FACES OF SARAH, THE: Interview mit Nick Schultz
04.12.2006 | 12:22Gothic-Rock von der britischen Insel hat bekanntlich eine gewisse Tradition. Wobei THE FACES OF SARAH so "gothic" gar nicht sind: Ihr zweites Album "Lament" strotz nur so vor ohrwurmverdächtigen Melodien und abwechslungsreichem Songwriting und lässt sich daher nur bedingt diesem Genre zuordnen. Sänger Nick Schultz, dessen leidenschaftliche Stimme die elf Tracks maßgeblich prägt, klärt im Interview über die Hintergründe der bereits seit sieben Jahren existierenden Formation auf.
Elke:
Ich gehe davon aus, dass THE FACES OF SARAH nicht euer erstes musikalisches Betätigungsfeld ist. Was habt ihr vorher gemacht?
Nick:
Ja, wir sind alle schon eine Weile im Geschäft. Ich selbst singe seit 15 Jahren in verschiedenen Bands, davon sieben Jahre in THE FACES OF SARAH. Ich hatte vorher unter anderem eine Rock-Band in Madrid. Unseren Schlagzeuger Steve kenne ich bereits seit 1991, zu Zeiten meiner ersten Gothic-Formation SHADOW OF DOUBT.
Elke:
Ich bin erst durch das aktuelle Album "Lament" auf euch aufmerksam geworden. Erzähl mir doch ein bisschen über euren Werdegang.
Nick:
Um es kurz zu machen: Die Band wurde 1999 gegründet. Unser erstes Album, "24", erschien im Jahre 2001. Danach haben wir zwei EPs veröffentlicht, "Misery Turns" und "Impurity", letztere wurde von uns selbst finanziert. Wir sind bisher nur in Großbritannien aufgetreten, unter anderem mit THE MISSION, NFD, THEATRES DES VAMPIRES und KILLING MIRANDA. Kürzlich haben wir einen Deal bei Malicious Damage Records unterschrieben, bei denen auch KILLING JOKE und THE ORB unter Vertrag stehen. Dort erschien jetzt unser zweites Album "Lament".
Elke:
Was bedeutet der Name THE FACES OF SARAH?
Nick:
Der Name basiert auf dem ersten Gerichtsverfahren, das in Amerika jemals gegen eine Person - eine Dame namens Sarah - mit multipler Persönlichkeitsstörung geführt wurde. Es wurde damals argumentiert, dass sie für ihr Verbrechen nicht verurteilt werden könne, weil sie es als eine ihrer vielen Persönlichkeiten begangen habe und sich die Charakterzüge mit jeder Identität verändern würden. Zum Zeitpunkt unseres ersten Albums hieß es, sie bestehe aus 24 verschiedene Persönlichkeiten. Ich dachte mir, dass dieser Name auch die vielen verschiedenen Gesichter und Persönlichkeiten der Band versinnbildlichen würde.
Elke:
Das ist zumindest die interessanteste Antwort auf die Frage "Wie kamt ihr auf euren Bandnamen?", die mir bisher untergekommen ist - Kompliment! Komponiert ihr eure Musik ähnlich originell?
Nick:
Nicht wirklich. Wir schreiben die Songs im Kollektiv. Normalerweise kommt unser Gitarrist Al mit einem Riff an, um das herum ich die Melodien und Texte schreibe. Davy (Bass) und Steve (Schlagzeug) sind für den passenden Rhythmus verantwortlich. Dann arrangieren und streiten wir so lange, bis wir denken, dass das Stück gut genug ist, um veröffentlicht zu werden. Manchmal dauert das fünf Minuten, manchmal fünf Monate.
Elke:
Euer Debüt "24" soll tolle Reviews nicht nur in eurer Heimat, sondern auch in Chile, Japan, den USA, Australien und Deutschland bekommen haben. Das klingt beeindruckend.
Nick:
Die Verkaufszahlen waren aber leider nicht wirklich beeindruckend, doch wie viele Gothic-Bands aus Großbritannien verkaufen tausende von Alben?! Wir bekamen vermutlich nur deswegen so gute Reviews, weil wir einen Song von BRITNEY SPEARS ['Hit Me Baby One More Time' - die Verfasserin] coverten. Mit "Lament" kann man das Album jedenfalls kaum vergleichen, denn die Songs, die Produktion sowie unsere Fähigkeiten als Musiker und Sänger haben sich dort um 100 Prozent verbessert.
Elke:
Ihr hattet also noch nicht die Gelegenheit, in einem dieser Länder aufzutreten?
Nick:
Nein, aber das war auch nicht geplant. Jedenfalls so lange nicht, bis ich die richtige Band-Konstellation dafür zusammen haben würde. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Besetzungs-Wechsel, weshalb wir es bisher nie über die britische Insel hinaus geschafft haben. Dabei bekamen wir schon etliche Angebote, aber aus irgendeinem Grund schien der Zeitpunkt nie richtig zu sein. Im nächsten Jahr hoffen wir aber, endlich im Ausland spielen zu können.
