EVIDENCE ONE: Interview mit Carsten Schulz
01.01.1970 | 01:00Bereits mit ihrem Debütalbum konnten EVIDENCE ONE in der internationalen Metal-Szene für Aufsehen sorgen und sich folgerichtig auch einen Deal bei Nuclear Blast sichern. Nun schlägt die Band ein weiteres Mal zu und erzielt einen noch schöneren Treffer, denn "Tattooed Heart" ist zweifelsohne eines der besten deutschen Power-Metal-Alben der letzten Monate. Wie die Band den rasanten Aufstieg schaffte und wie es ihr dabei ergaing erzählte mir ein gut gelaunter Carsten Schulz.
Björn:
Hallo, alles klar bei dir?
Carsten:
Alles prima! Mir geht's gut
Björn:
Euer neues Album ist jetzt eine gute Woche lang draußen, wie sind denn die Reaktionen bisher?
Carsten:
Nun ja, zu allermeist geradezu überschwänglich! Interessanterweise reagiert vor allem die klassische Metal-Presse ausgesprochen positiv auf die Scheibe, damit hätten wir unser Arbeitsziel sozusagen erreicht!
Björn:
Mit eurem Debüt seid ihr ja damals ganz überraschend aufgetaucht und konntet durchweg gute Kritiken einheimsen. War der Druck deshalb bei "Tattooed Heart" nicht ziemlich groß?
Carsten:
Ich muss zugeben, dass ich dass ich diesen Druck nicht wirklich wahrgenommen habe, bei Robby allerdings war es komplett anders. Robby hat den Erfolg der ersten Scheibe als Herausforderung genommen, mit der zweiten Scheibe noch eine Schippe draufzuhauen. In der Tat habe ich das gar nicht wirklich verstanden, aber im Endeffekt ist das Resultat exakt so ausgefallen, wie wir es uns vorgestellt hatten, von daher war der Druck sicherlich dem Album dienlich
Björn:
Wie habt ihr denn seinerzeit überhaupt reagiert, als eben jene Reaktionen plötzlich so gut waren? Hattet ihr im Vorfeld damit gerechnet?
Carsten:
Zu sagen, wir wären überrascht gewesen, wäre untertrieben! "Criticize The Truth" ist mehr oder minder als reines Spaß-Projekt entstanden. Robby wollte lediglich eine Scheibe aufnehmen, die wir uns auch selbst kaufen würden. Natürlich merkt man irgendwann, dass man schon etwas Besonderes zustande gebracht hat, aber dass das Album derart durchstarten würde, damit hat natürlich keiner von uns gerechnet!
Björn:
Mit welcher Einstellung seid ihr denn dieses Mal ans Songwriting gegangen?
Carsten:
Nun, durch die Tour mit SAXON und die Festivals sind wir fünf als Einheit zusammengewachsen, zu einer echten Band, die eben kein Solo-Projekt mehr ist. Außerdem konnten wir durch die Live-Shows wirklich zu unserem eigenen Sound finden. Wir benutzen live keine Keyboards und kommen deutlich härter und roher rüber - das wollten wir auch auf der Platte zeigen! Wir sind zu einer Metal-Band geworden, und danach sollte das neue Album auch definitiv klingen!
Björn:
Auf der neuen Platte befinden sich fast ausschließlich Kompositionen im mittleren Tempo. Fühlt ihr euch in diesem Bereich am wohlsten oder war das eher Zufall, dass es dieses Mal so ausgekommen ist?
Carsten:
Kann ich dir eigentlich gar nicht wirklich beantworten! Wir haben die Songs ausgewählt, die unserer Meinung nach die stärksten waren - da haben wir auf die Tempi gar nicht so sehr geachtet...
Björn:
Ausgerechnet zu einem der flotteren Stücke, nämlich 'Virus In My Veins', habt ihr jetzt ein Video abgedreht. Ist das dann nicht irgendwie seltsam, wo dieser Song ja eigentlich nicht so ganz repräsentativ für das restliche Material ist?
