken, aber dieses Selbstvertrauen hab ich einfach, dass ich wirklich nicht wüsste, was man da noch besser machen müsste.
Lars:
Die ersten beiden Scheiben waren ja zu Recht ordentliche Kassenschlager, die von vielen Fans in Ehren gehalten werden. Hast du da nicht Angst, dass der große Name einen zu großen Druck auf dich ausübt?
Tobias Sammet:
Ja, aber ich denke, in erster Linie beflügelt so ein Name auch. Man weiß natürlich welche Qualität man bringen muss, da der Name ja auch mit etwas Großem verbunden wird. Andererseits darf so was nicht zur Blockade werden, es ist ja auch ein großes Geschenk, mit zwei Alben ein Projekt über die Szene hinaus zu etablieren, das wirklich auch sieben Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Albums noch total hoch gehandelt wird und das so eine Aufmerksamkeit bekommt. Und sobald du etwas hast, mit dem du dich vergleichen musst, ist es klar, dass du immer irgendwie so 10 % Scheuklappen aufhast. Und 10 % der Fans werden sich als Scheuklappen-Metaller outen, denen es egal ist, was du machst. Die werden sagen, dass ich verrückt bin und dass so etwas verboten ist, aber hätte ich ein Konzeptalbum auch unter anderem Namen veröffentlichen können, da hätten diese 10 % auch gesagt "Was er da gemacht hat, das hätte er mit AVANTASIA auch machen können."
Ich denke trotzdem, dass die CD trotzdem in der Tradition von AVANTASIA ist, dass wir trotzdem Grenzen damit weiter ausgelotet haben. Und nicht den Schwanz eingekniffen haben, wenn es an szeneübergreifende Elemente ging, was für mich übrigens auch von Mut und einer gewissen Philosophie zeugt im Heavy Metal oder Rock prinzipiell, aber leider nicht so sehr praktiziert wird, wie es vielleicht unserer Musik gut tun würde. Dass man auf gängige Klischees und Verbote einfach scheißt und einfach macht. Alle hier predigen von künstlerischer Freiheit und Rebellion, und wenn es einfach mal einer tatsächlich macht, schreien die letzten Intoleranten: "Das geht doch nicht, das ist doch nicht das was wir tatsächlich erwartet hatten. Wie kann der denn einfach machen, worauf er Bock hat und dann auch noch an meinem Geschmack vorbei. Track Nummer 4 entspricht überhaupt nicht meinem Geschmack. Wenn der nicht sofort aufhört, sich kommerziell anzubiedern, kauf ich nicht mehr, was der macht. Dann wird er schon sehen, was er davon hat."
Das war ja genau das, was Michael Kiske so genervt hat. An sich ist die Metalszene nicht toleranter als andere Szenen auch. Das Einzige, was die Metalszene manchmal etwas schlimmer als andere macht, ist dieses Behaupten, man wäre eine bessere Szene als die anderen bezüglich Kompromisslosigkeit und diesem nicht biegen und nicht beugen lassen. Man ist da gar nicht so kompromisslos wie man gerne vorgibt. Das fängt ja schon damit an, dass man sich die Haare abschneidet und die Ersten fangen schon an Verrat zu schreien. Das ist ja schon fast Rassismus. Bei mir war das zum Glück nicht so schlimm, die Ignorantesten und Intolerantesten hatten wir ja schon vergrault. Aber ich meine, natürlich kriegst du viel zu hören, aber ich glaube, die meinen das nicht so böse. Ich nehme das auch nicht so ernst, ich meine, natürlich ist das unser aller Leidenschaft, aber es ist auch nicht so wichtig wie das Welthungerproblem in Afrika. Davon wird echt niemand sterben.
Lars:
Bei all den dicken Namen, gibt es da noch einen, den du gern gehabt hättest?
