DEAD SOUL TRIBE: Interview mit Devon Graves
20.02.2006 | 16:45Ich denke, DEADSOUL TRIBE muss ich wirklich nicht mehr vorstellen. Ewig Gestrige werden sagen, es ist die Band um ex-PSYCHOTIC WALTZ-Frontmann Buddy Lackey, der heuer eher auf den Namen Devon Graves reagieren wird. DEADSOUL TRIBE haben vor wenigen Monaten bereits ihr viertes Album veröffentlicht und erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Zu recht, wie ich meine, denn alle vier Werke klingen eigenständig und innovativ. Grund genug, den Telefonhörer zu schwingen und eine sehr ergiebige Konversation mit Devon Graves zu führen. Der gute Mann war sehr entspannt und obendrein sehr gesprächig. Selbst das früher so ungern behandelte Thema über seine alte Truppe wurde ausführlich diskutiert. Aber lest selbst.
Holger:
Hi Devon! Ich hoffe, bei dir ist alles okay?
Devon:
Hi! Klar, hier ist alles entspannt!
Holger:
Dann lass uns doch gleich mal loslegen. Eine Sache, die mir bei deinen Alben jedes Mal auffällt, ist der erstklassige, transparente Sound, den du immer im Alleingang hinlegst. Wie gelingt dir das nur immer wieder?
Devon:
Oh, vielen Dank. Das macht mich wirklich stolz, denn ich habe das nie wirklich gelernt. Ich habe einige ziemlich dicke Wälzer über das Thema gelesen, aber du wirst erstaunt sein, wie wenig man darin wirklich erfährt. Da bevorzuge ich eher Magazine, wie das "Mix-Magazin", die die ganze Sache weitaus anschaulicher und detaillierter beschreiben. Dort erfährt man aus Interviews mit anderen Produzenten, welche Mikrophone man am besten zum Abnehmen von Drums verwendet und so weiter. Ich lerne immer mehr. Jedes Album bringt mich vorwärts. Die allererste Probe meines Produzierens war das erste DEADSOUL TRIBE-Album.
Holger:
Das ist cool. Ich dachte, es wäre vielleicht auch eine finanzielle Frage, ob man denn nun im eigenen Studio aufnimmt.
Devon:
Klar, das spielt natürlich auch eine Rolle, aber es ist nur ein Teil davon. Es gibt da einen weitaus wichtigeren Aspekt für mich. Zu der Zeit, als ich noch in dieser anderen Band gesungen habe, haben wir immer wieder Demos aufgenommen. Damals hatten wir nur sehr billiges Equipment, so dass die Aufnahmequalität sehr schlecht war. Wir sind dann in ein teures Studio gegangen und hatten natürlich nur einen limitierten Zeitrahmen die Songs vernünftig einzuspielen. Und dabei bekommt man eine veränderte Sichtweise. Man möchte irgendwann einfach nur noch fertig werden und beurteilt daher seine eigenen Qualitäten nicht mehr objektiv genug. Da gibt man dann höllisch viel Kohle für das Studio aus - meist die kompletten Einnahmen des Albums - und merkt erst viel später, wenn man nämlich mal wieder die alten Demos hervor holt, dass genau diese Versionen der Songs musikalisch viel besser sind. Und das wollte ich bei DEADSOULT TRIBE anders machen. Es ist einfach so, dass die erste Version eines neuen Songs immer am emotionalsten und intensivsten klingt, weil man selbst noch so begeistert von der Nummer ist. Bei späteren Aufnahmen versucht man nur sein damaliges Gefühl zu duplizieren und das klingt häufig auch genau so. So habe ich alles Geld aus PSYCHOTIC WALTZ in mein Studio gesteckt, so dass mein Traum irgendwann Wirklichkeit werden konnte.
Holger:
Du hast ja mit Arjen Lucassen an seiner letzten AYREON gearbeitet. Konnte er dir ein paar Tipps zu dem Thema geben?
Devon:
Das war witzig. Ich brachte mein eigenes Mikrophon mit zu den Aufnahmen und stöpselte es in sein Pre-Amp ein, welches sich von meinem nur geringfügig unterscheidet. Aber auf einmal hatte ich im Kopfhörer genau den Sound, den ich immer schon haben wollte. Er erklärte mir dann, dass das ein Software-Effekt sei, den er benutzen würde. Da wird halt der Sound eines alten Equalizers simuliert, der so herrlich warm klingt und vor allem in den Höhen sehr viel mehr Details liefert als ich es vorher kannte. Ich musste mir also nur diese Software kaufen und schon konnte ich es auch nutzen.
