Diskografie-Check: SLAYER - Teil 1 | Platz 11 - 6

16.10.2020 | 20:55

In Anbetracht des heutigen Reunion-Wahnsinns muss man die Tatsache vielleicht noch mit Vorsicht genießen, doch offiziell haben die Thrash-Titanen SLAYER nach ihrem letzten Album "Repentless" und einer ausgedehnten Abschiedstournee nach ingesamt 38 Jahren ihre Karriere beendet. Nicht wenige Fans werden ihren Helden auch zehn Monate später noch immer nachtrauern, während für andere die Auflösung sechs Jahre zu spät kam, denn viele hielten den zu frühen Tod von Gitarrist und Co-Songwriter Jeff Hanneman für den richtigen Zeitpunkt für einen Schlussstrich. Doch wie man nun auch zum Ende der Amerikaner steht, in jedem Fall lohnt sich angesichts dieser Zäsur ein Blick zurück auf fast vier Dekaden Bandgeschichte, den wir nun in Form unseres beliebten Diskografie-Checks wagen:

11. Diabolus In Musica

Los geht es wenig überraschend mit SLAYERs Zugeständnis an die Neunziger. Und nein, natürlich haben Kerry King und Co. hier nicht ihren Weltschmerz in Manier von Kurt Cobain zu Grunge-Gitarren herausgebrüllt, sondern vielmehr versuchte sich Jeff Hanneman beim Songwriting eine Scheibe vom Nu-Metal-Kuchen abzuschneiden. Auf Gegenliebe stieß das bei den Fans schon zu Zeiten der Veröffentlichung nicht wirklich und so blieb der Silberling, dessen Titel sich übrigens von einer veralteten Bezeichnung für den Tritonus ableitet, weit hinter den Erwartungen zurück. Umso überraschender ist es, dass Paul Bostaph die Aufnahmen als seine liebste Arbeit mit SLAYER beschreibt, weil sich der Schlagzeuger an der großen Lust an musikalischen Experimenten erfreute. Ganz so abwegig ist die Aussage von Bostaph aus meiner Sicht auch nicht, denn für mich als Fan der gesamten Nu-Metal-Bewegung der späten Neunziger lassen sich mit 'Scrum' oder dem massiven Headbanger 'Stain Of Mind' sogar einige echte Highlights finden, während 'Overt Enemy' und 'In The Name Of God' ebenfalls über dem Durchschnitt über die Ziellinie kommen. Letztgenannter Track sorgte dank der Textzeile "Antichrist is the name of God" sogar erstmalig für interne Querelen, weil sich der christlich eingestellte Tom Araya an der Aussage des Textes störte, der in diesem Fall von Kerry King verfasst wurde. Doch auch wenn ich hier als eher musikalisch offen eingestellter Betrachter durchaus Positives finden kann, verstehe ich auch jeden SLAYER-Fan, der dem Album absolut nichts abgewinnen kann. Unsere Redaktion sieht das übrigens genauso und so ist Platz 8 bei Mario und mir das höchste der Gefühle. Am Ende könnte "Diabolus In Musica" daher wahrscheinlich als gutklassiges Metalalbum in die Geschichte eingehen, wenn nur eben nicht der Name SLAYER draufstehen würde, denn im Schaffen der Thrash-Titanen markiert der Langspieler aus dem Jahr 1998 völlig zurecht den letzten Platz. Den Aufschrei über das Coverartwork, das mit der Abkehr vom klassischen Logo ebenfalls Fans vor der Kopf stieß, verstehe ich dagegen nicht, denn irgendwie ist der Schriftzug in der hier präsentierten "neuen" Form wirklich cool.