Tobias Sammet:
Wenn du so direkt fragst: Brian May (QUEEN). Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er es blöd fand. Ich glaub aber nicht, denn Eric Singer (KISS, Drummer bei AVANTASIA - Anm. d. Verf.), der ja auch bei Brian May spielt, hat ihm 'Cry Just A Little' in der fertigen Version geschickt, damit er den Eindruck gewinnt, dass es groß produziert wird und richtig "State-of-the-art". Da haben wir halt sehr lange gewartet bis der Song dann in seiner fast finalen Version war, auch soundmäßig. Und damit haben wir uns eigentlich ins Knie geschossen, denn wir haben ihm den Song geschickt und zwei Wochen später war Deadline. Er meinte dann auch, dass es ein sehr schöner Song sei, aber dass es bei ihm zeitlich ein wenig knapp sei. Und damit war's das dann leider. Ich kam da gerade von meiner US-Tour zurück und die Produktion lag da auch in ihren letzten Zügen, als dann diese Quasiabsage kam. Aufgrund dessen wäre auch fast die Rudolf Schenker-Sache nicht zustande gekommen. Den hatten wir auf einem Festival getroffen, irgendwo in der Tschechoslowakei, und er kam zu uns und fragte: "Wie ist denn nun die Platte geworden?" und meine Antwort war dann: "Nun ja, wie erwartet, nur ist die irgendwie noch nicht fertig." Er darauf: "Oh, wenn die noch nicht fertig ist, kann ich da gerne noch mitspielen. Ich hätte ja Zeit." Darauf ich nur: "Tja, dann machen wir das."
Lars:
Hast du irgendjemanden von den Gaststars nicht getroffen?
Tobias Sammet:
Gut, als einzigen natürlich Alice Cooper und Michael Kiske hab ich auch noch nicht getroffen. Wir sind zwar schon länger befreundet, telefonieren und schreiben E-Mails, aber ich bin nur einmal im Jahr in Hamburg, und er ist in letzter Zeit kaum auf Tour gewesen, ich glaub in den letzten 15 Jahren gar nicht, und dementsprechend sind wir uns noch nie zufällig über den Weg gelaufen.
Wegen Alice Cooper hatte ich noch gedacht, dass ich mal nach England rüberfliege, weil sie grad auf Tour in Europa waren, aber ich bin jetzt für jeden Tag zu Hause froh. Er selber hatte ja in L.A. im Studio seines Bassisten aufgenommen, und den organisatorischen Kram hat alles Eric (Singer) angeleiert. Er fragte an, ob er was für einen Freund aufnehmen würde, und ich muss ehrlich zugeben, an den Erfolg hatte ich gar nicht geglaubt. Ich würde lügen, wenn ich sagte, Alice Cooper wäre der größte Tobi Sammet-Fan unter der Sonne, denn bis vor kurzem wusste er überhaupt nicht, dass ich existiere.
Lars:
Trotz allem dürfte von den ganzen Namen Michael Kiske am meisten für Aufsehen sorgen, hatte er doch angekündigt, nie wieder etwas mit Metal zu tun haben zu wollen. Wie kam es dann doch noch zur Zusammenarbeit?
Tobias Sammet:
Gegenseitiger Respekt. Ich meine, ich habe kein Problem damit, was er macht und er hat kein Problem damit, was ich mache. Michi ist viel relaxter als viele Leute denken. Er möchte das einfach nicht machen. Ich hab die Light-Version von dem erfahren, was er ganz schlimm erfahren hat. Besonders in Zeiten des Internets werden Drohungen ausgesprochen und Mutmaßungen aufgestellt, die einfach nichts mit der Realität zu tun haben. Das steht dann da und wird zur Realität, einfach weil es sich multipliziert. Und du kannst nicht darauf eingehen. Wenn du darauf eingehst, und ein paar Leute machen sich ja einen Sport daraus, dich zu verunglimpfen, dann musst du einfach drüber stehen. Und wenn du nun einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hast, und du merkst, dass die Leute lügen, dann wird das Ganze schon schwer.