Holger:
Du hast es eben schon selbst gesagt. Ist es manchmal schwer in einer Livesituation die Gefühle, die du beim Schreiben eines Songs hattest, wieder zum Leben zu erwecken?
Devon:
In einer Livesituation ist das weitaus einfacher als im Studio. Man sitzt allein in einem Raum mit Kopfhörern auf. Da ist es teilweise schwer überhaupt irgendein Gefühl zu empfinden, während man bei einem Konzert schon die halbe Miete durch die Zuschauer hat. Die Blicke, die Anspannung, der Applaus, das alles erzeugt Emotionen, die man dann auch leichter umsetzen kann.
Holger:
Es wäre aber sicherlich schwer, wenn das Publikum dich ignorieren würde?
Devon:
Es wird schwerer, wenn ich merke, dass man sich über mich lustig macht. Solange ich aber das Gefühl habe, dass ich eine sehr gute Leistung abliefere und solange alles gut klingt und der Sound gut ist, solange bin ich zufrieden, auch wenn die Zuschauer es nicht mögen. Wenn ich aber mit meiner eigenen Leistung nicht zufrieden bin, dafür aber die Zuschauer ausrasten, ist das auch ganz toll (lacht) … Nein, dann bin ich unglücklich.
Holger:
Kann ich verstehen. Ich erinnere mich immer wieder gerne an den legendären Auftritt von PSYCHOTIC WALTZ in der Hamburger Markthalle, bei welchem ihr erst gegen 1:00 Uhr morgens angefangen habt, weil ihr nicht rechtzeitig aus Spanien zurückgekommen ward. Es waren etwa 100 Leute vor Ort, der Veranstalter wollte das Ganze schon längst abblasen, aber ihr habt zuerst noch die Vorband spielen lassen und seid dann auf die Bühne gegangen und habt um euer Leben gespielt. Jede andere Band hätte wahrscheinlich abgesagt. Ist das deine Motivation, wenn du siehst, da ist noch jemand da, der mich gern sehen möchte?
Devon:
Klar! Es gibt für mich nur wenige Gründe, einen Auftritt abzusagen. Vielleicht, wenn ich krank bin. Wir haben einmal einen Gig in München ausfallen lassen, weil da die P.A. nicht funktionierte und es auch niemanden gab, der die Situation retten konnte. Das zeichnete sich seit dem ersten Soundcheck ab und wurde auch nicht besser. Also habe ich mich in den Vorraum gesetzt, meine Akustik-Klampfe gegriffen und ein paar Songs für die Fans gespielt. Leider musste ich aber schnell abbrechen, weil der Hallenbesitzer drohte, die Polizei zu holen, wenn ich nicht aufhören würde zu spielen. Zum Glück bin ich da mit heiler Haut heraus gekommen.
Holger:
Kommen wir mal zurück zu DEADSOUL TRIBE. Das Cover zum neuen Album ist wieder von Travis Smith, wenn ich richtig informiert bin, oder?
Devon:
Ja, das ist richtig.
Holger:
Ich liebe seine Arbeiten…
Devon:
Was glaubst du, warum ich immer wieder mit ihm zusammen arbeite? Wobei ich sagen muss, dass ich es ihm dieses Mal besonders schwer gemacht habe. Im Normalfall gebe ich ihm den Titel und vielleicht einen Farbwunsch oder die Idee hinter dem Titel mit auf den Weg. Bei "The Dead Word" bekam er außer dem Titel nichts von mir. Ich wusste selbst nicht so recht, wie ich es gern gestaltet haben wollte. Bei den ersten drei Alben passten die Farben irgendwie zusammen, aber dieses Mal wollte ich es nicht selbst bestimmen. Travis wählte Schwarz. Wir waren selbst so überrascht über sein schlichtes Design, aber auf einmal ergab alles zusammen irgendeinen Sinn für uns. Ich denke, Travis weiß bis heute nicht, welche tiefere Bedeutung für mich hinter dem Titel steckt, aber es ist ihm trotzdem gelungen, die richtige Atmosphäre einzufangen. Und ich denke, er weiß noch nicht einmal die tiefere Bedeutung seines Artworks. (lacht)
Holger:
Sehr gut. Du redest hier immer von der tieferen Bedeutung des Titels. Als ich das erste Mal "The Dead Word" gelesen habe, dachte ich an den Tod des Poeten in dir.
