BURDEN OF GRIEF: Interview mit Philipp Hanfland

29.11.2023 | 23:32

"Destination Dystopia" geht mir erstaunlich gut ins Ohr und auch optisch ist das achte Bollwerk aus dem Hause BURDEN OF GRIEF eine Wucht, zeigt es doch mitreißenden Melodic Death Metal mit Fingerspitzengefühl und Klasse. Nach fünf Jahren sind die Warburger also wieder zurück, was uns den Anlass gab, mit Gitarrist Philipp Hanfland ein wenig tiefer ins Albumdetail und somit der Dystopie näher auf den Grund zu gehen.

Hallo Philipp und schöne Grüße nach Warburg. Wie geht es dir? Wie ist die Stimmung im BURDEN OF GRIEF-Camp?
Wir sind wirklich begeistert, wie gut die Pressereaktionen bisher ausgefallen sind. In vier der großen deutschen Metal-Printmagazine sind wir im jeweiligen Soundcheck auf den oberen Plätzen gelandet. So etwas hatten wir tatsächlich noch nie. Es ist ein wirklich befreiendes Gefühl nach den vielen Monaten sehr harter Arbeit, die wir in das Album gesteckt haben.

Seit eurem letzten Album ist etwas Zeit ins Land gegangen. Und vieles ist passiert. Mit Dominik und Manuel habt ihr einen neuen Gitarristen sowie Schlagzeuger in den Reihen. Wie seid ihr auf die beiden aufmerksam geworden und wie kam die Kollaboration zustande?
Im Laufe der Zeit kommt es in nahezu jeder Band zu Besetzungswechseln. Das ist ganz normal und blieb natürlich auch bei uns in fast 30 Jahren nicht aus. Und es sind eigentlich fast immer dieselben Gründe gewesen, nämlich job- und familienbedingter Zeitmangel. Es ist halt ein sehr zeitintensives Hobby. Das war leider auch bei der Trennung von unserem vorherigen Drummer Jan und unserem langjährigen Gitarristen Joe das Problem, die beide zum damaligen Zeitpunkt Familienzuwachs bekommen haben. Wir waren mit beiden aber Anfang 2019 noch auf einer Minitour zusammen mit HATE FORCE ONE und IN SANITY, dort ist uns Manuel, der Drummer von HATE FORCE ONE sehr positiv aufgefallen und stand bei unserer erneuten Drummersuche ganz oben auf unserer Wunschliste. Ebenfalls bei HATE FORCE ONE war damals Dominik, allerdings am Gesang. Als Gitarristen kannten wir ihn von NIGHTBEARER. Da er aber, so wie wir, aus Warburg kommt, kannten wir ihn natürlich schon viel länger und haben auch mit seinen Vorgängerbands bereits die Bühne geteilt. Ich bin überzeugt, dass wir mit den beiden die stärkste Besetzung ever mittlerweile haben, und dass auch von Vorteil war, dass die beiden bereits in anderen Bands gemeinsam aktiv waren.

Es kam zusammen, was zusammen gehört. Im Anschluss muss ich auch fragen, weshalb Johannes und Sebastian nicht mehr mit an Bord sind. Ich hoffe, es gab kein böses Blut?
Sebastian hatte uns bereits 2018 mitgeteilt, dass er die Band verlassen wird. Er hatte mit Hausbau und Nachwuchs ebenfalls familiäre Verpflichtungen und wollte sich zudem musikalisch nach 13 Jahren etwas umorientieren. Er blieb aber dankenswerterweise noch so lange, bis wir einen Nachfolger gefunden hatten und spielte mit uns Ende 2018 noch eine coole Minitour in England. Daraufhin hatten wir mit Jan einen neuen Drummer, der aber letztlich nur bei unseren Shows 2019 dabei war. Während der Corona-Pandemie lag dann auch bei uns erstmal alles brach. Als wir dann aber wieder loslegen wollten, haben wir gemerkt, dass sowohl er als auch Johannes einfach nicht mehr die nötige Zeit aufbringen konnten. Unter diesen Umständen war ein Fortführen der Band einfach kaum noch möglich. Deswegen haben wir die Trennung gemeinsam und in aller Freundschaft besprochen und beschlossen.

