EVERGREY: Ein letztes Gespräch mit Jonas Ekdahl?
12.06.2024 | 01:09Ein Gespräch zwischen Tonstudio-Nerdtum und Philosophie.
"Theories Of Emptiness" stellt in vielerlei Hinsicht einen Neuanfang für die schwedischen Prog-Metaller EVERGREY dar. Sei es nun der moderne Sound, die Abkehr von verspielten Artworks oder auch der Abschied von Schlagzeuger Jonas Ekdahl. Wir unterhalten uns mit dem gelöst wirkenden Schweden, der mit Stolz auf seine Zeit im EVERGREY-Lager zurückblickt.
Jonas, du hast eine turbulente Zeit hinter dir, vermute ich. Trotzdem sitzt du hier und gibst Interviews zu eurem aktuellen und deinem letzten Album mit EVERGREY. Wie geht es dir?
Mir geht es gut, wirklich sehr gut! Da ich viel zum Album beigetragen habe, wollte ich natürlich auch die Interviews machen. Ich habe am Songwriting mitgewirkt, bei der Produktion und natürlich Schlagzeug gespielt. Es fühlt sich ganz natürlich an, Interviews zu geben.
Wie sieht deine Rolle in Zukunft aus, wirst du in irgendeiner Art und Weise am Geschehen beteiligt sein?
Ich denke schon, dass ich bei Songwriting und Produktion meine Finger im Spiel haben werde. Mehr nicht.
Das Touren hinterlässt also seine Spuren?
Ja, wenn du es nicht mehr mit Leidenschaft tust. Und genau an diesem Punkt habe ich mich wiedergefunden. Inzwischen habe ich viel mehr Freude daran, Songs zu schreiben und sie zu produzieren, als sie auf der Bühne zu spielen. Ich konzentriere mich auf das, was mir Spaß macht.
Die Tür wird ja sicherlich auch nicht verschlossen bleiben ...
Sag niemals nie. Aber ich habe dieses Gefühl schon seit langer Zeit verspürt, das war keine Impulshandlung. Es hat sich graduell entwickelt, würde ich sagen.
Hatte die Pandemie auch einen Effekt? Ich habe in einem Interview zum letzten Album gelesen, dass der Albumzyklus ohne Live-Shows eine Art Zäsur für euch war?
Nein, das hatte keinen Einfluss. Ich dachte erst, dass ich mal einen schlechten Tag auf Tour hatte. Die Gefühle kamen jedoch immer öfter wieder, sodass ich mehr auf meine innere Stimme gehört habe. Die Klarheit kann dann ziemlich schnell. Ich bin zu 100% zufrieden mit meiner Entscheidung. Auch für die Band, ich meine Simen (Sandnes - NM) ist ein großartiger Drummer.
Wenn wir schon dabei sind, sich selbst treu zu bleiben: Euer letztes Album war das kommerziell erfolgreichste. Mit "Theories Of Emptiness" habt ihr euch nicht auf euren Lorbeeren ausgeruht, sondern die Komfortzone verlassen.
Ja, wir wollten unbedingt alte Muster durchbrechen. Es wurde etwas zu gemütlich in vielerlei Hinsicht. Wir waren in einem Trott beim Songwriting, bei den Aufnahmen, sogar beim Mixing durch Jacob Hansen. Es fühlte sich alles zu sicher an. Und das sind absolut keine persönlichen Gründe gegen Jacob beispielsweise, er ist fantastisch. Wie mussten an diesem Punkt einfach etwas Neues probieren. Ein großer Teil davon war unser neues Studio, das im Prinzip ein komplett verkabelter Proberaum in einem alten, legendären Studio in der Nähe von Göteborg ist. Dort haben Bands wie ABBA oder STATUS QUO schon aufgenommen. Das war richtig cool, auch für EVERGREY zwei der Räume zu ergattern. Die andere Sache ist das Engagement von Adam "Nolly" Getgood (ehemaliger PERIPHERY-Bassist und gefragter Audioingenieur - NM). Wir haben angefragt, ob er sich vorstellen könne, mit uns zu arbeiten. Er war sofort dabei und hat uns beim Engineering geholfen. Er kam nach Göteborg und hat das Studio so vorbereitet, dass wir jederzeit aufnehmen konnten. Hat Schlagzeugfelle gestimmt, Mikrofone ausgerichtet etc. Die Spontanität, die wir dadurch hatten, war sehr inspirierend für uns.
Du beantwortest meine Fragen ja alle schon, ehe ich sie überhaupt gestellt habe. Der Prozess hat mich auch interessiert, denn es gibt inzwischen sehr viele Bands, die komplette Alben über Zoom zusammen schreiben und aufnehmen. Ich schätze, der Unterschied beim Gefühl könnte kaum größer sein?
Absolut! Bei unserem letzten Album "The Heartless Portrait" haben wir es genau so gemacht und den ganzen Tag am Computer verbracht. Tom (Englund, Sänger - NM) und ich haben morgens um 8 Uhr die Zoom-Session gestartet und einfach zusammengearbeitet. Dieses Mal habe ich gespürt, wie sehr sich die Chemie untereinander verändert. Die Energie ist eine ganz andere, denn du kannst dich viel besser gegenseitig unterstützen und an einer Sache arbeiten. Das mag ich übrigens auch unabhängig von EVERGREY, mit anderen Menschen diese Verbindung aufbauen und ihre Songs mitzukomponieren und zu produzieren.