Devon:
Puh! (seufzt) Es ist natürlich okay, wenn du das so interpretierst. (Pause) Es ist immer schwierig für mich zu beantworten, worum es in einzelnen Textzeilen geht. Ich sitze endlos lang an meinen Lyrics und manchmal dauert es Ewigkeiten bis ich mit einzelnen Passagen oder gar Worten zufrieden bin. Es liegt danach aber am Hörer allein, heraus zu finden, worum es in den Songs geht. Und dabei ist es sehr wichtig, dass jeder seine eigene Interpretation findet. Die Worte werden dir den Weg zeigen und wenn du sie am Anfang nicht verstehst, setz dich noch mal hin und höre genau zu. Du musst natürlich gewillt sein, dich damit zu beschäftigen, sonst wird das nichts. Ich kann dir jetzt nicht sagen, ob deine Definition die richtige ist, denn eine richtige Definition kann es nicht geben. Es ist deine Definition und somit kann ich dir keine bessere geben. Ob es das ist, was ich beim Verfassen gedacht habe, ist eine andere Frage. Ich gehe niemals an ein Album heran, um ein Konzept zu schreiben. Auf einmal habe ich den Albumtitel im Kopf und dann beginne ich Texte zu schreiben, die nach und nach ein Gesamtbild ergeben. Dazu hole ich mir Inspirationen aus Gesprächen, zum Beispiel mit meiner Frau. Dann kommt Travis mit einem Coverentwurf an und nach und nach nimmt alles Form an.
Holger:
Wenn ich das richtig sehe, verwendest du im Intro wieder Samples aus einem Film?
Devon:
Die Zitate stammen aus einem billigen Film namens "Rainbow Bridge", in dem es natürlich ein JIMI HENDRIX-Konzert gibt (lacht) .Es geht um blinden Idealismus und die Kommentare auf dem Album ergeben zusammen überhaupt keinen Sinn. Der eine redet von UFOs, die bald die Welt erobern werden, der nächste spricht vom Kosmos und ein weiterer philosophiert über die Wahrheitsfindung in der Meditation. Alles zusammen kann vielleicht die Antwort auf eine Wahrheit sein, aber hier denkt jeder, allein seine Definition wäre der einzig richtige Schlüssel. Es soll vermitteln, dass dies alles keine Antworten sind und ich bin der festen Überzeugung, dass heute, 30 Jahre später, keiner der Redner dort noch an seine Worte von damals glaubt.
Holger:
Da wir gerade schon über die visuelle Seite reden, wie sieht es denn mit einem Video-Clip im Hause DEAD SOUL TRIBE aus, wo doch alle deine Texte so herrlich metaphorisch sind?
Devon:
Wir haben eines gedreht! Und zwar zu dem Song 'On The Wings Of An Angel'. Es ist nicht dieses typische Video, in dem man die Band spielen sieht. Es ist mehr künstlerisch. Das Team, welches daran gearbeitet hat, hat sich sehr viele Gedanken über die Umsetzung gemacht und ist sehr detailliert vorgegangen. So tauchen diverse Aspekte aus dem Coverartwork im Video auf, wir selbst sind auch irgendwie eingebunden und die Atmosphäre passt herrlich zur Musik. Ich selbst habe das Ergebnis leider noch nicht gesehen, aber die Jungs vom Label waren alle total begeistert. Es ist übrigens lustig, dass du mich gerade danach fragst, denn ich bin ein totaler Film-Freak. Mehr noch als ich Musik-Freak bin. Früher mag das anders gewesen sein, aber wenn man die ganze Zeit selbst Musik schreibt, sind Filme die richtige Entspannung. Und ich denke auch darüber nach, mein Studio nach und nach mit besserer Video-Ausrüstung auszustatten, so dass auf zukünftigen DST-Alben ein größerer visueller Aspekt zum Tragen kommen kann. Ich denke daran, vielleicht eine DVD als Extra-Bonus mitzugeben, auf der man die Entstehung des Albums nachvollziehen kann. Das muss gar nichts Spektakuläres sein. Man kann dem Fan so vieles mehr mit auf den Weg geben, wenn man sich nur die Zeit dafür nimmt. Ich weiß, dass das sehr ambitioniert klingt und ich habe auch keine Ahnung, ob ich überhaupt das Talent dazu habe, aber ich arbeite daran.
