CYTOTOXIN: Vergangenheitsbewältigung mit Fonzo und Grimo
08.04.2025 | 21:05Man sieht sich immer zweimal im Leben. Richtig, die Death-Metaller von CYTOTOXIN und ich haben eine gewisse Vergangenheit. Umso gespannter war ich, wie groß der abermalige Schritt nach vorne diesmal ausgefallen ist. Und seit dem "Plutonium Heaven"-Debüt ist sehr viel passiert – auch bei den Jungs. Nun steht mit "Biographyte" die nächste Abrissbirne mit Tschernobyl-Thematik in den Startlöchern, und tatsächlich können sich Gitarrist Fonzo und Frontmann Grimo an die damalige Situation erinnern…
Wie geht es euch? Wie ist die Stimmung bei CYTOTOXIN?
Fonzo: Moin Marcel! Danke der Nachfrage! Uns geht es gut, alle sind gesund, und die Maschine läuft auf Hochtouren so kurz vor dem Release. Das belastet natürlich die Brennstäbe etwas mehr, aber noch sind die Strahlungswerte im Normbereich.
Eventuell erinnert ihr euch an mich – ich habe damals an eurem Debüt kein gutes Haar gelassen, bin auch zu naiv an das Album rangegangen, dennoch habe ich euch immer wieder verfolgt und war interessiert, welche Entwicklung ihr durchgemacht habt. Wie würdet ihr jetzt rückblickend "Plutonium Heaven" bewerten, euren Startschuss quasi?
Fonzo: Ach du warst das also! Ich darf zitieren: "Darüber hinaus gleicht das Drumming auf "Plutonium Heaven" eher einem uninspiriertem Dreschen auf billige Kirmestrommeln." Wir haben uns damals wirklich köstlich amüsiert und sind da auch überhaupt nicht nachtragend. Und außerdem: every publicity is good publicity. Und ja, man kann durchaus sagen, dass sich unsere Musik schon stark weiterentwickelt hat seit unserem Debüt in 2011. Damals waren wir einfach junge Studenten, die mit der Musik einfach nur ordentlich Dampf ablassen wollten. Inzwischen könnte man sagen, ist über die Jahre zu dem massiven Korpus von einst auch eine Schaltzentrale dazugekommen, sprich: Unsere Musik ist deutlich reifer und kompositorisch anspruchsvoller geworden. An Härte haben wir aber meiner Meinung nach trotzdem nichts verloren.Absolut, und da bin ich beruhigt! Ihr habt mit Schlagzeuger Max auch ein neues Gesicht in euren Reihen. Wie kam der Kontakt zustande und weshalb stieg Stocki aus?
Fonzo: Leider sind die Drums bei uns ein heißer Posten, und mit Max haben wir nun schon unser drittes festes Mitglied an den Kesseln. Du kannst dir sicher vorstellen, dass Drummer von diesem Niveau nicht unbedingt an jeder Ecke lauern. Da hat es uns schon geholfen, inzwischen einen gewissen Ruf in der Szene zu genießen. Bewerbungen kamen deshalb aus aller Welt, jedoch sind wir sehr froh, über unseren Gitarristen Jason einen guten Bekannten gefunden zu haben. Max hat sich als ehemaliger CYTOTOXIN-Fan schnell bei uns zurechtgefunden, und wir sind ihm sehr dankbar, dass er in Stockis Fußstapfen tritt. Dieser wiederum musste das Handtuch werfen aufgrund familiärer und beruflicher Notwendigkeiten. Das gehört eben zum Leben dazu, und wir konnten uns glücklicherweise zu aller Zufriedenheit mit dem Drummer-Wechsel arrangieren.
Stolze fünf Jahre und eine komplette Pandemie sind seit "Nuklearth" vergangen. Hand aufs Herz, war Corona schuld an der langen Wartezeit oder brauchte gut Ding – in dem Fall "Biographyte" – einfach Weile?
Fonzo: Beides, würde ich sagen. "Nuklearth" kam ja am Anfang der absoluten Hochphase heraus und es war natürlich total ärgerlich, dass wir das Album damit so gut wie gar nicht live promoten konnten. Das hat einfach alles um mindestens zwei Jahre nach hinten geschoben. Dann kommt noch dazu, dass wir trotz einer gewissen Bekanntheit keine Profimusiker in dem Sinne sind und das nicht hauptberuflich machen. Wenn man also Beruf, Familie und Musik unter einen Hut bringen muss, dauern die Prozesse länger als gewöhnlich. Dennoch hätten wir zu Anfang niemals davon geträumt, einmal ein fünftes Album zu veröffentlichen. Es ist einfach nach wie vor ein tolles Hobby.
Das Album widmet jeden Song einem denkwürdigen Ort und erzählt so die biografische Geschichte der tragischen Katastrophe von 1986 und der Betroffenen. Hat euch diese Herangehensweise dem Thema noch einmal nähergebracht? Welche Geschichte ging euch da am meisten unter die Haut?
