DEFTONES: Interview mit Abe Cunningham
11.04.2016 | 08:56"Gore" - nein, es besteht kein Zusammenhang zwischen dem prägnant-brutalen Titel des achten DEFTONES-Langspielers und dem Blutbad im Bataclan, Paris, vergangenen November, dem einige der Bandmitglieder nur um Haaresbreite entronnen sind. Wie sich dieses Ereignis auf die Kalifornier ausgewirkt hat, weshalb das neueste DEFTONES-Werk sperriger und verstörender ausfällt als die vorangegangenen Alben, und ob wir jemals etwas von "Eros", dem unfertigen Album aus der Zeit um Chi Chengs Autounfall, zu hören bekommen werden - dazu stand uns Schlagzeuger Abe Cunningham Rede und Antwort.
Nach mehr als 25 Jahren Bandgeschichte können die DEFTONES getrost als Veteranen des amerikanischen Metals bezeichnet werden. Den Nu Metal mitbegründet, durch Innovation und musikalische Vielschichtigkeit der Kommerzialisierung ihrer Szene entgangen, dennoch Gewinner mehrerer goldener Schallplatten - die Laufbahn der DEFTONES weist viele helle, aber durchaus auch Schattenseiten auf: künstlerische Differenzen innerhalb der Band auf dem Höhepunkt ihres Schaffens Anfang der 00er Jahre, Drogeneskapaden, der Unfalltod des langjährigen Bassisten Chi Cheng und vergangenen Herbst der Terroranschlag auf das Bataclan beim EAGLES OF DEATH METAL-Konzert, das mehrere Bandmitglieder verließen, kurz bevor die Attentäter eindrangen, und wo am kommenden Abend die DEFTONES selbst hätten spielen sollen. Und nun? Business as usual sozusagen, die Veröffentlichung eines neuen Langspielers.
Wo stehen die DEFTONES zur Veröffentlichung von Studioalbum Nr. 8, wollen wir von Abe wissen. Was hat sich im Laufe der Zeit für die Kalifornier verändert? "Hm, das ist eine gute Frage", meint der Schlagzeuger. "Es ist Wahnsinn, darüber nachzudenken - wir sind als Band nun seit 27 Jahren zusammen! Und vor etwas über 20 Jahren das erste Album... Wer hätte das gedacht. Und dennoch bin ich noch genauso aufgeregt wie damals! Ich freue mich einfach darüber, die Möglichkeit zu haben, wieder ein Album herauszubringen. Wir sind in einer ziemlich einmaligen Position: Wir genießen immer noch was wir tun, wir genießen es, als Band zusammen zu sein, unsere Gemeinschaft, und machen das Beste daraus. Das ist eine verdammt gute Sache - und mehr ist es auch nicht." Die gleiche Motivation, dieselbe Energie wie anno dazumal? "Oh ja! Es ist wirklich eine aufregende Zeit; wir können unsere Musik unter die Menschen bringen, hoffen, dass es die Leute genießen werden... Es ist einfach besonders, das Gleiche zu spüren wie damals, als wir unsere erste Platte ("Adrenaline", 1995 - TK) veröffentlichten. Es ist schlicht und einfach ein tolles Gefühl!"
"Gore" heißt es, das achte DEFTONES-Album. Ein Album, das neben ruhigen, fragilen Phasen vor allem immer wieder verstörend, teilweise brutal und sperrig klingt. "Da ist was dran, ja... Ich meine, unsere Musik hatte schon immer diese besondere Eigenschaft: Schönheit trifft auf Aggression. Dieses Gegensätzliche, Kontrastreiche, das war schon immer Teil unserer Musik. Da ist der Flow besonders wichtig, die Sequenz ist entscheidend - wir wollen einfach Alben machen, bei denen man nicht hin und her springt, sondern die man hoffentlich am Stück genießt. Aber, ja, es ist eine knifflige Platte, sehr prägnant einerseits, aber auch verhältnismäßig lang..." Ohne immer gleich an das Bataclan zu denken - "Gore" war bereits fertig, ehe die DEFTONES dem Blutbad von Paris entrannen - klingt es doch so, als gäbe es einen (blut)roten Faden für das Album. "Hm, eigentlich nicht... Wobei, es ist lustig, dass du das sagst. Nach all den Jahren ist es doch immer noch so, dass wir eigentlich keine Ahnung haben, was wir da machen!" Ach, nein?!? "Wir haben zwar so ein paar Ideen, aber letztlich treffen wir uns doch nur in diesem kleinen Proberaum, in dem wir schon seit Ewigkeiten jammen, und fangen einfach an. Keiner hat irgendwelche besonderen Ideen, wir setzen uns einfach zusammen und jammen, und schauen, was zur Hölle passiert. Keiner von uns bringt fertige Ideen oder Songs mit - es ist einfach nur dieser Prozess, wir setzen uns zusammen hin, machen Musik, und schauen was passiert. Es klingt verrückt, aber so läuft das bei uns."