Carsten:
Es ist unserer Ansicht nach schlicht einer der stärksten Songs! Nuclear Blast wollten die Nummer als ersten Video-Clip haben und da wir alle tierisch auf den Song stehen, hatten wir nichts dagegen. Es mag etwas untypisch sein, aber ich denke nicht, dass die Nummer den Eindruck der Band verzerren würde. Er war sogar als Opener für "Tattooed Heart" im Gespräch, aber das wollten wir dann doch nicht.
Björn:
Warum habt ihr euch denn ausgerechnet für diesen Song entschieden?
Carsten:
Wie gesagt, es war in erster Linie die Idee von Nuclear Blast, da er sicherlich auch was das Publikum angeht die meisten Leute ansprechen sollte. Ganz gleich, ob du eher auf typischen Melodic Metal stehst oder eher ein Hard-Rock-Fan bist, die Nummer dürfte beiden Lagern zusagen. Außerdem leben wir sozusagen schon einige Zeit mit dem Song, da wir ihn seit einem knappen Jahr bereits live spielen, von daher ist er auch einer unserer Favourites.
Björn:
Und was kannst du mir zu den Dreharbeiten sagen?
Carsten:
Gedreht haben wir in einer alten Fabrik, die ein wirklich cooles Ambiente bot. Es war übrigens arschkalt da! Die Story dahinter ist, dass ich ein Insasse einer heruntergekommenen, psychiatrischen Anstalt bin und mich immer wieder gegenüber den Pflegern zur Wehr setzen muss. Letztlich flüchte ich und werde von einer hübschen jungen Dame gerettet. Ist wirklich sehr, sehr cool geworden.
Björn:
Bisher habe ich den Clip noch nicht bei VIVAs Hell's Kitchen, wo ja momentan recht viele Metal-Clips laufen, gesehen. Wird er denn noch in deren Rotation aufgenommen?
Carsten:
Ich hoffe es! Nuclear Blast arbeiten derzeit daran. Ich denke, es wird sich in den kommenden Wochen entscheiden. Im Zweifelsfall kannst du ihn dir aber auch auf unserer Homepage ansehen.
Björn:
Mit Nuclear Blast habt ihr ja neuerdings einen starken Vertragspartner, der euch solche Sachen wie zum Beispiel den Videodreh sicherlich leichter ermöglichen kann. Wie seid ihr an das Donzdorfer Label herangekommen?
Carsten:
Der Kontakt entstand zwischen Robby und Mat Sinner während des Wacken Open Air 2003, wo wir ja auch spielen durften. Robby hatte Mat kurz darauf neues Material geschickt und einige Wochen später war der Deal perfekt - das war's! Ganz einfach. Letztlich haben wir es also Mat Sinner zu verdanken, dass wir bei Blast unterschreiben durften.
Björn:
Anscheinend leisten sie gute Arbeit für euch, oder nicht? Seid ihr zufrieden mit dem, was das Label aus seinen Möglichkeiten für euch herausholt?
Carsten:
Zufrieden wäre untertrieben - wir sind begeistert! Blast machen all das, was ich mir schon immer gewünscht habe und noch einiges mehr. Ich glaube, ich habe noch nie so viele Interviews für eine einzige Platte geben müssen! Im Ernst, die Zusammenarbeit und Promo sind geradezu fantastisch.
Björn:
Was muss ein Label euch denn grundsätzlich gewährleisten, worauf legt ihr Wert?
Carsten:
Für mich ist eigentlich ganz allgemein das Wichtigste, dass ich das Gefühl bekomme, man steht hinter dem, was die Band macht. Hört sich vielleicht selbstverständlich an, aber ich musste in der Vergangenheit immer wieder die bittere Erfahrung machen, dass es das leider nicht ist. Bei Blast ist dies derzeit komplett anders. Sie stehen voll und ganz hinter uns und dem Album - und das ist ein extrem beruhigendes Gefühl.
