CRYPTA: Interview mit Tainá Bergamaschi
25.09.2023 | 20:48Komfortzonen sind dafür da, dass sie verlassen werden. Dieses Interview stellt in Bezug auf den vorhergehenden Satz eine Weltreise für mich dar. CRYPTA hatte ich nämlich bisher nur ganz weit aus der Ferne im Visier. Endlich Zeit auf Tuchfühlung zu gehen ...
Mit "Shades Of Sorrow" erschien vergangenen Monat das zweite Album der 2019 gegründeten brasilianischen Death-Metal-Truppe CRYPTA um Frontfrau Fernanda Lira. Dabei muss ich gestehen, dass ich mich bisher eher am Rande mit dem Quartett beschäftigt habe. Wohl eher aus Bequemlichkeit als aus der Tatsache heraus, dass ich mit der Musik nichts anfangen kann. Es erfordert nämlich einiges an Zeit und intensive Hörbereitschaft, um zu verstehen, was auf den Alben von CRYPTA passiert. Tainá Bergamaschi, Gitarristin der Band, war so freundlich und hat sich meinen Fragen gestellt.
Tainá, ich muss zugeben, dass ich bei euren Alben immer eine Reihe von Anläufen brauche, bevor ich Zugang zu dem Material finde. Die komplexen Songs machen es dem Hörer nicht immer leicht. Ist diese Herausforderung bewusst, also für den Zuhörer so gewollt? Inwiefern denkt ihr beim Songwriting darüber nach, was euren Fans gefallen könnte?
Metal im Allgemeinen ist nicht sehr leicht zu verdauen und das ist auch gut so. Die meisten Bands, von denen ich Fan bin, mochte ich zuerst auch nicht. Nimm zum Beispiel DEVIN TOWNSEND. Es dauert eine Weile, bis du begreifst, dass dieser Typ ein Genie ist (nicht, dass das bei CRYPTA der Fall wäre), aber weißt du, was ich meine? Ich denke, das ist einfach normal. Ich selbst stehe jedenfalls auf komplexere Songs.
O.k., dann lass uns direkt mal auf das neue Album zu sprechen kommen. Meiner Meinung nach hat "Shades Of Sorrow" produktionstechnisch einen guten Schritt nach vorne gemacht. Was das Produktionsteam betrifft, so wurde das neue Album von Daniel Bergstrand gemischt. Im Vergleich zum Debüt habt ihr aber nichts am Studio und dem Mastering-Team geändert. Warum habt ihr euch für Daniel Bergstrand entschieden und ist er in diesem Fall derjenige, der das Zünglein an der Waage für die produktionstechnische Verbesserung/Weiterentwicklung ist?
Wir wollten einfach etwas anderes ausprobieren, etwas Modernes, aber immer noch old school bleiben. Es ist ein anderes Album als der Vorgänger, mit anderen Einflüssen und Kompositionen. Es ist atmosphärischer und düsterer, und Daniel hat Dinge gemacht, von denen wir das Gefühl hatten, dass sie wirklich gut klingen und die zur neuen Ausrichtung von CRYPTA passen würden. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir auf jedem unserer Alben gleich klingen. Aber natürlich kann sowas wieder passieren, wenn man mit demselben Mischer, wie beim Vorgängeralbum zusammenarbeitet. Wir wollten, als es an die Studiowahl ging, auch gerne etwas Neues ausprobieren, aber letztlich war das gleiche Studio die beste Wahl für uns. Wir arbeiten auch wirklich gerne mit Jens Bogren zusammen. Er ist extrem erfahren und arbeitet superschnell. Wir mussten ihm z.B. kein Feedback zu seiner ersten Version des Masters geben. Das hat direkt gepasst.
