CARPE NOCTEM: Interview mit Friedrich

18.12.2016 | 22:09

Auf den Spuren von APOCALYPTICA wandelt CARPE NOCTEM... schon lange nicht mehr. Wir sprachen mit Friedrich über das neue Album, Vorbilder und die Schwierigkeit, ein Publikum auch ohne Sänger zu fesseln.

Hallo, Friedrich. Bald [inzwischen am 25. November veröffentlicht - Anm. d. Red.] erscheint euer neues Album "Schattensaiten". Aufgeregt?

Ja, natürlich sind wir aufgeregt. Das war ja in den letzten zwei Jahren viel Arbeit mit den Aufnahmen, der ganzen Produktion und dem Drumherum, den Musikvideos... Jetzt kommt endlich der Zeitpunkt, an dem wir der Welt da draußen unser Werk zeigen können. Darauf bin ich sehr gespannt.

Zwei Jahre habt ihr an 'Schattensaiten' also gearbeitet?

Wir haben im Juni vergangenen Jahres mit den Aufnahmen begonnen. Doch davor ist natürlich auch schon einige Zeit ins Land gegangen, schließlich mussten die Songs ja auch geschrieben werden. Daher würde ich sagen, dass wir mit den zwei Jahren ganz gut hinkommen.

Gestaltet sich das Songwriting im instrumentalen Bereich eigentlich anders als der Entstehungsprozess einer "klassischen" Rock-Nummer?

Ja, ich habe vorher auch in zwei anderen Bands gespielt, die ihre Songs nach dem typischen Rocker-Schema geschrieben haben: Der Gitarrist schreibt etwas, bringt es mit in die Probe und dann wird so lange rumprobiert, bis es gut klingt. Bei uns schreiben alle in der Band, im Grunde arbeitet jeder dann aber auch für seinen eigenen Song die Parts für alle aus und bringt die ausgedruckten Noten dann in die nächste Probe mit. Dann wird der Song meist auch so gelassen, wie derjenige ihn komponiert hat. Wir finden, dass das eine gute Idee ist, weil wir uns damit auch von Grund auf eine Vielfalt bewahren, die in vielen Gruppen heute ja ein großes Problem ist.

Dazu muss man seine Mitspieler aber gut einschätzen können.

Jeder von uns weiß, was die anderen auf ihren Instrumenten können. Deswegen kann auch jeder von uns für jeden schreiben. Es gibt uns mittlerweile schon sieben Jahre, daher kennen wir uns diesbezüglich ganz gut.

Wie habt ihr euch eigentlich als Band CARPE NOCTEM gefunden?

Als wir angefangen haben, gab es in diesem Bereich außer uns eigentlich nur APOCALYPTICA - eine Band, die in den letzten Jahren sehr groß geworden ist. Wir Streicher und unser Schlagzeuger haben gemeinsam im Jugendorchester in Jena gespielt, nur unseren Bassisten haben wir über unseren Freundeskreis kennengelernt. Damals gab es den Brauch, dass sich die Orchestermitglieder nach Konzerten noch zu einem gemütlichen Beisammensein getroffen haben. Jeder hat dann etwas zu diesem Abend beigetragen: Wir haben uns an einem Abend dazu entschieden, etwas von RAMMSTEIN neu zu interpretieren. Das kam beim Rest des Orchesters gut an. So ist das alles dann irgendwie entstanden.

Welcher Song von RAMMSTEIN ist es dann geworden?

'Hilf mir' haben wir gespielt. Mit diesen beiden Liedern haben wir angefangen: 'Hilf mir' von RAMMSTEIN und 'Toxicity' von SYSTEM OF A DOWN, das jetzt auch auf unserem neuen Album vertreten ist.

Würdet ihr euch stilistisch dennoch mehr der Klassik oder tatsächlich schon dem Metal-Genre zuordnen?

Wir selbst sagen zu unserer Musik String oder Acoustic Metal. Ich würde sagen, dass sie sehr in der Mitte gelandet ist. Nicht in dem Sinne, dass wir Metal und Klassik in allen Songs durchweg vermischen. Stattdessen springen wir sozusagen hin und her: Mal haben wir Phasen, die sehr nach Metal klingen, und dann haben wir wiederum auch sehr klassische Parts. Natürlich spielt da immer noch ein Schlagzeug mit, welches man in der Klassik für gewöhnlich nicht findet. Aber in der Komposition sind viele Stücke auch an die Klassik und den Barock angelehnt.

Du sagst, dass ihr APOCALYPTICA kanntet, als ihr angefangen habt. War die Band für euch damals auch eine Art Vorbild?

Ja, damals war APOCALYPTICA für uns ein Vorbild. Mittlerweile nicht mehr ganz so stark, wir haben uns von deren Stil auch wegbewegt. Doch zu dem Zeitpunkt schon. Doch am wichtigsten war APOCALYPTICA für uns, weil die Band uns mit der Nase darauf gestoßen hat, dass man mit Streich-Instrumenten nicht nur klassische Musik spielen kann.

APOCALYPTICA lebt ja auch von der opulenten Live-Show, die die Finnen veranstalten. Wie schaut das denn bei euch aus?

Was uns total wichtig ist, ist Spielfreude. Einerseits versuchen wir alle Sachen mit viel Körpereinsatz und Energie zu spielen und andererseits sind unsere Kompositionen so geschrieben, dass sie uns auch auf der Bühne wirklich Spaß machen: sehr furioses Zeug, bei dem man sich sehr konzentrieren muss, oder auch sehr schnelle Stücke, die zwei Personen gleichzeitig spielen. Das muss man zwar lange üben, doch umso befriedigender ist es, wenn diese Dinge live auch funktionieren.