Würdest du denn sagen, dass du als Drummer noch einmal eine andere Perspektive auf die Dinge einbringst als die anderen in der Band?
Ich weiß nicht. Ehrlicherweise würde ich mich gar nicht unbedingt als Drummer bezeichnen, jedenfalls in den letzten Jahren. Denn das Schlagzeug ist nur ein Teil des ganzen Albums. Natürlich bringt es Vorteile mit sich, so lange Schlagzeug gespielt zu haben, da ich rhythmisch andere Ideen habe. Andererseits kann auch das Gegenteil der Fall sein, wo jemand eine Idee für einen Schlagzeugpart hat, auf die ich als Drummer nie gekommen wäre. Ich schreibe ja auch Gitarrenriffs oder Akkorde für Synthesizer. Wir tauschen uns aus und nehmen dann die Idee, welche dem Song am meisten hilft.
Wie genau kann ich mir denn Einfluss von Adam "Nolly" Getgood bei den Aufnahmen vorstellen?
Ich muss zugeben, dass ich schon immer ein großer Fan von ihm war, obwohl er jünger ist als ich. Er hat diese revolutionäre Drum-Bibliothek namens GGD entwickelt, so etwas gab es vorher einfach nicht. Jedenfalls war ich bei uns total beeindruckt von seinem Wissen. Ich habe wie immer das Schlagzeug aufgebaut und die Mikros positioniert, bis er ins Spiel kam und wirklich nur Feinheiten geändert hat. Die Richtung, wie die Snare-Drum gedreht ist, beispielsweise. Oder die Stimmung der Trommeln, er hat ganz viele Tricks in seinem Köcher, mit denen er das Ergebnis so wahnsinnig viel besser macht. Gefühlt habe ich an einem Tag so viel gelernt wie sonst in einem ganzen Jahr. Darüber hinaus war er auch bei den Songs involviert, hat sich unsere Demos angehört und mir und Tom Feedback gegeben. Manche Vorschläge haben wir umgesetzt, andere wiederum nicht. Es hat uns aber auch zu einem starken Dreiergespann während der Produktion gemacht. Ich bin richtig stolz, dass er uns hier begleitet hat.
Lass uns gerne auch noch über einige Songs sprechen. Da ich morgen zu einer Dienstreise nach Malmö aufbreche, ist 'We Are The North' natürlich die perfekte Vorlage. Wie geht es dir speziell mit dieser Nummer?
Im Prinzip sind alle EVERGREY-Songs ein Ergebnis von Toms Lebenserfahrung und Dingen, die er durchlebt hat, die ihn emotional geprägt haben. So ist es auch bei 'We Are The North', wo ich ihn sehr gut verstehen kann mit diesem Zwiespalt. Ist es das, worauf du hinauswolltest?
Ja, unter anderem. Als Deutscher ist meine Perspektive auf Dinge wie Nationalstolz und Heimat anders als die vieler Schweden, vermute ich.
Ja, das ist wahr. Aber dazu müsste Tom mehr sagen.
Kein Problem. Wie steht es um den Titeltrack sozusagen, 'A Theory Of Emptiness'?
Das gesamte Album basiert auf verschiedenen Konzepten oder Arten von Leere. Oftmals hat dieser Begriff eine negative Konnotation ...
Die berühmte "fear of missing out"?
Ja zum Beispiel. Aber die Leere kann auch eine gute Sache sein, genau davon handelt dieses Lied. Wenn du zum Beispiel deinen inneren Frieden gefunden hast, dann brauchst du nichts mehr anderes. Dann bist du "at peace", du bist zufrieden.
Zufrieden sein könnt ihr definitiv mit eurem Artwork, das aber auch einen krassen Bruch mit bisherigen EVERGREY-Covern darstellt.
Tom saß eines Tages an seinem Handy und scrollte durch unsere Veröffentlichungen bei Spotify oder so. Und er hatte alle diese großartigen Bilder vor sich, konnte aber nichts erkennen weil sie so klein sind. Da hatte er die Idee, ein Cover zu entwerfen, das man auf dem Handy erkennt, auf einem T-Shirt etc. Er hat dann Mattias Norén ins Boot geholt, der schon ganz früh für EVERGREY gemalt hatte. Er kam dann mit diesem völlig anderen Artwork um die Ecke, das ich inzwischen sehr clever finde.
Spielt denn die physische Veröffentlichung auch noch eine große Rolle für euch?
Ja na klar. Unsere Fans lieben es auch, wenn die Aufmachung etwas hermacht und wir ein paar schicke Vinylfarben am Start haben.
Wenn ich das mal zusammenfasse, dann habt ihr ein wahnsinnig starkes Album aufgenommen, hattet als Band eine tolle Chemie und habt viele Dinge erneuert, zum ersten Mal so gemacht. Ist das der perfekte Zeitpunkt, um aufzuhören?
Absolut. Ich war zunächst skeptisch, was das Timing meines Ausstiegs betrifft, aber es hätte insgesamt nicht besser laufen können muss ich sagen.
Hier schließt sich der Kreis zum Thema des Albums: Du hast etwas aufgegeben, aber statt dunkler Leere spürst du inne Erfüllung.
Ja, ist es nicht ironisch?
Das war der perfekte Schlusssatz. Wir wünschen Jonas alles Gute für seine zukünftigen Herausforderungen und wie heißt es so schön: Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.
Photo-Credit: Patric Ullaeus
Cold Dreams
https://www.youtube.com/watch?v=tXWj0lEXkNc
- Redakteur:
- Nils Macher