GOETHES ERBEN: Interview mit Oswald Henke
19.12.2008 | 14:34Oswald Henke - ein Name, der in der Gothic-Szene immer für viel Gesprächsstoff sorgte. Das wird sich nach unserem Interview auch nicht ändern.
Vor wenigen Wochen zog Oswald Henke mit seiner Lesereise durch Deutschland. Der Frontmann der Gothic-Urgesteine von GOETHES ERBEN gab dabei einen recht intimen Einblick in sein Gefühlsleben. Weitere Infos versuchen wir beim gemütlichen Plausch aus dem charismatischen Eigenbrödler herauszubekommen.
Oswald:
Hallo...
Enrico:
Hallo Oswald. Wie fühlst du dich denn jetzt nach der Lesung?
Oswald:
Durstig.
Enrico:
Durstig?
Oswald:
Ja. Ich fühle mich gut. Es war auch eine spaßige Lesung.
Enrico:
Wie lief denn so die Lesereise?
Oswald:
Ich bin zufrieden. Also die meisten Veranstaltungen waren ausverkauft. Es lief erst träge an und dann hat es gut angezogen. An vielen Abenden kamen mehr als 120 Personen. Da kann man mit einer Lesung recht zufrieden sein. Manche Gruppen erreichen das mit Konzerten nicht.
Enrico:
Bist du denn bei einer Lesung nervöser als vor einem Konzert bzw. anders nervös?
Oswald:
Das Gefühl bevor man auf die Bühne geht, ist erst mal, dass man nicht so eine technische Abhängigkeit hat. Aus diesem Grund ist man weniger aufgeregt, was die Technik angeht. Bei einem Konzert kann immer ziemlich viel schief laufen. Das Mikro geht kaputt oder die Musiker verspielen sich oder irgendwas. Und aus diesem Grund bin ich vor einer Lesung gar nicht aufgeregt, weil ich genau weiß, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wenn der Ton ausfällt, dann hab ich immer noch meinen Mund. Das heißt, ich kann alles machen, was ich möchte, muss halt nur lauter brüllen.
Enrico:
Würdest du dich eher als Literat oder Musiker bezeichnen?
Oswald:
Als Mensch.
Enrico:
War es denn für dich schon immer so, dass die Texte über der Musik stehen?
Oswald:
Bei einer Lesung steht eindeutig das Wort im Vordergrund. Es ist auch sehr unterschiedlich, wie Worte allein wirken und wie Worte im Zusammenhang mit Musik funktionieren. Wenn man ein Stück wie 'Zimmer 34' hört, dann ist das gesprochen noch einen Deut brutaler. Texte wie 'Ich liebe Schmerzen', oder auch die Ballade 'Vom Menschen der sich selbst aß' - die Worte wirken nackt manchmal wie Rasierklingen.
Enrico:
In einem Gedicht schreibst du‚ "es tut nicht immer weh zu leben". Was sind denn für dich die Sonnenseiten im Leben?
Oswald:
Die Sonnenseiten? Es gibt so viele. Wenn ich zum Beispiel im Sommer in einem Straßencafé einen Amarena- Eisbecher esse, dann ist das eine Sonnenseite. Oder wenn ich im Kino einen tollen Film anschaue, dann ist das für mich etwas Schönes. Oder wenn ich mit Freunden einen Kaffee trinke und mich angeregt unterhalte, dann ist das eine Sonnenseite im Leben. Also ich sammle diese. Es sind halt die Kleinigkeiten im Leben. So ein Lottogewinn passiert ja, wenn, dann nur einmal im Leben.
Enrico:
Wäre denn ein Lottogewinn für dich eine Sonnenseite?
Oswald:
Weiß ich nicht. Ich betrachte Geld einfach nur als Hilfsmittel, um sich das Leben annehmlicher zu gestalten. Aber so viel Geld braucht man eigentlich gar nicht. Aber ich würde das Geld schon ausgeben. (Gelächter)
Enrico:
Du hast in der Lesung gesagt, dass man etwas tun sollte, um nicht vom Geld abhängig zu werden. Was tust du denn, um nicht davon abhängig zu werden.
Oswald:
Ich mache Konzerte, ich mache Theater und ich mache Lesereisen. Weil mit allen drei Dingen kann man kein Geld verdienen. Geld verdiene ich mit anderen Dingen.
Enrico:
In einem Gedicht schreibst du "Wenn Liebe weh tut, ist sie ehrlich". Inwiefern muss denn Liebe schmerzhaft sein? Oder warum ist Liebe ehrlich, wenn sie schmerzhaft ist?
Oswald:
Weil man dann erst merkt, dass einem ein Mensch etwas bedeutet. Wenn man merkt, da tut was weh. Wenn man jemanden nicht sieht. Oder wenn etwas nicht so läuft, wie man es sich wünscht.
Enrico:
Also sind die Schmerzen doch eher auf die negativen Seiten der Liebe bezogen?
Oswald:
Nee. Schmerzen sind ja nicht nur negativ. Schmerzen sind etwas, was man bemerkt. Der Körper hat die Funktion des Schmerzes, um darauf aufmerksam zu machen, dass etwas nicht stimmt. Und wenn etwas schmerzt, dann fehlt vielleicht einem Menschen ein anderer Mensch.
Enrico:
Wenn aber der andere Mensch da ist?
Oswald:
Dann ist ja der Schmerz weg.
Enrico:
Dann ist doch in dem Falle Liebe nicht schmerzhaft?
