GRAVE DIGGER - Interview mit Chris Boltendahl

15.01.2025 | 13:26

Warum man in Gladbeck spätere Bankräuber mit ner Mark bezahlen musste, um in Gelsenkirchen Schallplatten kaufen zu können und was es sonst noch so Neues bei GRAVE DIGGER gibt, erfahrt ihr von Chris Boltendahl.

Hallo Chris, heute hast du mal nicht mit Marcel seitens Powermetal.de das Vergnügen, sondern mit mir! Und wir haben eine ganze Menge zu besprechen, denn es ist einiges los bei euch. Zwei Jubiläen, nämlich 45 Jahre GRAVE DIGGER, und das Debüt "Heavy Metal Breakdown" ist Ende Oktober 2024 satte 40 Jahre alt geworden. Ihr veröffentlicht ein neues Album, geht auf Tour und habt mit Tobias Kersting einen neuen Gitarristen. Und damit würde ich gerne loslegen.
Nach 14 Jahren haben sich ja die Wege von GRAVE DIGGER und Axel Ritt getrennt, auf das wie und warum möchte ich gar nicht eingehen. Aber ich möchte gerne wissen, wie Tobias, den man in der Metal-Szene aus seiner Zeit bei ORDEN OGAN kennt, der neue von GRAVE GITARRIST geworden ist.
Ich habe vor einiger Zeit noch als A&R-Manager für unser griechisches Label Rock Of Angels Records gearbeitet und während dieser Zeit habe ich Jens Becker dazu überredet, die alten X-WILD-Alben neu rauszubringen, was dann auch passiert ist. Im gleichen Atemzug habe ich ihn gefragt, ob er nicht Lust auf eine X-WILD-Reunion hätte. Und er so: Nö. Ich meinte dann, guck mal, ich singe, suche uns einen geilen Drummer und mit dem Tobi Kersting habe ich auch schon den richtigen Gitarristen, der ist auch X-WILD-Fan und kennt sich in der deutschen Musikszene supergut aus - aber Jens ließ sich absolut nicht überreden. Und daher habe ich mir gesagt, dann mache ich mit dem Tobi ein Solo-Album und habe ihn einfach angerufen. Wir kennen uns auch schon länger, er war schon einige Zeit weg bei ORDEN OGAN und hatte gerade musikalisch nichts zu tun und so ist dann CHRIS BOLTENDAHL'S STEELHAMMER entstanden.

War nach der Trennung von Axel Ritt sofort klar, dass Tobias der neue Gitarrist bei GRAVE DIGGER wird, oder habt ihr noch andere Leute kontaktiert oder eventuell sogar zum Vorspielen eingeladen?
(schmunzelt) Nein, das habe ich noch nie gemacht. Auch bei Uwe Lulis, Manni Schmidt oder auch bei Axel Ritt war relativ klar, dass derjenige, den wir ausgesucht haben, auch unser Gitarrist wurde – und abgesagt hat auch nie einer. Im Endeffekt war es dann so, dass ich, als Axel die Band verlassen hat, beziehungsweise verlassen musste, Tobias gefragt habe: Du der Axel ist raus, hast Du Bock? Und er hat direkt ja gesagt.

Grave Digger mit LogoMich ärgert tierisch, dass das "Deaf Forever" mir den Gag weggenommen hat, dich zu fragen, ob das Album oder zumindest der Titelsong 'Bone Collector' von Peavy von RAGE handelt.
Das bin ich tatsächlich schon öfter gefragt worden, aber nein, tut er nicht. Aber es könnte sein, weil wir mit RAGE 1997 auf Tour in Argentinien und Brasilien waren, für beide Bands war es die erste Tour in Südamerika. Und eines morgens kam... ich glaube Spiros war es, zu mir und meinte:  
"Hey, haste gehört, der Peavy, der ist irre, der war auf einem Friedhof und hat ein paar Totenköpfe eingepackt."
Ich so: "Äh...wie jetzt? Einfach so?"
"Ja, die haben da alte Gräber ausgehoben, um Platz für neue zu machen und da lagen überall Schädel und Knochen rum, und die hat der Peavy alle eingepackt!"
Und ich dachte mir nur: "Super, wenn wir damit an der Grenze erwischt werden und die in seinen Koffer schauen wollen, dann fahren wir alle erstmal ein paar Jahre gepflegt ein." Das ist meine kleine Story von Peavy, dem "Bone Collector".
Eigentlich ist Peavy ja Tierpräparator, und er hat zu Hause eine Riesensammlung an Knochen und die aus Brasilien hat er wahrscheinlich fein säuberlich abgekocht da irgendwo eingereiht, denn wir sind zum Glück nicht kontrolliert worden.  
Und wer weiß, vielleicht hat Peavy ja im Unterbewusstsein mitgewirkt, als Tobias den Song geschrieben hat.

