FLESHGOD APOCALYPSE: Interview mit Francesco Paoli

21.07.2019 | 23:07

"Veleno" heißt das aktuelle Album der Bombast-Death-Metaller FLESHGOD APOCALYPSE und ist eine absolute Wucht. Wir sprachen mit Schlagzeuger und neuerdings wieder Sänger und Gitarrist Francesco Paoli über den Line-up-Wechsel und knöpfen uns einige Songs von "Veleno" vor, um sie im Detail zu beleuchten.

Hallo Francesco! Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album "Veleno". Ich bekomme nicht genug davon! Wie fühlt es sich an, das Album endlich veröffentlicht zu haben?

Vielen Dank, ernsthaft! Ich weiß deine Worte sehr zu schätzen. Es fühlt sich an... als ob man ein Kind gebärt, wirklich! Es ist hart, erschöpfend und manchmal sogar schmerzhaft, aber letztlich ist es den ganzen Schweiß und die Opfer wert. Ganz besonders sogar, wenn wir auf die letzten Jahre gucken, was wir durchgemacht haben, ist es wahrhaftig befreiend.

Stimmt, es ist ja wirklich viel passiert. Darum möchte ich mit dir, bevor wir über das Album reden, über die Veränderungen im Line-up sprechen. 2016 hat Sänger und Gitarrist Tommas Riccardi die Band verlassen und du bist vom Schlagzeug auf deinen Ursprungsposten als Frontmann/Gitarrist zurückgekehrt. War das eine schwere Entscheidung? Gab es Auditions? Und vermisst du es, Schlagzeug zu spielen?

Es war wirklich ein stressvoller und empfindlicher Moment unserer Karriere, vor allem menschlich gesehen. Aber die Lösung hatten wir relativ schnell gefunden. Tommy war ein großartiger Perfomer, aber vor allem ein guter Freund, mit dem wir einen großen Teil unseres Lebens teilten. Sein Abschied war für uns alle ein extrem trauriger Moment. Jedoch, wie bereits gesagt, haben wir es auf professioneller Seite schnell geklärt, indem wir die ursprüngliche Idee der Band mit mir als Frontmann wiederhergestellt haben. Die Reaktionen der Leute waren von Anfang an fantastisch und ich habe mich großartig damit gefühlt. Also, es gab keine Auditions, es hätte keinen Sinn gemacht. Das Schlagzeugspielen "vermisse" ich nicht so sehr, denn ich spiele Schlagzeug zu anderen Anlässen, bloß spiele ich nicht mehr live für FLESHGOD APOCALYPSE und ich kann dir sagen, dass das auch positive Aspekte hat, haha.

Seit der Veränderung im Line-up spielt David Folchitto live das Schlagzeug. Ich habe gelesen, dass ihr einen neuen Schlagzeuger sucht, ist das korrekt? Und wirst du weiterhin im Studio das Schlagzeug einspielen?

Ja, David spielt live mit uns und er macht einen großartigen Job! Er wird ein immer besserer Extreme-Metal-Drummer und die Beständigkeit in den Parts, die näher an seinem eigenen Stil sind, ist unglaublich. Also nein, wir suchen nach keinem anderen Schlagzeuger und wir hoffen, dass er bald zum offiziellen Line-up hinzustoßen wird. Darüber hinaus wird das nächste Album vom offiziellen Schlagzeuger eingespielt werden, es wäre also das Natürlichste, sollte David zum Line-up gehören, dass er für die Studioaufnahmen zuständig sein wird.

Da ich selbst ein Musiker bin, frage ich mich, wie es möglich sein kann, auf so einem hohen technischen Level Schlagzeug und Gitarre zu spielen, als auch noch professionell Extreme Metal singen zu können. Das ist total verrückt!

Haha, ich denke nicht, dass die Level total ausgewogen sind. Es ist eben das, was unsere Musik benötigt und ich versuche einfach auf technischer Seite mein Bestes, mich als Künstler komplett ausdrücken zu können. Das ist alles.

"Veleno" ist italienisch und heißt übersetzt Gift, was meiner Meinung nach ein perfekter Albumtitel ist. Was war eure Intention dabei, das Album so zu nennen?

Zu allererst ist die Wahl eines Wortes in unserer Muttersprache ein Tribut an unsere Geschichte und Kultur. Wir mochten auch den Klang des Wortes, so zart und bedrohlich zugleich. Es kann für so viele metaphorische und gleichbedeutende Interpretationen stehen und dies führte uns dazu, das ganze Album danach zu benennen, worum es geht: Vergiftung. Ein Gift kann etwas sein, was unseren Körper beeinträchtigt, wie Drogen (ein Thema, das wir im Song 'Sugar' aufgreifen), deinen Verstand, wie Religionen ('Worship And Forget') oder den menschlichen Fortschritt durch Aberglaube und irrationale Überzeugungen ('Fury'). Jeder Song bezieht sich sozusagen auf eine bestimmte Art von "Gift". Im breiteren Maßstab wollten wir die Beziehung zwischen Mensch und Natur untersuchen, die als natürlicher Lebensraum, aber auch als "menschliche Natur" gedacht ist. Und schließlich ist unser eigenes "Gift" selbstverschuldet, das geschaffen wurde, um die Kontrolle über die Natur zu übernehmen, was manchmal absolut überwältigend und unerklärlich erscheint.

Im Vergleich zu euren drei vorherigen Alben sind die symphonischen Arrangements auf "Veleno" weniger dominant, weshalb es direkter und aggressiver klingt. War das eine bewusste Entscheidung?