Holger:
Das klingt interessant für mich, da ich beruflich mit DVDs zu tun habe. Ich finde, viele Musik-DVDs einfach langweilig, weil man lediglich ein Konzert geboten bekommt.
Devon:
Was ich gerne machen würde, wäre folgendes: Unser nächstes oder spätestens unser übernächstes Album wird ein Livealbum sein. Ich habe einen Freund, mit dem ich zusammen diese Filmidee umsetzen möchte. Der wird uns mit seiner Kamera auf Tour begleiten und alles aufzeichnen, so dass es am Ende zum Beispiel zur Audio-CD eine DVD mit alternativen Versionen der Songs geben kann. So ähnlich wie "The Song Remains The Same" (er redet hier natürlich vom großartigen LED ZEPPELIN-Livedokument - der Verf.) Kennst du TENACIOUS D.? Ich liebe ihren Humor! Ich würde gerne etwas in dieser Richtung machen, möchte die Leute gern zum Lachen bringen mit kleinen Filmchen, die zwischendurch zu sehen sein werden oder so. Ich habe zig Ideen dafür und alle, denen ich davon erzählt habe, haben sich totgelacht. Angeblich kann ich ganz schön komisch sein (lacht). Vielleicht hat es den netten Nebeneffekt, dass auch Leute, die bisher nichts mit unserer Musik anfangen konnten, sich für DST interessieren. Ich denke, jeder mag es, zum Lachen gebracht zu werden.
Holger:
Klar! Die Idee klingt auf jeden Fall spannend. Ich finde es auch immer schade, dass eine Band wie DEADSOUL TRIBE in einer Schublade namens "Heavy Metal"“ abgelegt wird. Ich arbeite in einem recht großen Plattenladen und immer wenn wir mal eine eurer Platten auflegen, verkaufen wir auch welche und zwar an Personen, die wahrscheinlich niemals in die Metal-Abteilung gegangen wären.
Devon:
Ja, so ganz glücklich bin ich auch nicht damit, aber was soll ich machen? Ich habe ja auch lange in einem Plattenladen gearbeitet - eigentlich während meiner kompletten Zeit in PSYCHOTIC WALTZ - und war dort häufig längere Zeit alleine im Laden. Was ich da gemacht habe, mag man sich kaum vorstellen: Ich nahm unsere riesige, alte Kamera und habe mich selbst gefilmt. Ich habe den unterschiedlichsten Unsinn angestellt, Grimassen geschnitten während ich mit Kunden telefoniert habe und anderes. Irgendwann hatte ich diese Videos vergessen - bis ein paar Jahre später ein Kollege zu mir kam und mir erzählte, dass er ich genau dieses Band mit nach Hause genommen hatte, weil er dachte, dort wäre LED ZEPPELIN drauf. Er sagte mir, wie verflucht komisch er mich gefunden hätte und das er seinen Kumpels angerufen hätte, sie müssten sich das auch anschauen. Und auch sie hätten sich köstlich amüsiert. Zwei weitere Jahre später erzählte mir unser damaliger Manager Rich exakt das Gleiche. Er hätte sich gebogen vor Lachen als er dieses Tape zu Gesicht bekommen hätte. Das bestärkt mich natürlich darin, etwas Komisches zu drehen.
Holger:
Herrlich! Ich bin mehr als gespannt, etwas davon zu sehen. Aber zurück zur Musik. Beim Anhören des Songs 'Someday' kam für mich die Frage auf, ob es interessant für dich wäre, mal mit einem richtigen Orchester zusammen zu spielen?
