FEAR FACTORY: Interview mit Dino Cazares

18.06.2021 | 12:00

"Aggression Continuum" ist das langerwartete, zehnte Studioalbum von FEAR FACTORY, das nicht nur von Burton C. Bells Ausstieg, sondern auch von langwierigen Rechtsstreitigkeiten rund um den Bandnamen begleitet wurde. Doch nun wird dieses energische, kraftvolle Stück Stahl endlich veröffentlicht, sodass wir uns Gründungsmitglied und FEAR FACTORY-Kopf Dino Cazares für einen kleinen Plausch schnappten, um mit ihm über das Vergangene, Gegenwärtige und unmittelbare Zukünftige seiner Band zu sprechen.

Als in Los Angeles an diesem Abend der Meister der Industrial-Klampfe den Hörer abnimmt, ist seine gute Laune über 9.200 km entfernt zu hören. "Mir geht es richtig gut. Ich bin unheimlich aufgeregt, dass es uns endlich möglich ist, die Platte veröffentlichen zu können. Der Release hat sich ja leider etwas verzögert, aber nun können unsere Fans die neue Musik endlich hören. Die ersten Singles kamen schon gut an und das macht mich richtig froh.“
Bereits Anfang 2019 wurde mit "Monolith" ein neues Album inklusive Artwork angekündigt. Da hat der ausgestiegene Burton C. Bell, der allerdings noch die nun anders betitelte Scheibe eingesungen hat, aus dem Nähkästchen geplaudert. Wir konfrontierten Dino zunächst mit den einstigen Behauptungen seines ehemaligen Sängers. "Ich hatte niemals den Plan, die Platte "Monolith" zu nennen und das war auch niemals ein offizielles FEAR FACTORY-Statement. Ich habe davon gehört, dass Burton dies in einem Interview mit SiriusXM bei der Headbangers Con verriet und auch schon ein Artwork parat hatte, aber ich hatte niemals geplant, das Album so zu nennen."

Wer wird nun der neue FEAR FACTORY-Sänger? Der sympathische Dino macht daraus noch ein Geheimnis und wir erfahren seine Gründe hierfür. "Nun, wir möchten uns schlichtweg zunächst auf das neue Album konzentrieren und unseren kompletten Fokus auf die Veröffentlichung legen. Die Bekanntmachung des neuen FEAR FACTORY-Sängers wird aber eine richtig große Sache und wir überlegen, dies mit einem Live-Stream zu verknüpfen, wo auch schon gemeinsam Songs performt werden könnten. Das ist jedoch das einzige, was ich zum jetzigen Zeitpunkt der Presse mitteilen kann, hehe."

Entsprechend dem Titel könnte man glauben, dass "Aggression Continuum" die pure FEAR FACTORY-Aggressivität vom Stapel lässt. Doch Dino erklärt die Hintergründe zum Titel. "Die aggressivste FEAR FACTORY-Scheibe ist "Aggression Continuum" nicht. Da waren "Mechanize" und "Soul Of A New Machine" noch etwas härter. Beim neuen Album kommt jedoch alles zusammen: die Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft der Band. Das sieht man schon an der Aufmachung, da man bei genauerem Hinsehen das "FF – 10 – 31 – 90", den Geburtstag der Band, entdecken kann. Das Artwork, ein etwas verändertes X, repräsentiert die Zehn, als zehntes FEAR FACTORY-Studioalbum und der Titel deutet unsere Zukunft an, da "Aggression Continuum" die Musik am besten beschreibt; es ist eine ziemlich wütende Platte geworden, in deren Stil ich auch kontinuierlich weitermachen möchte.“
Apropos Vergangenheit: "Genexus" liegt stolze sechs Jahre zurück. Da stellt sich die Frage, wann die Arbeiten zum neuen, vorliegenden Album angefangen haben. "Fertig war das Album im vergangenen Jahr, aber mit den Arbeiten angefangen haben wir schon 2017. Aufgrund der Rechtsstreitigkeiten um die Namensrechte für FEAR FACTORY hat sich alles ziemlich verzögert. Danach haben wir das Schlagzeug auch beispielsweise neu aufgenommen und einige Keyboard-Elemente hinzugefügt. Eigentlich sollte auch jemand anderes den Mix übernehmen, aber Andy [Sneap – Anm. d. Red.] hat sich schon bei "Genexus" darum gekümmert, sodass wir ihn auch für die neue Platte haben wollten.“

