FIRSTBORN, THE: Interview mit Bruno Fernandes
26.11.2005 | 16:54THE FIRSTBORN aus Portugal haben vor einiger Zeit eines der aus meiner Sicht innovativsten Death-Metal-Alben der letzten Jahre veröffentlicht, welches mit ausgeprägten Einflüssen aus der fernöstlichen Folklore arbeitet und so eine völlig einzigartige Mischung kreiert. Grund genug für ein Interview mit Bandleader Bruno Fernandes. Dieser ist jedoch Archäologiestudent und als solcher dauernd unterwegs, was erklärt, warum er erst jetzt Zeit für ein Gespräch gefunden hat.
Rüdiger:
Als ihr mit THE FIRSTBORN, damals noch als FIRSTBORN EVIL anfingt, war euer Sound noch nicht so einzigartig und ausgefeilt wie heute. Erläutere uns doch mal die musikalische Entwicklung, die ihr zwischen "Awakening Of Evil" und "The Unclenching Of Fists" durchgemacht habt.
Bruno:
Nun, als wir unter dem Namen FIRSTBORN EVIL anfingen, waren wir alle noch sehr jung. Ich war gerade 16 oder 17. Unsere musikalische Identität war noch nicht ausgebildet und wir hatten unsere Inspirationen von allem, was wir gerade so hörten. Damals ging alles viel zu schnell, mit dem ganzen Black-Metal-Hype, und nach nur fünf Jahren hatten wir ein Demo und zwei Alben veröffentlicht. Wir hatten keine Chance, eine Auszeit zu nehmen und unsere nächsten Schritte zu überdenken. Das Ergebnis war dann recht weit von dem entfernt, was ich mir eigentlich für die Band vorgestellt hatte. Also entschieden wir uns nach der ausgiebigen Promoarbeit für unser zweites Album "From The Past Yet To Come", eine Pause zu machen und in Ruhe an unserem nächsten Album zu arbeiten. Ich denke, dass der musikalische Fortschritt, den wir mit "The Unclenching of Fists" gemacht haben, im Wesentlichen ein Produkt daraus ist, dass wir uns sowohl mehr Zeit für die Ausarbeitung als auch eine Pause zur Besinnung genommen haben.
Rüdiger:
Dann habt ihr den Bandnamen auch wegen der Stiländerung gekürzt? Als Symbol für eine neue Ära?
Bruno:
Genau. Unser Demo und unser Debüt waren für meinen Geschmack viel zu klischeehaft und das Resultat der Arbeit von sechs unterschiedlichen Köpfen. Mit unserem zweiten Album gingen wir bereits in eine andere Richtung und als es an die Veröffentlichung der Scheibe ging, dachten wir, dass es an der Zeit wäre, den Namen ein wenig zu ändern. Er sollte hinsichtlich unserer musikalischen Richtung zweideutiger sein. Aber erst jetzt macht es wirklich Sinn, weil dies DAS Album ist, das wir schon immer machen wollten.
Rüdiger:
Nun zu "The Unclenching Of Fists". Für mich ist es wohl eines der innovativsten Death-Metal-Alben der letzten Zeit. Wie kamt ihr auf die Idee, Death Metal mit asiatischer Folklore und Sakralmusik zu verbinden?
Bruno:
Wir hatten auf "From The Past..." innerhalb des Metals schon mit allem experimentiert, was man sich vorstellen konnte und so war klar, dass wir etwas Neues finden mussten, womit wir uns von den Tausenden neuer Bands distanzieren konnten, die jeden Tag aus dem Boden schießen. Dieses Genre ist dermaßen übersättigt, dass es immer normaler wird, dass die Leute andere Klanguniversen erkunden, um Inspirationen zu finden. Ich habe in jener Zeit viel asiatische Weltmusik angehört und es schien mir eine gute Idee, das mit unserer eigenen Musik zu verbinden. Anfangs war dies nur ein dekoratives Element, aber es wurde schon bald sehr viel mehr.
Rüdiger:
Man könnte ja sagen, dass NILE teilweise einen ähnlichen Ansatz haben wie ihr. Sie mischen Death Metal mit Elementen der ägyptischen Mythologie und orientalischer Musik. Aber ich habe den Eindruck, dass ihr noch ein oder zwei Schritte weiter geht als NILE, die im Grunde noch immer in erster Linie technischer Death Metal sind. Bei euch betrifft der asiatische Einfluss nicht nur die Texte und einige Effekte hier und da, sondern er wird integraler und beinahe gleich wichtiger Bestandteil des Ganzen, wie auch der extreme Metal. War es nicht schwer, aus diesen unterschiedlichen Elementen eine flüssige Einheit zu bilden?
