DESTRUCTION: Listening-Session zu "Diabolical"
11.02.2022 | 11:21Wenn Thrash-Ikonen wie Schmier und Co. zur exklusiven Listening-Session einladen, fackelt man nicht lange, sondern blickt gespannt auf die Zeit, wann es endlich losgehen solle. Dabei ist "Diabolical" kein gewöhnliches DESTRUCTION-Album, markiert das 15. Album der Jungs doch die erste Scheibe ohne Gründungsmitglied Mike Flitzefinger Sifringer. Somit ist es zweieinhalb Jahre nach dem Vorgänger "Born To Perish" auch für die zu dieser Zeit zum Quartett herangewachsene Mannschaft um Neuankömmling Martin Furia eine spannende Session.
Dabei könnte die Stimmung ausgelassener nicht sein. Napalm Records, die neue Labelheimat der Thrasher, lädt Redakteure aus aller Herren Länder ein – per Zoom ist das überhaupt kein Problem – um kurz vor der eigentlichen Session die vier Thrasher mit den Gästen zusammenzuführen. Nach einleitenden Worten von Napalm-Records-Hakan und Ingo Spörl von Hard Media zeigen sich Schmier, Trommelurgestein Randy Black und die beiden Gitarristen Damir und Martin bestens gelaunt: Die eine oder andere Anekdote wird ausgepackt, es wird gelacht und beide Seiten freuen sich, die kommenden zwei Stunden gemeinsam zu verbringen. Neben der Veröffentlichung des neuen Thrash-Leckerlies feiern die Jungs auch das 40-jährige Bestehen der Band und Häuptling Schmier ist sichtlich stolz auf das bisher Geleistete, will sich aber nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen, sondern bläst mit "Diabolical" zum Angriff. Anders kann ich mir die Angriffslust und "Jetzt erst recht"-Haltung DESTRUCTIONs nicht erklären. Doch dazu später mehr.
Allmählich ist die Spannung ob der vor uns liegenden 47-minütigen Intensität spürbar. Also schauen wir doch mal, was das neue DESTRUCTION-Album zu bieten hat.
'Under The Spell': Eine recht epische, aber auch unheimliche Atmosphäre sorgt gemeinsam mit Glockenklängen und einem marschierenden Rhythmus für eine sehr gelungene Einleitung…
'Diabolical': …ehe beim titelgebenden Fiesling der von den Fans so sehnsüchtig erwartete Mad Butcher wieder auf der Bildfläche erscheint. Im passenden Video sorgt jener für die entsprechende Visualisierung eines Straight-in-your-face-Songs par excellence, bei dem ein hoher Schrei Schmiers und ein fettes Riffing für einen Auftakt nach Maß sorgen. Drückend nach vorne bahnt sich diese Abrissbirne ihren Weg und dank eines ordentlichen Up-Tempos und des fetten Sounds wird schon früh deutlich, dass es die Band heuer wissen will!
'No Faith In Humanity': DESTRUCTION tritt das Gaspedal noch weiter durch! Gepaart mit einer gewissen Verspieltheit, ordentlichem Gefrickel an den Klampfen, aber einem recht hymnischen Chorus kann der Brecher seinem Vorgänger definitiv das Wasser reichen. Ein schnelles Twin-Guitar-Solo sorgt letztendlich für den Rest.
'Repent Your Sins': Zu Beginn bekommt der Bass seinen Spielraum, ehe das Quartett den tollen Rhythmus beibehält und ein starker Faustreck-Faktor das Heft in die Hand nimmt. Auch bei diesem Headbanger zeigt sich Schmiers Mannschaft sehr entschlossen und voller Tatendrang.
'Hope Dies Last': Und dann haben wir diesen Teufelsritt im Repertoire, der von Sekunde zu Sekunde das Höllentempo weiter anzieht. Erneut brilliert das Gitarrensolo, diesmal gleich zu Beginn, und spätestens bei diesem Song werden die starken Gangshout-Refrains sehr deutlich. Für mich die konsequenteste Symbiose aus Tradition und Moderne gepaart mit einem leichten Schuss Punk, der auch bei den folgenden Songs immer mal wieder aufblitzt.
'The Last Of A Dying Breed': Doch erst einmal kommen wir zum wohl vertracktesten Stück auf "Diabolical": gute Rhythmik, ein herrlich gemeines Mid-Tempo, das ab und an erneut angezogen wird. Und wenn nach knapp drei Minuten die Untergangsstimmung aufkocht, wird klar, dass DESTRUCTION auch in Sachen Atmosphäre auf diesem Album alles richtig gemacht hat.
'State Of Apathy': Ein kleiner, aber vehementer Fingerzeig Schmiers, musikalisch untermalt von einem dem Vorgängersong recht ähnlichen Schlag, der ziemlich gut die wohl größte Überraschung auf "Diabolical" einleitet.
