ENSLAVED: Interview mit Grutle Kjellson

10.03.2023 | 15:44

Was haben KING CRIMSON und YES mit nordischer Mythologie gemeinsam? Der gemeinsame Nenner lautet ENSLAVED.

Dass wir aus dem Hause ENSLAVED kaum etwas anderes als ein abwechslungsreiches, nach vorn gewandtes Album bekommen würden, war im Prinzip schon vor Veröffentlichung klar. Kaum eine andere Band aus der norwegischen Ursuppe besetzt die eigene Nische trotz musikalischer Weiterentwicklung so konsequent wie die Truppe um die beiden Gründungsmitglieder Ivar Bjørnson und Grutle Kjellson. Wir waren natürlich gespannt, welches inhaltliche Konzept sich hinter "Heimdal" verbirgt und wie die Band sich immer stärker zu ihren proggigen Einflüssen bekennt. Vorhang auf für einen gesprächigen und sympathischen Grutle Kjellson.


Grutle Kjellson: Entschuldige die Verspätung, das vorherige Interview hatte sich etwas verspätet.

Powermetal.de: Du hast also gut mit Promo zu tun. Gut für eine Band, die seit über 30 Jahren im Geschäft ist, oder?

So sehe ich es auch!

Großartig! Es gibt viel zu besprechen, finde ich, denn "Heimdal" ist eine großartige Platte. Seit ich sie im Dezember bekommen habe, läuft sie jede Woche einige Male. Keine anderen Band konnte ihre Fanbase trotz so viel stilistischer Entwicklung so vergrößern wie ihr. Was ist das Erfolgsrezept von ENSLAVED?

Wir haben es mit jedem Album versucht. Unsere Philosophie war seit jeher, Musik zu machen, die wir selbst gerne auf den Plattenteller legen. Im Laufe der Jahre erweitert man seinen musikalischen Horizont, kauft mehr Platten und wird zu einem neugierigen Musikhörer, einem Musikliebhaber und nicht zu einem Liebhaber eines bestimmten Genres. Und du hörst dir eine große Bandbreite an Musik an, und das färbt natürlich auf die Musik ab, die du machst, und auf die Songs, die du selbst spielst. Und ich denke, dass es für uns wirklich logisch ist, uns zu entwickeln und zu sehen, wohin es führen kann, anstatt einfach ein erfolgreiches Album zu haben. Wir hätten 1997 auch ein weiteres Album wie "Frost" machen können, aber es gibt genug Bands, die genau das tun. Uns würde das keine Befriedigung verschaffen. Und ich denke, der einzige Grund, warum wir schon so lange zusammen spielen, ist, dass Ivar und ich immer den Drang hatten, etwas anderes zu machen, um uns zu unterhalten. Und es war immer unterhaltsam. Und es ist immer noch unterhaltsam. Und es ist cool zu wissen, vor allem, wenn man auf Tour geht und ein neues Album promotet, weil man diese neuen Songs noch nie live gespielt hat und neugierig ist, wie sie ankommen werden. Und das ist immer noch sehr aufregend. Und zu sehen, wie das Publikum auf das neue Material reagiert, das ist etwas Besonders, verstehst du?

Ich finde, das ist ein sehr ehrlicher Ansatz. Ich muss gestehen, dass ich Anfang der 2000er, als ich zum Black Metal kam, mit ENSLAVED noch nichts anfangen konnte. Aber es kam der Punkt, an dem ich verstanden hatte, was eure Musik ausmacht. Und seitdem bin ich einer der Fans, die diese Entwicklung gerne mitmachen. Im Vergleich zu den letzten Alben ist "Heimdal" aber doch wieder recht heavy ausgefallen, findest du nicht?