Bruno:
Genau. Wie ich schon gesagt habe, fingen wir damit an, gelegentlich solche Elemente mit rein ästhetischem Zweck einzubauen. Als wir aber feststellten, dass wir uns mit einem sehr ausufernden und wichtigen kulturellen Universum befassen, über das wir nur sehr wenig wussten, meinten wir, dass es fast eine Beleidigung wäre, seine Elemente nur oberflächlich zu würdigen. Also fing ich an, ein Konzept für das Album zu erarbeiten und das kulturelle und musikalische Erbe dieser Menschen zu studieren, um dieses uns im Westen fremde Universum angemessen zu würdigen. Der Rest ist, wie man sagt, Geschichte.
Was NILE und die häufigen Vergleiche angeht, da neige ich dazu, dir recht zu geben, da wir uns im Wesentlichen mehr auf die Atmosphäre konzentrieren als auf übertechnische Ansätze, wie sie es zunehmend tun. Ich verstehe, dass viele Leute den Vergleich bringen, weil sie es nicht besser wissen, aber NILE sind nicht die einzige Band, die versucht hat, jene speziellen musikalischen Richtungen zu verbinden. MELECHESH, ORPHANED LAND, RUDRA, AGHORA, um nur ein paar zu nennen, sind schöne Beispiele für erfolgreiche Mixturen, die sowohl die Musik als auch das Konzept betreffen. Offensichtlich dienen jene Bands zu einem gewissen Grad als Inspiration, auch wenn sie nur die Türe für diese Art des Experimentierens öffnen.
Rüdiger:
War der komplizierte Songwriting-Prozess der einzige Grund für die riesige Unterbrechung zwischen "From The Past Yet To Come" und dem neuen Album? Fünf Jahre sind für eine eher junge Band doch sehr lange.
Bruno:
Nun, bei unserem irrsinnigen Perfektionismus, den eingeengten Bedingungen in Paolos kleinem Studio, unseren parallelen Leben (wir haben auch ein Leben neben der Musik) und all den bisher genannten Gründen denke ich, dass es ziemlich selbstverständlich ist, dass wir so lange brauchten um "The Unclenching Of Fists" zu schreiben.
Rüdiger:
NILE waren ja wohl die ersten Metaller, die einen tibetischen Mönchschor auf einem ihrer Songs hatten. Hast du den mal gehört?
Bruno:
Ich weiß davon, aber es war keine entscheidende Inspiration für uns. Das war vielmehr der Fall, als ich eine CD-Aufnahme eines Auftritts der Gyuto-Mönche hörte. Die gespenstische, mystische Atmosphäre war der Auslöser dafür, dass ich mit buddhistischen Gesängen arbeiten wollte.
Rüdiger:
Jemand von NILE sagte - glaube ich - mal, dass er einen Brief vom Dalai Lama erhalten habe, der besagte, dass er nicht so glücklich über die Verbindung ihrer Musik mit den heiligen Gesängen sei. Wahrheit oder Legende? Keine Ahnung. Habt ihr schon mal Post von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama bekommen, oder Reaktionen von anderen Buddhisten hinsichtlich eurer Musik?
Bruno:
Haha, das ist neu! Es freut mich aber, dass bereits Legenden um unsere Arbeit entstehen [Die Legende ging eigentlich um NILE... - Anm.d.Verf.]. Ich hab mal irgendwo gelesen, dass ich vor dem Komponieren dieses Albums auf einer Pilgerreise in Tibet gewesen sein soll, was ebenso wenig stimmt, aber auch witzig ist.
Es wäre mir eine Ehre, die Aufmerksamkeit Seiner Heiligkeit zu erlangen, aber ich glaube nicht, dass er es als Beleidigung auffassen würde, da wir uns sehr bemüht haben, ein Album zu schaffen, das den tantrischen Buddhismus beleuchtet. Sicher könnte das eine oder andere unzutreffend sein, aber es war ein ehrlicher Versuch, der Welt ein wenig mehr über den Buddhismus beizubringen.
Bei einem Konzert kam mal jemand zu mir, während wir spielten und gab mir ein kleines Flugblatt mit der tibetischen Flagge. Am Ende des Konzertes sprachen wir ein bisschen und er gab sich als Free-Tibet-Aktivist zu erkennen, der von unserer Leistung sehr beeindruckt war.
Rüdiger:
Wie tief geht dein Interesse am Buddhismus? Ist jemand von euch selbst Buddhist oder ist es eher ein Hobby für euch?