Björn:
Kommen wir noch mal zu eurer neuen Platte. Sehr angenehm finde ich die Tatsache, dass ihr euch nicht wirklich in eine bestimmte Schublade einordnen lasst. Für das Hard-Rock-Genre seid ihr sicherlich zu heavy, doch für den härteren Sektor bringt ihr wiederum zu viele Elemente aus dem traditionellen Hard-Rock-Bereich mit. War es euer Ziel, eine gut ausgewogene Mischung aus diesen beiden Genres herzustellen?
Carsten:
Natürlich. Wie bereits anfangs erwähnt, wollten wir in erster Linie zeigen, dass die Band eine Metal-Band geworden ist, wir einfach, auch durch die Hinzunahme des zweiten Gitarristen Wolfgang Schimmer härter geworden sind. Dennoch wollten wir die Fans des ersten Albums nicht komplett vergraulen. Es ist gut zu sehen, dass die Abwechslung auch nach außen so ankommt. Robby und ich haben, was die Songauswahl angeht, so einige Kämpfe ausgefochten. Während er der Verfechter der Heavy-Linie war, wollte ich den Hard Rock nicht komplett aus den Augen lassen. Das Ergebnis ist ein Album, was so geworden ist, wie wir es beiden wollten!
Björn:
Welche Rolle hat es dabei gespielt, dass manche bei euch nebenbei noch bei FRONTLINE und DOMAIN aktiv sind?
Carsten:
Na ja, zumindest keine bewusste. In erster Linie geht es darum, dass die Unterschiede zu DOMAIN und FRONTLINE deutlich erhalten bleiben. Es macht keinen Sinn, sich zu wiederholen. Natürlich hat jeder seine Trademarks, aber es wäre witzlos, noch mal die gleiche Band zu gründen. Es ist vielmehr auch so, dass wir alle bei EVIDENCE ONE die Musik machen können, die wir eben bei FRONTLINE und DOMAIN nicht machen können.
Björn:
Versucht ihr denn beim Komponieren neuer Songs direkt zu vermeiden, dass sich diese zu sehr nach diesen beiden Bands anhören, oder sortiert ihr diesbezüglich nicht aus?
Carsten:
Diese Frage müsste ich eigentlich Robby stellen, da er der Songwriter in der Band ist, aber schreibt die Songs ohnehin bewusst für die eine oder andere Band. Er setzt sich nicht hin, komponiert und überlegt sich danach, wem er es vorsetzen kann, sondern schreibt bewusst für FRONTLINE oder EVIDENCE ONE. Da ich in das Songwriting bei DOMAIN nicht in dem Maße involviert bin, wie ich das bei EVIDENCE ONE bin, brauche ich mir diesbezüglich ohnehin keine Gedanken zu machen.
Björn:
Wenn ich mir diesen stilistischen Balanceakt ansehe, kann ich mir vorstellen, dass eure Einflüsse auch breit gefächert sind. Kannst du mir dennoch verraten, welche musikalische Inspiration zur Gründung von EVIDENCE ONE geführt hat?
Carsten:
Nun ja, EVIDENCE ONE war ursprünglich als Robby's Soloalbum gedacht, da er jede Menge Material übrig hatte, was für FRONTLINE deutlich zu hart war. Letztlich war unsere einzige Motivation, ein Album zu machen, das wir uns selbst kaufen würden. Wir haben uns seinerzeit überhaupt keine Gedanken um Musikstil oder so etwas gemacht, sondern einfach drauflos geschrieben. Wenn du aber nach unseren persönlichen Roots fragst, dann geht das ganz klar in Richtung klassischer Achtziger-Bands, wie QUEENSRYCHE, die SCORPIONS (als die noch wussten, was rocken heißt), Y&T oder DOKKEN. Aber auch Acts wie ACCEPT oder MALMSTEEN! Als diese Bands groß waren, galten sie als Metal-Bands, und in der Tradition sehen wir uns eigentlich.
Björn:
Als letzte Frage zu diesem Thema würde ich noch gerne von dir wissen, ob du die Band AT VANCE kennst. Meiner Meinung nach gibt es nämlich eine Menge Parallelen zwischen euch und dieser Truppe, besonders wenn ich deren letzte Scheibe "The Evil In You" mit "Tattooed Heart" vergleiche.