Es ist in jedem Fall wieder etwas anders. Wobei wir uns definitiv der klasisschen Songstruktur im Rock bzw. Metal annähern. Wir sind dieses Mal sehr esoterisch inspiriert. Natürlich spielt auch Krautrock eine große Rolle. Deutsche elektronische Musik aus den frühen Siebzigern, aber auch KRAFTWERK. Und so kommt es, dass wir manchmal trippig aber auch sehr dynamisch klingen.

Ich finde die Dynamik extrem positiv, weil man das in der Metal-Welt so nicht oft hört. Als Fan von klassischer Musik und Jazz weiß ich das sehr zu schätzen, weil das ganze Hörerlebnis viel tiefgründiger wird.

Den Vergleich zu Jazz und Klassik mag ich. Wir klingen halt nicht so wie eine Classic-Rock-Band, die quasi ein Getriebe mit nur einem Gang hat. Das versuchen wir zu vermeiden, insofern sind wir da vermutlich näher an anderen Stilen als am Rock.

Die Richtung wurde ja bereits auf dem letzten Album eingeschlagen, ebenfalls auf der "Caravans..."-EP. War das euer Ziel, mehrere Alben in diese Richtung zu schreiben?

Die Sache ist die, dass wir nie irgendwelche Pläne haben, irgendetwas zu integrieren. Es ist, als ob es ganz natürlich kommt. Ich meine, wir hören schon seit langer Zeit Musik, und wenn wir die Songs arrangieren, gibt es immer eine Menge Ideen. Aber ich meine, wir setzen uns nie hin und besprechen, woher diese Ideen kommen, denn ich kann Ideen haben, von denen ich keine Ahnung habe, woher ich sie nehme. Das liegt daran, dass wir seit vielen, vielen Jahren sehr viel Musik hören. Und natürlich hat sich dieses Mal wieder viel davon in die Musik eingeschlichen, ohne dass ich das bewusst mache. Ich höre das oft von Journalisten, wenn es heißt: "Die Stelle klingt nach KING CRIMSON" oder soetwas, Ja, das kann oftmals stimmen. Ist doch cool! Wenn eine Band fast ausnahmslos Musik wie KING CRIMSON hört, ja dann wird man das vermutlich auch in der eigenen Musik wiederfinden.

Eine ähnliche Entwicklung wie bei OPETH, würde ich sagen.

Ja, na klar das kann sein. Vor allem Mikael hat eine riesige Sammlung und wir hören viele ähnliche Bands. Auch wenn wir aus unterschiedlichen Richtungen kommen.

Sprechen wir doch über den Albumtitel. Ihr geht damit im Prinzip zurück zum "Yggdrasill"-Demo, auf dem es den Song 'Heimdallr' gibt. Habt ihr also die Idee, diese Figur wieder aufzugreifen, schon lange in euch getragen? Wie kam es dazu?

Nun, Heimdall ist ein sehr interessanter Charakter, der schon lange im Schatten es ENSLAVED-Universums lauert. Eigentlich haben wir zu Beginn immer ein Konzept und beginnen dann erst mit dem Songwriting. Dieses Mal rief mich aber Ivar an, nachdem er einige Gläser Wein getrunken hatte. Er meinte, was wäre denn mit Heimdall? Für das nächste Album? Für mich war klar, dass das gut funktionieren könnte, obwohl er eine komplexe Figur ist. Einige Wochen später kam er zu mir nach Hause, wo wir diskutiert und das ganze Thema einmal durchgespielt haben. Bevor es also an die Musik, Texte oder gar das Layout für irgendetwas geht, muss das Konzept stehen. Und in diesem Fall war das alles so weit fertig, erst dann haben wir mit den eigentlichen Texten begonnen. Wir mussten wirklich viel recherchieren, denn die Ursprünge von Heimdall gehen weit zurück. Noch weiter als in der nordischen Mythologie.