Bruno:
Mein Interesse am Buddhismus geht sehr tief, auch wenn ich noch immer ein Einsteiger bin. Ich begann aus Interesse darüber zu lesen und fand mich mit immer stärker wachsendem Interesse an seinen philosophischen Aspekten wieder, mit denen ich sehr stark übereinstimme. Auch der religiöse Aspekt hat meinen höchsten Respekt. Aber keiner von uns ist Buddhist, und wir tun auch nicht so, als wären wir welche. Wir hängen noch immer zu sehr an der materiellen Welt, um uns auf diesen Weg einzulassen. Vielleicht später mal...
Rüdiger:
Um was geht es im "Bardo Thödol", dem "Buch der Toten"?
Bruno:
Das "Bardo Thödol", das manchmal auch das tibetische "Buch der Toten" genannt wird, ist ein Begräbnistext, der die Erfahrungen der Seele nach dem Tod beschreibt. Innerhalb des Intervalls ("Bardo") zwischen Tod und Wiedergeburt, im Prozess des Samsara, dem Kreislauf der Wiedergeburt, in welchem die Seele bis zur Erlangung der Erleuchtung gefangen ist.
Rüdiger:
Hattet ihr bei der Ausarbeitung des Konzepts Hilfe von buddhistischen Experten oder ist es deine eigene Interpretation des Buches?
Bruno:
Es ist meine eigene (Fehl-)Interpretation davon. Die ist wahrscheinlich ziemlich fehlerhaft, aber andererseits ist auch eine sehr subjektive Angelegenheit. Ich glaube, meine Anstrengungen waren aber nicht wertlos, da ich seither einige Interpretationen anderer Leute zu diesem Buch gelesen habe, welche von der meinen nicht wesentlich abweichen.
Rüdiger:
Behandelt euer Konzept das komplette Buch oder nur Auszüge? Stehen die Songs für sich allein, oder gibt es einen roten Faden?
Bruno:
Das Buch ist in erster Linie der Hintergrund zu meiner eigenen Geschichte. Die Reise einer Seele durch Raum, Zeit und Fleisch hin zur Transzendenz in mehreren aufeinanderfolgenden Reinkarnationen. Ich versuchte dabei einerseits eine Menge historischer Momente abzudecken und andererseits die geographische Ausbreitung des Buddhismus über Asien nachzuvollziehen. Deshalb fangen wir mit indischer und tuwinisch-mongolischer Folklore bei 'To Roam Endless Plains' an, gehen über tibetische Chöre, chinesische und nepalesische Musik und enden schließlich mit dem letzten Stück an den fernen Küsten Japans, wohin zum Schluss der Zen-Buddhismus gelangte. Das sind Dinge, welche die meisten Leute gar nicht zur Kenntnis nehmen, und ein weiterer Grund, warum wir so lange brauchten, um dieses Album zu komponieren.
Rüdiger:
Ihr habt einen Gastmusiker, der die Sitar spielt...
Bruno:
Das ist ein alter Freund. Er spielte in einer für ihre Zeit sehr experimentelle Metalband namens SHRINE und macht heute andere Sachen mit SATURNIA und BLASTED MECHANISM. Er hat vor einigen Jahren mit der Sitar angefangen und war sofort unsere erste Wahl.
Rüdiger:
Die anderen traditionellen asiatischen Instrumente sind gesampelt, oder? Worum handelt es sich bei all den exotischen Klängen?
Bruno:
Die meisten sind recht obskure traditionelle Instrumente aus der Mongolei und China und einigen anderen Ländern. Diejenigen, welche man am häufigsten hört, sind die bereits erwähnte Sitar, sowie diverse Tablas, das japanische Instrument Shemisen, das den Titelsong inspirierte, Flöten, Hörner aus echten Wildhörnern, schamanistische Perkussion usw. Leider mussten wir auf Samples zurückgreifen, um das zu realisieren.
Rüdiger:
Zum Beispiel bei 'To Roam The Endless Plains' habt ihr recht spannende Passagen mit zentralasiatischem Kehlkopf-Oberton-Gesang. Hattet ihr dafür einen asiatischen Gastsänger?
Bruno:
Auch hier waren die meisten Gesangspassagen Samples, obwohl es mir mit der Zeit gelungen ist, im "orientalischen Stil" sogar einige Gesangslinien zu singen, von denen man zunächst denken würde, dass sie auch Samples seien. Kehlkopf-Gesang ist natürlich nicht so leicht zu lernen, also begnügten wir uns mit den Samples.
Rüdiger:
Kennst du YAT-KHA aus der Republik Tuwa? Würdet ihr gerne mal mit Musikern wie ihnen zusammenarbeiten?
