FLUORYNE: Interview mit Falk Wehmeier
30.01.2010 | 20:04
In seinem Konzeptalbum "Dämmerung" ist es Falk 'Faruk' Wehmeier gelungen, expressionistische Lyrik und Avantgarde-Musik in einer spannenden Liason zusammenzuführen. Dieses außergewöhnliche Stück Musik macht natürlich auf den Künstler neugierig, der so ein vielschichtiges Projekt auf die Beine gestellt hat...
Regina Löwenstein: Hallo Falk! Mich hat das Album "Dämmerung" wirklich begeistert, durch sein anspruchsvolles Konzept und weil es sich so elegant und überzeugend über Genre-Grenzen hinwegsetzt. Was war dein Haupt-Antrieb zum Erschaffen dieses Albums?
Regina: Die musikalische Umsetzung von expressionistischen Gedichten ist FLUORYNE ja sehr gut gelungen. Schreibst du eigentlich selbst auch Lyrics?
Falk: Prinzipiell schon. Für die 2005er Demo-CD 'Dark Water' habe ich - mit Ausnahme des THORNS-Coversongs - alle Songtexte selbst geschrieben, jedoch ausschließlich auf Englisch. Ich habe an deutsche Texte so hohe Ansprüche, dass ich sie selbst kaum erfüllen kann, daher habe ich bisher darauf verzichtet. Auf einer zweiten Demo-CD, die ich hoffentlich demnächst amtlich aufnehmen und veröffentlichen kann, wird aber ein deutscher Songtext aus meiner Feder zu finden sein.
Regina: Nach welchen Kriterien hast du die Gedichte für "Dämmerung" ausgesucht? Haben sie für dich persönliche Bedeutung?
Falk: Ich wollte ausdrucksstarke Gedichte verwenden, die in mir Saiten anrühren - in denen ich mich selbst wiederfinde. Diese Bedingung erfüllen zugegebenermaßen sehr viele Gedichte dieser Epoche (insbesondere die Lyrik Trakls, die mich fast ohne Ausnahmen begeistert), ich habe daher die musikalische Verknüpfung sprechen lassen: Bei manchen Gedichten war mir relativ schnell klar, dass ich mit einer musikalischen Annäherung nicht weit kommen würde, bei anderen stand bereits die Musik in weiten Teilen und ich habe erst sehr spät gemerkt, wie fantastisch die Verbindung zwischen Musik und Wort ist.
Regina: Lyrik und Metal – überraschenderweise funktioniert diese Kombination immer wieder. Worin liegt deiner Meinung nach ihr Reiz? Sind nur bestimmte Gedichte zur Vertonung geeignet?
Falk: Für mich liegt der Reiz darin, dass eine Vertonung in gewisser Weise eine Interpretation des Gedichtes darstellt, ohne dass man mit analytischen Werkzeugen oder überhaupt sprachlichen Mitteln arbeitet. Das finde ich insbesondere dort spannend, wo sich Lyrik der 'klassischen' Analyse weitgehend entzieht - zum Beispiel im Expressionismus, dessen Gedichte vor allem durch ihre Ausdruckskraft berühren. Was ist da idealer, als sich ihr durch einen anderen künstlerischen Ausdruck - zum Beispiel Musik - zu nähern? Ich fände es vermutlich ziemlich langweilig, Gedichte der Romantik oder der Weimarer Klassik zu vertonen, obwohl Goethes 'Prometheus' sehr reizvoll ist, wie ich finde.
Regina: "Dämmerung" besticht unter anderem durch originelles, nicht eindeutiges Artwork. Wurde es speziell für dieses Album gezeichnet oder später passend herausgesucht?
Falk: Das Artwork wurde tatsächlich speziell für "Dämmerung" gezeichnet. Ein sehr guter Freund von mir ist unglaublich talentiert im Umgang mit Feder und Tusche und ich mochte seine abgefahrenen Motive schon lange. Irgendwann kam ich auf die Idee, ihn für das Artwork einzuspannen: Ich habe ihm die Gedichte - erstmal ohne die Musik dazu - gegeben, zum Teil ein paar Vorstellungen geäußert und ihn dann machen lassen. Die fertigen Tusche-Zeichnungen passten ganz hervorragend zu den Gedichten und ich habe sie, um den Gedichten und der Musik atmosphärisch näher zu kommen, nachbearbeitet, sprich: eingefärbt und sehr viel dunkler gestaltet. Das Ganze passierte in ständigem Dialog mit dem Künstler, so dass wir gemeinsam das bestmögliche Resultat erreicht haben. Unter http://nachtwachen.blogspot.com gibt es ein paar seiner Zeichnungen zu bewundern, es werden sicherlich früher oder später auch noch welche dazukommen.
Regina: Innerhalb der Songs auf "Dämmerung" wird oft mit unterschiedlichen Gesangsarten experimentiert. Sollen diese Stile Akzente in bestimmten Teilen der Gedichte setzen?