Nach langen fünfeinhalb Jahren liegt mit "Destination Dystopia" euer neues Studioalbum vor. Lag es ausschließlich an der coronabedingten Zwangspause, dass es diesmal etwas länger gedauert hat, oder seid ihr eher dem Motto "Gut Ding will Weile haben" gefolgt?
Es lag sowohl an der Pandemie, aber vor allem eben auch an den Besetzungswechseln, die jedes Mal eine zeitintensive Einarbeitung nach sich ziehen. Manu und Dome kamen Ende 2021 in die Band, die ersten gemeinsamen Shows konnten wir dann ab Frühjahr 2022 spielen, und ab Mitte 2022 haben wir intensiv mit dem Songwriting begonnen. Parallel gab es immer wieder Shows. So geht die Zeit schnell rum. Aber das eigentliche Songwriting ging für unsere Verhältnisse relativ schnell. Zwischen 2018 und 2022 war an Songwriting aus den genannten Gründen halt nicht zu denken. Wir haben erst mit der neuen Besetzung damit begonnen.

Und "Destination Dystopia" konnte fertiggestellt werden. Der Titel der neuen Scheibe ist sehr aussagekräftig. Wie dystopisch ist es um unsere Welt denn bestellt? Gibt es noch Hoffnung, die Katastrophe abzuwenden?
Ich selber bin eigentlich ein sehr ausgeglichener und sehr positiv denkender Mensch. Wenn ich so etwas wie ein Lebensmotto habe, dann wäre das "Das geht schon irgendwie!". Aber ich sehe bei der Entwicklung der weltweiten Probleme tatsächlich kaum noch Chancen. Wir werden sicherlich noch irgendwie da durch kommen. Aber für kommende Generationen, die in 50 oder 100 Jahren leben werden, sehe ich wirklich nicht mehr, wie das funktionieren soll. Die Probleme der Klimaerwärmung, die Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung, die Rentenproblematik usw. sind ja so schon kaum in den Griff zu kriegen. Gleichzeitig erleben wir, wie Gesellschaften immer mehr gespalten werden, Kriege entstehen immer wieder aufs Neue aus immer wieder denselben Gründen. Ich reise beruflich und privat viel in der Welt herum und hielt lange Zeit Bildung für eine der wichtigsten Maßnahmen, um Problemen in ärmeren Ländern zu begegnen. Wenn ich aber mittlerweile sehe, wie unfassbar dumm sich vermeintlich gebildete westliche Gesellschaften verhalten, lag ich scheinbar mit meiner Einschätzung daneben.

Traurig, aber wahr. Aber kommen wir einmal zur Musik. Ich empfand "Eye Of The Storm" schon als sehr wuchtiges, durchschlagendes Album. Aber die neue Scheibe setzt dem noch einmal die Krone auf. Worin liegen eurer Meinung nach die Unterschiede zwischen den beiden Alben?
In den beiden neuen Bandmitgliedern, ganz klar. Wie auf fast allen unserer Alben haben wir eine nahezu hälftige Aufteilung des Songwritings, d.h. die eine Hälfte der Songs stammt von mir und die andere Hälfte von anderen Gitarren. Mit Dome haben wir also einen komplett neuen Songwriter in der Band, der sich gleich mit extrem starkem Material eingebracht hat. Und Manuel ist ein deutlich heftigerer Drummer als Robb das war. Somit ist die neue Platte in vielen Bereichen schneller und heftiger ausgefallen, gleichzeitig haben wir versucht, das Songmaterial sehr abwechslungsreich und interessant zu halten. Das war bei "Eye Of The Storm" zwar auch schon die Herangehensweise, die wir mit den beiden Neuen aber nochmal perfektionieren konnten, denke ich.