Bruno:
YAT-KHA aus Tuwa ist heute eine meiner Lieblingsbands. Ich kenne ihre Arbeiten nun sehr gut. Vor den Aufnahmen kannte ich sie nicht. Erst nachdem ich den von dir erwähnten Song 'To Roam the Endless Plains' mit dem Kehlkopf-Gesang einem Freund vorgespielt hatte, erwähnte er den Namen und sagte, dass ich unbedingt mal reinhören sollte. Ich hab mich sofort darin verliebt. Mit asiatischen Musikern zu arbeiten, wäre unser größter Traum. Es wäre toll zu sehen, wie die Kreativität von dieser Erfahrung beeinflusst würde. Das würde uns auf ein absolut neues Level bringen, denke ich. Leider sieht es zur Zeit so aus, als würde das ein Traum bleiben.
Rüdiger:
Werdet ihr das Konzept der Einarbeitung asiatischer Musik und Lyrik in eure Werke beibehalten oder für das nächste Album eine neue Richtung einschlagen?
Bruno:
Ich glaube, wir haben mit diesem Album nur an der Oberfläche gekratzt und hoffe, dass wir uns in der nahen Zukunft tiefer in die Materie stürzen können. Zumindest auf dem nächsten Album, an dem wir bereits arbeiten, werden wir uns noch damit beschäftigen. Danach? Wer weiß das schon? Es ist eine sehr große, weite Welt dort draußen...
Rüdiger:
Was fällt dir zur politischen Lage in Tibet ein? Rechnest du mit irgendeiner Verbesserung in der näheren Zukunft? Wird der internationale Druck China jemals erweichen können?
Bruno:
Unsere CD hatte eine kleine tibetische Flagge im Inlay. Sehr unscheinbar, aber es bekräftigt unsere Position, würde ich meinen. Sogar als Tibet nominal zu den mongolischen oder mandschurischen Kaiserreichen gehörte, konnte es sich weitgehend selbst regieren. Somit ist die gegenwärtige chinesische Herrschaft in Tibet kolonial und unrechtmäßig, motiviert allein von den natürlichen Ressourcen und dem strategischen Wert des Landes. Sie missachtet Tibets historischen Status als unabhängiges Land und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes schwer. Millionen chinesischer Einwanderer in der "Autonomen Region Tibet" zersetzen Tibet kulturell und durch Mischehen. Exilgruppen sagen, dass trotz neuerer Bestrebungen, die Erscheinungsformen tibetischer Kultur um des Tourismus willen zu bewahren, die traditionelle tibetische Lebensweise unwiederbringlich verändert wird. Darüber hinaus führt der zunehmende Tourismus auch zu einer weiteren Erosion der angestammten Kultur Tibets. Speziell wurde darauf hingewiesen, dass die Renovierung historischer Stätten, wie des Potala-Palastes (UNESCO-Weltkulturerbe), die Orte zu Disney-artigen Attraktionen verkommen ließe. Leider ist China zu mächtig im internationalen Kontext, als dass Druck viel erreichen könnte. Wenn überhaupt etwas.
Rüdiger:
Habt ihr irgendwelche Tourpläne?
Bruno:
Wir versuchen endlich, bald auch im Ausland zu spielen, aber da wir eine sehr unbekannte Band sind, ist das nicht so leicht. Wenn es uns gelingen sollte, wäre Deutschland sicher eines der Länder auf unserer Wunschliste.
Rüdiger:
Mit wem würdet ihr gerne auf Tour gehen?
Bruno:
Es wäre zum Beispiel sehr interessant mit einer Band wie ORPHANED LAND zu spielen. Wir kamen auch mit den Jungs von PRIMORDIAL sehr gut aus, als wir in Portugal für sie eröffneten, also wäre das auch spannend. Aber generell ist es uns nur wichtig, so viel wie möglich spielen zu können und insofern nebensächlich, mit wem wir unterwegs sind, solang es nette Leute und gute Bands sind.
Rüdiger:
Wie lange müssen wir auf das nächste Album warten?
Bruno:
Hoffentlich nicht so lange wie bei "The Unclenching of Fists"! Wir haben eine Menge Ideen, die wir auf diesem Album nicht nutzen konnten und wir wissen ganz genau, was wir tun wollen und können. Also wird es dieses Mal vielleicht schneller gehen. Wir werden aber nur etwas veröffentlichen, von dem wir das Gefühl haben, dass es einen Schritt weiter geht als "The Unclenching Of Fists". Deshalb haben wir uns keine Deadlines gesetzt.
Rüdiger:
So, das war alles. Vielen Dank, dass du dir für uns Zeit genommen hast. Wenn du noch was loswerden möchtest, nur zu...
Bruno:
Vielen Dank für das Interview und all die Unterstützung. Viel Erfolg für dich und an die Leser: Schaut mal auf unserer Website vorbei und hört euch die erhältlichen MP3s an, wenn ihr neugierig seid.
"Wie die Bäume Früchte tragen, so mögen diese Worte die Frucht eines guten Karmas tragen."
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle