DARK TRANQUILLITY: Interview mit Mikael Stanne
11.01.2005 | 14:42Die Gelegenheit, mit Mikael Stanne ein Interview zu führen, war für mich als großen Verehrer von DARK TRANQUILLITY eine ganz besondere Ehre, weshalb ich vor Beginn unseres Gesprächs auch noch ein wenig nervös war. Doch Mikael gab sich während der halbstündigen Diskussion über das neue Album "Character" äußerst relaxt und doch sehr bestimmend und bestätigte die ruhige Ausstrahlung, die man trotz seiner energischen Ausbrüche auf der Bühne vom Frontmann von Göteborg's Finest erwarten konnte. Aber lest selbst, was der charismatische Sänger zur neuen Platte zu sagen hat.
Björn:
Hi Mikael, wie geht es dir?
Mikael:
Ganz gut, ich habe zwar noch einen kleinen Hangover, aber ansonsten ist alles in Ordnung.
Björn:
Dann lass uns doch direkt mal einsteigen und über euer neues Album reden. Was erwartet ihr von "Character"?
Mikael:
Hm, ich denke, dass wir das beste Album gemacht haben, was wir momentan hätten machen können. Wir sind so zufrieden wie noch nie zuvor, ich weiß aber nicht genau, was wir erwarten sollen. Nun, die Plattenfirma erwartet große Dinge von "Character", für mich ist es nur eine weitere Möglichkeit, aus mir herauszukommen und mich weiterzuentwickeln.
Björn:
Meiner Meinung nach ist eure neue Scheibe weitaus aggressiver als "Haven" und "Damage Done". Würdest du mir da zustimmen?
Mikael:
Oh ja, es ist aggressiver, und es steckt auch mehr Frustration in den Songs.
Björn:
War dies ein natürlicher Prozess?
Mikael:
Was heißt natürlich? Wir planen eigentlich nie im Voraus oder sagen, das nächste Album wird exakt so oder so klingen. Wir gehen einfach nur in den Proberaum, schreiben und komponieren und versuchen den dort herrschenden Spirit einzufangen. In dieser Hinsicht ist es schon natürlich, aber manchmal ist es auch eine Reaktion auf das vorangegangene Album oder auf das, was gerade in der Welt passiert. Es ist auf jeden Fall eine Menge Wut und Frustration enthalten und das ist es auch, was mich an dieser Musik so berührt bzw. was ich an ihr liebe.
Björn:
Würdest du denn auch zustimmen, wenn ich behaupte, dass "Character" in gewisser Weise auch ein Schritt zurück zu den Wurzeln ist?
Mikael:
Ich mag diese Bezeichnung 'zurück zu den Wurzeln' nicht besonders, weil es die Sache nicht genau erfasst. Man geht schon in gewisser Weise zur Basis zurück, man schreibt etwas, was sich für einen selber natürlich anfühlt. Auf unserem ersten Album wollten wir einfach nur Material haben, das zur gleichen Zeit schnell, aggressiv und melodisch ist; wir wollten die besten Elemente unserer Lieblingsbands zusammenfassen, und genau das passiert auch heute noch. Das ist ja auch der Grund, warum wir das alles überhaupt machen. Die Herangehensweise hat sich also nicht geändert. Beim "Projector"-Album wollten wir hingegen bewusst von diesem Göteborg-Death-Metal-Sound wegkommen, aber da es so etwas Außergewöhnliches war, hat es sich auch nicht wirklich natürlich angefühlt. Daher mag ich diese Bezeichnung 'back to the roots' auch nicht sonderlich, auch wenn das, was wir heute machen, in gewisser Weise in eine solche Richtung geht. Wir machen nur weiterhin das, was wir für unsere Musik für wichtig halten.
Björn:
Andererseits ist "Character" wieder sehr vielseitig ausgefallen. Ihr habt melodische, aggressive und auch progressive Stücke auf das Album gepackt. Wie wichtig ist es für eine Band wie DARK TRANQUILLITY diese Vielseitigkeit von Album zu Album beizubehalten?
Mikael:
Weißt du, wir spielen diese Musik jetzt schon so lange, und um sie am Leben zu erhalten brauchen wir einfach etwas, das uns weiter herausfordert. Es ist kein Problem im Studio innerhalb von zehn Minuten einen Song zu schreiben, aber das Ganze soll ja auch über einen längeren Zeitraum interessant bleiben. Wir spielen diese Songs teilweise fünfmal täglich, und das monate- und manchmal auch jahrelang, trotzdem spielen wir sie immer noch gerne. Das ist für mich persönlich auch das Wichtigste. Daher bauen wir auch viele verschiedene Elemente in unsere Kompositionen, damit sie auch nach langer Zeit immer noch frisch klingen. Die stetige Herausforderung ist also sehr wichtig.
Björn:
Eine Sache die sich bei euch nie ändert, ist der Aufnahmeort. Ihr habt wiederum im Studio Fredman aufgenommen.
Mikael:
Das ist auch sicher eine Sache der Bequemlichkeit. Das Studio ist nur ein paar Schritte von meinem Haus entfernt; es ist ein großartiges Studio mit tollem Equipment und einer hervorragenden Akustik. Wir nehmen die Sachen ja schon vorher im Proberaum auf, machen dort die Vorproduktion und die ganzen Arrangements entstehen auch dort. Bevor wir das Ganze also weitergeben, ist schon alles perfekt vorbereitet. Erst dann mieten wir uns im Studion ein und überlassen Fredrik Nordström den Mix. Die Aufnahmen an sich sind zwar todlangweilig, aber sobald wir es dann aus den Händen geben, fängt es an, interessant zu werden.
Björn:
Habt ihr in der Band denn nicht schon einmal darüber geredet, irgendwann doch einmal ein anderes Studio aufzusuchen?
Mikael:
Wir werden vielleicht schon beim nächsten Mal ein anderes Studio buchen. Aber der Sinn besteht nicht darin, es nur zu tun, um auf Teufel komm raus das Studio zu wechseln. Das Resultat wäre dann ja auch genau das selbe. Wir haben das auf jeden Fall in Erwägung gezogen, um einfach unseren Sound weiterzuentwickeln, und vielleicht wird es beim nächsten Album schon so weit sein.
Björn:
Ihr habt ja auch trotz der Treue zum Fredman Studio keinen Sound, den man als typisch DARK TRANQUILLITY bezeichnen könnte. Jedes neue Album klingt wieder sehr frisch.
Mikael:
Das ist es, was ich sagte. Würden wir uns nicht stetig entwickeln wäre es langweilig und uninspiriert. Wir wollen nicht stagnieren, sondern immer wieder etwas entwickeln, das so richtig killt.
Björn:
Ist diese Weiterentwicklung von Album zu Album zugleich die treibende Kraft, welche DARK TRANQUILLITY am Leben erhält?
Mikael:
Ich denke schon. Ich meine, klar, alles was zählt ist, die bestmöglichen Songs zu schreiben, aber wir müssen ebenfalls hinter der Musik stehen. Deshalb wollen wir auch immer etwas Neues erschaffen. Manche Leute sagen dann, dass ihnen das nicht gefällt, während andere Leute es lieben, aber darum kümmern wir uns eigentlich nicht. Wir wollen Songs schreiben, die uns gefallen. Das ist das offene Geheimnis, dass man einfach in den Proberaum geht, sagt 'komm, lass uns einen Song schreiben' und sich dabei nicht einschränkt. Das ist der Grund, warum wir als Band funktionieren und warum wir die Musik so lieben.
Björn:
Was würden denn passieren, wenn Kritiker und Fans behaupten würden, ihr würdet euch nur noch selber kopieren? Wäre das ein Anlass, um die Band zu den Akten zu legen?
Mikael:
Wenn das jemand anders sagt, dann sicherlich nicht, das würde uns gar nicht so sehr kümmern. Sollten wir aber selber fühlen, dass uns die Ideen ausgehen und wir uns infolge dessen nur noch wiederholen, dann gäbe es keinen Grund mehr, die Band zu betreiben. Ich hasse Bands, die mit jedem Album immer wieder das selbe machen, das ist meiner Meinung nach das Schlechteste, was einer Band passieren kann. Ich möchte nicht in einer Coverband spielen, die ihre eigenen Songs nachspielt.
Björn:
Man kann getrost behaupten, dass jedes eurer Alben einen eigenen Character hat. Welche Charaktereigenschaften hat denn eure neue Scheibe?
Mikael:
Es geht darum, sich von nicht beeinflussen zu lassen, seine eigene Meinung zu haben und hinter seinen Überzeugungen zu stehen, also einfach nur das zu tun, was man für richtig hält. Das heißt nicht, dass man besessen sein muss, sondern einfach nur realistisch denkt, fokussiert zu entscheiden, was wichtig für einen ist, sich nur dem widmen und sich nicht um andere Sachen kümmern. Das spiegelt sich auf "Character" sowohl in den Texten als auch in der Musik wider und verkörpert auch in gewisser Weise die Grundaussage dieser Band. Einfach nur die Dinge zu tun, die man liebt und die Leute das tun lassen, was man für richtig hält und nicht anders herum.
Björn:
Habt ihr euch auch deswegen für diesen Titel entschieden?
Mikael:
Ja, ganz genau!
Björn:
Du bist ja alleine für die Texte von DARK TRANQUILLITY verantwortlich. Wie wäre es, wenn jemand anders für dich die Texte schreiben würde, könntest du dem dann ebenso viel Ausdruck verleihen?
