Diskografie-Check: THIN LIZZY - Teil 1 | Platz 12 - 7
30.04.2021 | 11:15Am 30.04.1971 erscheint das erste Album von THIN LIZZY. Somit feiert diese Scheibe aktuell ihren 50. Geburtstag, was Grund genug für uns ist, einmal die Diskographie dieser wegweisenden Band etwas genauer zu beleuchten.
Neun Redakteure haben die zwölf Studioalben jeweils in ein Ranking gebracht und wir haben diese Listen zu einer Gesamthitparade addiert, die ich in den kommenden Zeilen etwas ausführlicher beschreiben möchte. Auch ich bin erst relativ spät in intensiven Kontakt mit THIN LIZZY gekommen, obwohl ich die Band schon früh in meiner musikalischen Sozialisierung kennen gelernt habe. Allerdings musste ich erst die Phase der immer schnelleren Extreme ausloten, um irgendwann festzustellen, dass es nicht immer nur um eben jenes in der Musik geht. Manchmal darf es schon auch musikalisch sein. Und wer auf doppelläufige Gitarrenharmonien, abwechslungsreiche Rhythmik, tolle Texte, einen charismatischen Sänger und eine Rock'n'Roll-Attitüde bis über die Halskrause steht, kommt an THIN LIZZY eben nicht vorbei. Aber genug der Vorrede, let the music do the talking.
12. THIN LIZZY
Wenig überraschend bildet das 1971 erschienene Debütalbum die rote Laterne bei uns, was außer Timo und Stephan, die das Album auf dem vorletzten Platz haben, alle Kollegen auch genau so sehen. Geboten wird auf der, damals überraschenderweise auf dem Decca-Label erschienenen, Scheibe bluesiger Hard Rock, der noch relativ weit entfernt von dem ist, was die Band später auszeichnen wird. Die Truppe agiert zu diesem Zeitpunkt noch als Trio, was die oben erwähnten doppelläufigen Gitarrenharmonien noch unmöglich macht. Allerdings kann man hier schon den wundervollen Gesang des 22-jährigen Bassisten Philip Parris Lynott genießen. Ein Markenzeichen, welches jeder Nummer der Band zu Originalität verhilft. Musikalisch ist man ein bisschen auf Stilsuche und versucht den Zuhörer eher mit Geschichten zu umgarnen. Einige Songs auf dem Album sind daher eher so etwas wie musikalisch unterlegte Erzählungen, denen man aber allein aufgrund der warmen Stimme sehr gern ein paar Ohren schenkt. So zu erleben in 'Saga Of Ageing Orphan' oder 'The Friendly Ranger At Clontarf Castle'. Auf der anderen Seite rockt man in 'Ray Gun' für damalige Verhältnisse aber auch schon recht heftig ab, wobei Bass und Gitarre sich hier wunderbar duellieren. Riffs nach heutigem Verständnis gibt es kaum, was eventuell etwas Einhörzeit mit sich bringt. Ein erstklassiger Song wie 'Look What The Wind Blew In' gibt allerdings auch schon erste Hinweise auf spätere Großtaten, aber auch das restliche Material ist durchaus hörenswert. Hat man sich erst einmal mit diesem Grundverständnis vertraut gemacht, kann man hier einige feine Songs entdecken. Obendrein ist Gitarrist Eric Bell ein hörenswerter Klampfer. Ein paar Wochen nach dem ersten Album legt die Band dann die so genannte "New Day"-EP mit vier weiteren Songs nach. Diese EP ist auf späteren Veröffentlichungen des Silberlings additiv hinten dran geklebt. Feine Sache.
11. SHADES Of A BLUE ORPHANAGE
Weiter geht es bei uns chronologisch mit dem 72er-Werk "Shades Of A Blue Orphanage". Auch hier herrscht redaktionsinterne Einigkeit über die Platzierung. Lediglich die beiden weiter oben genannten Mitstreiter sehen es hinter dem Debüt und Rüdiger platziert es auf Nummer Neun in seiner Liste. Auffällig, wie gern Lynott den Begriff orphan verwendet, wenn man bedenkt, dass seine Band mit Drummer Brian Downey vor THIN LIZZY sogar ORPHANAGE hieß und es bereits einen Titel mit diesem Wort auf dem Debütalbum gab. Musikalisch ist man bereits etwas härter unterwegs, was man zum Beispiel im irreführend überschriebenen 'Baby Face' vortrefflich nachvollziehen kann. Diese Nummer ist nämlich ein ziemlich amtlicher Rocker. Auf der anderen Seite gibt es mit 'Sarah' eine erste gefühlvolle Ballade, die Phil zu Ehren seiner Großmutter, die ihn groß gezogen hat, geschrieben hat. An manchen Stellen wirken die Songs noch etwas ausgefranst und unfertig, was den Charme dieser frühen Aufnahmen allerdings nicht ausbremst. So kann man sich wundervoll im schwelgerischen 'Brought Down' verlieren, obwohl man hier fröhlich um den Punkt herum komponiert hat. Man merkt aber wie ambitioniert die Band ist, auch wenn sie sich an einigen Stellen selbst im Weg steht und offenbar etwas zu viel möchte. So funktioniert das knapp zwei Minuten lange 'I Don't Want To Forget How To Jive' leider nicht wirklich gut und auch 'Chatting Today' kann aus heutiger Sicht nicht überzeugen. Die etwas gradlinigeren Rocker hingegen funktionieren schon ziemlich gut.