10. God Hates Us All

Der Nachfolger von "Diabolus In Musica" machte anno 2001 leider keine deutlich bessere Figur und kommt folgerichtig nur einen Platz weiter vorne über die Ziellinie. Das Zünglein an der Waage spielen dabei erneut Mario und meine Wenigkeit mit Platz 5 und 6 für "God Hates Us All", während Peter, Chris, Rüdiger und Mahoni dem Langspieler sogar die rote Laterne verpassen. Müsste ich eine Vermutung aufstellen, würde ich behaupten, dass eine gewisse Zuneigung zum Nu Metal auch hier eine Rolle bei einer etwas positiveren Bewertung gespielt hat, denn zu Beginn des neuen Jahrtausends setzen Araya, King, Hanneman und Bostaph den Weg von "Diabolus In Musica" konsequent fort und mischen ihren Sound zusätzlich mit einer Portion Hardcore. Warum viele Kritiker damals dem Album eine Rückkehr zum typischen SLAYER-Sound attestieren, entzieht sich mir bis heute, denn gerade dank der tiefer gestimmten Gitarren (zwei Tracks verwenden sogar 7-Strings im Stile von KORN) ist der moderne Nu-Metal-Einfluss überdeutlich. Dennoch ist die initiale Reaktion der Fans deutlich besser und das grandiose 'Disciple' bringt den Amerikanern sogar die erste Nominierung als "Best Metal Performance" bei den Grammys ein. Generell überwiegen erneut eher groovige Songs, die allerdings in Form von 'New Faith' und 'Exile' wirklich überzeugend daherkommen. Nur 'War Zone' und 'Payback' erinnern in Sachen Tempo an die SLAYER-Frühphase, kommen aber beileibe nicht an die Qualität der älteren Vorbilder im eigenen Backkatalog heran. So geht unter dem Strich die schwache Platzierung in unserem Ranking durchaus in Ordnung, insbesondere weil die Scheibe wie auch der Vorgänger schon musikalisch eher einen modernen Ausreißer im Werk der Amerikaner darstellt, der verständlicherweise nicht bei allen Fans auf offene Ohren stößt. Darüber hinaus sind drei echte Highlights auch nicht genug, um ein komplettes Album aus der Belanglosigkeit zu hieven.

9. World Painted Blood

Weiter geht es mit den gespaltenen Meinungen unserer Redaktion, nur dass dieses Mal die Vorzeichen ein wenig verdreht sind, denn im Groben sehen die Kollegen, die "God Hates Us All" weiter vorne sahen, nun "World Painted Blood" weiter hinten und umgekehrt. Die Spitze der Fahnenstange für das zehnte Studioalbum der Thrash-Titanen sind dabei Platz 5 in Chris' und Platz 6 in Peters Rangliste. Im Gegensatz sehen Jakob, Walter und meine Wenigkeit die Scheibe ganz hinten im Katalog des Quartetts. Was ist die in Blut gemalte Welt denn nun? Langweilige Eigenkopie oder doch eine triumphale Rückkehr zu alter Stärke? Für beide Seiten gibt es valide Argumente, denn im Jahr 2009 schaffte es das Songwriter-Duo Hanneman und King endlich, die letzten Nu-Metal-Überbleibsel abzuschütteln und ein bissiges und giftiges Thrash-Album zu veröffentlichen, das sich musikalisch irgendwo zwischen "Reign In Blood" und "Seasons In The Abyss" einsortieren könnte. Dennoch klingt das Album zu keiner Zeit altbacken, sondern beteiligt sich ganz im Gegenteil am damaligen Loudness-War und erntet dafür von Fans auch einiges an Kritik. Das Songmaterial ist dafür durchaus bestechend und liefert mit 'Snuff', dem keifenden 'Psychopathy Red', 'Americon' oder 'Not Of This God' direkt eine ganze Stange von Glanzlichtern. Das Grammy-Komitee findet sogar noch größeren Gefallen an der Single 'Hate Worldwide' und nominiert den Track erneut als "Best Metal Performance", wo er schlussendlich nur knapp 'Dissident Aggressor' von JUDAS PRIEST unterliegt. Bei all dem Lob fragt ihr euch aber nun, warum die Scheibe bei so vielen Kollegen im hinteren Drittel gelandet ist? Nun, ich kann nur vermuten, dass es den anderen so ähnlich geht wie mir: Wann immer ich "World Painted Blood" in den Player lege, habe ich viel Spaß mit der Platte. Allerdings schafft es irgendwie keiner der Tracks, auch langfristig einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, wie das viele Songs im Frühwerk oder sogar auf den Nu-Metal-Detouren der jüngeren SLAYER-Vergangenheit bei mir persönlich geschafft haben. Ob ihr persönlich die Scheibe also höher einstuft, ist wahrscheinlich am Ende eine Geschmacksfrage. In unserer Endabrechnung steht schlussendlich aber nur Platz 9 zu Buche.