Wenn man die Texte von "Shades Of Sorrow" liest und den Albumtitel hinterfragt, dann komme ich zu dem Schluss, dass der Charakter des Albums sehr verzweifelt, düster, negativ, traurig und depressiv ist. Sind das sehr persönliche, innere Dämonen, die ihr in den Texten wegsperrt, oder zielt ihr auf allgemeinere Beobachtungen/Themen ab?
Ja, die Texte sind persönlich, aber es sind auch die Art von Texten, die unsere Zuhörer hören und als ihre eigenen interpretieren werden, in ihrer eigenen Lebenserfahrung. Es geht dabei um all die natürlichen Konsequenzen des Lebens in seinen verschiedenen Schattierungen von Schmerz, Traurigkeit, Verzweiflung usw. und zwar in der Reihenfolge, wie es im wirklichen Leben passiert. Wir reden hier über eine Art Konzept-Album.
Ich habe sehr lange gerätselt und mir 1000 Dinge überlegt, warum auf dem Cover zum neuen Album genau sieben Schwerter abgebildet sind. Ist das Zufall oder steckt da eine tiefergehende Bedeutung dahinter?
Das Cover wurde von der Pik-Acht (dem Tarot) inspiriert, aber die sieben Schwerter passen ästhetisch besser zur Figur. Das ist alles.
Ist der Typ auf dem Cover die Versinnbildlichung der Trauer und warum schaffen es die vielen Kerzen am Fuße des Typen nicht den Schatten, den er wirft, zu erleuchten? Ist die Trauer so viel stärker als irgendeine andere Kraft?
Alles, was auf dem Cover des Albums zu sehen ist, soll psychologisch sein. Du selbst bist komplett von Seilen gefangen. Sie sind nicht fest, aber dein Verstand täuscht dich und suggeriert dir, dass du nicht entkommen kannst. Es gibt Schwerter um dich herum, die dich einsperren, aber dein Verstand sagt dir, dass du nicht weg kannst. Es gibt Kerzen zu deinen Füßen, um dich zu beleuchten, aber es ist ein Licht, das dein Verstand dich nicht sehen lässt.
Der gesamte Leidensprozess, von dem das Album handelt, ist ein Weg, um die letzte Karte zu erreichen. Die Schwerter werden dich irgendwann erstechen, die Seile ziehen sich enger zusammen, die Kerzen können dich verbrennen. Nach so viel Leid gibt es keinen Menschen, der das alles bis zum Schluss ertragen kann. Aber im Hintergrund siehst du das Licht - das Zeichen eines Neuanfangs. Das ist der Punkt, an dem wir zu 'Lord Of Ruins' kommen.
Ist das Outro 'The Closure' ein Hinweis darauf, wie das nächste Album klingen könnte? Das hoffnungsvolle Licht am Ende des Tunnels, nachdem alle Facetten der Trauer erhellt wurden. Irgendwie hatte ich beim Hören der 40 Sekunden das Gefühl, dass die lyrische Melancholie damit ein wenig abgestreift werden sollte ... einfach, weil es weniger düster klingt.
Das ist genau die Botschaft, die wir mit den Klavierstücken vermitteln wollen. In 'The Aftermath' hört man ein verzerrteres Klavier, "verstimmt". Es ist der Beginn all des Leidens. In 'The Limbo' hört man etwas Turbulenteres, Dunkleres; das, was während des Suchprozesses in einem vorgeht. Und beim Stück 'The Closure' kann man eine "verbesserte" Version von 'The Aftermath' hören, welche die Art und Weise darstellt, wie man sich fühlt, wenn man durch alle Schattierungen der Trauer gegangen ist.
Über eure musikalischen bzw. technischen Fähigkeiten muss man keine großen Worte verlieren. Aus meiner Sicht ist aber eine Sache besonders hervorzuheben – der Gesang. Hier scheint es keine Grenzen zu geben. Es werden alle Facetten sämtlicher Genre-Stile abgedeckt, und das auf wirklich extrem hohem Niveau. Ist das ein besonderes Trademark von CRYPTA - ein Trademark, das euch von vielen anderen Bands abhebt?