Und nach all den Strapazen und Schwierigkeiten ist Dino auf Album Nummer zehn sicherlich am stolzesten. "Ich bin auf alle Alben, die ich gemacht habe, vom Beginn an bis zur Gegenwart, unheimlich stolz. Und jedes Album habe ich versucht, so kraftvoll wie möglich zu gestalten. Und auch bei "Aggression Continuum" sollten möglichst viele Attacken kommen." Ist aufgrund der Rechtsstreitigkeiten das Album so aggressiv ausgefallen? "Nein, ich denke nicht. Es ist so wütend und kraftvoll geworden, weil ich dies von Beginn an erreichen wollte – mit sehr viel Power und Hingabe. Ich glaube an das, was ich erreichen, an die Musik, die ich kreieren will. Die Leute können mich beschimpfen, mich für gewisse Dinge verantwortlich machen, mich beleidigen, das ist okay, denn es wird immer Fans geben, die an mich glauben. Ich bin beispielsweise auf Social-Media-Kanälen recht aktiv, auf denen mir Menschen gute und schlechte Dinge mit auf den Weg geben. Ich bin eine starke Persönlichkeit und bemühe mich, auf alles zu antworten, was ich gefragt werde. Ich werde nicht davonlaufen und mich verstecken, sondern mich allem stellen. Und hier bin ich: das Seelen-Mitglied von FEAR FACTORY.“

Nach diesen ehrlichen Worten möchte ich Dino auch meine ehrliche Meinung zu "Aggression Continuum" als sehr kraftvolles und abwechslungsreiches FEAR FACTORY-Album mit auf den Weg geben - dank sehr vieler Feinheiten, wie beispielsweise leicht veränderte Vocal-Lines von Burton oder Streicher in 'Recode' und 'Fuel Injected Suicide Machine'. Und da gab es noch eine Sache im Hinblick auf die Keyboards. "Vielen Dank für deine Worte. Im Hinblick auf die elektronischen Sachen hatten wir viele Leute, die neue Elemente hinzugefügt haben. Igor [Khoroshev – Anm. d. Red.] hat früher bei YES gespielt und uns, genauso wie unser ehemaliger Ingenieur Damien Rainaud oder auch auch ein Kerl namens Max Karon, mit verschiedenen Ideen bei 'Disruptor' versorgt, die auf dem Album sehr gut zusammenpassen. Ich hoffe, dass wir künftig noch mehr von Kollaborationen wie solchen profitieren können. Das zeigt sich bei 'Recode' sehr gut, einem sehr orchestralen Song, der uns auf ein neues Level hievt. Der Rest basiert auf uns dreien, Mike [Heller – Anm. d. Red.], Tony [Campos – Anm. d. Red.] und mir, der Grundstein des FEAR FACTORY-Sounds.“ Ist das der Grund, warum "Aggression Continuum" eines der abwechslungsreichsten Alben der Band ist? "Vielleicht. Das ist gut möglich, die Abwechslung hat sich wohl einfach ergeben. 'Purity' und 'Monolith' beispielsweise sind eher melodische Songs, die den härteren Stücken gegenüberstehen und einen schönen Kontrast bilden. Ich mag ihn, der hat sich allerdings recht zufällig ergeben. Im Vergleich: "Genexus" ist ein großartiges Album mit tollem Flow, ich mag es noch immer sehr gerne. Und auch da haben wir mit 'Expiration Date' einen sehr melodischen Outro-Song, der komplett ohne Doublebass auskommt. Wenn ich beide Alben gegenüberstelle, ist "Aggression Continuum" aber etwas intensiver und heftiger als der Vorgänger. Das merkt man auch an Burtons Vocals, die diesmal noch etwas kräftiger zum Ausdruck kommen.“