Man kann schon sagen, dass "Veleno" Gitarren-betonter ist, aber das Orchester ist immer noch da, lediglich in einem anderen "Gewand". Das war für die Atmosphäre, die wir für das Album schaffen wollten, angemessener und hat uns erlaubt, einen größeren dynamischen Flow innerhalb der Songs zu kreieren. Orchesterexplosionen beschränken sich auf jene Abschnitte, in denen wir wirklich das Bedürfnis nach mehr Epos und Dramatik verspürten, während wir an anderen Stellen mit avantgardistischen Techniken experimentierten, die von Werken zeitgenössischer klassischer Komponisten wie PENDERECKI oder LIGETI inspiriert waren. Streicher, Blechbläser oder Chöre sind in der Lage, Klänge zu produzieren, an die man niemals denken könnte, wenn man ihre traditionelle Rolle im Orchester berücksichtigt. Atonale Effekte, zufällige Tremolos, Cluster, Harmonien, perkussive Stack-Akkorde, verstörende Bindebögen und Slides, weit über traditionelle Melodien oder Harmonien hinaus, sind Teil moderner Orchesterarrangements und wir haben versucht, diese faszinierende Welt so gut wie möglich zu nutzen. Das Klavier selbst ist viel prominenter als zuvor und übernimmt oft die Führung mit wütenden Ostinato-Mustern und Unisons mit Bass und Gitarren.

Mit 'Sugar' habt ihr ein opulentes Video veröffentlicht, das unter der Regie von Giovanni Bucci entstand. Wie kam es zur Zusammenarbeit? Woher kam die Inspiration für den Text?

Ich habe Giovanni vor ein paar Jahren getroffen. Er hat ein eigenes Musikprojekt, das ODDKO heißt und er fragte mich, ob ich für sein erstes Album das Schlagzeug aufnehmen könnte. Er ist ein absoluter Visionär, musikalisch und visuell, wir verstanden uns sofort gut miteinander und daraufhin sprachen wir darüber, dass wir ihn als Direktor für das nächste Video engagieren wollten. Ich wollte schon immer einen Song über Drogensucht schreiben, aber um eine starke Aussage über solch eine heikle Angelegenheit zu machen, brauchten wir ein Video, das wirklich einschlägt und für immer in Erinnerung bleiben kann. Er war eindeutig die richtige Person, um das zu erreichen. Wir fingen also an, daran zu arbeiten und die Vorproduktion dauerte Monate. Auch das Shooting war einer der herausforderndsten Momente unserer Karriere, denn wir wollten, dass die gesamte Band unter Wasser spielt. Es war anstrengend, aber das Endergebnis liegt weit über unseren ursprünglichen Erwartungen. Textlich versucht das Lied, die wahre, tiefste Natur der Sucht zu erforschen, die als unerbittlicher innerer Kampf zwischen Drogendrang und Selbsterhaltung dargestellt wird. Trotz des Textes, der wie eine Art Ermutigung zum Drogenmissbrauch klingen könnte, ist die Botschaft genau das Gegenteil. Wir brauchten nur etwas Starkes, sogar Schockierendes, um sie zu liefern.

Die zweite Single heißt 'Carnivorous Lamb'. Worum geht es in dem Song?

"Fleischfressendes Lamm" ist natürlich ein Oxymoron. Es ist ein Lied über all jene Menschen, die harmlos, freundlich oder einer Sache ergeben erscheinen, aber plötzlich "Reißzähne" bekommen, sobald ihre wirklichen Interessen auf dem Spiel stehen. Sie kommen näher und näher an dich heran, verdienen dein Vertrauen, harmlos wie sie erscheinen, bis sie dir ihre wahre Natur zeigen und deine Schwächen ausnutzen.

Ein weiterer herausragender Track ist 'Monnalisa', vor allem wegen seiner Dynamik. Was ist die Idee dahinter?

Kennst du das Sprichwort "weniger ist mehr"? Wir wollten ein Lied schreiben, mit dem wir eine eher "minimalistische" Atmosphäre erkunden können, in der das Arrangement oft auf den Punkt gebracht wird. Der Kontrast zwischen diesen vollen, orchestralen bombastischen Refrains und der puren Schönheit von Bass und Schlagzeug in den Strophen macht es meiner Meinung nach zu einem der schönsten Songs unserer Karriere. Er ist fast wie eine Ballade, mit einem unterschwelligen "Gothic"-Vibe, aber immer noch total FLESHGOD. Als Musiker an seine Grenzen zu stoßen, muss nicht unbedingt immer bedeuten, die Musik technischer, schneller oder komplexer zu machen, sondern man muss auch in der Lage sein, den Glitzer zu entfernen und gute Musik mit nur wenigen Farben innerhalb seiner Palette zu schreiben. Ich wette, dass viele Musiker dies viel schwieriger finden, als einen Song mit 300 bpm zu schreiben.

Ihr seid gerade durch Südamerika getourt. Wie erfolgreich war es?

Es war wirklich fantastisch! Wir waren das zweite Mal da und wir lieben das Publikum! Die Unterstützung der Südamerikaner ist ungeheuer und für sie zu spielen macht sehr viel Spaß. Wir waren das letzte Mal vor zwei Jahren da, als Support von SEPTICFLESH, dieses Mal waren wir selbst Headliner. Das macht uns stolz und wir können es nicht erwarten, wieder zurückzukommen.

Die letzten Worte gehören dir.

Wir sind wortwörtlich von dem wahnsinnigen Feedback überwältigt, das wir für das Album bekommen. Wir haben die Top-100-Charts in Deutschland erreicht, das haben wir nie zuvor geschafft. Wir können es nicht erwarten, zurückzukommen und die neuen Songs vor unseren deutschen Fans live zu spielen. Danke für das Interview und bis bald!

(Fotocredits: Dave Tavanti)

Redakteur:
Jakob Ehmke

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