Elke:
Gab es denn trotz eures regional beschränkten Betätigungsfeldes schon besondere Live-Höhepunkte und -Flops?
Nick:
Ja, das Konzert mit THE MISSION war großartig, weil ich schon immer ein großer Fan der Band war. Zu den Flops zählt jedes Konzert, auf dem nicht genügend Zuschauer waren.
Elke:
Eine der Bands, mit denen ihr bereits zusammen aufgetreten seid, ist INKUBUS SUKKUBUS. Ich kenne sie ehrlich gesagt nicht, aber ich finde das Live-Video zu 'Misery Turns', in dem du ein Duett mit Candia singst, toll, denn eure Stimmen passen sehr gut zusammen. War das eine einmalige Sache, oder wird sie in Zukunft nochmals als Gastsängerin bei euch mitmischen?
Nick:
Das war definitiv eine einmalige Aktion, obwohl 'Misery Turns' einer meiner liebsten THE FACES OF SARAH-Songs ist. Mit einem guten Platten-Label im Rücken wäre er bestimmt ein Hit geworden. Candia hat eine tolle Stimme und ist ein wundervoller Mensch, aber über die Jahre haben wir uns leider etwas aus den Augen verloren.
Elke:
In einem anderen Interview war die Rede von einer Sängerin namens Iside, die nach der "Misery Turns"-EP fest bei euch eingestiegen sein soll. Allerdings gibt es auf "Lament" keinen weiblichen Gesang. Was ist passiert?
Nick:
Ich denke, Iside hat jetzt ihre eigene Band gegründet. Ich bin mir auch nicht mehr so sicher, ob ich es nochmals mit einer anderen Sängerin versuchen möchte, denn ich denke, ich mache alleine schon genug Lärm.
Elke:
Wenn ich die anderen zwei Videos auf eurer Homepage als Referenz hinzuziehe, habt ihr euch früher wesentlich stärker am Gothic-Genre orientiert. Eure Biographie sagt über "Lament", dass ihr es nicht mehr für nötig erachten würdet, euch den Clichés und Regeln des "goldenen Zeitalters" des Gothic zu unterwerfen, sondern eure Inspiration aus vielen verschiedenen Stilrichtungen beziehen und daraus etwas neues, frisches und lebendiges erschaffen würdet. Inwiefern haben sich eure Einflüsse im Laufe der Zeit verändert?
Nick:
In der Vergangenheit haben wir uns in der Tat in dem engen Gothic-Korsett bewegt und an Acts von THE MISSION bis SISTERS OF MERCY orientiert. Dieses Mal waren wir offener und ehrlicher uns selbst gegenüber und machten einfach ein Album, das uns gefällt. Die Einflüsse innerhalb der Band gehen heute von KILLING JOKE über QUEEN, PORCUPINE TREE bis hin zu PINK FLOYD. Trotzdem denke ich, dass "Lament" immer noch alles hat, was ein gutes Gothic-Album ausmacht, denn es ist dunkel und sehr emotional.
Elke:
Da hast du recht. Was sagen denn die anderen zu dem Album? Allzu viele Reviews habe ich bisher nicht finden können.
Nick:
Ich denke, die Reviews werden sehr bald eintrudeln. Die bisherigen haben unsere Erwartungen weit übertroffen, teilweise wurde sogar die Höchstnote gezückt.
Elke:
Was mit daran liegen könnte, dass sich deine Stimme auf dem neuen Album - verglichen zu den älteren Songs auf eurer Homepage - positiv entwickelt zu haben scheint. Sie klingt viel melodischer und emotionaler. Welche Sänger beeinflussen dich persönlich?
Nick:
Oh, vielen Dank für das Kompliment. Ich war dieses Mal einfach ich selbst und nicht "Nick Eldritch" [eine Verballhornung von Nick Cave und Obergnadenschwester Andrew Eldritch - die Verfasserin]. Ich bin nur gut, wenn ich emotional von dem, worüber ich singe, berührt werde. Und so inspirieren mich auch Sänger, die mit ihrer Stimme Gefühle rüberbringen können. Ich fürchte, das sind alles eher klassische Typen wie Freddie Mercury. Auch Nick Cave ist eine große Inspirationsquelle für mich, er ist ein lyrisches Genie.
Elke:
Würdest du THE FACES OF SARAH denn immer noch als Gothic-Band bezeichnen? Ich persönlich finde diese Schublade für "Lament" nicht sehr passend, aber mir fällt auch keine wirklich gute Definition ein - Emotional Dark Rock vielleicht?
Nick:
Emotional Dark Rock gefällt mir - das werden wir künftig verwenden. [Aber nur, wenn ich das Copyright dafür bekomme ;-) - die Verfasserin]. Ich denke, in unserer Musik gibt es heutzutage so viel Gefühl, dass wir nicht einfach nur eine weitere Gothic-Band darstellen.
