BIFFY CLYRO: Interview mit Simon Neil

16.09.2025 | 15:30

Ein Gespräch über Liebe und Freundschaft.

Wenn BIFFY CLYRO ruft, dann komme ich. Das dürfte auf diesen Seiten bekannt sein. Als das neue Album "Futique", das am 19. September via Warner veröffentlicht wird, angekündigt wurde, war schnell klar, dass ich wieder mit der Band sprechen würde. Bereits zum siebten Mal trifft man sich in den letzten beinahe dreizehn Jahren zum Interview. Nachdem die ersten Male immer das gesamte Trio vor mir saß, waren es bei den letzten beiden Malen jeweils die Zwillinge Ben und James Johnston. Dieses Mal ist es Sänger, Gitarrist und Songwriter Simon Neill, der solo Rede und Antwort steht. Die Begrüßung im Besprechungszimmer im Dachgeschoss von Warner Music ist dann auch äußerst herzlich und es vergehen ein paar Minuten Smalltalk, bevor wir auf das neue Album "Futique" zu sprechen kommen.

biffy clyroZum Zeitpunkt des Interviews hatte ich das Album seit etwas über einer Woche und es bereits sicher dreißig Mal gehört. Ein erster Eindruck ist es also nicht mehr wirklich, den ich mit Simon teile. Es fällt auf, dass die Wut der letzten Alben gewichen ist und dass Liebe und Freundschaft die Stützen von "Futique" sind, was sich auch darin zeigt, dass 'A Little Love' und 'Two People In Love' den Anfang und das Ende bilden und 'Friendshipping' genau in der Mitte steht.  "Erst einmal danke, dass du dir immer so viel Zeit für unsere Musik nimmst. Das bedeutet uns sehr viel, weil du dich wirklich mit der Musik auseinandersetzt. Deine ersten Eindrücke täuschen dich natürlich nicht. Es ist kein Zufall, dass das Album so aufgebaut ist. Bei 'A Little Love' ist es eher so, dass es darum geht, dass man jemanden wegen dieser Liebe braucht, egal, was er tut und 'Two People In Love' ist mehr "Ich liebe dich dafür, wer du bist." Beides sind Langzeitbeziehungen und das sind bei mir natürlich einmal Ben und James und dazu meine Frau. Mit den Jungs bin ich befreundet, seit wir kleine Burschen waren und mit meiner Frau bin ich zusammen, seit ich fünfzehn Jahre alt bin", erklärt Simon und geht ins Detail. "Wir haben ja die letzten paar Jahre nicht nur Pause gemacht, sondern ich habe mit Mike Vennart an EMIRPE STATE BASTARD gearbeitet. Es war das erste Mal, dass ich unsere gemeinsame Zeit reflektiert habe, denn eigentlich schaue ich nicht gerne zurück. Ich begann mir Fragen zu stellen wie: Warum machen wir das noch als Band? Warum kommen wir immer zurück zur Band und zurück zueinander? Wir wissen wirklich alles, was man übereinander wissen kann. Wir könnten nicht mehr voneinander wissen. Und die Antwort ist einfach diese tief verwurzelte Liebe, die wir füreinander empfinden, weil wir so lang unsere Leben teilen. Die Musik existiert und funktioniert wegen der Liebe und nicht der Liebe zum Trotz oder nicht so gut wie die Liebe. Sie ist der Grund dafür", erläutert Simon.

Doch da ist mehr: "Zudem leben wir in wirklich merkwürdigen Zeiten. Es hagelt von allen Seiten schlechte und schlechtere Nachrichten, schlechte Energien. Ich wollte über die Dinge singen, die ich kontrollieren kann und die Dinge, von denen ich denke, dass sie mich zu dem gemacht haben, der ich bin. Ich habe darüber nachgedacht, was mir in meinem Leben wichtig ist, was ich schätze, was ich brauche und auch was ich nicht brauche in meinem Leben. Und ich bin wieder da angekommen, dass ich diese Beziehungen und diese Menschen in meinem Leben brauche. Das ist es, was meinem Leben Inhalt gibt. Das ist nicht leicht, es ist sogar sehr viel Arbeit und ich bin so dankbar, dass ich Ben und James habe. Wir sind seit 35 Jahren befreundet, das ist eigentlich ein Wunder und wirklich selten und manchmal wäre es sicher einfacher zu sagen, dass man einander leid ist und man getrennte Wege geht, aber der härtere Weg ist, das auszuhalten und wieder zueinander zu finden. Deshalb finde ich auch, dass besonders in den Teilen meines Lebens, die besonders hart waren, ich besonders belohnt wurde, weil sie da waren", beendet Simon die Liebeserklärung an seine Freunde. Natürlich ist auch 'Friendshipping' dieser Freundschaft gewidmet. "Du hast es ja schon richtig erkannt, dass dieser Song im Zentrum des Albums steht. Als ich mit EMPIRE STATE BASTARD unterwegs war, habe ich die Jungs so lange wie nie zuvor nicht gesehen. Als wir dann wieder zusammenkamen, war jeder noch in seiner eigenen Welt. Ich war noch auf dem Höhenflug, aber die Jungs waren ziemlich ruhig. Es war einfach das erste Mal in den letzten zwanzig Jahren, dass wir solche Erfahrungen nicht teilen. Es hat dann ein bisschen gedauert, bis wir uns wieder eingespielt hatten. Darum ist 'Friendshipping' auch so ein wichtiger Song für uns. Wir alle hatten und haben viele Freundschaften, von denen fast genauso viele wieder verschwinden. Manche verblassen, bei manchen streitet man sich, oft ist es einfach das Leben an sich, ein Umzug oder so etwas. Dass wir uns so lange kennen, gibt uns einfach Kraft. Natürlich wissen wir auch, wie wir uns gegenseitig aufziehen oder auf die Nerven gehen, aber die Wut und die Meinungsverschiedenheiten, die daraus entstehen, sind einfach auch die Reibung, die es braucht. Wenn die Dinge zu glatt sind, werden sie nichts. Wir werden nichts, Reibung ist auch das, was uns menschlich macht, was uns echt sein lässt." Wahre Worte.