Fonzo: Ja das hast du korrekt analysiert. Grimo ist da am tiefsten in der Thematik.
Grimo: Es sind die großen wie auch die kleinen Geschichten im Detail, welche ihre Strahlkraft auf uns entfalten. Besonders intensiv waren hierbei die Gegebenheiten der Feuerwehrleute, welche den Reaktorbrand löschen mussten und keine Ahnung hatten, auf was sie sich da einlassen mussten. Die Auswirkungen des akuten Strahlungssyndroms sind hierbei so verheerend und Originalaufnahmen der Opfer kaum zu ertragen. Auch das sprichwörtliche in der Haut stecken derer, welche als medizinisches Personal die Opfer dieses Unglücks im Erstkontakt versorgen mussten, haben wir intensiv mit "Condemnesia" aufgegriffen. Als Beginn dieser emotionalen Reise steht für uns auch der Song 'Hope Terminator', welcher die Evakuierung der Stadt Prypyat beschreibt. Sich vorzustellen, komplett entwurzelt zu werden mit der Aussage, man wird irgendwann zurückkehren können und dann zu realisieren, dass man seine Heimat nie wieder betreten darf, so etwas ist emotional ganz schwer zu fassen und immer noch sehr sinnbildlich für das gesamte Desaster. Es fühlt sich wie unser Auftrag an, Zeitdokumentationsarbeit zu leisten und an die Opfer dieses Ereignisses weiterhin zu erinnern.
Natürlich habe ich mir auch "Nuklearth" angehört und tatsächlich finde ich euch auf "Biographyte" noch etwas abwechslungsreicher, fokussierter und geradliniger. Wie würdet ihr die musikalischen Unterschiede zwischen beiden Alben benennen?
Fonzo: In der Tat streben wir an, mit unserer Musik immer abwechslungsreicher zu werden. Wenn man sich so eine "Radiophobia" von 2012 mal anhört, könnte man durchaus ankreiden, dass es eben die ganze Zeit nur auf die Zwölf gibt und wenig Raum für Erholung bleibt. Das hat sich mit "Biographyte" zwar nicht zwingend komplett geändert, aber es gibt dann doch schon mal Refrains und Gitarrensolos die mit Chören oder anderen orchestralen Elementen untermalt sind. Wir versuchen damit natürlich eine gewisse Catchiness zu erzeugen und dem Hörer etwas zu entdecken zu geben. So kann man vielleicht auch beim zweiten oder dritten Durchlauf noch neue Sachen zu entdecken. Hier und da traut man sich auch mal, einen Akkord länger stehen zu lassen, um sich zu entfalten. Dafür kann der nächste Neckbreaker dann umso heftiger wirken. Es entsteht dann einfach eine größere Dynamik.
Grimo: Dazu kommt noch der Fakt, dass wir diesmal den Mix bei Mendel Audio in den Niederlanden in Auftrag gegeben haben. Dadurch klingen wir jetzt etwas breiter und moderner würde ich sagen. Ihr habt mit 'Condemnesia' und 'Hope Terminator' zwei schmucke Appetizer vorab veröffentlicht. Wie weit repräsentieren denn die beiden Singles die komplette Bandbreite des Albums?
Fonzo: Ich denke, die beiden geben einen ganz guten Einblick auf den Rest des Albums, da doch einige typische CYTOTOXIN-Elemente ihren Platz gefunden haben. Man findet dort alles von technischem Gefrickel über hängen bleibende Melodien bis zu stumpfen und oldschooligen Riffs. Dennoch lohnt es sich, den Rest des Albums zu entdecken, da wir noch einiges mehr zu erzählen haben.
DESTRUCTION hat den Metzger, SODOM Knarrenheinz, TANKARD den Alien und ihr habt…na, wie heißt denn der Kollege auf dem Cover und ist das derselbe, der schon auf "Nuklearth" verewigt wurde?
Fonzo: Das ist eher unbewusst passiert, aber ja, da steckt schon eine gewisse Symbolik dahinter. Auf "Nuklearth" hatte das Ganze eher einen Bezug auf den Menschen im Hier und Jetzt, welcher ich-bezogen vor sich hinlebt und die Katastrophe in seinem Rücken ignoriert. Auf dem aktuellen Album ist der Bezug ebenso metaphorisch, aber mit antiker Komponente eines abgewandelten "Tempel der Pandora" in dem anstatt der Hoffnung die Altlast des Reaktorunfalls verborgen ist und von einem Liquidator-Titan getragen wird. Dieser Anzug hat etwas Bedrohliches und soll eine Anlehnung an die "roof-cats" darstellen, welche mit massiver Kleidung ausgestattet auf das Reaktordach zu Räumungsarbeiten abkommandiert wurden. Die Gasmaske an sich hat für uns eine starke Symbolik und vereint Anonymität, Sterilität und eine statuenhafte, künstlerische Komponente.