Zum Beispiel: "Der macht 2 LPs, weil er einen Haufen Geld verdienen will". Ich meine, ich verdiene an dem Ding so verdammt wenig, selbst wenn das Platin bekommt in Deutschland, was völlig unmöglich ist, das schafft selbst BON JOVI mit 'ner Single nicht, würde mir das kaum was bringen. Denn die Art, wie wir die ganzen Songs aufgenommen haben, hat viel Geld gekostet. Wir haben es einfach gemacht, weil es eine gute Promotion für das Album ist. So hast du einfach mit Vorwürfen zu kämpfen, die dir irgendwann auf den Keks gehen. Wenn zum Beispiel die Leute bei der "Lost In Space"-EP sagen, das ist kommerzieller Ausverkauf, das klingt wie BON JOVI, der will jetzt die BON JOVI- Fans erreichen, das ist doch totaler Mist. Wie will ich denn die BON JOVI- Fans erreichen? BON JOVI ist doch selbst total unhip, der verkauft doch nur, weil er BON JOVI ist. Und manche haben einfach keine Ahnung von der Musikszene, die machen einfach Vorwürfe, die überhaupt nichts mit der Realität zu tun haben, aber bei denen du auch einfach gar nichts machen kannst.
Und das ist bei Michi eben extrem passiert, weil er gesagt hat, ich möchte ein ehrlicher Künstler sein, ich möchte ehrliche Musik machen. Und dann kamen die Anschuldigungen. Ich meine, ich mag auch Metalsongs, ich mag auch Michis 'Eagle Fly Free', ein absolut heiliger Song wie er ihn gesungen hat. Wenn du dann aber immer wieder erklären musst, dass du eigentlich auf etwas anderes stehst und die Leute dann immer sagen, dass es denen doch scheißegal ist, worauf du stehst, du alte Schwuchtel, jetzt sing das, was wir hören wollen, dann kannst du auch nicht mehr. Klar, es kann sein, dass es nur drei Leute machen, aber wenn diese drei Leute das immer und immer wieder machen, und du bist einfach nicht so abgewichst, dass du sagst: "Ach komm, geh doch kacken", dann kriegst du einfach einen Hals. Und das ist bei ihm dann einfach passiert. So würde ich das als Außenstehender sagen.
Mit mir hatte er auch nie ein Problem, er meinte auch für mich mache er das. Für andere würde er das nicht machen. Das ist völlig okay. Wir haben auch manchmal andere Meinungen was Geschmäcker angeht, aber ich finde, er ist ein cooler Typ. Und obwohl er bei mir mitgemacht hat, ist er trotzdem ein kompromissloser Typ. Er sagt ganz klar, es ist gut um den Kopf freizukriegen mal so ein kleines Projekt, so zum Spaß, aber das ist nicht seine private Musik.
Lars:
Die Geschichte der ersten beiden Teile ist ja abgeschlossen. Um was geht es in dem Nachfolger?
Tobias Sammet:
"The Scarecrow" ist ein komplettes Konzeptalbum. Zwar kein so pedantisches Konzept wie bei "The Metal Opera", aber für mich ein total relevantes, intensives und auch persönliches Konzept. Ich kann jetzt nicht ganz genau auf die Details eingehen, das werden die Leute dann auf der beiliegenden Bonus-DVD erfahren. Ja, ich weiß, für umme, in der Limited Edition, bevor wieder irgendjemand rum meckert, da ist die Story, wie im Booklet auch, erklärt. Es handelt von einem wahrnehmungsgestörten Menschen, der emotional von der Außenwelt isoliert ist, und irgendwie zerbricht diese Isolierung als er merkt, dass er Klänge und Töne auf eine besondere Art und Weise wahrnimmt. Und er entwickelt eine gewisse Affinität zu Klängen und Klangwelten und fängt an über Klänge zu kommunizieren. Am Anfang noch als Vogelscheuche ausgegrenzt steigt er zum Komponist auf. Und während dieses Aufstieges, während er anfangs noch abgelehnt wird von seiner Angebeteten, gelingt ihm eine Verbindung zu den Abgründen der menschlichen Seele und er wird zu Versuchungen hingeführt. Es steckt ein bisschen Faust, ein bisschen Edward mit den Scherenhänden und ein bisschen Autobiografie darin. Es ist nicht so, dass ich mit riesigen Versuchungen konfrontiert werde, ich bin, glaube ich, nicht mehr Schwein als jeder andere Mensch auch, aber ich versuche mich trotzdem davon zu überzeugen, dass ich eigentlich ein lieber Mensch bin (lacht). Wir haben alle verschiedene Seiten, mal mehr, mal weniger nervig, und es geht darum wie wir damit umgehen. Ich meine, ich bin mir bewusst, dass ich unheimlich viele Dämonen im Keller habe, und ich schaffe es eben, diese nicht zu verschweigen und im Griff zu haben. Es ist auch die Frage, ob man selbst die Dämonen steuert oder sich von diesen Dämonen steuern lässt.