biffy clyroEs fällt zudem auf, dass das Album auch musikalisch harmonischer ist und ein "Störenfried" wie 'Small Wishes', 'The Fog' oder 'Cop Syrup' auf den letzten Alben fehlt. Es wirkt runder als die letzten Alben, was dazu führt, dass ich gestehen muss, dass ich noch gar keinen Favoriten auf dem Album habe, dafür aber jeden Song bereits fröhlich mitsinge, mir aber gar nicht sicher bin, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. "Oh, danke, ich glaube erst mal, dass das ein gutes Zeichen ist", lacht Simon. "Es ist vielleicht sogar unser rundestes Album überhaupt. Das liegt wahrscheinlich einfach daran, dass der Zeitraum, in dem ich die Songs geschrieben habe, relativ kurz war. In den letzten achtzehn Monaten habe ich wahrscheinlich zwischen fünfundzwanzig und dreißig Songs geschrieben, zwischendurch haben wir noch die "A Celebration Of Beginnings"-Shows gemacht [es wurden die ersten drei Alben an drei aufeinanderfolgenden Abenden jeweils am Stück gespielt plus ein paar Hits - PK] und dann haben wir gleich wieder an neuer Musik gearbeitet. Wir haben dann die Songs für "Futique" ausgewählt und etwa zwei Monate daran gearbeitet und ich denke, die Songs, die uns angesprochen haben, hatten irgendwie alle einen gemeinsamen Vibe, eine gemeinsame Sprache", erklärt Simon und führt weiter aus: "Ein Album wie "Ellipsis" hingegen war insgesamt recht poppig und da wollte ich dann so einen "Störenfried", wie du es nennst, denn ich wollte, dass der Hörer überrascht wird. Hier wollte ich das nicht. Ich wollte, dass sich der Hörer mit offenen Armen in das Album fallenlassen kann. Es ist vielleicht unser melodischstes und Chorus-lastiges Album, aber ich denke, es gibt immer noch verschiedene Schichten und Dinge, die man auch nach mehrfachem Hören entdecken kann."

Eines dieser Details ist, wie die Band das Wort "Amygdala" am Ende des Songs 'Dearest Amygdala' noch einmal richtig betont ausspricht, nämlich auf der zweiten Silbe, während es innerhalb der Nummer immer auf der dritten Silbe betont wird, dadurch zwar besser klingt, aber eben falsch ist. Meine Vermutung, dass das auch einem möglichen Shitstorm auf Social Media geschuldet ist, trifft ins Schwarze. "Hahaha, ja, das war tatsächlich einer der Hauptgründe", lacht Simon. "Ich habe ewig mit unserem Produzenten John [Gilmore - PK] debattiert, denn ich wollte das Wort eigentlich richtig betonen, aber er meinte, dass es viel besser klingt, wenn ich es falsch betone und er hat Recht, das Wort ist einfach nicht romantisch, nicht poetisch. Es am Ende noch einmal richtig zu betonen, ist dann einerseits unsere Art von Humor, aber auch so ein bisschen eine Entscheidung im Jahr 2025, denn du hast ja nie Zeit, dich selbst zu erklären, es wird sofort über dich geurteilt und über dich hergezogen. Das ist auch, worum es im Song 'Hunting Season' geht. Wir leben in einer Zeit, wo man ständig von Menschen beurteilt, meist eher verurteilt wird, die einen überhaupt nicht kennen, das ist schon beängstigend. Vor zwanzig Jahren hingegen hätte das wahrscheinlich noch niemanden interessiert und die Wenigsten haben das Wort überhaupt gekannt", stellt Simon richtigerweise fest und führt weiter aus: "Amygdala ist ja der Teil der Hirns, wo man in diesen "Kämpfen oder Fliehen"-Modus kommt, alles wird instinktiv gemacht und du handelst nicht mehr vernünftig. Darum geht es in diesem Song. Ich spreche quasi mit meinem Gehirn. Nach dem Motto: 'Hey, lass mich mal in Ruhe!'. Ich denke, es ist einfach eine Erscheinung unserer Zeit, weil wir so überstimuliert werden. Da schließt sich dann auch wieder der Kreis zu dem, worüber wir vorhin gesprochen haben, dass das Album von den Beziehungen und den Dingen, die ich beeinflussen kann, handelt. Es gibt so viel, was ich in unserer Welt ändern möchte und ich habe mich dabei noch nie so hilflos gefühlt", gesteht Simon.