Falk: Ich würde nicht unbedingt so weit gehen, von Akzenten zu sprechen - mir war es wichtig, dass der Gesang atmosphärisch zu den vorgetragenen Gedichten passt; die Zeile 'Horch! Die Spatzen schrein...' aus 'Morgens' konnte beispielsweise nur geflüstert funktionieren.
Regina: 'Avantgarde' ist ein recht schwammiger Begriff. Was macht für dich 'Avantgarde' aus, wie würdest du diesen Begriff zum Beispiel von 'progressiv' abgrenzen?
Falk: Es gibt in der englischsprachigen Wikipedia mittlerweile einen eigenen Artikel zum Thema 'Avantgarde Metal' - und sogar einen Extra-Abschnitt zur Unterscheidung von 'Progressive Metal'. Damit stimme ich prinzipiell überein: 'Progressive Metal' legt sein Augenmerk im Wesentlichen auf technische Aspekte - Virtuosität, Polyrhythmen, komplexe Song-Strukturen etc., bleibt aber in der Kombination von Elementen vergleichsweise orthodox. Avantgarde Metal braucht keine technische Komplexität (dazu wäre ich an der Gitarre auch keinesfalls in der Lage!), sondern wagt einen breit gefächerten Blick über den Tellerrand und nutzt anders geartete Gelegenheiten, aus althergebrachten Strukturen und Traditionen auszubrechen.
Regina: Wie stehst du zu Puristen, die jegliche Art von 'andersartiger' Musik verweigern? Könntest du ihnen raten, wie sie z.B. mit deinem Album besser klarkommen könnten?
Falk: Ehrlich gesagt kann ich mir überhaupt nicht (mehr?) vorstellen, wie man sich so sehr auf ein bestimmtes Genre einschießen kann, dass man alles andere verweigert - dadurch geht einem doch wahnsinnig viel verloren! Wie ich solchen 'Puristen' mein Album schmackhaft machen könnte? Hmm, vielleicht über die Gedichte. Beschäftigt euch erstmal nur mit den geschriebenen Gedichten und hört auch dann erst die Musik an! Das Problem ist wohl, dass solche Puristen wohl kaum mit expressionistischer Lyrik zurecht kommen...
Regina: Würdest du dir wünschen, dass auch größere Label auf Avantgarde-Kost aufmerksam werden, oder soll diese Musik weiterhin einen Nischenplatz in der Musikwelt belegen?
Falk: Prinzipiell fände ich es fantastisch, wenn avantgardistischen Tendenzen jedweder Couleur eine etwas größere Aufmerksamkeit zukommen würde. Aber ganz ehrlich: Wäre der Begriff 'Avantgarde' im Wortsinn noch angebracht, wenn solche Musik Verkaufszahlen bringen würde, die einen Major-Deal rechtfertigen!?
Regina: Kannst du dir ein weiteres Projekt in der Konstellation von FLUORYNE vorstellen? Hast du vielleicht sogar schon Ideen für ein neues Album?
Falk: Ich hatte ja schon eine zweite Demo-CD erwähnt, die es aufzunehmen und zu veröffentlichen gilt. Der Titel lautet "Dynamics Of Extinction" und das Album wird - im direkten Vergleich zu "Dämmerung" - geradezu minimalistisch schwarzmetallisch werden. Abgesehen davon arbeite ich an einigen Ideen, da gibt es aber noch nichts Spruchreifes.
Regina: "Galeere" von GEIST war ja mal wieder eine Wucht von einem Album! Siehst du Parallelen zwischen dieser Band und deinen anderen Projekten?
Falk: Aus meiner Sicht ist GEIST prinzipiell etwas ganz anderes als FLUORYNE. Während ich bei FLUORYNE meine und NUR meine Visionen umsetze, handelt es sich bei GEIST um ein Bandgefüge, das gemeinsam an einer Vision arbeitet, gemeinsam einen mitreißenden künstlerischen Ausdruck zu finden versucht. Außerdem lieferte ich bei GEIST so gut wie keine zentralen Ideen, sondern orientierte mich an den Songstrukturen, die bereits bestanden. Nichtsdestoweniger habe ich in meiner Zeit bei GEIST viel gelernt und einige interessante Kontakte geknüpft; ich finde es wirklich schade, nicht weiter dabei sein zu können.
Regina: Hast du dir für die nahe Zukunft etwas Besonderes vorgenommen?
Falk: Hmm ... was wohl ganz interessant werden wird, ist ein Wechsel meines Arbeitsplatzes und der damit verbundene Umzug im Frühjahr. Ansonsten fällt mir jetzt nichts ein, das das Attribut 'besonders' verdienen würde.
Regina: Vielen Dank für das Interview und das außergewöhnliche Album! Ich wünsche dir alles Gute für das noch junge Jahr 2010, und freue mich auf Neues von dir!
Falk: Ich danke dir für deine Unterstützung, die interessanten Fragen und deine guten Wünsche. Auch dir alles Gute für 2010!
- Redakteur:
- Regina Löwenstein