Ich war ehrlich gesagt überrascht von den neuen Songs denn ich hatte klassische Songtexte über nordische Sagen erwartet. Aber darum geht es vordergründig gar nicht. Wenn ich das richtig sehe, reflektiert ihr eher das Wesen Heimdalls in den Texten. Heimdall bewacht ja die Bifröst-Brücke, sozusagen den Übergang von Midgard nach Asgard. Und um Transition, Veränderung von einem Stadium zum anderen geht es ja in vielen Songs. Liege ich da richtig?

Das könnte richtig sein, ja. Man muss dabei berücksichtigen, dass Heimdall ein noch viel älteres Wesen ist als die nordische Mythologie selbst. Er wurde in sie integriert. Abbildungen und die Verehrung Heimdalls bzw. seiner Vorgänger findet man bereits in der Bronzezeit. Wir mussten sehr viel recherchieren, am Ende haben wir viele Zusammenhänge in der Mythologie neu deuten können und sind auch auf Erkenntnisse von verschiedenen Wissenschaftlern gestoßen, die uns diesbezüglich Recht geben.

Lass uns noch einmal über die Bronzezeit sprechen. Das Horn, welches man zu Beginn des Albums hört, ist ein ganz besonderes, richtig? Seid ihr für das Coverfoto auf den Fjord hinaus gefahren?

Ja, wir sind mit dem Boot rausgefahren, allerdings ein See und kein Fjord. Wir wollten die Atmosphäre so gut wie möglich nachstellen, deswegen war es auch ein Paddelboot. Das Horn befindet sich im Besitz von WARDRUNA - die Nachbildung eines 3.000 Jahre alten Horns, welches in Dänemark gefunden wurde. Eilif von WARDRUNA hat in das Horn gestoßen. Ich bekomme jedes Mal Gänsehaut beim Intro. Es ist, als würdest du unmittelbar durch Zeit und Raum transportiert werden.

So ging es mir, als ich das Album bei einem Spaziergang an einem der wenigen richtig kalten Tage hier in Deutschland gehört habe. Ein toller Start für das Album!

Genau, es klingt sehr massiv, ist aber nicht super lang. Ich mag das Intro wirklich sehr, sehr gerne!

Wir befinden uns mitten im Konzept der Platte. Auf welche Art habt ihr euch denn dieses Mal dem Songwriting und den Texten genähert?

Ivar und ich versuchen immer, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Ich für meinen Teil schreibe die Texte und Melodien erst recht spät. Ich muss die Stimmung eines Songs, seine Riffs und die Kraft auf mich wirken lassen, ehe ich Gesangsmelodien schreiben kann. Ich sitze dabei im Büro und lasse mich gerne auch bei einem Glas Wein von Thema und Musik inspirieren.

Du bist ja nicht der einzige Sänger in der Band. Bei ENSLAVED singen mehr Musiker als in den allermeisten anderen Bands.

Und ich finde das cool, wirklich! Wir haben uns ja über die Dynamik unterhalten. Die profitiert natürlich von verschiedenen Stimmen beziehungsweise Arten des Singens. Ich liebe beispielsweise YES, die Band hat viele ganz fantastische Kompositionen geschaffen. Aber wenn ich eine Stunde lang Jon Anders hohe Stimme gehört habe, dann leiden meine Ohren etwas. Zwei Songs wären manchmal auch genug.

Apropos genug Songs. Es gibt einen Bonustrack, der allerdings nicht etwa am Ende von einigen Versionen zu finden ist, sondern überall ist 'Heimdal' der abschließende Song. Ich nehme an, dafür gibt es einen Grund?

Ja, den gibt es. Es gibt Theorien, was nach Ragnarök mit Heimdall geschieht. Er wird ja von Loki umgebracht, wandelt sich anschließend aber in eine neue Form. Er geht gewissermaßen auf seine nächste Reise, wenn die Welt tatsächlich untergeht. Das musste der Schluss des Albums sein.

Und somit sind wir auch am Schluss des Interviews angekommen. Ich danke dir für deine Zeit - bis zum nächsten Mal!

Foto-Credit: Roy Bjørge

Redakteur:
Nils Macher

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