Devon:
Hm, das würde mich etwas einschüchtern. Momentan bin ich in der Lage den Klang einer einzelnen Violine so lange am Computer zu manipulieren bis es so klingt, wie ich es mir vorstelle. Das dauert seine Zeit, aber die investiere ich gerne. Vor allem, wenn das Ergebnis so überzeugend klingt, wie auf "The Dead Word". Bei einem Orchester würde ich Musikern zusammen arbeiten, die auf einem komplett anderen Level arbeiten als ich es tue. Ich schreibe Musik mit dem Herzen und weiß häufig erst hinterher, welche Noten oder welchen Akkord ich da gerade gespielt habe. Würde ich mit einem Orchester arbeiten, müsste ich vorher alles niederschreiben und ich wäre so etwas wie ein Dirigent und das würde mir sehr schwer fallen. Ich glaube, da wäre ein nahe liegender Schritt, mir selbst ein Cello zu kaufen und es selbst einzuspielen. Ich habe mir da aber noch keine wirklichen Gedanken zu gemacht, da es viel zu teuer wäre und die ganzen Leute auch gar nicht alle in mein Studio passen würden.
Holger:
Verstehe. (Gelächter) Mal etwas ganz anderes: Gibt es Songs, die du nicht gerne live spielst, weil sie dich zurückversetzen in eine Zeit, in der du dich vielleicht nicht gut gefühlt hast oder Songs, deren Inhalt dir heute einfach unbehaglich ist?
Devon:
Uff, eine interessante Frage. (denkt nach) Ja es gibt tatsächlich einen Song, den ich ungern live spiele, obwohl ich ihn sehr gerne mag. Und zwar 'Why' vom letzten Album "The January Tree". Ich finde es einfach nicht schön jeden Abend diesen Text zu singen, obwohl es gut war ihn zu schreiben. Aber immer wieder über Exekutionen und die totale Überwachung zu singen, würde mich krank machen.
Holger:
Kann ich nachvollziehen. Glaubst du, dass man, wenn man jemanden wirklich liebt, einen Teil von sich selbst aufgibt?
Devon:
Die Gefahr mag bestehen. Es kann auch eine Illusion sein, sich in jemandem zu verlieren. So wie John Lennon und Yoko Ono. Er war verloren. Er verschwand von der Bildfläche, nachdem sie in seinem Leben aufgetaucht war. Ich will jetzt nicht sagen, ob das falsch oder richtig war, denn ich weiß es nicht. Soweit es mich betrifft: Ich liebe meine Frau und sie hat mein Denken natürlich verändert, aber ich bin immer noch ich. Ich schreibe meine Musik, mache Platten, gehe auf Tour… aber wir ergänzen uns halt ausgezeichnet.
Holger:
So sollte es wohl auch sein. Schwenken wir mal ganz wo anders hin: Stört es dich, über deine alte Band PSYCHOTIC WALTZ zu reden?
Devon:
Nein, absolut nicht!
Holger:
Ich frage nur, weil es eine Zeit gab, in der vor allem du und Dan (Rock, der Gitarrist - der Verf.) kaum miteinander geredet habt.
Devon:
Ja, diese Phase gab es, aber das liegt zurück. Alle Mitglieder in der Band hatten zwischenzeitlich ihre Probleme mit Dan, was aber nicht heißen soll, dass Dan der böse Bube war. Es war mehr das Aufeinandertreffen verschiedener Egos. Die Balance stimmte einfach nicht mehr. Anfänglich haben wir uns alle herrlich ergänzen können, da wir alle aus unterschiedlichen musikalischen Richtungen kamen. Während Norm (Leggio, dr. - der Verf.) auf KING DIAMOND stand, kam Dan mit PINK FLOYD und QUEENSRYCHE und ich sang darüber JETHRO TULL-Melodien (lacht). Das zusammen machte den Sound von PSYCHOTIC WALTZ aus. Aber mit der Zeit wollte jeder sein persönliches Ding stärker durchsetzen. Ich erinnere mich noch genau, dass ich total durchgedreht bin, als ich das erste Mal 'And The Devil Cried' hörte. Ich musste dazu einfach einen Text schreiben. Es war ein Verlangen. Später mochte ich solche Songs dann nicht mehr live spielen, da sie nicht genug Groove hatten für mich. Klar, es machte Spaß sie zu schreiben, weil sie irgendwie intellektuell waren, aber das war es auch. Also änderten wir auf "Into The Everflow" etwas die Richtung, was mir sehr gut gefiel.