Elke:
Wenn ich mir "Lament" anhöre, muss ich an viele Bands denken, die mich in meiner Jugend begeistert haben und es teilweise immer noch tun. Was hast du damals in den 80er/frühen 90ern gehört?
Nick:
Als ich jung war, war ich ein großer Metal-Fan. IRON MAIDEN, KISS und DIO waren meine Favoriten, und ich gebe zu, dass ich diese Bands heute immer noch liebe. Allerdings denke ich nicht, dass sie einen großen Einfluss auf uns haben, wobei man durch seine Vergangenheit natürlich geprägt wird. Vielleicht schleicht sich daher gelegentlich dieser seltsame Bruce Dickinson in den einen oder anderen Song ein.
Elke:
Olle Bruce kam mir nicht gerade in den Sinn, aber wenn du meinst ... "Lament" erschien bei Malicious Damage Records, was ein eher kleines Label ist, das aber immerhin solch bekannten Acts wie KILLING JOKE im Repertoire hat. Wie kam der Kontakt zustande, und seid ihr bisher mit ihrer Arbeit zufrieden?
Nick:
Unser Schlagzeuger Steve ist ein riesiger KILLLING JOKE-Fan und weckte das Interesse des Labels, als er ihm eine Kopie unserer "Impurity"-EP zukommen ließ. Ich warte erst mal ab, wie sich das Album verkauft, bevor ich mir ein endgültiges Urteil darüber bilde, wie gut sie uns unterstützen. Bisher waren sie allerdings fantastisch. Es ist ein Privileg für uns, bei dem gleichen Label wie KILLING JOKE oder THE ORB unter Vertrag zu stehen.
Elke:
Das Album wurde von ex-FIELDS OF THE NEFILIM-Gitarrist Paul Miles produziert. Wie groß war sein Einfluss auf das Resultat, und in welchen Stücken spielt er selbst Gitarre?
Nick:
Paul hatte sehr großen Einfluss auf das Album. Ich war schon immer ein großer Fan von ihm, bereits seit dem "Zoon"-Album. Wir verloren während der Aufnahmen zwei Gitarristen, von daher hat er sämtliche Gitarrenparts eingespielt. Er ist zweifellos der beste Gitarrist, mit dem ich bisher zusammenarbeiten durfte.
Elke:
Worum geht es in den Texten, und wer schreibt sie? Sie klingen sehr emotional, persönlich und ehrlich gesagt nicht sehr optimistisch.
Nick:
Ich schreibe die Texte, wie es alle Sänger tun sollten. Ich lasse mich vom wirklichen Leben inspirieren, von Dingen wie Liebe, Verlust, Schmerz, Einsamkeit und Realismus. Dabei versuche ich jedoch nicht maßlos und jämmerlich zu klingen, denn wie Welt ist im Moment schon schlecht genug, auch ohne dass ich über meine Probleme jammere.
Elke:
Derzeit kann man auf der Homepage des Wave Gotik Treffens für eure Teilnahme stimmen. Ich wünsche euch natürlich, dass ihr das Ticket nach Leipzig gewinnt, aber möchte trotzdem die Frage stellen, warum die Leute ausgerechnet euch ihre Stimme geben sollten.
Nick:
Ich würde furchtbar gerne auf dem WGT spielen, denn was man darüber hört, klingt fantastisch. Ich denke, man sollte für uns stimmen, weil wir anders sind als viele andere Gothic-Bands. Unsere Shows sind sehr emotional und - wir mir gesagt wurde - unvergesslich. Besorgt euch das Album und ihr werdet diese Songs live hören wollen.
Wir möchten natürlich im kommenden Jahr in so vielen verschiedenen Ländern wie möglich spielen. Es hängt hauptsächlich davon ab, wie sich das Album verkauft, aber wir planen definitiv, 2007 weltweit die Bühnen zu erobern.
Elke:
Vielen Dank für deine Zeit, Nick. Wenn du noch irgendwas loswerden möchtest - hier ist deine Chance!
Nick:
Ich hoffe wirklich, dass wir nächstes Jahr bei euch spielen können, das wäre sehr spannend für uns. Und an all unsere deutschen Fans: Vielen Dank für eure Unterstützung über die ganzen Jahre. Ich hoffe, ihr seid der Meinung, dass sich das Warten auf "Lament" gelohnt hat.
Elke:
Ich denke doch. Noch eine neugierige Frage zum Abschluss: Hast du eigentlich deutsche Vorfahren? Dein Nachname "Schultz" lässt darauf schließen.
Nick:
Keine Ahnung, meine Familie und ich stammen eigentlich aus Wales. Aber ich bin sicher, dass in mir irgendwo deutsches Blut fließt.
Elke:
Na denn - auf nach Leipzig!
- Redakteur:
- Elke Huber