Mein Geständnis, dass ich seit Jahren nicht mehr aktiv Nachrichten schaue und mich lieber um das Wohlbefinden der Menschen, die mir nahe stehen, kümmere und das sehr befreiend ist, stößt auf offene Ohren. "Vielleicht sollte ich das auch machen. Ich habe schon deutlich reduziert, was ich an Nachrichten schaue, aber es ist immer noch das erste, was ich am Morgen tue. Und dann siehst du, was in der Welt los ist und sofort ändert sich deine Perspektive auf die Welt. Von daher nehme ich dich einfach als Inspiration, denn es ist einfach so überwältigend da draußen. Ich meine, ich habe mich manchmal beim Schreiben des Albums gefragt, ob es wirklich noch ein zehntes BIFFY CLYRO-Album braucht. Ich sehe, was für ein Müllhaufen die Welt da draußen ist, braucht es da noch mehr Lärm, noch mehr Musik?". Natürlich ist die Antwort ein klares Ja, aber selbstverständlich. "Ja, zu der Antwort bin ich offensichtlich auch gekommen", lacht Simon. "Ich liebe Musik einfach, ich bin immer noch besessen davon neue Bands kennenzulernen, ich liebe es Musik zu machen, sie gibt mir jeden Morgen einen Grund aufzustehen. Und ich bin so froh darüber, dass Rockmusik nach ein paar schwierigen Jahren wieder richtig im Kommen ist. Ich habe das Gefühl, dass jeder wieder Rockmusik hören möchte, gerade die Kids. Wir haben in den letzten fünf bis zehn Jahren oft gehört, dass die Kids da einfach nicht mehr drauf stehen und die reagieren jetzt darauf, was ihnen in den letzten Jahren vorgesetzt wurde. Ich habe das Gefühl, dass sie etwas Realeres wollen und ich denke, BIFFY CLYRO ist eine sehr reale Band, die vielleicht auch ein bisschen diesen Rockstar-Traum idolisiert. Nach dem Motto, drei Kindheitsfreunde machen zusammen Musik, wachsen gemeinsam als Freunde, als Band, bleiben zusammen. Wir haben damals nicht mal davon zu träumen gewagt, aber ich glaube, so stellen sich das viele Kids vor, wenn sie anfangen Musik zu machen. Und auch hier kommen wir wieder zum Kernthema des Albums zurück: Wie alles funktioniert, dass alles funktioniert, ist nicht obwohl wir Freunde sind, sondern weil wir Freunde sind. Wir machen das jetzt seit fünfundzwanzig Jahren zusammen und mittlerweile habe ich verstanden, dass das unsere Superpower ist. Wir machen Musik immer noch aus den selben Gründen, mit den selben Zielen und das ist, weil sie uns etwas bedeutet. Darum geht es. Das mag wie ein Klischee klingen, aber es vereinfacht die Sache enorm", erklärt Simon und ergänzt mit funkelnden Augen: "Ich muss auch sagen, dass ich stolz darauf bin, was wir erreicht haben. Wir leben immer noch im gleichen Teil von Schottland, so dass die Musik so wenig wie möglich beeinflusst ist von der Musikindustrie oder dem Label oder sonst etwas. Der Fakt, dass drei Kindheitsfreunde das so geschafft haben, macht mich stolz. Weißt du, es ist wirklich schwierig, eine Band am Leben zu erhalten. Es ist hart, immer weiter Musik zu machen, aber das ist es einfach wert."