Carsten:
Klar kenne ich AT VANCE! Oliver Hartmann ist meiner Ansicht nach einer der besten Sänger Europas - ich finde auch die Bonus-Tracks der Scheibe, die er noch gesungen hat, deutlich besser, als das eigentliche Album mit Mats Leven, obwohl der auch selbstredend zu den ganz Großen gehört. So gesehen ehrt uns der Vergleich, was die Musik allerdings angeht, so sind wir doch wesentlich straighter, weniger RAINBOW/MALMSTEEN, meiner Ansicht nach.
Björn:
Bist du also mit diesem Vergleich einverstanden?
Carsten:
Wenn du auf AT VANCE stehst - klar! Ich hatte vor kurzem ein Interview mit einem französischen Kollegen von dir, der meinte, ob es mir was ausmachen würde, wenn er uns mit STRATOVARIUS und HELLOWEEN vergleichen würde. Ich musste dann doch fragen, ob er das Album überhaupt gehört oder nur den Labelnamen gelesen hat?! Letztlich, es ist mir egal, womit man die Band vergleicht, solange man drauf steht. Wie gesagt, ich sehe die Band eher in der Tradition von DOKKEN, Y&T, QUEENSRYCHE oder den SCORPIONS, aber das ist eine vollkommen subjektive Sicht.
Björn:
Mit wem werdet ihr denn sonst schon mal verglichen?
Carsten:
Von HELLOWEN bis LEATHERWOLF, von VICTORY bis MASTERPLAN, von FIFTH ANGEL bis WHITESNAKE, von PRIMAL FEAR bis DOKKEN! Such dir was aus...
Björn:
Was steht jetzt als nächstes an im Hause EVIDENCE ONE?
Carsten:
Derzeit sind wir auf der Suche nach einer geeigneten Tour, das ist das Wichtigste derzeit. Leider haben wir noch nichts fest.
Björn:
Habt ihr also noch keine konkreten Tourangebote?
Carsten:
Leider keine, die sich tatsächlich realisieren ließen, aber wir arbeiten hart daran!
Björn:
Und wie schaut es mit den Sommerfestivals aus? Das Billing solcher Veranstaltungen wie Wacken ist gerade dabei, konkrete Formen anzunehmen, wäre das im nächsten Jahr auch eine Option für euch?
Carsten:
Die Chancen sind gut, dass wir einige der großen Festivals im nächsten Jahr spielen werden. Wacken sieht gut aus, ist aber noch nicht fest, Earthshaker ist mehr als wahrscheinlich, aber auch im Ausland gibt es Gespräche. Ich sag mal so, es dürfte schwer werden, uns nächsten Sommer nicht zu treffen!
Björn:
Was können wir sonst noch von EVIDENCE ONE erwarten?
Carsten:
Das ist eine sehr gute Frage. Ich hoffe mal, noch viele, viele weitere Platten!
Björn:
Und was hast du unseren Lesern und euren Fans abschließend zu sagen?
Carsten:
Geht auf unsere Website, da kann man in das komplette Album reinhören, macht euch ein eigenes Bild von EVIDENCE ONE, und wenn's euch gefällt, beehrt den CD-Handel eures Vertrauens!
Björn:
Vielen Dank für das Interview und vor allem die Möglichkeit, dass wir einen Mailer machen konnten. Ich bin momentan hauptberuflich dermaßen im Stress, dass ich schwer einen Termin für ein Telefon-Interview hätte ausmachen können, wollte das hier aber dringend durchziehen, da mir eure Platte wirklich ausgesprochen gut gefällt. Hoffentlich hat man demnächst mal die Gelegenheit bei einem Konzert von EVIDENCE ONE ein Bierchen zu heben, würde mich freuen, dann kann ich mich für die Extramühe revanchieren! Bis dahin alles Gute!
Carsten:
Absolut kein Problem, man! Ich hoffe, man sieht sich irgendwann auf einem Konzert oder Festival! Quatsch mich einfach an und lass uns ein, zwei Bier zusammen drücken!
- Redakteur:
- Björn Backes