So läuft das bei den DEFTONES schon immer ab? Und bei "Gore" genauso wie bei den vorangegangenen Alben, all die Zeit? "Ja, gut, wir sind über die Jahre sicherlich effizienter geworden, das haben wir im Laufe der Zeit so gelernt. Weißt du, es ist ja allgemeinhin bekannt, dass es auch Spannungen bei uns gibt (Gitarrist Stephen Carpenter hat im Vorfeld des "Gore"-Releases geäußert, dass er sich nur schwer für das neue Material motivieren konnte - TK), aber das passt doch irgendwie auch zu einer Band, die so lange zusammen ist. Das ist nie leicht - fünf Leute mit fünf starken Meinungen. Aber am Ende des Tages haben wir doch jedes Mal eine großartige Zeit zusammen. Ja, es gibt diese Augenblicke, da würden wir uns am liebsten gegenseitig umbringen, aber das zeigt auch, wie groß die Leidenschaft ist, die wir in unsere Musik einbringen. Die Leute da draußen können sehen, dass wir noch voll dabei sind, und bereit sind, dafür zu kämpfen, auch untereinander. Ein Teil davon ist es, Konflikte zu führen - natürlich nur verbal, nicht physisch. Aber wir haben zugleich immer das gemeinsame Ziel, etwas zu erschaffen, ein neues Album zusammen zu bekommen, mit dem wir alle zufrieden sind. So läuft das, und so sind wir eben."
Kein Hauptsongwriter? Kein Mastermind Chino Moreno, der die Richtung vorgibt, der alle anderen folgen müssen? "Es sind alle beteiligt, jede Idee ist willkommen, und wenn es eine gute Idee ist, bleiben wir an der dran. Aber letztlich herrscht bei uns eine große Freiheit - das halte ich auch für etwas Besonderes in unserer Band, weil gewissermaßen jeder machen kann was er will. Etwas ganz anderes ausprobieren, andere Stile, und das dann zusammen zu bringen. Das ist das, was uns Spaß macht."
Der Albumtitel "Gore" weckt allerdings, freiwillig oder unfreiwillig, Erinnerungen an das Blutbad vom Bataclan... "Ja, nun... Die Songs waren bereits alle geschrieben. Und wir waren auch ziemlich stolz auf den Titel, wir fanden den einfach cool, "Gore". Klingt doch ziemlich markant, eindrücklich, und simpel zugleich. Und dann ist das in Paris passiert, und wir dachten zunächst darüber nach, den Titel wieder zu ändern. Es kam uns etwas unangemessen vor, danach. Aber letztlich sind wir dabei geblieben. Es hat nichts damit zu tun. Das Timing ist nun mal wie es ist, aber das sind zwei völlig unabhängige Dinge." Und wie hat sich das Ereignis von Paris auf die Band ausgewirkt? "Nun, es hat auf jeden Fall Einfluss gehabt, keine Frage. So nah dabei gewesen zu sein, natürlich macht das betroffen. Aber ich selbst versuche stets, immer nur den nächsten Tag zu sehen, und darauf zu hoffen, dass die Dinge sich bessern. Und dann machen wir doch letzten Endes nur Musik, wollen auf irgend eine Weise Freude vermitteln, und vielleicht kommen die Leute und genießen es, haben einen schönen Abend - um nichts anderes geht es uns. Wir sind seit vielen Jahren international unterwegs, haben extrem viele spannende Orte gesehen. Und du weißt nie was passiert, du hoffst immer auf das Gute. Wir haben schon in so manch irrem Konfliktgebiet gespielt, wo wir uns fragten: "Was zur Hölle machen wir hier eigentlich?!?" Wir machen Musik und setzen alles daran, dass es den Menschen besser geht. Daher... Ich weiß nicht, natürlich schärft so etwas deine Aufmerksamkeit, dein Bewusstsein. Ich bin mir selbst immer bewusst, was wir machen, wohin wir gehen. Uns selbst geht es hervorragend, wir dürfen machen woran wir Freude haben, wissen aber nie was kommt - also bleibt einem nur, jeden Tag so zu nehmen wie er ist."