8. Christ Illusion

Im Jahr 2006 kam endlich wieder zusammen, was zusammen gehörte: Dave Lombardo kehrte zu den Thrash-Titanen zurück und spielte das erste Album mit Araya, King und Hanneman ein seit "Seasons In The Abyss". Unsere Redaktion sieht das Combeback des legendären Schlagzeugers auf "Christ Illusion" jedoch erneut sehr gespalten und so sind es am Ende Frank, Jonathan und Chris, die mit ihren hohen Positionen das neunte Studioalbum knapp vor "World Painted Blood" über die Ziellinie bringen. Persönlich habe ich durchaus Verständnis dafür, denn trotz Lombardos Rückkehr konnte der Vierer den New-Metal-Vibe der späten Neunziger und frühen Zweitausender nicht ganz abschütteln, weshalb das "back to the roots"-Album, das sich viele Fans erhofft hatten, ausblieb. Die Kritiken für "Christ Illusion" sind zum Zeitpunkt des Releases dennoch durchweg positiv und das großartige 'Eyes Of The Insane' räumt sogar bei den Grammy Awards die "Best Metal Performance" ab. Doch damit nicht genug, 'Final Six' wiederholt ein Jahr später das Kunststück, auch wenn der Song während der regulären Sessions nicht fertig wurde und erst auf einer späteren Special Edition erscheint. Außer diesen beiden alles überragenden Highlights gibt es aber wenig überragende Klassiker zu bestaunen. Ja, 'Jihad' sorgt gemeinsam mit dem Coverartwork (das in den USA übrigens nur verdeckt von einem Pappschuber verkauft werden darf) für die üblichen Kontroversen und mit 'Flesh Storm' und 'Skeleton Christ' gibt es noch zwei Abrissbirnen, die auf der folgenden Tour für Begeisterung sorgen. Von alten Glanztaten ist SLAYER im Jahr 2006 dennoch ein gutes Stück entfernt, weshalb im Verlauf der Auswertung "Christ Illusion" auch zeitweise auf dem vorletzen Platz rangierte, bevor die angesprochenen Kollegen dem Silberling noch einmal einen kleinen Schubs nach vorne verliehen haben. Ob ihr die Scheibe entsprechend weiter hinten einsortieren würdet, dürft ihr gerne im Anschluss an die Lektüre mit uns in unserem Forum diskutieren.

7. Divine Intervention

Wie bereits vorab erwähnt, gehören Kontroversen bei SLAYER grundsätzlich dazu, doch zumindest hierzulande wirbelte kein anderes Album so viel Staub auf wie "Divine Intervention". Immerhin steht der erste Langspieler mit Paul Bostaph, der nach Lombardos erstem Abgang den Platz hinter dem Schlagzeug übernahm, hierzulande noch immer auf dem Index. Musikalisch und auch textlich ist der Langspieler aus dem Jahr 1994 aber auch ein wirklich räudiger Brocken, der insbesondere im Vergleich zum recht zugänglichen Vorgänger "Seasons In The Abyss" sicher einige Fans vor den Kopf gestoßen hat. Doch im Angesicht der Grunge-Welle tun Araya und seine Mitstreiter das aus ihrer Sicht einzig Richtige: Sie zaubern nach vierjähriger Pause das wohl garstigste, sperrigste und aggressivste Werk ihrer Karriere aus dem Hut. Kein Weltschmerz oder verwaschene Gitarrensounds, stattdessen donnern Songs wie der Opener 'Killing Fields', das absolut rasante 'Sex. Murder. Art.' oder der stampfend groovende Titeltrack mit uneingeschränkter Härte auf den Hörer ein. Ja sogar eine Verneigung an die eigene Frühphase gibt es mit '213' und 'Mind Control' im hinteren Drittel der Scheibe. Und obwohl die Sings deutlich weniger zugänglich und vertrackter sind als noch auf dem großartigen Vorgänger "Seasons In The Abyss", wird die Scheibe insbesondere im Heimatland des Vierers zu einem kommerziellen Erfolg auf ganzer Linie und Tom Araya lässt sich sogar dazu hinreißen, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vom besten SLAYER-Material überhaupt zu sprechen. In der Retrospektive fällt die Meinung zum sechsten Studioalbum allerdings deutlich geteilter aus und so landet die Platte bei unseren Redakteuren zumeist irgendwo zwischen Platz 6 und 8. Die einzigen beiden wirklichen Ausreißer bilden ein fünfter Platz in meiner eigenen Liste und eine Nennung als Schlusslicht durch Mario. "Divine Intervention" ist damit nicht nur dank Indexierung eine der streitbarsten Veröffentlichungen der US-Amerikaner, auch musikalisch ist nicht jeder SLAYER-Anhänger von den zehn Kompositionen restlos überzeugt, weswegen die Platzierung im Mittelfeld insgesamt sicher in Ordnung geht.