Nun kamen aber auch Leute von außerhalb der Band ins Spiel und meinten uns reinreden zu müssen. Wir müssten dies und jenes ändern, um ein größeres Publikum zu erreichen. Man kann das sehr gut an "Mosquito"“ nachvollziehen. Wir hatten diesen 'sehr wichtigen' neuen Manager - der uns später verlor, weil er nicht die nötige Zeit hatte, uns gebührend zu unterstützen - und mit einem Mal arbeiteten wir mit einem namhaften Produzenten wie Scott Burns. Nun bekam ich auch von ihm zu hören, dass meine Melodielinien nicht eingängig genug wären. Ich konnte es nicht glauben. Wir machten also Kompromisse, es erschien das Album, das vermeintlich mehr Leute ansprechen sollte. Und was passierte? Nichts! Unsere alten Fans mochten die alten Sachen lieber und viele neue kamen auch nicht hinzu. Also wurde die Sache bei "Bleeding" für mich eigentlich noch schlimmer, da nun auch die Band gegen mich war. Immer wieder bekam ich zu hören, dass ich eingängigere Sachen schreiben solle. Für mich aber waren genau diese Ideen, die ich hatte super-mega-eingängig. Die anderen kamen auch mit Ideen an, von denen ich einige mit etwas Distanz sogar wirklich gut finde, aber vieles gefiel mir halt nicht so gut. Die Band war da auch schon in sich zerfahren. Ward (Evans, der ursprüngliche Basser - der Verf.) war nicht mehr dabei und Dan und Brian (McAlpin, der andere Klampfer - der Verf.) waren nur als Team unschlagbar. Getrennt waren sie zwar kreativ, aber bei weitem nicht so herausragend. Das kann man spätestens auf "Mosquito" schon gut hören. Da gibt es kaum doppelläufige Gitarrenpassagen. Einer spielt Rhythmus, der andere Solo. Das war komplett anders auf den ersten beiden Alben.
Brian war nun auch ausgestiegen, was für mich wie eine Erleichterung kam. So war ich nicht mehr der böse Bube, der die Band zerbrochen hatte. Wir fanden einen guten Bekannten namens Steve Cox, der für die anstehenden beiden Tourneen als Gitarrist mit an Bord ein sollte. Ich stimmte zu, hatte aber schon die Idee im Hinterkopf noch etwas Geld für meine eigene Band zu verdienen und danach auszusteigen. Die beiden Tourneen liefen gut und dann begannen die anderen an neuen Songs zu arbeiten. Auch wenn Steve ein guter Musiker ist, muss ich sagen, dass die neuen Songs für mich nicht nach PSYCHOTIC WALTZ klangen. Das waren nicht mehr die fünf Individuen, die alle ihr Ding durchziehen wollten und deshalb so schräg klangen. Zu der Zeit hatte ich bereits 'Into The Sprial Cathedral', 'The Haunted' und 'Black Smoke And Mirrors' fertig aufgenommen. Und so kam ich zu der Überzeugung, dass es nun an der Zeit wäre, endgültig die Band zu verlassen. Wäre das neue Material großartig gewesen, hätte ich sicherlich noch gewartet, aber so konnte ich nicht länger bleiben.
Holger:
Ihr habt auf der letzten PSYCHOTIC WALTZ-Tour ja auch schon ein paar von den neuen Songs gespielt. Ich erinnere mich an 'From Beyond'.
Devon:
Genau. Das war einer von ihnen. Und dann gab es noch einen, der gar nicht richtig fertig geschrieben war. Ich erinnere mich jetzt nicht an den Titel. Für mich klang der total nach 'Northern Lights' und da haben wir es wieder: es stagnierte einfach alles. Und ich kam endgültig zu dem Punkt, an dem ich etwas Besseres mit meinem Leben anstellen wollte. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber wann immer man eine wichtige Entscheidung im Leben fällt, sollte es eine sein, die einen näher an sein eigenes Glück heranführt. Du alleine bist verantwortlich für dein Glück. Sonst niemand. Wenn du dich unglücklich fühlst, wird es häufig daran liegen, dass du falsche Entscheidungen in deinem Leben getroffen hast. Häufig ist es schwierig und erfüllt einen auch mit Angst, die richtigen Schritte zu tun, gerade, wenn man die Band verlässt, mit der man groß geworden ist und die eventuell deine Chance darstellen könnte noch größer im Musikbusiness herauszukommen. Ich war allerdings an einem Punkt angelangt, an dem ich unter den gegebenen Konditionen mit dieser Band nicht größer rauskommen wollte. Nicht um jeden Preis. Mit allem Geld dieser Welt wäre ich unter den Gegebenheiten nicht glücklich geworden. Da bleibe ich lieber arm, schreibe die Musik, die mir gefällt und arbeite unter Konditionen, die mir zusagen. Eine dieser Vorraussetzungen für mich war es immer, zu Hause zu arbeiten und den ersten Take als den wahren Take zu verwenden. Die allererste Aufnahme zu einem neuen Song ist meist die emotionalste und deshalb verwende ich diese gern. Deswegen hatte ich immer schon heftige Diskussionen mit den anderen Jungs in PSYCHOTIC WALTZ. Ich wusste einfach, darin würden wir uns nie einig werden.