Noch einmal zur Musik selbst: Die DEFTONES haben eine lange Tradition mit Gastmusikern - ein Maynard James Keenan hat ebenso schon seinen Beitrag zu einem DEFTONES-Album geleistet wie ein Serj Tankian. Nun ist es auf "Gore" ein Gitarrist geworden: Jerry Cantrell von ALICE IN CHAINS. Wie läuft das ab? Kommt einer der fünf Amis mit der Idee her, hey, lasst uns mal diesen oder jenen Musiker fragen, und dann ruft ihr da an? "Ja, das ist wirklich lustig. Wir hatten wirklich schon ein paar Leute im Laufe der Jahre auf unseren Alben. Nein, es ist nicht so, dass wir uns vornehmen, immer einen bestimmten Musiker zu fragen, ob er dabei ist. Wir hatten ja auch schon Platten ohne Gastmusiker. Aber mit Jerry war es diesmal wirklich interessant: Wir sind schon seit vielen Jahren befreundet; wir alle sind irgendwie mit ALICE IN CHAINS groß geworden. Ich liebe diese Band ja wirklich! Wir sind schon mit den Jungs getourt, kennen uns gut - und dann hatten wir da diesen Song auf "Gore", 'Phantom Bride', der so ein ziemlich großes Loch in der Mitte hatte. Keine Katastrophe, aber es war einfach da, und irgendwie musste es gefüllt werden. Und wir sitzen da eines Tages einfach herum, trinken Bier, haben Spaß, überlegen, was wir mit dem Song machen, und dann meint einer, lasst uns doch einen unserer Freunde fragen, ob er uns nicht mit dem Lied helfen will - mit einem Badass-Solo. Und wir überlegen hin und her, werfen Namen in den Raum, und dann kommen wir darauf: "Scheiße, wie wäre das denn: Was, wenn wir einfach Jerry fragen?" Es war so cool, er kam am nächsten Tag vorbei, und es war großartig, echte Freudentränen, ein Gänsehautmoment! Wenn man Jerry spielen hört, weiß man gleich, dass er es ist. Er hat so einen ganz klaren, eigenen Sound, einen eigenen Style, zu spielen. Und ihn auf dieser Platte zu haben, war einfach ein riesiges Ding für uns, eine wirklich großartige Sache. Er ist einfach ein wunderbarer Mensch, ein toller Typ, es war wirklich etwas Besonderes!"
Eine andere Frage, die DEFTONES-Fans schon seit Jahren unter den Nägeln brennt, ist, ob bzw. wann das "Eros"-Material das Licht der Öffentlichkeit erblicken wird. Bislang wurde mit 'Smile' nur ein einzelner Song veröffentlicht. Gibt es denn Pläne, dass noch weitere Stücke folgen? "Ich will das gar nicht kleinreden. Viele Menschen fragen uns danach, viele Leute haben aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran - hauptsächlich natürlich, da es das letzte Stück Musik war, bei dem Chi mitgespielt hat. Wir verstehen also sehr gut, dass die Menschen neugierig sind. Es muss aber klar gesagt werden: "Eros" wurde nie fertig gestellt. Das Album wurde nie abgeschlossen, es gibt da noch eine Menge Arbeit, die getan werden muss. Und, wie üblich: Manche Songs waren wirklich cool, andere weniger. Es ist also in diesem Arbeitsstadium stecken geblieben. Ja, es werden uns viele Fragen dazu gestellt. Und: Eines Tages wollen wir es rausbringen - für Chi, ganz klar. Aber es erfordert noch viel Arbeit, und momentan ist nicht klar, wann das geschehen soll." Die Veröffentlichung von 'Smile' war also kein Zeichen dafür, dass das restliche Material bald folgen soll? "Nein, nicht wirklich." Kommt der eine oder andere Track vielleicht als Bonussong mit einem anderen Album? "Haben wir nicht vor. Wir würden es wahnsinnig gern eines Tages herausbringen. Aber es war eine wirklich harte Zeit in unserem Leben damals, mit Chis Unfall. An dem Punkt wollten, ja konnten wir einfach nur weitergehen, strikt nach vorne sehen, ohne uns umzublicken. Es war die einzige Möglichkeit für uns, mit der Situation umzugehen, verdammt nochmal vorwärts zu gehen und weiterzumachen..."
"Gore" erschien am 8. April 2016 bei Warner Records. Im Sommer 2016 kehren die DEFTONES nach Europa zurück, auch auf deutsche Bühnen - unter anderem wird das nach dem Tourabbruch im November 2015 abgesagte Konzert in Köln nachgeholt.
Tourdaten:
04. Juni Rock am Ring Mendig
05. Juni Rock Im Park Nürnberg
14. Juni Palladium Köln
15. Juni Columbiahalle Berlin
- Redakteur:
- Timon Krause