AVATARIUM: Interview mit Jennie-Ann Smith

21.01.2025 | 18:05

Ein Gespräch über Bach, Doom und die großen Fragen des Lebens.

Auch ohne Leif Edling ist AVATARIUM eine Konstante in der Doom-Szene geblieben. Mit "Between You, God, The Devil And The Dead" haben die Schweden ein weiteres melodisch-riffendes Schwergewicht komponiert, das in unserer Redaktion auf große Begeisterung stößt. Um dem Gesamtkunstwerk etwas näher zu kommen, treffen wir per Video auf eine gut gelaunte Jennie-Ann Smith.


Es gibt ein neues AVATARIUM-Album und das letzte Interview mit der Band habe ich 2013 mit Leif geführt. Seitdem ist eine ganze Menge passiert.

Nun, es ist mehr als zehn Jahre her. Und als wir das erste Album aufgenommen haben, waren wir noch nicht verheiratet, ich und Marcus. Es sind also eine Menge Dinge passiert. In den ersten Tagen von AVATARIUM wurde ich gebeten, nur ein paar Demosongs einzusingen. Das war Musik, die die beiden ganz frisch geschrieben hatten. Es müsste die erste Zusammenarbeit von Marcus und Leif gewesen sein. Wir waren jedenfalls zu dritt im Studio. Es waren nicht viele Worte nötig, wir haben einfach gespürt, dass da etwas Besonderes heranwächst. Am nächsten Tag waren wir uns einig, dass wir mit dem Gesang weitermachen wollten. Da wurde die Suche nach einem männlichen Sänger beendet. Das ist der Anfang unserer Geschichte.

Wir haben immerhin drei Alben mit Material aufgenommen, das hauptsächlich von Leif stammte. Für mich war es eine tolle Sache mit so einem großartigen Songwriter zusammenzuarbeiten und von ihm zu lernen. Wie schafft er es, aus einer winzigen Idee eine komplette Komposition zu machen? Wie geht das? Ich habe in den Jahren so viel von ihm gelernt. Ich hatte den Ansporn, eine Songwriterin zu werden. Von wem könnte ich also besser lernen als von einem solchen Meister? Je mehr man dann lernt, desto mehr erkennt man wie schwierig es ist, gute Musik zu schreiben.

Machst du dir inzwischen eher mehr oder weniger Gedanken beim Songwriting?

Ich war vom ersten Tag an sehr stark involviert, weil mir völlige Freiheit gegeben wurde, das Material zu interpretieren. Ich war also nicht nur an den Gesangsarrangements beteiligt, sondern auch an anderen Aspekten des Klangs oder der Instrumentierung. Von Marcus, der später mein Mann wurde, habe ich selbstverständlich auch sehr viel gelernt. Ich habe mich nie nur als Sängerin, sondern immer als Musikerin gesehen.

Eure Fans wissen, dass jedes Album irgendwie anders klingt als sein Vorgänger. Du hattest erwähnt, dass das Material am Anfang vor allem von Leif stammte. Ist er immer noch in irgendeiner Form involviert? Spielt ihr im manchmal Demos vor?

Nun, er schreibt nicht aktiv. Ich meine, auf dem letzten Album haben wir ein Stück zusammen geschrieben. Wir haben ihn gefragt, ob er ein Stück mit uns schreiben will. Und so schrieb er dieses super tolle Intro für den Song 'Stockholm' auf unserem letzten Album. Aber Marcus arbeitet ständig mit Leif zusammen. Eigentlich arbeitet er gerade jetzt mit CANDLEMASS, während wir sprechen. Heute Abend hat er Gitarrensoli mit Lars von CANDLEMASS aufgenommen. Unabhängig davon ist Leif unser Freund. Und ich denke, er ist immer noch ein großer Einfluss. Es ist mehr sein Geist, der immer präsent ist.

Was macht aus deiner Perspektive das neue Album aus?