Fernandas Gesang hat sich auf dieser Platte sehr verändert. Sie deckt dabei eine deutlich ernstere Seite ab, etwas, das ich so noch nie zuvor bei ihr gehört habe. Die Höhen, die sie erreicht, sind erstaunlich und beängstigend zugleich. Es ist, als würde man bei dieser Platte von 0 auf 100 gehen oder als würden zwei verschiedene Sängerinnen singen.
Leider ist es immer noch so, dass rein weibliche Bands in härteren musikalischen Bereichen nicht sehr gut vertreten sind. Ist das etwas, worüber ihr euch Sorgen macht, und was müsste passieren, damit sich dieser Umstand weiter ändert?
Ich mache mir da eigentlich überhaupt keine Sorgen. Die Szene mit Frauen auf der Bühne ist stark gewachsen und sie wird nur noch weiter wachsen. Wir sind auf Festivals aufgetreten, bei denen die Mehrheit auf der Bühne Frauen waren, wie auch im Fall, als wir mit NERVOSA, ARCH ENEMY und BEHEMOTH gespielt haben. Natürlich ist Metal ein überwiegend männlich dominierter Stil, aber das ist auch in anderen Genres der Fall. Egal ob sich das ändert oder nicht, Frauen werden ihren Platz in der Musikwelt weiter erobern. Heavy Metal bildet da keine Ausnahme. Es ist nur eine Frage der Zeit …
Wie gehst du mit Kritik um? Interessierst du dich zum Beispiel für negative Bewertungen?
Ich habe keine Probleme mit konstruktiver Kritik. Sie hilft uns bei unserer persönlichen Entwicklung. Ich selbst lese immer alle Kommentare und nutze sie, um mich stetig weiterzuentwickeln.
CRYPTA gibt es erst seit vier Jahren, aber in diesen vier Jahren ist viel für euch passiert. Was sind aus deiner Sicht die erwähnenswerten Highlights? Angesichts der kurzen Karriere und der bisherigen Erfolgskurve dürfte es kaum Lowlights geben ... richtig?
Ich denke, dass eine Band, die bisher wenig Zeit auf Tour verbracht hat, aber mit der ersten Veröffentlichung ihrer Karriere direkt in Wacken spielen kann, etwas Beängstigendes und gleichzeitig auch sehr Lohnendes erreicht hat. Ich weiß aber, ehrlich gesagt, nicht wirklich, ob der Groschen darüber schon so richtig gefallen ist. Auch die Tour mit MORBID ANGEL in den USA war ein Highlight für die Band. Wie auch immer … unglaubliche Dinge sind bereits passiert – inkl. eines überlebten Tornados. Wir haben jedenfalls schon genug Geschichten zu erzählen, aber auch noch viele Träume, die als Band wahr werden können.
Euer Debütalbum wurde zu Corona-Zeiten produziert/veröffentlicht. Habt ihr euch jemals gefragt, ob es unter normalen Bedingungen anders geklungen hätte?
Ich bin mir nicht sicher. Das Album wurde sowieso unter großer räumlicher Distanz zwischen uns geschrieben, weil wir alle weit voneinander entfernt leben … nicht nur wegen der Pandemie. Es war letztlich die gleiche Art und Weise, wie wir auch am neuen Album "Shades Of Sorrow" gearbeitet haben.
Ihr wart kürzlich auf Europatournee. Wann kann man euch wieder hier sehen, vor allem in Deutschland?
Wir werden nächstes Jahr auf jeden Fall mit unserem neuen Album wiederkommen, ich kann es kaum erwarten!
Das wars. Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. Die berühmten letzten Worte gehören dir …
Vielen Dank für dieses Interview. Wir sehen uns bald in Deutschland mit frischer Musik im Gepäck!
- Redakteur:
- Oliver Kast