CARPE NOCTEM - nutze die Nacht. Wie seid ihr auf diesen Bandnamen gestoßen?

Wir haben lange überlegt, wie wir einen Bandnamen finden, der unseren Musikstil auch wiedergibt. CARPE NOCTEM war der erste Name, mit dem wir zufrieden waren. Aus unserer Sicht passt es sehr gut. CARPE NOCTEM als lateinischer Begriff und als Ableitung von diesem hochgeborenen, erhabenem Motto 'Carpe Diem' - das ist der Anteil der klassischen Musik an unserem Wirken. Dann jedoch diese Verdrehung in das düstere, jüngere CARPE NOCTEM, das ist der Metal-Anteil in unserer Musik.

Ihr beschränkt euch auf "Schattensaiten" mit Ausnahme von zwei Stücken auf rein instrumentale Lieder. Ist das bei euch Konzept?

Ja, prinzipell war es unser Grundkonzept, rein instrumental zu arbeiten. Das hat uns sehr gereizt. Es ist in der Rock- und Pop-Musik oft so, dass der Sänger eine gute Stimme und eine dominante Gesangsmelodie, das Lied an sich jedoch relativ wenig zu bieten hat. Wir fanden es sehr spannend, von diesem Konzept komplett wegzukommen. Trotzdem ist es so, dass es gerade bei Konzerten eine große Herausforderung ist, den Spannungsbogen und den Kontakt zum Publikum zu halten. Die Geige übernimmt zwar den Part des Sängers, doch trotzdem ist es sehr schwierig. Die Idee mit den Gastsängern hatten wir schon bei unserem letzten Album: Es ist einfach etwas Erfrischendes, da es der Zuhörer auch bei unserer Musik nicht erwartet. Das wird auch bei Publikumsauftritten sehr gut angenommen.

Für "Schattensaiten" habt ihr auch die Lyrics für den Song 'Das Gift der Spinne' geschrieben. Wie kann man diese Nummer verstehen?

Das Lied hat unser Cellist geschrieben. Ich hoffe, dass ich in seinem Sinne antworte, doch ich glaube, dass man den Text auf vielfältige Weise auslegen kann. Der Kern des Liedes dreht sich um eine Fabel, in der eine Spinne versucht, die herumfliegenden Fliegen in ihr Netz zu locken und zu betäuben. Die Grundaussage dieser Fabel ist, so denke ich, dass alle Leute sehr verschieden sind und jeder nach seinen Prinzipien leben sollte. Man sollte sich nicht von den Spinnen, die mit augenscheinlich einfachen Lösungen zu verlocken versuchen, fangen lassen. Das ist das Schöne am 'Gift der Spinne': Man kann den Text nicht nur auf persönlicher Ebene interpretieren, sondern auch auf politische oder soziale Probleme übertragen.

In eurem Pressetext werdet ihr als "Musiker mit Gummibärchen-Sucht" beschrieben. Wie kam es zu dieser Formulierung?

Neben unseren Konzerten machen wir auch Straßenmusik. Das hat vor einigen Jahren angefangen, als wir abends nach der Probe noch Zeit hatten und in die Stadt gefahren sind, um noch spontan akustische Werke auf der Straße zu spielen. Dies tun wir allerdings in leicht abgewandelter Besetzung: So spielt unser Bassist beispielsweise Akustikgitarre. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Und bei diesen Straßenmusik-Reisen ist bei uns zur Tradition geworden, dass es zwischendurch immer ein großes Essen gibt. Und da gehören die Gummibärchen auf jeden Fall dazu.

Und wie kommt ihr dort bei den Leuten an?

Straßenmusik läuft bei uns extrem gut. Mittlerweile gehen wir sogar einmal im Jahr auf richtige Tour damit. Dann nehmen wir uns vier Wochen Zeit, wir haben schon echt überall gespielt: hier in Deutschland, Niederlande, Österreich... Die Straße ist ein guter Ort, um neue Stücke auf ihre Wirkung hin auszuprobieren. Bleiben die Leute stehen oder gehen sie weiter? Im Grunde läuft es aber extrem gut. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir auf der Straße mit der gleichen Energie wie auf der Bühne spielen und außerdem in unserer großen Besetzung auch ganz anders wirken als ein einzelner Musiker. Wenn wir irgendwo anfangen zu spielen, scharen sich ganz schnell die Leute um uns. Auch finanziell bringt es überraschend viel mit sich und hat uns dann natürlich im Laufe der Zeit noch mehr dazu aufgestachelt, solche großen Projekte anzugehen. Wie unsere CD-Produktion "Schattensaiten" eben.

Nachdem ihr so viel Zeit in euer Album investiert habt: Wie geht es denn nun mit CARPE NOCTEM in absehbarer Zukunft weiter?

Wie du schon sagst, hatten wir jetzt erst einmal viel Arbeit mit dem Album. Auch waren wir in den letzten Monaten lange auf Konzerten unterwegs. Im Geiste unserer neuen CD wird auch das nächste halbe Jahr stehen, denke ich. Wir spielen jetzt noch einige Akustikauftritte und einen großen Auftritt mit COPPELIUS kurz vor Silvester [am 28.12. in Annaberg-Buchholz - Anm. d. Red.]. Danach lassen wir erst einmal ein wenig Ruhe einkehren, um neues Material zu sammeln. Wenn es dann in Richtung Sommer geht, starten wir wieder durch.

Plant ihr auch Festivalauftritte für den Sommer 2017?

Auf jeden Fall. Das Schöne an unserer Musik ist, dass wir uns sehr verschieden präsentieren können. Daher ist für uns musikalisch jede Menge möglich, was Festivals betrifft. Da sind wir gespannt. Die ganze Organisation geht jetzt langsam los.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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