Wart ihr persönlich denn einmal in Prypjat oder in der Nähe? Juli 2011 wurde das Gebiet bekanntlich für den Tourismus geöffnet. Könnt ihr mir sagen, welche Gefühle da in euch hochkamen?
Fonzo: Wir waren selbst noch nicht vor Ort, hatten es aber kurz vor der Pandemie mal grob geplant. Vielleicht kommt das Thema ja irgendwann mal wieder auf. Derzeit dürfte es aber aus bekannten Gründen schwierig sein. Zum Thema Tourismus: Ja, man sieht das durchaus mit einem kritischen Auge, wenn man sich selbst mit dem Ganzen jahrelang beschäftigt und auch einige gemeinnützige Organisationen, die sich um die restlichen Bewohner der Zone kümmern, unterstützt hat. Netflix-Serien und Computerspiele haben nun mal für eine gewisse Popularität dieser Gegend gesorgt, und nun müssen wir mit den Konsequenzen leben. Es hat sowohl Licht- als auch Schattenseiten.
Ich frage einmal so direkt und blicke in die Zukunft, aber gibt es denn noch Geschichten über Tschernobyl, die ihr noch nicht erzählt habt? Eine Spezialisierung auf ein bestimmtes Thema ist zwar spannend, aber limitiert auch thematisch etwas, oder?
Fonzo: Da hast du Recht, und das ist auch immer wieder mal Thema beim Schreiben des neuen Materials. Die beiden aktuellsten Alben haben auch eher eine Zukunftsvision rund um die Zone entwickelt. Es gibt zwar durchaus noch einiges zu dem Thema zu erzählen, aber wir weiten es auch immer wieder mal in bestimmten Songs auf das allgemeine Themengebiet der Strahlung aus und halten uns damit gewissermaßen eine Tür offen.
Ihr seid auch bald live unterwegs, und ich habe von explosiven Live-Shows gehört. Gemeinsam mit GUTALAX, NECROTTED, OSIAH und ACRANIUS beackert ihr die Bühnen dieser Republik. Aber sind fünf so musikalisch wuchtige Bands nicht doch etwas herausfordernd? Was ist euch lieber, kleineres oder größeres Line-Up? Und auf was können sich die Besucher der Shows gefasst machen?
Fonzo: Nun, man muss zumindest sagen, dass GUTALAX nicht auf allen Shows der Tour auftreten werden, sondern nur auf einigen ausgewählten. Die Bands hauen auch nicht unbedingt alle in dieselbe Kerbe, etwas Abwechslung sollte also gegeben sein. Ich sehe es aber persönlich auch so, dass eine niedrige Anzahl an Bands mit mehr Spielzeit besser ist, als sieben, acht Bands an einem Nachmittag zu haben. Außerdem muss bei solcher Musik die Drummerkartusche recht häufig gewechselt werden, weil der Verschleiß recht hoch ist, haha.
Grimo: Wir wollen versuchen, unsere Live-Shows auf eine neues Niveau zu heben und haben neben einer komplett neuen Songauswahl mit Liedern, die wir noch nie live gespielt haben, auch eine verbesserte Lichtshow im Gepäck. Man darf also gespannt sein.
Ihr seid beim amerikanischen Label Unique Leader Records unter Vertrag. Wie kam das denn nach "Radiophobia" eigentlich zustande und wie kommt euer Brutal Death Metal denn drüben in den Staaten an?
Fonzo: Der Deal mit Unique Leader ist nach den drei Alben "Radiophobia", "Gammageddon" und "Nuklearth" geendet. Als damals das Master zur "Radiophobia" fertig gestellt wurde, haben wir ganz klassisch Bewerbungen per Brief an alle namenhaften Labels rausgeschickt. Dass ausgerechnet Unique Leader anbeißen sollte, war natürlich als Newcomer ein ziemlicher Glücksgriff.
Jedoch hat es auch Nachteile, ein Label zu haben, das in den USA basiert ist, und so haben wir uns mit dem neuen Album zu einem digital exklusiven Deal mit Bloodblast entschieden und sind bisher zufrieden damit!
Jungs, danke für Rede und Antwort und euch nur das Beste für "Biographyte". Was möchtet ihr unseren Lesern und euren Anhängern noch mit auf den Weg geben?
Fonzo: Vielen Dank für die Fragen und Glückwünsche! Bitte unterstützt uns gern, wenn ihr wollt, über unsere sozialen Netzwerke und Website. Wir freuen uns, wenn ihr zahlreich auf unserer kommenden "Circlepitournium"-Tour erscheint und gemeinsam mit uns abschädelt!
Fotocredits: Mrs.CONTRAst
- Redakteur:
- Marcel Rapp