Es ist rifforientiert, riffbasiert könnte man auch sagen. Das kann man hören. Und das basiert natürlich auch auf dem Wunsch Musik zu schreiben, die live gut funktioniert. Der Sinn des Ganzen ist ja, dass wir die Musik selbst mögen und dass wir sie gerne live spielen. Man will, dass es sich cool und richtig anfühlt. Und wir haben einige ziemlich fiese Riffs auf diesem neuen Album. Es ist also ein bisschen mehr back to the roots. Und ich habe mich sehr auf die Melodien konzentriert. Ich liebe es zu singen und ich will, dass es Spaß macht.

Apropos Riffs, die Spaß machen: Ist das Gitarrenriff im ersten Song eine Hommage an 'Black Sabbath'?

Man könnte natürlich sagen, dass alles eine Hommage ist, weil wir uns auf das besinnen, was uns wichtig ist. Das sind unsere Wurzeln, die natürlich aus CANDLEMASS, BLACK SABBATH, DEEP PURPLE und all diesen Giganten bestehen. Also sind wir natürlich davon beeinflusst. Aber das geschieht nicht absichtlich. Es ist eher so, dass wir in unsere "innere Bibliothek" schauen. Wir durchsuchen unsere innere Bibliothek und schauen, was wir finden. Und bei diesem, dem ersten Song, hat Marcus dieses coole Riff gespielt, das ich letztlich ausgesucht habe. Es ist ein traditioneller Song mit frischen Vibes, aber keine bewusste Hommage.

Du erwähnst DEEP PURPLE, an "purple", also lila, muss ich natürlich auch denken, wenn ich mir das Artwork zum neuen Album ansehe. An welchem Punkt kommt der visuelle Aspekt bei euch hinzu?

Schweden ist ja keine Republik, sondern eine Monarchie, strenggenommen. Diese Farbe bezeichnen wir bei uns als Königsblau. Und wie ich gerade schon sagte, wurde dieses Album auf Riffs gebaut. Viele davon haben wir auf dem Klavier geschrieben und erst später auf die Gitarre übertragen. Das Klavier erweitert das Spektrum der Ideen und für mich ist das Klavier immer ein bisschen blau, ich mochte diese Verbindung. Meine Idee für die Farbe schlug ich Erik Rovanperä vor, der das Artwork gemacht hat. Und er war sofort von dieser Idee begeistert. Ich dachte mir, das wird cool, sowohl auf dem Artwork als auch auf T-Shirts und so weiter. Und jetzt habe ich das Vinyl in der Hand gehabt und es sieht fantastisch aus. Es ist auch ein haptisches Erlebnis. Wenn man das Blau zusammen mit dem Silberdruck sieht, ist das einfach cool.

Bei eurer Musik ist mir wieder einmal aufgefallen, wie vielfältig sie ist. Beschäftigst du dich während des Songwritings mit anderer Musik oder Kunst? Oder reichen dir die Ideen in deiner "inneren Bibliothek", von der du vorhin sprachst?

Wir hören zu Hause eine Menge Musik, aber hauptsächlich klassische Musik oder Jazz. Insgesamt versuche ich mich von Dingen fernzuhalten, die mich stören könnten. Wahrscheinlich gelingt mir das. Ich höre eigentlich selten moderne Musik und habe keine Ahnung, was da abgeht. Ich muss Dinge finden, die mich inspirieren, was bedeutet, dass ich mich in eine Art Zone begeben muss, in der ich mich wohlfühle. Für mich heißt das, Musik, Gedichte, Bücher, Filme oder auch Serien auszuwählen, die das in mir auslösen. Wenn wir kurz vor einer Deadline sind oder gerade an einem Song schreiben, bin ich diesbezüglich sehr selektiv. Trotzdem ist es ein bisschen schwierig für mich, über diese Einflüsse zu sprechen, weil ich nicht so klingen will, als würde ich mich in irgendeiner Weise vergleichen. Aber wir haben nunmal viel Bach und Beethoven gehört, das sind die großen Meister. Wenn ich Glück habe, habe ich mich davon in irgendeiner Weise beeinflussen lassen.