Holger:
Auf deinem ersten Soloalbum "The Strange Mind Of Buddy Lackey" haben die Musiker von LIFE ARTIST damals deine Ideen ohne dein Beisein umgesetzt. Was waren deine ersten Gedanken, als du damals mit dem fertigen Produkt konfrontiert worden bist? Es gibt ja seit Ewigkeiten Gerüchte darüber, dass du das Album selbst gern noch einmal einspielen möchtest, um deine ursprünglichen Ideen umsetzen zu können.
Devon:
Ich war enttäuscht. Ich hatte mir damals mein allererstes Studio eingerichtet, hatte aber natürlich nicht das Geld, mir die superteuren Sachen zu leisten. Damals waren digitale Aufnahmegeräte extrem teuer. Heute ist das alles erschwinglich geworden und außerdem hatte ich auch gar nicht das Wissen, ein vernünftiges Album allein aufzunehmen. Heute weiß ich das, da ich mich andauernd selbst weiterbilde und alle möglichen Magazine zu dem Thema lese.
Aber zurück zu dem Album. Ich hatte selbst Aufnahmen der Songs eingespielt, deren Soundqualität natürlich nicht allzu berauschend war. Das hatte sich beim finalen Ergebnis selbstverständlich deutlich verbessert. Was hingegen nicht verbessert worden war, war das Feeling der Songs. Sicherlich bin ich kein so guter Gitarrist, wie der Junge auf dem Album, aber er hat einfach nicht mein Feeling für meine Songs. Das werfe ich ihm nicht vor, aber für mich klang es einfach nicht gut. Technisch war es perfekt, aber es war herzlos. Sieh mal, Toni Iommi ist sicherlich technisch schlechter als all die Ozzy-Gitarristen, aber wenn sie ein BLACK SABBATH-Cover spielen, klingt es einfach nicht so gut, wie bei ihm. Das meine ich. Ich dachte damals, die Musiker würden meine Ideen noch verbessern, aber das hat leider nicht geklappt. So wie es jetzt ausschaut, werde ich wohl nicht noch einmal das komplette Album neu einspielen, sondern hier und da mal einen Song auf einem DST-Album bringen. So wie mit 'Just Like A Timepiece'. Bei einigen der alten Songs mag ich heute auch nur noch vereinzelte Passagen. Also nehme ich sie und stricke einen neuen Song drum herum. 'Angels In Vertigo' vom "Murder Of Crows"-Album ist hierfür ein gutes Beispiel. Ich habe den Song aus einem Part von 'Whispering Into Oblivion' gebastelt. Die Idee dazu hatte ich, während ich als DJ in Wien gearbeitet habe und 'Whispering' auflegte. Die ganze Zeit schien das keinen wirklich zu kratzen bis zu dieser einen Stelle, wo plötzlich alle kollektiv anfingen zu bangen. Also habe ich das Riff genommen und einen ganzen Song zum bangen geschrieben (lacht). Vielleicht kommt demnächst eine überarbeitet Version von 'Five Years'. Mal sehen.
Holger:
Da darf man ja gespannt sein. Kommen wir abschließend auf die kürzlich veröffentlichten PSYCHOTIC WALTZ-Box-Sets zu sprechen. Unabhängig von der Tatsache, dass ich es cool finde, dass man nun die großartige Musik wieder zu erschwinglichen Preisen kaufen kann, hat die Qualität der Live-DVDs eher Bootleg-Standard. Warst du in irgendeiner Form involviert in diese Veröffentlichungen?