10. FIGHTING
Für Platz 10 verlassen wir die diskographische Chronologie und springen ins Jahr 1975. Das Album heißt "Fighting" und pendelt sich in den einzelnen Listen zwischen Platz acht (Timo) und Platz elf (Rüdiger) ein. Gravierender Unterschied zu den beiden vorherigen Plätzen: Nun hören wir mit Scott Gorham und Brian Robertson zwei Gitarristen, was zur Folge hat, dass die Band deutlich kraftvoller unterwegs ist. Man halte die Lauscher nur mal in das zackig nach vorne marschierende 'Suicide' und erfreue sich an Brian Downeys wundervoll schwungvoller Rhythmik. Überhaupt wird sein Spiel immer wichtiger und markanter im Laufe des Bandbestehens. Mir fallen nicht viele Schlagzeuger ein, die so luftig swingen können und dabei gleichzeitig so energisch spielen. Obendrein leuchten die irischen Folkelemente in einer Nummer wie 'Wild One' hellgrün durch die Noten und erhellen jeden trüben Tag mit Kleeblättern im Ohr. Mit dem BOB SEGER-Cover 'Rosalie' versucht man sich vergeblich an den Singlecharts, was aber nichts über die Qualität dieser Version aussagt. Darf man kennen. Wie auch den verschnörkelten Folk-Rocker 'King's Vengeance'. Mit diesem Album steigt die Band erstmals in die britischen Charts ein, wenn auch nur auf Platz 60. Eine kleine Besonderheit zeichnet diese Scheibe noch aus, ist es doch die Einzige außer dem Debüt, auf welcher es Songs gibt, bei denen Mainman Phil Lynott nicht zumindest als Mitkomponist genannt wird. So stammt 'Silver Dollar' aus Robertsons Feder und 'Ballad Of A Hard Man' kann Scott Gorham für sich allein verbuchen. Das oben erwähnte 'Suicide' stammt übrigens noch aus der frühen Zeit mit Eric Bell an der Gitarre, wo es allerdings noch in leicht veränderter Fassung unter dem Titel 'Baby's Been Messing' live gespielt wurde. Insgesamt ist "Fighting" ein gutes, aber kein sehr gutes Album, welches rückblickend an vielen Stellen schon Großes erkennen lässt.
9. VAGABONDS OF THE WESTERN WORLD
Nun springen wir zurück ins Jahr 1973 zum dritten Streich namens "Vagabonds Of The Western World". Dies ist der letzte Rundling in der ursprünglichen Trio-Besetzung, denn Eric Bell verlässt die Band aufgrund einer zu kommerziellen Ausrichtung des neuen Songmaterials. Viele meiner Kollegen sehen das Album auf dem zehnten Platz, während ich mit meinem siebten Rang recht deutlich nach oben heraus rage. Man hört hier eine Gruppe auf der Schwelle zum harten Rock; mit hoch gekrempelten Ärmeln, motiviert bis in die Zehenspitzen und kreativ bis ins Überschwängliche. Herausragend ist natürlich der Klassiker 'The Rocker', der die Truppe bereits knietief in den Hard Rock versetzt. Dass dies offenbar ein Wegweiser für die Zukunft sein soll, zeigt seine Wahl als Singleauskopplung. Eric Bell soliert sich die Finger rot und der Beat ist für damalige Verhältnisse wahrlich hart. Das Ergebnis ist die Pole Position in der irischen Heimat. Aber auch die keltischen Wurzeln vergisst man nicht. Ganz im Gegenteil. So ist der Titelsong mit seiner folkigen Gitarrenmelodie ein herzerfrischendes Beispiel des Treffens beider Welten: Hard Rock und Folk. Erneut muss ich Downeys Percussionarbeit über den grünen Klee (hint, hint) loben, denn erst sein Rhythmusgefühl verleiht solchen Nummern das richtige Flair. Es ist beinahe müßig zu erwähnen, dass auf diesem Album mit 'Whiskey In The Jar' der wohl bekannteste Song der Band zu finden ist. Allerdings nicht auf der Original-Version der Scheibe. Der Single-Erfolgs-Hit wurde erst auf späteren Veröffentlichungen als Opener hinzugefügt. Dieses Traditional ist ein Evergreen, ein Song, der den Spirit den Band sehr gut widerspiegelt und der bereits ein Jahr vor Erscheinen des Albums als 7" in England (Platz 6) und Irland (Platz 1) ein Hit war. Tolle Nummer, in dieser Version. Aber man vergisst auf "Vagabonds Of The Western World" auch das Geschichtenerzählen nicht. So kann man sich 'The Hero And The Madman' exzellent bei einem Gläschen Laphroaig einverleiben. Feines Album für Genießer, für welches erstmalig ihr späterer Dauerbegleiter Jim Fitzpatrick das Artwork erstellt.
8. NIGHTLIFE
Platz Nummer Acht ist dann das Album, welches wir in der Chronologie übersprungen haben: "Nightlife" aus dem Jahr 1974. Hier sind wir uns intern ziemlich einig, was Platzierungen zwischen den Plätzen acht und zehn belegen. "Nightlife" ist ein schwieriges Album für die Band, was man leider auch hören kann. Es ist das erste Album für das neue Label Vertigo und man hat mit Besetzungsproblemen zu kämpfen. Kann man Eric Bell zunächst zügig, den Gerüchten zufolge bereits am nächsten Tag, durch Gary Moore ersetzen, so geht auch dieser nach den Aufnahmen der Single "Little Darling" und während der Albumproduktion wieder von Bord. Es kommen Scott Gorham und Brian Robertson als Doppelersatz ins Team und sie nehmen alle Gitarrenspuren neu auf. Alle? Nein, 'Still In Love With You' ist so magisch, da lässt man lieber die Finger von. So ist dies, neben den Nummern der oben erwähnten Single, lange Zeit die einzige Studioaufnahme der zweiten Trio-Besetzung. Obendrein handelt es sich hierbei auch noch um eine der wunderschönsten musikalischen Liebeserklärungen aller Zeiten. Eine Tatsache, die man vor allem auf den Liveversionen so wunderbar nachhören kann. Taschentücher neben die Luftgitarre legen! Man merkt dem Album an, dass man härter werden möchte, denn man hat mit 'It's Only Money' und 'Sha-La-La' gleich zwei fette Abgeh-Nummern am Start. Letzteres dient der Band lange Zeit als Ummantelung des Drumsolos bei Liveauftritten. Auf der anderen Seite gibt es mit dem Titelsong oder 'Frankie Carroll' auch Stücke, die mit ihrer entspannten Baratmosphäre etwas deplatziert wirken. Um den Titelsong gibt es Diskussionen, die besagen, man hätte sich im Chorus bei der gleichnamigen Nummer von Willie Nelson bedient, ohne diesen namentlich irgendwo zu erwähnen. Auffällig ist der sehr glatte Klang der Aufnahme des Albums, welcher "Nightlife" insgesamt einen ungewöhnlich sanften Charakter verleiht. Dazu steht das von Jim Fitzpatrick entworfene Cover mit einem schwarzen Panther vor einer nächtlichen Stadtskyline etwas im Kontrast. Aber auch bei "Nightlife" handelt es sich um eine Veröffentlichung, die man besitzen darf.
7. JOHNNY THE FOX
Erneut überspringen wir eine Scheibe, wobei wir uns trotzdem im Jahr 1976 aufhalten, da die Band in dieser Zeit sehr produktiv ist. So hört unsere Nummer Sieben auf den Titel "Johnny The Fox". Intern sind wir uns hier nicht mehr ganz so einig, denn während Marcel das Album auf Platz vier sieht, belegt es bei mir nur den achten Platz. Man merkt THIN LIZZY auf diesem Album an, wie sehr man ein eingespieltes Team geworden ist, denn so einen Knaller wie 'Massacre', in welchem Härte und Folk perfekt kombiniert werden, hat man vorher noch nicht oft zu hören bekommen. Völlig unverständlich, weshalb dieser Titel nicht andauernd als Trademark-Song genannt wird. Für mich ein Katalog-Highlight. Des Weiteren gibt es mit dem Klassiker 'Don't Believe A Word' und dem herrlich funkigen Titelsong zwei weitere Großtaten zu bestaunen. Gerade die zweite Nummer ist mit ihrem furchtbar relaxten Rhythmus so untypisch, dass es schon wieder typisch zu nennen ist. Aber auch 'Boogie Woogie Dance' und das wunderbare 'Fool's Gold' sind echte Perlen im Repertoire der Band. Leider stehen dagegen auch ein paar weniger zündende Momente wie 'Rocky' oder 'Old Flame', die mich nie wirklich begeistern konnten. Während der Aufnahmen, die schon durch einen ungewollten Ortswechsel und Lynotts Gesundheitsprobleme gestört sind, kommt es zu Streitigkeiten zwischen Robertson und Phil, in denen es um die musikalische Ausrichtung geht. Obendrein vermisst Brian seine Credits für die Mitarbeit an der Hitsingle 'Don't Believe A Word'. Der Song klettert in England auf Platz 12 und in der irischen Heimat sogar auf Platz zwei der jeweiligen Hitparaden. Auch das Album kann sich recht gut positionieren und verbucht einen elften Platz in England, sowie Platz 52 in den amerikanischen Billboards. Das Artwork stammt erneut von Mister Fitzpatrick, welcher zuerst ohne einen Albumtitel arbeiten musste, da dieser erst kurz vor Finalisierung des Motives feststand. So ist dann schlussendlich dieses herrliche Motiv aus warmen Farben entstanden, welches diese zeitlose Scheibe ummantelt.
So viel zur ersten Hälfte des Rückblickes. In ein paar Tagen werden wir die ersten sechs Plätze enthüllen. Stay tuned...
- Redakteur:
- Holger Andrae