Lars:
Bei einigen Tracks hat man ja doch das Gefühl, dass die Songs geradezu auf die Sänger zugeschrieben worden ist. Absicht oder Zufall?
Tobias Sammet:
Ich schreibe die Songs und dann kommen die Sänger und die singen diese in einer bestimmten Art. Ich meine, ich hab 'The Scarecrow' geschrieben, da ist der Jorn Lande grad geboren worden. (lacht) Ich meine, als ich anfing zu arbeiten, da wusste ich noch gar nicht, dass Jorn Lande da mitsingen würde. Zum Beispiel auch 'Toy Master' war schon fertig, bevor wir wussten, dass Alice Cooper da mitmachen würde. Und als Alice Cooper dann zusagte, dann erst haben wir versucht die Melodielinien an Alice Cooper anzupassen. Irgendwie hat man so ein natürliches Gefühl dafür, was wie wann wo passt, aber es ist nicht so, dass wir alles komplett anpassen mussten. Ich meine, 'Shelter From The Rain', das ist eigentlich ein typischer Kiske-Refrain. Der Song hat vier Refrains, zwei hab ich gesungen, zwei hat er gesungen, hätte Michi jetzt gesagt, er macht es nicht, dann hätte ich die anderen zwei auch singen müssen, oder einer der eben auch eine ähnliche Stimme hat, der auch diese klassisch getragenen "Tralala"-Metalsongs singen kann, in dieser Höhe auch. Man hat immer ein Gefühl, welcher Stimmcharakter passt, aber es ist nicht so, dass ich das Ganze angepasst hätte. Wo es darauf zugeschnitten ist, das ist ganz klar bei Bob Catley. Ich verbinde mit MAGNUM privat so viel, hatte schon so viele schöne Stunden zu Hause mit einem Gläschen Weißwein und MAGNUM im Hintergrund, während es draußen schneit. (lacht) Also draußen jetzt, nicht so wie bei Falco. Da hab ich es einfach als persönliche Herzensangelegenheit betrachtet, meinen eigenen MAGNUM-Song zu schreiben.
Lars:
Auf dem Wacken 2008 seid ihr ja bereits als großer Headliner angekündigt, was genau kann der Zuschauer da erwarten?
Tobias Sammet:
Es wird erstmal nicht opernhaft, also auf keinen Fall auf die Bühne und Theater spielen, so was ist eher SPINAL TAP, so 'ne Art Aschenbrödel mit der Laienschauspielertruppe vom Dorf. Wir sind alle keine Schauspieler sondern Musiker, und wenn es zu pathetisch wird, wird es auch ganz schnell kitschig und das wollen wir nicht. Es soll einfach eine zeitgemäße große Show werden. Wir werden auf jeden Fall Songs von allen drei Alben spielen, und wer kommen wird, steht noch nicht ganz genau fest. Das hängt auch von den Zeitplänen der Musiker ab. Gut, ganz klar dabei sein wird Sascha Paeth, Eric (Singer) auch, das hängt aber von seinem Zeitplan mit KISS ab, Miro (Michael "Miro" Rodenberg, u.a. auch AINA - Anm. d. Verf.) wird dabei sein und ich hoffe Henjo (Richter, GAMMA RAY - Anm. d. Verf.). Sänger werden es wohl vier oder fünf, wir wollen nicht mit zehn Sängern arbeiten, weil bei zwölf bis dreizehn Songs wäre es sehr blöd, wenn du mit zehn Sängern arbeitest und jeder kommt für eine halbe Strophe auf die Bühne. Das hat dann eher was von einem Bäumchen-wechsel-dich. Mal gucken, das wird eine schön große, schlagkräftige Gruppe.
Lars:
Wird es für diejenigen, die nicht dabei sein können, wenigstens eine DVD davon geben?