'Tormented Soul': Jetzt gehört dem Groove das Momentum. Fies, hundsgemein und bitterböse fräst sich dieses Ungetüm durch Mark und Bein und wird abermals durch ein recht melodisches Solo verfeinert. Wie sagt man so schön? Ein wenig Dreck ist nie verkehrt.
'Servant Of The Beast': Ich habe zu Beginn kurz an SLAYERs 'Black Magic' gedacht und dank High-End-Screams der Marke Schmier, schnellen Gitarrenlicks und einem noch zerstörerischeren Tempo ist der Vergleich zur 80er-Jahre-SLAYER-Ära nicht ganz abwegig.
'The Lonely Wolf': Jetzt wird es wieder etwas getragener, was der Platte auch hörbar gut tut. Der einsame Wolf heult etwas melancholisch, doch macht von Beginn an klar, wer im Haus das Sagen hat. Gelungene Shouts runden auch dieses Highlight sehr geschmackvoll ab.
'Ghost From The Past': Es wird Blut gesaugt! DESTRUCTION schlägt auch im letzten Albumdrittel eine tolle Brücke zur eigenen Bandvergangenheit und bietet zum wiederholten Male ein tolles, spannendes Gitarrenduell zwischen Damir und Martin. Toll, wie sich die beiden in die Band integriert haben und ihre eigene Note mit in den Sound einfließen lassen können.
'Whorefication': Schon erstaunlich wie viel Wut sich im Bauche Schmiers angesammelt hat. So bietet auch der vorletzte Unhold ein herrlich garstiges Riffing und drückt das Gaspedal vor dem letzten Song wunderbar durch.
'City Baby Attacked By Rats': 'Killers', 'Whiplash' oder 'The Damned' zeigten in der Vergangenheit schon DESTRUCTIONs Hingabe für zur Band durchaus passende Fremdkompositionen. Zum Grande Finale haben sich die vier Wüteriche ein Cover der besonderen Art ausgesucht, um ihre nicht ganz heimliche Nähe zum Hardcore Punk entsprechend zu Papier zu bringen. Ladies and gentlemen, die ursprüngliche GBH-Version war schon hart und kompromisslos, doch DESTRUCTION wäre nicht DESTRUCTION, wenn die Band nicht mit ihrer thrashigeren Version dem "Diabolical"-Eisbecher hiermit die Kirsche verpasst. Schon erstaunlich wie schnell sich 47 Minuten dem Ende neigen.
Zum 40-jährigen Bestehen haut uns DESTRUCTION also eine lupenreine und mit manchen Aha-Momenten gesegnete Abrissbirne vor den Latz, die sich gewaschen hat! "Diabolical" ist ein teuflisch gutes Album, das vor Ideen und Entschlossenheit nur so strotzt. Ob es am brandneuen Line-up, einem geschmackvollen Back-to-the-roots-Artwork, dieser Mischung aus Erfahrung und jugendlicher Frische oder generell der Wut, die sich über all die Monate bei Schmier angestaut hat, liegt, eine wirkliche Begründung ob dieser Leistung ist ohnehin obsolet. Fest steht einzig und allein, dass der DESTRUCTION-Bandkopf drei nicht nur sympathische, sondern auch ehrgeizige Mannen um sich geschart und mit ihnen ein 15. Album eingetütet hat, das einerseits zwar zu 100% nach DESTRUCTION klingt und die seit Jahren bewährten Trademarks parat hält. Allen voran grinst der Mad Butcher fies in die Kamera. Andererseits jedoch hält "Diabolical" sowohl optisch als auch musikalisch einige Ideen bereit, hinter denen sich ein großes Ausrufezeichen verbirgt.
Es ist eine sehr homogene Mischung aus Old School und einem modernen Schritt nach vorne, bei der vor allem die menschliche Komponente eine wichtige Rolle spielt. Gehört bei den heutigen Möglichkeiten eine bis auf den letzten Ton perfekt eingespielte Scheibe zum guten Ton, hört man auf "Diabolical" in jedem Moment heraus, dass eben auch Menschen hinter den Instrumenten stecken. Sei es Schmier mit seinen typischen Bassläufen und High-End-Screams, seien es Damir und Martin, die sich die wildesten Riffduelle liefern und die furiosesten Soli in die Menge werfen oder ein Randy Black am Schlagzeug, der nach eigenen Aussagen noch nie so sehr die Doublebass bedient hat wie auf "Diabolical". Und der Mann hat schließlich schon für ANNIHILATOR und PRIMAL FEAR getrommelt. Der Mann wird im November 59 Jahre alt und legt hier das mit Abstand aggressivste Drumming seiner Karriere an den Tag. Wie bereits gesagt ist es die Mischung aus alt und neu, die diese Scheibe derart verheißungsvoll erklingen lässt. Hier werden neue Sachen ausprobiert, dort kommen taufrische Ideen zum Vorschein, die man nach über vier Dekaden im Geschäft in dieser durchsetzungsfähigen Form auch erst einmal aus dem Hut zaubern muss. Chapeau, meine Herren!
- Redakteur:
- Marcel Rapp