Mikael:
Ich weiß nicht so recht. Bei den ersten Alben hat Niklas ja auch noch ungefähr die Hälfte der Texte geschrieben, und es hat auch Sinn gemacht, da ich ihn besser kenne als jeder andere. Was immer er also schreibt, ich weiß, wie ich es zu interpretieren habe. Das wäre also kein Problem. Würde jedoch eine andere Person die Texte schreiben, dann wäre das sicherlich anders. Seit den letzten paar Alben schreibe ich die Texte jedoch alleine, ich muss sie ja auch einige Jahre lang auf der Bühne aus mir herauslassen. Es muss also auch um Dinge gehen, die mich betreffen bzw. mich bewegen, gerade deswegen macht es auch Sinn, dass ich das mittlerweile alles alleine übernehme. Ich würde mich sicherlich nicht so wohl fühlen, wenn ich die Texte einer außenstehenden Person interpretieren müsste.
Björn:
Bevor ihr die Scheibe herausbringen werdet habt ihr ja schon eien EP namens "Lost In Apathy" herausgebracht. Welche Idee steckt hinter diesem Release?
Mikael:
Das Album war bereits im März fertiggestellt, und wir wollten testen, wie es so ankommt, also haben wir eine SIngle und ein Video auf den Markt gebracht. Es hat auch tatsächlich funktioniert, und das finde ich großartig. Das Video ist auch schon überall gezeigt worden. Es ist auch eine Art Vorausschau, damit die Leute wissen, dass das Album bald kommen wird und sie auch schon wissen, was sie erwarten können.
Björn:
Worum geht es denn in diesem Videoclip?
Mikael:
Wir haben das mit unseren Freund Roger Johansson gemacht, und er hat es wirklich sehr gut hinbekommen. Vorher hatte er auch schon einige Videos gedreht, er wusste also genau, was zu tun war. Im Video soll einfach nur die Atmosphäre des gesamten Albums reflektiert werden, die visuelle Darstellung des Albumcovers. Niklas hat zwei oder drei verschiedene Zeichnungen abgeliefert und schlussendlich ist es so ausgefallen, dass wir in einer Art virtuellen Stadt auftreten und dort den Song spielen. Es ist wirklich fantastisch geworden und ich bin sehr stolz auf das Resultat des Videodrehs.
Björn:
Was denkst du denn überhaupt über Videoclips in der Metal-Szene? Sie erleben ja gerade ein großes Revival seit die Musiksender sie wieder senden.
Mikael:
Das ist cool, ich mag gut gemachte Videos, besonders wenn sie aus der Metal-Szene stammen. Sie können als Kontrast zu diesen eintönigen Videos aus dem Popbereich betrachtet werden und die Aussage des jeweiligen Songs definitiv unterstützen. Sie entwickeln zudem ein Eigenleben, sofern sie gut gemacht sind, und das finde ich sehr cool.
Björn:
Ich habe gehört, dass du gar nicht gerne über die Göteborg-Szene redest, trotzdem würde ich dir gerne eine Frage dazu stellen. Es geht um Bands wie THE HAUNTED und IN FLAMES, die in letzter Zeit sehr große Erfolge feiern konnten, teilweise sogar in den Vereinigten Staten. Währenddessen sind DARK TRANQUILLITY bis heute hin immer noch ein Insider-Tipp geblieben, obwohl ihr ein großartiges Album nach dem nächsten herausbringt. Ärgert euch das nicht manchmal?
Mikael:
Nicht wirklich. Es ist uns noch nie darum gegangen, vor größerem Publikum zu spielen oder in kommerzieller Sicht größere Erfolge zu feiern. Wir haben zum Beispiel in Amerika erst vor ein oder zwei Jahren angefangen, Tourneen zu spielen, und beim zweiten Mal waren die Plattenverkäufe dort schon fünfmal so hoch wie zuvor. Es geht einfach darm, sich für niemanden zu verstellen, und ich habe auch nie darüber nachgedacht, wie viele Alben wir verkaufen. Das würde meine Arbeit in der Band aber auch nicht beeinflussen. Für uns ist es besser, über solche Sachen gar nicht Bescheid zu wissen, denn so können wir uns besser auf die Musik konzentrieren. Als Folge dessen wird sich die Musik auch zwangsweise verändern, und irgendwann kommt dabei nur noch Mist heraus - und das soll uns nicht passieren!
Björn:
Wie denkst du denn basierend auf diesem Standpunkt über die Entwicklung deiner alten Band IN FLAMES?
Mikael:
Klar, sie haben sich sehr verändert, aber was auch immer sie angepackt haben, war fantastisch. Sie sind immer ihrem Instinkt und ihrer Überzeugung gefolgt, und genau das haben sie getan. Sie sind sich selbst immer treu geblieben. Natürlich gibt es einige Leute, die sich immer noch ein zweites "The Jester Race" wünschen, aber dieser Wunsch wird sicher nicht mehr erfüllt werden.