Tobias Sammet:
Jetzt ist noch gar nichts geplant. Es ist natürlich nahe liegend. Ich meine, man hat jetzt auch bei jedem Festival wo EDGUY gespielt haben einen DVD-Mitschnitt kaufen können, bevor du überhaupt gespielt hast, aber diese Frage wird zwangsläufig kommen, aber im Moment hab ich ganz andere Sorgen. Naja, jetzt nicht direkt Sorgen, aber ganz andere Betätigungsfelder, worauf ich mich konzentrieren muss.
Lars:
Du hast ja bereits die Idee mit der EP angesprochen, mit der du 'Lost In Space' in zwei Versionen mit Cover- und Originalsongs auf den Markt schmeißt, was auch auf geteilte Meinung gestoßen ist. Wie genau kam es dazu?
Tobias Sammet:
Die Idee war einfach, dass ab einer bestimmten Größenordnung Bands ihren Plattenfirmen Singles abliefern müssen, das ist einfach Gesetz, und warum? Es dient einfach dazu vor dem eigentlichen Sturm das Süppchen noch zu köcheln. Und ich persönlich sehe keinen Sinn in einer Single. Ich meine, wenn du einen Song verkaufst der nachher auch auf dem Album drauf ist, warum soll sich das dann noch irgendeiner kaufen? Da hab ich gesagt: "Okay, schauen wir einfach mal", und als die Platte soweit fertig war, dass die Songs zum Konzept passten, hatten wir noch Zeit und Ideen für weitere Songs bzw. Coversongs. 'Lay Your Love On Me' wollten wir zum Beispiel schon '99 mit EDGUY covern, haben wir nicht gemacht, weil es damals HELLOWEEN gemacht hatten und wir damals schon ständig mit HELLOWEEN verglichen worden sind.
Da haben wir noch ein paar Coversongs gemacht und ich hab dann noch weitere Songs geschrieben, die die anderen noch mitarrangiert hatten, und Sascha meinte, zuviel Material kann man gar nicht haben. Geiles Material ist geiles Material, warum sollte man es rauslassen, nur weil die Pflicht erfüllt ist. Das wäre totaler Blödsinn, wir machen es ja nicht, weil wir eine Pflicht erfüllen müssen, sondern weil wir geile Songs haben, die wir gerne veröffentlichen würden. Dann waren eben genügend Songs da, so dass wir sagten, wir machen keine Single, sondern eine EP, und es waren auch genügend da, sodass wir sagen konnten wir machen nicht eine sondern zwei EPs. Du kannst natürlich, wenn du alle Songs auf eine Platte stellst, das Ganze nicht mehr zum Preis einer Single veröffentlichen, da hätte das Ding wie ein Album 15 bzw. 16,99 gekostet, und da hätten auch die Händler gemacht was sie wollen. Naja, machen sie ja sowieso schon, das Ding hat manchmal auch 8 Euro gekostet, und irgendwo gab es die auch für 4,50. Ich hab da natürlich keinen Einfluss drauf, ich weiß nur, die Plattenfirma hat da irgendwie sehr wenig für gekriegt, und was dann der Handel drauf schlägt, das kannst du nie steuern.
Im Großen und Ganzen glaub ich war es eine faire Aktion, eigentlich viel "value for money". Okay, es gab wieder Leute die gesagt haben, der kann nicht genug kriegen und bringt gleich zwei raus und füllt den Rest mit Coverversionen. Totaler Blödsinn! Wir wollten das veröffentlichen und ich verdiene so an einer Single 12 Cent. Wenn du überlegst, was das kostet 9 Songs aufzunehmen und die Gastmusiker zu haben, und dann zu mixen - das ist ein volles Album, dafür zahlst du 60.000 Euro. Wenn man es so "high end"-mäßig macht. Da kannst du dir vorstellen, was du verkaufen musst, um das wieder reinzukriegen. Total haltlose Kacke. Ich dachte, die würden mir ein Denkmal bauen, wenn die so viel für ihr Geld kriegen, und dann gab es wieder ein paar Prozent, die ein Problem damit haben. Aber naja...
Lars:
Nachdem soviel Zeit vergangen ist, würdest du nachträglich noch etwas an den alten AVANTASIA-Scheiben ändern?