Devon:
Um Gottes Willen, nein! Ich hätte es sofort verboten! (lacht). Das begann schon mit der Veröffentlichung der "Dark Millenium"-CD, an deren Vorbereitung ich mich nicht beteiligen wollte. Weißt du, ich fand es immer toll, dass wir als totale Underground-Band mit normalen Dayjobs und finanziellen Problemen, trotzdem qualitativ hochwertige Alben veröffentlichen konnten. Und genau das war schon dieses Ansammlung von halbfertigen Songs, Demos und gruseligen Liveaufnahmen nicht. Als es nun hieß, man wolle gar eine DVD aus dieser Zeit herausbringen, dachte ich, die anderen wären völlig durchgedreht. Es gab schon während meiner Zeit in der Band immer wieder Diskussionen darüber, warum ich mich weigerte, nach einem guten Auftritt, mir diesen hinterher auf Video anzusehen. Ich habe das eine Weile lang mitgemacht, aber ich fühlte dabei jedes Mal total unwohl. Diese Videoaufnahmen hatten immer einen grauenvollen Klang und ich dachte beim Anschauen sofort, dass ich mich sofort feuern würde, wenn ich wirklich so ein schlechter Sänger wäre, wie es der Aufnahme nach den Anschein hatte. Die anderen Jungs konnten das nie verstehen, aber ich wollte mir nicht das gute Gefühl des Konzertes vermiesen lassen und so habe ich mich irgendwann einfach geweigert, mir diese Videos anzusehen. Dass so ein Teil nun offiziell erschienen ist, finde ich natürlich erschreckend! (lacht sich halbtot)
Holger:
Kann ich nachvollziehen, obwohl es für die Hardcore-Fans der Band natürlich eine lohnenswerte Sache ist, die Spaß macht.
Devon:
Klar, das verstehe ich auch. Man hätte aber besser eine Show von der "Bleeding"-Tour nehmen sollen, anstatt so etwas ganz altes. Mein Stageacting hatte sich mit der Zeit doch deutlich gewandelt, denn anfänglich boten wir alle den Fans nicht besonders viel auf der Bühne. Sieh mal, da war Brian, der in einem Rollstuhl saß auf der einen Seite und Dan stand wie festgenagelt auf der anderen. Dazwischen turnte ich herum, hielt mir meist ein Ohr zu, um mich selbst hören zu können und machte mir keinen Kopf darüber, wie das denn optisch rüberkommen würde. Ich war ein Songwriter, kein Performer. Später änderte sich dies etwas, was man schon am Video zu 'Faded' erkennen kann. Wenn ich mir überlege, dass die Fans damals von unserer Show völlig begeistert waren und ich mir diese DVD ansehe, frage ich mich, warum.
Holger:
Weil es einfach immer wieder magisch war. Bei solcher Musik bedarf es keiner besonderen optischen Umsetzung und genau deshalb jetzt auch die nächste Frage: Wie oft bist du in letzter Zeit nach einer möglichen (einmaligen) Reunion für ein Festival gefragt worden?
Devon:
Du wirst dich wundern, aber so richtig ernsthaft schon lange nicht mehr. Meist kommen Fans und fragen, ob denn die Chance nach einer Reunion bestehen würde. Ich antworte dann meist: "Ja, aber nicht jetzt." Es ist ja nicht so, dass wir uns hassen würden, aber wir vermissen uns auch nicht. Jetzt, wo ich mit DEADSOUL TRIBE glücklich bin, kann ich mir sogar vorstellen, mit ihnen aufzutreten oder gar ein Album einzusingen. Es würde mir ja nicht schaden, selbst, wenn ich mich ihren Vorstellungen komplett unterwerfen würde. Mit dem Bewusstsein, danach mit meiner eigenen Band fortfahren zu können, würde mir das nichts ausmachen. Vielleicht würde es sogar Spaß machen, wer weiß. Die Tür für so eine Aktion ist offen, aber es gibt keine konkreten Pläne.
Holger:
Ein hoffnungsvolles Schlusswort, wie ich finde. Devon, vielen Dank für deine Zeit.
Devon:
Kein Problem. Vielen Dank.
- Redakteur:
- Holger Andrae