Die Platte groovt ohne Ende, ist melodisch und brutal zugleich. Vor allem 'Downfall' und 'Mass Murder Society' haben es mir angetan. Mit welcher Zielsetzung seid ihr an die Arbeiten zum neuen Bollwerk gegangen?
Ich denke, Domes Herangehensweise beim Songwriting war in erster Linie, Material zu schreiben, das zu BURDEN OF GRIEF stilistisch passt, die Musik aber gleichzeitig auf ein neues Qualitätslevel bringt. Mein Ansatz ist eigentlich immer, die Stärken früherer Songs weiter auszubauen und die Schwächen früherer Songs nicht zu wiederholen. 'Downfall' z.B. ist ein Song, der vor allem durch sein Drumming ein durchgängig hohes Energielevel hält. In nahezu allen anderen unserer Songs nehmen wir irgendwann den Fuß vom Gaspedal und bringen Groove oder Melodie rein. Das ist hierbei nicht der Fall und es ist somit tatsächlich eine Neuerung für uns. Ich hatte hier beim Songwriting 'Dittohead' von SLAYER etwas im Hinterkopf, weniger wegen der tatsächlichen Riffs, sondern vielmehr wegen der Wirkung des Songs. Hohes Energielevel, keine Verschnaufpause, kein Firlefanz. Es war allerdings auch so, dass Dome mit seinen Songs relativ früh fertig wurde, sodass ich darauf teilweise reagiert habe und weiteres Material geschrieben habe, was sich davon stilistisch etwas unterscheidet. So habe ich versucht, mit 'Downfall' und 'Destination Dystopia' den Thrash-Anteil etwas zu erhöhen, aber gleichzeitig mit 'A Daydream Of Sorrow' und 'My Suicide' des Tempo zugunsten von mehr Abwechslung etwas zu drosseln.

'Fevered Dreams' und – das ist tatsächlich mein persönlicher Liebling – 'A Daydream Of Sorrow' haben im Vorfeld bereits das Licht das düsteren Welt erblickt. Die Melodien sind fantastisch, die Wucht enorm. Wie weit repräsentieren die beiden Songs denn die Marschroute des gesamten Albums?
'Fevered Dreams' fasst alle Facetten des Albums sicherlich ganz gut zusammen, d.h. Tempo, heftiges Riffing, Groove, viele Melodien und Eingängigkeit. 'A Daydream Of Sorrow' ist hingegen aufgrund seines gedrosselten Tempos eher weniger repräsentativ. Er ist eher außergewöhnlich und ebenfalls extrem eingängig. Die Wahl fiel auf diese beiden Songs als Vorabsingles, weil wir in ihnen das größte "Hitpotential" sahen, sofern man bei unserer Musik davon sprechen kann. Gleichzeitig haben wir aber auch hierbei Wert darauf gelegt, jeweils einen Song von mir und einen von Dome zu nehmen. Die eigentliche Marschroute des Albums ist aber sicherlich heftiger als es 'A Daydream Of Sorrow' vielleicht suggeriert.

Wer hat eigentlich dieses fantastische Artwork und mit welchem Hintergrundgedanken entworfen?
Wir hatten uns bei der Ideensuche für ein Artwork eigentlich erstmal nur die Vorgabe gesetzt, dass es so geil sein soll, dass sich die Leute unbedingt die LP zulegen wollen, um es in voller Pracht zu genießen. Das klingt zwar soweit ganz schön, aber ist natürlich noch alles andere als konkret. Als wir dann begannen, Ideen zu sammeln, haben wir parallel bei diversen Artwork-Designern nach bereits fertigen Artworks geschaut und haben dabei dieses tolle Motiv gefunden. Unsere anfänglichen Ideen gingen zunächst noch in eine etwas andere Richtung, diese konnten wir dann aber angesichts dieses tollen Artworks schnell verwerfen. Tatsächlich ist es somit neben unserem "Fields Of Salvation"-Cover erst das zweite Mal, dass wir ein fertiges Artwork nutzen und uns keines anfertigen ließen. Es passte einfach zu gut zur inhaltlichen Ausrichtung des Albums.