Tobias Sammet:
Ich würde nie an alten Sachen was verbessern. Ich meine, ich würde anders an die Sachen rangehen, eine andere Story schreiben. Ich meine, dass war ein tierischer Wolpertinger damals. Da war ja alles mit drin was es gab, wir hatten Hexen, wir hatten Helden und wir hatten die Illuminaten. Wolfgang Hohlbein hätte 27 Bücher daraus gemacht. Und wir haben alles in einem reingemacht, sogar noch ein bisschen Kriminalroman wie Umberto Eccos "Name der Rose". Da war alles drin und das würde ich komplett anders machen, nicht mehr ganz so pathetisch wie "3 Nüsse für Aschenbrödel". Musikalisch finde ich die Keyboardarrangements ziemlich fürchterlich, das Orchesterarrangement klingt wie auf einem Casio-Heimkeyboard. Von der Produktion her würde ich sagen, das klingt irgendwie wie die letzte MANOWAR. So plastikmäßig. Sollte aber eigentlich wie ein Orchester klingen. Das war mir damals nicht so gut gelungen, weil ich es selbst gemacht habe. Auf der anderen Seite muss ich sagen, so Songs wie 'Reach Out For The Light', da kann ich nichts Negatives drüber sagen. Von den Basics, außer von Keyboards und Storys und Promofotos, würde ich nichts anders machen.
Lars:
Als Veröffentlichungstermin habt ihr euch ja den gleichen Termin wie die Neue von AYREON ausgesucht, welche ja auch eine Metaloper ist.
Tobias Sammet:
Ja, hab ich mitbekommen. Ich finde das jetzt nicht wahnsinnig schlimm. AYREON ist eher etwas für Musiker, find ich total gut und intellektuell, aber ich glaub nicht, dass es 200 % die gleichen Leute kaufen Es wird natürlich Leute geben die beides holen, aber ich finde man hat immer Konkurrenz, das ist immer so.
Lars:
Und, wird AVANTASIA fortgesetzt?
Tobias Sammet:
Die "Scarecrow"-Geschichte ist auf jeden Fall noch nicht fertig, da wird es definitiv noch einen zweiten Teil geben. Und ob ich es danach nie wieder tun werde, das weiß ich noch nicht, ich habe es diesmal als nicht so stressig empfunden, weil ich mir einfach mehr Zeit lassen konnte. Da ich diesmal keine Deadline und keine Plattenfirma im Rücken hatte, die gesagt hat: "Hey, jetzt mach mal hinne, wir wollen unser Geld wieder haben." Es wird auf jeden Fall Teil 2 geben, viele Songs sind bereits geschrieben, ein Teil ist auch schon aufgenommen. Klar fehlt noch vieles, aber es ist jetzt ordentlich was aufgenommen und wird jetzt erstmal ruhen, es kommen ja schließlich noch die EDGUY-Sachen, aber dann noch AVANTASIA, ich weiß es nicht. Das ist das schöne an dem Projekt, ich muss das nicht machen, ich kann es machen, je nachdem wie ich will. Ich habe den Luxus, eine gut funktionierende Kapelle zu haben, mit der wir neun Monate pro Jahr um die Welt reisen und Sachen erleben. Und wenn ich dann Lust habe, irgendwas nebenher zu machen, dann tu ich das. Ich kann aber auch sagen, das wird nicht mehr passieren, das weiß ich nicht. Aber ich bin so jung, ich weiß, ich kann keine verbindlichen Aussagen für den Rest meines Lebens treffen.
Lars:
Wie sieht es mit der Integration von AVANTASIA-Songs wie 'Lost In Space' in die EDGUY-Setlist aus?
Tobias Sammet:
Keine Ahnung, erstmal AVANTASIA live und dann sehen wir mal. Ich meine, es muss nicht unbedingt 'Lost In Space' sein, wir haben noch einige Granaten von denen ich mir sicher bin, dass die live ziemlich gut zünden werden. Den einen oder anderen Song kann man je nach Lust reinhauen. Ich meine, die Leute denken irgendwie, dass wir jahrelang an der Setlist sitzen und dabei ist es so, dass der Tourleiter schon in der Tür steht und wir auf die Bühne sollen und wir immer noch mit dem Edding an der Setlist arbeiten. Es ist recht wahrscheinlich, dass sich das ein oder andere Lied in unsere Setlist verirren wird.
- Redakteur:
- Lars Strutz