6. Repentless

Auf Platz 6 folgt dann für mich die faustdicke Überraschung, denn mit "Repentless" hat es der vorerst letzte (heutzutage weiß man ja nie wie lange Abschiede von Bands Bestand haben) SLAYER-Silberling geschafft, sich nur knapp hinter den Großtaten der Achtziger einzusortieren. Dabei sahen die Vorzeichen für den elften Langspieler im Jahr 2015 überhaupt nicht so rosig aus. Erst verabschiedete sich Dave Lombardo in einer unschönen Trennung erneut von seinem Platz hinter der Schießbude, dann kämpfte Tom Araya beständig mit Nackenproblemen und schlussendlich starb im Mai 2013 Gründungsmitglied Jeff Hanneman, der in der Vergangenheit beim Songwriting für eine Vielzahl von SLAYER-Klassikern verantwortlich war. Unter diesen Voraussetzungen ist es fast schon ein Wunder, dass sich das Quartett mit einem Langspieler zurückmeldete, der durchweg bei nahezu allen Redakteuren im vorderen Mittelfeld landet. Mario und auch Chris gehen sogar noch einen Schritt weiter und platzieren das jüngste SLAYER-Album auf Platz 3 (!) in ihren jeweiligen Auflistungen. Einzig der Autor dieser Zeilen tut sich auch nach fünf Jahren noch immer schwer mit "Repentless" und liefert mit Platz 10 den einzigen Ausreißer nach unten. Woran es genau liegt, kann ich gar nicht richtig greifen, denn rein objektiv betrachtet sind die zwölf Kompositionen bärenstark und kommen deutlich eingängiger daher als noch auf dem Vorgänger "World Painted Blood". So dürfen der Titeltrack, das bissige 'When The Stillness Comes' oder 'You Against You' durchaus als Glanzlichter gewertet werden, die sich vor dem Frühwerk der Amerikaner nicht verstecken müssen. Positiv bemerkbar macht sich auch, dass erstmalig Terry Date (DEFTONES, PANTERA) den großen Rick Rubin an den Reglern des Mischpultes ablöste und den Tracks im Vergleich zu den letzten Alben einen druckvollen und wuchtigen Sound verpasste. Meine Skepsis gegenüber der Scheibe liegt am Ende vielleicht darin begründet, dass ich immer eher ein Fan der Hanneman-Kompositionen war und eher selten einen SLAYER-Song aus der Feder von Kerry King als absolutes Highlight ausmachen konnte. Ohne dieses subjektive Empfinden muss man vor den alten Herren des Thrashs aber den Hut ziehen, denn kaum eine Band vermag es, im Spätherbst ihrer Karriere nochmal ein solches Pfund abzuliefern wie "Repentless".

Und damit sind wir schon am Ende des ersten Teils unserer Rangliste angekommen. Bis wir euch den zweiten Teil servieren, schaut doch schon einmal in unserem Forum vorbei und lasst uns wissen, ob ihr bis hierher mit unserem Urteil übereinstimmt.

Redakteur:
Tobias Dahs

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