Damals war's: SEPULTURA - "Roots" wird 20!
19.11.2016 | 00:33Kaum zu glauben, aber es sind wirklich bereits ganze 20 Jahre ins Land gezogen, seit am 20. Februar 1996 eine Bombe mit Namen "Roots" in der Metalwelt einschlug. Dieser Umstand ist natürlich auch den beteiligten Mitmusikern nicht verborgen geblieben und so nutzen Max und Igor Cavalera das Jubliäum dazu, diese legendäre Scheibe gemeinsam mit ihren CAVALERA CONSPIRACY-Mitstreitern auf einer ausgedehnten Europa-Tour noch einmal auf die Bühne zu bringen. Für uns Anlass genug, um einen zum Teil persönlichen Blick auf die Geschichte der Scheibe zu werfen.
Die Story von "Roots" beginnt allerdings weit weniger versöhnlich, als es der aktuelle Ruf der Platte vermuten lässt, denn die Kritiker waren teilweise erst einmal überhaupt nicht begeistert von der neuen Ausrichtung der aufstrebenden Thrasher SEPULUTRA. Zuvor hatten die vier Brasilianer nämlich mit "Beneath The Remains", "Arise" und dem Erfolgsalbum "Chaos A.D." praktisch im Alleingang dem zu diesem Zeitpunkt schon etwas angestaubten Genre neues Leben eingehaucht. Doch bereits mit der Wahl des Produzenten für seinen nächsten Streich deutete das Quartett an, dass sich die Fans auf einige Veränderungen einstellen mussten. Hinter den Reglern nahm niemand geringerer Platz als Ross Robinson, der zu dieser Zeit dank seiner Arbeit mit den DEFTONES und KORN als Schmied der Nu-Metal-Welle galt. Die Gastaufritte von Jonathan Davis (KORN), DJ Lethal (LIMP BIZKIT) und Mike Patton (FAITH NO MORE) riefen dann endgültig die Szene-Polizei auf den Plan, welche die Platte zum Release dann auch passenderweise als Anbiederung an den neuen Trend abstempelte.
Musikalisch kann dieser Vorwurf auch nach 20 Jahren nicht ganz von der Hand gewiesen werden, denn der Flirt mit den knarzigen Riffs der Nu-Metal-Welle ist auf "Roots" deutlich zu hören, auch wenn der Opener 'Roots Bloody Roots' das nicht direkt vermuten lässt. Immerhin destilliert der Track alle Trademarks von SEPULTURA zu einer wütenden 3 Minuten und 30 Sekunden andauernden Attacke, womit der Track vollkommen zu recht bis heute das größte Aushängeschild der Brasilianer ist und gleichzeitig wohl zu den Songs gehört, die absolut jeder Metalfan kennt, zumindestens sofern er die letzten zwei Jahrzehnte nicht unter einem großen Felsen oder hinter dem Mond verbracht hat. In die gleiche Kerbe schlägt auch das folgende 'Attitude', das mit seinen treibenden Riffs ebenso gut auch auf den Vorgänger "Chaos A.D" gepasst hätte.
Doch spätestens bei 'Cut-Throat' und vor allem dem anschließenden 'Ratamahatta', mit seiner verrückten Combo aus manischem Sprechgesang und abgedrehten Gitarren, sind die Nu-Metal-Einflüsse dann unüberhörbar. Wer die Scheibe allerdings anhand dieses Merkmals bereits abstempeln möchte, der übersieht, dass die eigentliche Innovation nicht die tiefer gestimmten Gitarren, sondern viel mehr der unwiderstehliche Tribal-Groove war, der nahezu allen Songs auf "Roots" zueigen ist. Natürlich war Igors Drumming schon immer inspiriert von der Musik der brasilianischen Ureinwohner, doch noch nie zuvor zogen sich die Wurzeln der Musiker so konsequent durch die gesamten Kompositionen des Vierers. Den Höhepunkt bilden in dieser Hinisicht die beiden Instrumental-Tracks 'Jasco' und das famose 'Itsári', mit dem Max und Co. das mit 'Kaiowas' auf dem Vorgänger begonnene Konzept auf die Spitze treiben und für das sie sich die Unterstützung des Xavante Tribe sichern konnten.
Für mich persönlich stellte "Roots" dabei aber auch in anderer Hinsicht ein Novum dar, denn wo ich als Gitarrist ansonsten eigentlich immer durch die Arbeit an den Sechsaitern für eine Platte begeistert werden konnte, waren es hier vielmehr die unwiderstehlichen Rhythmen von Igor Cavalera, die für mich den Reiz dieser Scheibe ausmachten und auch bis heute ausmachen. Während Max und Andreas Kisser den Hörer nämlich eher mit recht stoischem und fast schon simplem Riffing durch die insgesamt 15 Kompositionen treiben, ist es Igor, der mit seinen ständig wechselnden Grooves den Songs echtes Leben einhaucht. Für mich ist es daher auch bis heute eine Schande, dass der Brasilianer zumeist vergessen wird, wenn die Rede von großen Schlagzeugern der Metalszene ist. Stattdessen werden dort unbestritten hervorragende Drummer wie Mike Portnoy, Gene Hoglan oder Dave Lombardo genannt, doch in Sachen Groove ist Igor bis heute all seinen Kollegen noch immer meilenweit voraus.
So ist es schlussendlich auch kein Wunder, dass "Roots" das wohl populärste Album der Brasilianer ist, auch wenn sich alteingesessene Fans noch immer lieber an Großtaten wie "Beneath The Remains" oder "Arise" klammern. Doch im Gegensatz zu diesen beiden Alben schafften es die Thrasher mit ihrem sechsten Werk, dem Genre und damit auch ihrer eigenen Musik eine ganz neue, deutlich Tribal-lastigere Richtung zu geben. Auch wenn der Vierer damit das Rad nicht neu erfunden hat, so hat er es damit doch deutlich in Schwung gebracht und gleichzeitig den Weg für andere brasilianische Kollegen geebnet, an deren Musik wir uns bis heute erfreuen.
SEPULTURA selbst hatte vom damaligen Erfolg leider nicht mehr viel, denn noch während den Tour-Aktivitäten zur Scheibe verließ Max die Truppe auf Grund von internen Differenzen, was auch zu einem Bruch mit seinem eigenen Bruder führte, der erst mit der Gründung von CAVALERA CONSPIRACY im Jahr 2007 gekittet werden konnte. Ohne den charismatischen Fronter und kreativen Kopf verblieb SEPULTURA als Schatten seiner selbst, weshalb "Roots" auch als das letzte wirklich bedeutende Album der Brasilianer in die Musikgeschichte einging. Ihren Reiz hat die Scheibe dabei bis heute nicht verloren, was immer wieder Meuten von Festivalbesuchern beweisen, die begeistert in den Refrain von 'Roots Bloody Roots' einstimmen, sobald die verbliebene Rumpftruppe von SEPULTURA oder eine von Max' neuen Formationen diesen Klassiker intoniert. Grund genug also, sich auf die anstehende Revival-Tour von Max und Igor zu freuen, bei der auch jüngere Fans endlich einmal die Gelegenheit erhalten, sich diese famosen Tracks in der Live-Version zu Gemüte zu führen.
- Redakteur:
- Tobias Dahs