Oswald:
Sie tut aber weh. Man muss sich ja erst einmal bewusst werden, dass man einen Menschen liebt. Wenn der immer da ist, ist das ja Gewohnheit. Wenn er aber nicht immer da ist oder entfernt ist zu manchen Zeitpunkten, dann hat man das Gefühl, dass was fehlt oder weh tut. Dann weiß man: "Aha, es ist doch etwas tiefer, als man sich vorgestellt hat". So erkennt man Liebe.
Enrico:
Würdest du denn sagen, Oswald Henke ist eher Optimist oder Pessimist?
Oswald:
Ich wäre schon gern ein Optimist, bin aber eher ein Realist. Also ich gebe unserer Gesellschaft noch zehn Jahre und dann versinkt Europa in einem Bürgerkrieg.
Enrico:
Ich würde gern noch ein paar Fragen zum Projekt FETISCH:MENSCH stellen. Wie ist es denn dazu überhaupt gekommen?
Oswald:
Aus den Überresten von ERBLAST und ARTWORK ist die Idee FETISCH:MENSCH entstanden. Zunächst waren wir namenlos, weil wir uns nicht auf einen Namen einigen konnten, weil es ja eine Band-Demokratie gibt. Irgendwann kam dann die zündende Idee, es FETISCH:MENSCH zu nennen. Auf meinem Wunsch hin war klar, dass wir keine Tonträger machen. Wir machen nicht die übliche Promotion: also Fotos machen und so weiter und so weiter. Und das haben wir jetzt sehr konsequent durchgezogen.
Enrico:
Welche Gründe gibt es dafür, dass ihr eben nicht den "normalen" Weg geht?
Oswald:
Weil mich die Medienlandschaft in Deutschland ankotzt! Und ich mit der eigentlich gar nichts mehr zu tun haben möchte. Ich benutze sie nur noch dann, wenn ich sie brauche. Und dann schalte ich lieber eine Anzeige, als mich mit denen zu unterhalten. Da weiß ich wenigstens, was ich haben möchte.
Enrico:
Man kann auf der Homepage zu FETISCH:MENSCH einige Lieder runterladen und es ist einem freigestellt, ob man dafür bezahlt. Wie viele bezahlen denn für den Download?
Oswald:
0,5%. Das zum Thema Freiwilligkeit und Wertschätzung. Also von 200 bezahlt einer.
Enrico:
Wie siehst du die Zukunft der Musikbranche?
Oswald:
Die Musikbranche, so wie ich sie jetzt kenne, hat gar keine Zukunft. Ich meine, die Kohleindustrie und die Pferdekutschenindustrie gingen auch irgendwann den Bach runter. Die Musik hat keine Wertigkeit mehr. Sie wird als akustischer Bildschirmschoner genutzt und viele junge Menschen wissen noch nicht einmal mehr wie die Gruppen heißt, die sie gerade hören. Es macht halt: "bum bum ficken, bum bum ficken und so weiter" und welche Gruppe das ist, ist eigentlich uninteressant. Das wissen die meisten auch gar nicht mehr. Die können höchstens ein Lied vorsingen und dann fragst du: "Welche Gruppe? Auf welchem Album?". Und dann gucken sie mich nur ganz groß an.
Enrico:
Was denkst du, wie geht es dann jetzt weiter mit der Musikindustrie?
Oswald:
Keine Ahnung. Ich bin ja kein Prophet. Also wenn ich König werden würde, dann würde ich wissen, wie es weitergeht. Da ich das aber nicht entscheiden oder beeinflussen kann, kann ich nur sagen, was ich mache. Nämlich keine CDs mehr veröffentlichen. Also keine neuen Alben aufnehmen. Vielleicht mal einen Sampler von GOETHES ERBEN. Aber das ist dann existierendes Material. Aber ich werde keinen Euro mehr in ein Tonstudio stecken, um Lieder aufzunehmen, die andere dann downloaden. Wozu auch? Ich geh doch nicht arbeiten, um dafür Musik aufzunehmen. Ich kann ja auch Musik für mich selbst machen, im Proberaum oder auf einer Konzertbühne.
Enrico:
Wie reagieren die Fans auf eine solche Umstellung?
Oswald:
Es gibt gar keine. Sie akzeptieren das. Sie finden das gut, anscheinend. Sonst würden sie sich ja zu Wort melden. Aber in Deutschland gehört es sich ja nicht, sich zu Wort zu melden. Verhältnismäßig ist die Reaktion auch nur 0,5%. Es ist immer so eine schweigende Mehrheit bei unseren Fans. Traurig! Aber die gesamte menschliche Gesellschaft funktioniert ja so. Die sind ja alle so traurig.
Enrico:
Noch eine Frage zu GOETHES ERBEN. Ihr habt gesagt, ihr löst euch nicht auf, sondern macht nur eine längere Pause?
Oswald:
Wir machen eine Pause, für eine unbestimmte Zeit.
Enrico:
Du hast gesagt, du spielst Cello im Tod. Welches Instrument würdest du mit dem Leben verbinden?
Oswald:
Klavier. Da kann ich allein spielen und brauche niemanden dazu.
Enrico:
Zum Abschluss noch die Gretchenfrage: Wie hast du es mit der Religion?
Oswald:
Ich glaube, dass das Gute, wie auch immer man das definieren mag, der richtige Weg ist. Also an einen alten Mann mit Bart glaube ich nicht. Und ich habe es auch nicht nötig, einer Institution hinterher zu laufen, die mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Der Mensch muss das selber wissen, was er selbst verantworten kann.
Enrico:
Okay, dann bedanke ich mich für das Interview.
Oswald:
Bitteschön.
- Redakteur:
- Enrico Ahlig