Björn:
Die Metalcore-Szene ist in diesem Jahr urplötzlich verdammt groß geworden. Viele der dort ansässigen Bands berufen sich auf die alte Göteborg-Schule und Bands wie IN FLAMES und DARK TRANQUILLITY. Erfüllt dich das nicht mit Stolz?
Mikael:
Ich kenne gar nicht so viele Bands aus dieser Szene, aber es ist natürlich immer ein großes Kompliment. Es ist schon toll, dass dich andere Bands als wichtigen Einfluss betrachten, aber ich persönlich weiß gar nicht so recht, wie ich damit umgehen soll. Ich weiß ja selber noch, wie wichtig mir meine Einflüsse beim Start der Band gewesen sind, und deswegen begreife ich das irgendwie noch nicht so ganz und kann gar nicht so richtig damit umgehen. Es ist wirklich großartig, aber es beeinflusst uns nicht sonderlich.
Björn:
Wie ist denn deine Meinung über diese Metalcore-Szene?
Mikael:
Es gibt einige wirklich starke Bands, und obwohl das noch alles sehr neu für mich ist, finde ich es wirklich sehr cool.
Björn:
Was hörst du dir denn privat so an?
Mikael:
Alles was gut ist, ich höre mir eine Menge Metal und Death Metal an. JORN LANDE, MASTERPLAN, MASTODON, DEATH, TORI AMOS. Ich möchte mich da nicht limitieren, was immer mir gefällt, höre ich mir an.
Björn:
Und was ist momentan deine Lieblingsplatte.
Mikael:
Hm, ich denke "Out To Every Nation" von JORN LANDE.
Björn:
Okay! Im Februar seid ihr zusammen mit KREATOR, HATESPHERE und EKTOMORF auf Tour. Was erwartest du von diesem Package?
Mikael:
Oh, ich hoffe, dass wir eine gute Zeit haben werden. Weißt du, KREATOR ist eine meiner Lieblingsbands, und es ist wirklich stark, dass wir mit ihnen touren können. Außerdem bin ich sehr gespannt darauf, wie das neue Material live funktioniert, da es jetzt ja schon eine ganze Weile fertig ist und darauf wartet, live gespielt zu werden. Ich freue mich wahnsinnig auf diese Tour. Wir wollen auch einige Songs spielen, die wir seit sieben oder acht Jahren nicht mehr gespielt haben und ich bin schon sehr neugierig auf diese Tour.
Björn:
Es ist aber wiederum nur eine Support-Tour. Warum seid ihr nicht mal als Headliner unterwegs, das dürfte doch mittlerweile kein Problem mehr für euch sein, oder?
Mikael:
Es ist doch toll, so starke Packages zu haben. Für mich hat das nur positive Aspekte: man bekommt eine Menge Leute in die Venues, die Zuschauer bekommen ein vielseitiges Programm, viele verschiedene Zuschauergruppen werden erreicht und man kann dadurch auch neue Fans hinzugewinnen. Es ist cool, mehrere Leute gleichzeitig zu erreichen. Wir werden aber später auch noch eine Headliner-Tour durch Europa starten, wahrscheinlich irgendwann nach dem Sommer.
Björn:
Ihr habt vor kurzem eine Show in London mit NIGHTRAGE und THE HAUNTED gespielt. Wie ist das so gelaufen?
Mikael:
Es war fantastisch. Weißt du, unsere ganzen Freunde aus den anderen Bands waren da, wir hatten eine gute Zeit und eine Menge Spaß, daher auch mein Hangover... Es war auch das erste Mal, dass wir mehrere neue Songs gespielt haben, und da der Club mit 2000 Leuten sehr gut gefüllt war, haben wir auch viele Leute damit erreicht. Wirklich, das war eine exzellente Erfahrung!
Björn:
Was können wir denn von DARK TRANQUILLITY in Zukunft erwarten?
Mikael:
Touren! Wir werden das ganze Jahr auf Tour sein, es ist schon fast das ganze Jahr damit verplant. Die Platte wird Ende Januar erscheinen und danach werden wir bis November auf Tournee sein. Danach werden wir wieder mit dem Songwriting beginnen und ein weiteres Album einspielen, so funktioniert das bei DARK TRANQUILLITY.
Björn:
Hast du euren Fans zum Schluss noch etwas zu sagen?
Mikael:
Ich hoffe, euch alle persönlich zu treffen, wenn wir jetzt auf Tour kommen und natürlich, dass euch unser neues Album gefällt. Das würde mich echt freuen. Wir sehen uns!
- Redakteur:
- Björn Backes