Mein Einwurf, dass die Drei über die Jahre gewachsen sind als Musiker und dass ein Album wie "Futique" oder "Opposites" eine andere Band zeigt, aber ein Signature Sound immer noch zu erkennen ist, freut Simon natürlich. "Ich bin so froh, dass du das so hörst. Ich finde auch, dass wir besser geworden sind und das ist, warum ich mich so auf die Zukunft freue. Ganz ehrlich, ich denke, ich singe auf diesem Album auch besser. Wegen meiner Arbeit mit EMPIRE STATE BASTARD habe ich gelernt, richtig zu schreien. Für viele Jahre habe ich das nicht richtig gemacht, aber dort war das so viel, dass es meine Stimme ruiniert hätte, also musste ich lernen, richtig zu schreien. Das hat mir auch geholfen, noch besser zu singen, besser zu atmen. Daher habe ich jetzt ein größeres Vertrauen in meine Stimme. Ich habe auch mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten als Songwriter. Ich meine, ich muss immer noch zwei Dutzend Songs schreiben, um zu sehen, in welche Richtung ein Album geht, aber ich vertraue meiner eigenen Meinung mehr, je älter ich werde, und ich weiß, dass es den Jungs auch so geht. Wir wissen, welche Art von Band wir sein wollen, welche Art von Band wir sind und was wir vermitteln und erreichen wollen. Ich liebe den Gedanken, dass uns ein Kid sieht und denkt, das will ich auch. Ich möchte, dass es Spaß macht. Das alles mit seinen besten Freunden zu erleben, die Welt zu bereisen, neue Leute kennenzulernen. Ich meine, wir kennen uns seit zwölf Jahren und klar, wir sehen uns nur alle paar Jahre, aber das ist halt schon speziell. Es gibt so wenige Leute, die wir über so eine Zeitspanne immer wieder treffen und uns auch wirklich mit ihnen austauschen. Da geht es auch darum, so etwas zu kultivieren. Ich bin so glücklich mit dem, was wir tun und wie wir es tun. Es gibt Bands, die großen Erfolg haben und dann steht nur noch dieser Erfolg im Mittelpunkt und wie man das wiederholen kann und man vergisst alles andere. Bei uns war es immer so nach dem Motto: 'Okay, das lief gut', wie stellen wir sicher, dass wir als Band jetzt weiter funktionieren?", erklärt Simon.

biffy clyro tourdatesStellt sich die Frage, ob es deshalb für ihn auch okay war zu sehen, dass beim letzten Konzert in Berlin die Halle deutlich weniger gefüllt war [ca. 4.000 Fans statt der ca. 10.000 auf der "Ellipsis"-Tour - PK]. Natürlich gab es dafür auch andere Faktoren wie die mehrfachen Verschiebungen dank CoVid19, aber eben auch, dass man eine ganze Reihe Songs hatte, die eben nicht sehr Mainstream-kompatibel waren. "Na ja, so läuft es eben, wir sind lange genug dabei, um zu wissen, dass es ein Auf und Ab gibt. Die 4.000 Fans, die da waren, waren aus den richtigen Gründen da und mochten die Musik, die wir zu diesem Zeitpunkt gespielt haben. Ich möchte mich immer vorwärts bewegen und nicht die gleiche Show wie 2009 oder 2013 spielen, jetzt ist es 2025. Klar, ich spiele auch lieber vor 10.000 Fans, aber ich überlebe lieber und entwickle mich und es geht eben auf und ab, als zu stagnieren und immer das selbe zu tun. Das Wichtigste ist aber, dass ich sehr stolz auf das neue Album bin und ich hoffe, die Fans lieben es so sehr wie ich. Und du", lacht Simon. Meine Anmerkung, dass man dieses Mal tatsächlich das gesamte Album live spielen könnte, kommt bei Simon gut an: "Ja, ich denke, du hast Recht, das würde auf jeden Fall funktionieren und vielleicht machen wir das auch. Wir fangen demnächst mit den Proben an und dann werden wir das entscheiden. Klar ist, dass wir alle Songs mal live spielen werden."

Bereits entschieden ist, dass "A Celebration Of Beginnings" auch veröffentlicht wird. "Ja, wir haben diese Shows aufgenommen und werden das auch veröffentlichen, wir sind nur noch nicht dazu gekommen, uns darum zu kümmern. Es waren wirklich sehr spezielle Shows. Ich möchte nicht arrogant wirken, aber wir waren sehr früh schon wirklich gut und hatten eine eigene Stimme und einen eigenen Sound. Wir haben die Sachen gemacht, auf die wir Bock hatten und selbst auf "The Myth Of The Happily Everafter" haben wir so etwas mit 'Sleepy Sleepy Slurp Slurp' immer noch. Ein Teil von uns möchte auch immer noch merkwürdig und anders sein. Ich denke, es liegt an EMPIRE STATE BASTARD, das ja komplett merkwürdig und garstig war, dass "Futique" offenherziger und runder ist."

Photo credit: Eva Pentel - used with kind permission

Redakteur:
Peter Kubaschk

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