Das merkt man auch am gewaltigen, FEAR FACTORY-typischen Artwork, das von niemand geringerem als Francesco Artusato, Gitarrist bei LIGHT THE TORCH, entworfen wurde. Da fragten wir Dino einmal nach den Hintergründen. "Ich mag die Jungs und liebe die Band. Ich wusste allerdings vorher nicht, dass Francesco auch Artworks erstellt und als Künstler hat er ein erstaunliches, detailverliebtes Artwork erstellt, das mir extrem gut gefällt. Ich teilte ihm meine Ideen mit, dass ich gerne ein Cover hätte, das die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Band auch im Hinblick auf das "X" als Zeichen des zehnten Studioalbums gut widerspiegelt. Egal, wer gegangen ist, wer noch dazukommt, der Stil FEAR FACTORYs soll kontinuierlich weitergeführt werden. Und aus all diesen Ideen hat er ein tolles Cover entworfen.“

Reisen wir mit Dino ein wenig in die Vergangenheit, denn vor 30 Jahren riss sich die Bestie FEAR FACTORY von der Leine. Wir fragten das Gründungsmitglied nach all den Jahren nach seinen High- aber auch Lowlights. "Als negativen Höhepunkt würde ich eindeutig die Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf das Trademark und den Namen FEAR FACTORY nennen. Und all die Dinge, die wir im Zuge dessen durchgemacht haben, die Kämpfe, die wir führten, haben viel Kraft gekostet. Eine sehr gute Sache, die mir passiert ist, war der Split in 2002. So konnte ich andere, auch etwas experimentellere Projekte wie ASESINO und DIVINE HERESY verwirklichen und mit diesen in knapp sieben Jahren fünf Alben veröffentlichen. Das war eine sehr kreative Zeit für mich, in der ich viel über mich gelernt habe. Ich bin für diese Zeit sehr dankbar.“
Und als großer Fan der "Demanufacture"-Scheibe möge mir Dino abschließend doch bitte seine Assoziationen nennen, wenn er an dieses legendäre 1995er-Album zurückdenkt. "Zunächst einmal bin ich unheimlich stolz auf etwas, das den Test der Zeit zweifellos bestanden hat. Als ich damals mit den Arbeiten zu "Demanufacture" beschäftigt war, wusste ich, dass es eine großartige Platte wird, ich hatte es im Gefühl. Die Menschen haben etwas wie dieses Album vorher womöglich noch nicht gehört und wir kreierten somit einen neuen Stil. Und mich macht es zudem sehr glücklich zu sehen, dass wir Menschen damit animiert haben, selbst ihre Gitarre in die Hand zu nehmen, um wiederum Neues zu erschaffen. In Nordamerika erscheint "Demanufacture" zum ersten Mal überhaupt als Vinyl, das ist ziemlich cool.“

Und vielleicht wird "Aggression Continuum" auch eines Tages solch einen Einfluss haben. Auch das wird die Zeit zeigen. Zum Abschluss noch von Dino ein großes "Dankeschön an alle Fans, die mich speziell in den letzten Jahren so großartig unterstützt und es ermöglicht haben, dass "Aggression Continuum“ nun endlich veröffentlicht werden kann. Für den Support kann ich mich nur bedanken und hoffe, dass euch die Platte gefällt!“
Hier und jetzt macht das zehnte FEAR FACTORY-Album jedenfalls eine unheimlich starke, druckvolle Figur, hat die eine oder andere Überraschung auf Lager und so warten wir alle sehnsüchtig darauf, was von Dino und seiner Angstfabrik noch verkündet wird. "Aggression Continuum" erscheint am 18. Juni via Nuclear Blast.

Redakteur:
Marcel Rapp

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