Der November wird also ziemlich laut und gewaltig. Habt ihr schon bandbezogene Pläne für etwaige Konzerte?
Am Wochenende der Veröffentlichung ["Destination Dystopia" ist am 24. November erschienen. – Anm. d. Red.] spielen wir zwei Release-Shows, einmal in Kassel und einmal in Verne. Weitere Shows fürs nächste Jahr sind natürlich wie immer bereits in der Planung. Aufgrund des unerwartet sehr positiven Feedbacks, vor allem auch in den großen Printmagazinen, wollen wir aber auch schauen, inwiefern wir noch größere Schritte Richtung Tour und/oder großer Festivals machen können. Sobald hier was spruchreif ist, geben wir es natürlich bekannt.

Im nächsten Jahr feiert ihr euer 30-jähriges Bestehen. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Habt ihr etwas Besonderes hierfür geplant?
Wir werden absichtlich keine Jubiläumsshow o.ä. spielen. Gerade mit den beiden Neuen in der Band haben wir eh keine gemeinsame Vergangenheit, sondern wollen uns dafür umso mehr auf die Zukunft konzentrieren, vor allem mit dem gemeinsam erarbeiteten neuen Album in der Hinterhand. Wenn man so eine Jubiläumsshow richtig aufziehen will, müsste man auch die ganzen Ex-Mitglieder dazu ins Boot holen, dieser Aufwand ist es uns einfach nicht wert. Wir werden aber stattdessen unsere ersten sechs Alben, die es bisher nur auf CD gab und die teilweise schon ausverkauft sind, über unser langjähriges Label Massacre Records auf Vinyl wiederveröffentlichen. Darauf freue ich mich schon ganz besonders.

Sehr gut. Diese Frage müsst ihr mir erlauben, aber dadurch, dass ihr euch wieder für euer Originallogo entschieden habt: War das doch klarere Bandlogo auf dem Vorgänger im Nachhinein etwas, was ihr rückgängig machen möchtet?
Ich werde gerade in den Interviews zum neuen Album tatsächlich sehr häufig darauf angesprochen und bin wirklich etwas überrascht, was das damals anscheinend für eine Wirkung entfacht hat. Das war uns wirklich nie so bewusst. Natürlich weiß ich, dass ein Logowechsel nie gut ankommt bei den Anhängern einer Band. Bei uns gab es aber eigentlich zu keiner Zeit einen Logowechsel. Der einzige Grund für die Verwendung dieser klareren Schrift war das Coverartwork, bei dem unser Logo irgendwie nicht funktioniert hat. Wir hatten es stattdessen aber ganz groß in der Innenseite des Booklets und auch weiterhin auf dem Merchandise und bei der Bühnendeko. Unser Bandlogo hat nun einmal ein eher quadratisches Format, was immer wieder problematisch wird bei der Verwendung auf Artworks, Plakaten usw. Breite, längliche Logos wie z.B. von TESTAMENT oder METALLICA lassen sich deutlich besser grafisch platzieren. Aber umso mehr freut es mich, dass sich die Leute offenbar über das alte Logo wieder sehr freuen.

Philipp, vielen lieben Dank. Was möchtest du unseren Lesern und allen BURDEN OF GRIEF-Fans da draußen noch mit auf den Weg geben?
Ich weiß von mir selber, wie schwer es manchmal ist, ein bereits gefestigtes Bild, was man von einer älteren Band hat, eventuell zu revidieren. Ich bin selber überrascht, dass es uns im nächsten Jahr schon 30 Jahre gibt und ich bin mir sicher, dass sich viele während dieser Zeit, sei es durch vorherige Alben oder durch Konzertbesuche, bereits eine Meinung gebildet haben. Ich möchte daher so viele Leute wie möglich dazu ermutigen, sich auch bei Kenntnis der Band das neue Album "Destination Dystopia" so unvoreingenommen wie möglich anzuhören. Die bisherigen Presseergebnisse bestätigen uns in unserer Überzeugung, dass wir mit dem Album wirklich nochmal eine große Schippe drauflegen konnten. Wer unsere Musik bisher schon mochte, wird mit dem neuen Album mit Sicherheit bestens bedient. Aber auch jedem, der uns noch nicht kennt oder bisher noch keinen wirklichen Zugang fand, sei das Album sehr ans Herz gelegt. Manchmal kann man auch im hohen Alter noch überraschen, haha...

Fotocredit: Christian Peine

Redakteur:
Marcel Rapp

Login

Neu registrieren