Ich habe einige Interviews mit dir gelesen, wo du auch über Bach sprichst. Meiner Meinung nach ist seine Musik sehr von den existentiellen Fragen des Lebens geprägt. Sie besitzt eine besondere Gravitas, würde ich sagen. Findest du auch, dass das eigentlich sehr nahe an der Doom-Ästhethik ist?

Ja, direkt von der Quelle. Ganz genau. Wir haben uns im Dezember das Weihnachtsoratorium live angesehen, das war ein wunderbares Erlebnis. Da ist es wirklich einfach, sich davon inspirieren zu lassen.

Wie genau läuft das denn bei euch zu Hause? Geht ihr ins Studio, in einen separaten Raum, um Musik für AVATARIUM zu schreiben? Wie entgehst du der Gefahr, dem 24/7 ausgesetzt zu sein?

Nun, wir haben Glück in dem Sinne, dass wir ein Studio in dem Haus haben, in dem wir leben. So können wir, wenn die Inspiration zuschlägt, einfach etwas aufnehmen. Meistens arbeiten wir an mehreren Projekten, das muss nicht nur AVATARIUM sein. Wir bemühen uns darum, hin und wieder eine natürliche Distanz zur Musik zu bekommen, um sie klarer hören zu können. Wenn wir im Schreibprozess sind, haben wir normalerweise zwei Tage in der Woche, an denen wir wirklich effektiv zusammen an AVATARIUM-Songs arbeiten. Und dazwischen schicken wir uns Ideen hin und her. Songs zu schreiben bedeutet für mich, dass ich allein sein muss. Ich muss sehr viel alleine sein, um meine Ideen zu verwirklichen.

Da du beruflich Psychotherpeutin bist, würde ich vermuten, dass du vornehmlich mit negativen Emotionen oder Erlebnissen zu tun hast. Ist die Musik für dich ein Mittel, deine Resilienz zu erhöhen? Oder auch ein Ventil für negative Emotionen?

Für mich war sie schon immer eine Art Mittel zur Resilienz. Ich erhole mich, glaube ich, leichter, weil ich Musik in meinem Leben habe. Das ist definitiv ein Segen. Und ich glaube, das ist es, was die Kunst im Allgemeinen mit den Menschen macht. Sie ist ein Ventil oder ein Vehikel, das hilfreich ist, vor allem wenn es, wie bei der Musik, über die verbale Kommunikation hinausgehen kann. Ich fühle mich definitiv sehr glücklich, das in meinen beiden Berufen zu haben.

Bei den Texten würde mich interessieren, ob es bei älteren Songs manchmal schwieriger für dich ist, diese zu singen, weil du dich vielleicht nicht mehr mit ihnen identifizieren kannst?

Texte zu schreiben ist generell nicht so einfach. Es ist nicht damit getan, Lyrik zu schreiben. Es ist ja keine klassische Musik, sondern es muss sich auf eine bestimmte Art und Weise anfühlen. Ein guter Text muss eine gewisse Schärfe und Haltung haben. Wenn man diese hier analysieren würde, würdest du wahrscheinlich sehen, dass die Konsonanten hier sehr wichtig sind. Man muss in der Lage sein, die richtige Platzierung zu finden, um diesen Schub in einer Phrase zu haben. Es geht also darum, sowohl eine Bedeutung, eine Botschaft zu finden, lyrisch gesehen, als auch diese Worte zu haben, die auf eine bestimmte Art und Weise klingen.

Werden wir das demnächst auch wieder live erleben können?

Wir haben eigentlich ein tolles Angebot, bei dem wir hoffen, dass es klappt. Und das wird Gigs in Deutschland am Anfang des Sommers beinhalten. Und wir werden hoffentlich auch zusammen mit einer anderen Band ein gutes Package abliefern können.

Ich danke dir für das interessante Gespräch am Freitagabend, bis zum nächsten Album!

Ich danke dir, bis zum nächsten Mal!

 

Photo-Credit: Niklas Palmklint


I See You Better In The Dark



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Redakteur:
Nils Macher

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