Ist es für dich nach all den Jahren eigentlich mittlerweile Routine, wenn ein neues Album ansteht, oder bist du noch aufgeregt und gespannt, wie das Album bei Fans und Presse ankommt und welche Chartplatzierung dabei eventuell herausspringt?
Ich sag mal so: es ist im Endeffekt immer eine sehr spannende Geschichte.
Ein neues Album ist ein wenig wie Tetris, du baust alles zusammen und am Ende ist ein neues Album entstanden. Es ist spannend, weil jedes Album eine neue Herausforderung ist, von der textlichen Seite sowie von den Kompositionen, wie nach und nach alles zusammenkommt, bis dann das fertige Produkt da ist. Wir haben uns diesmal auch echt Zeit gelassen und nicht schnell-schnell gemacht, es sollte alles 100%ig werden. Und wenn das ganze Ding dann fertig zusammengeschustert ist, ist man ziemlich stolz, aber ist es auch ein Stück weit wie eine Erlösung, dass es fertig ist und wir das Ding auf die Menschheit loslassen können. Und natürlich ist man auf die Reaktionen gespannt! Ich bin nach 40 Jahren immer noch sauer, wenn es einer nicht gut findet – diesmal waren es aber nur wenige von ziemlich vielen, die es nicht gut fanden. Zwei Reviews habe ich gelesen, die wirklich mies waren, aber die meisten anderen sind ja fast schon überschwänglich gut.

Bone Collector Cover"Bone Collector" ist das erste GRAVE DIGGER-Album, auf dem kein Ton vom Keyboard kommt. War das eine bewusste Entscheidung oder hat sich das beim Songwriting so ergeben? Spielen da die Jubiläen eine Rolle, eine Art Back-To-The-Roots-Album aufzunehmen?
Das ist ja der eigentliche GRAVE DIGGER-Signature Sound. Die Keyboards kamen erst nachträglich dazu, anfangs nur partiell bei einzelnen Songs, und dann verstärkt ab der "Tunes Of War". Und diesmal haben wir uns gesagt, wir brauchen keine Keyboards. Und wir gehen noch einen Schritt weiter. Live haben wir schon länger keinen Keyboarder mehr dabei und die Keys zu einzelnen Songs kamen zuletzt bei Konzerten vom Band, das haben wir auch komplett gestrichen. Wir benutzen ab Donnerstag auf Tour keinerlei Art von Keyboards mehr, das Einzige, was da noch vom Band kommt, ist der Dudelsack bei 'Rebellion'. Der Rest fällt dem Rotstift zum Opfer und das funktioniert ganz hervorragend.
Wir spielen auch Songs aus der Ära von "Knights Of The Cross" oder "Tunes Of War", diese Songs brauchen eigentlich keine Keyboards. Das, wir da live eingespielt haben, diese Flächen, die eher einen Verbreiterungseffekt für den Sound dargestellt haben, die sind eher unnötig und so können wir uns auf das besinnen, was GRAVE DIGGER wirklich ausmacht.

Ich bin gespannt, euch im Turock in Essen zu hören, die Karte liegt hier – ich werde da sein!
Ja schön! Und da sind wir dann auch gut eingespielt! (lacht)

Die Kompositionen auf dem neuen Album stammen fast alle von Tobias Kersting, bis auf zwei, die sind von Jens Becker. Liefern die beiden komplette Songs oder nur die Hauptidee, an der ihr dann zusammen weiterarbeitet?
Ja, bis auf 'Killing Is My Pleasure' und 'Devils Serenade', an denen Jens mitgewirkt hat, sind alle Stücke aus der Feder von Tobi und mir. Meist kommt er mit einem Riff um die Ecke und wir arbeiten dran, und er schickt mir dann wieder, was er dann ausgearbeitet hat und es kann sein, dass ich ihm das wieder in seine Einzelteile zerlege (lacht). Aber das geht alles ganz ungezwungen und Tobias hat auch eine Engelsgeduld mit mir. Er sieht ja, was im Endeffekt dabei rauskommt und hat einen guten Blick für das große Ganze.

Ihr steht also nicht mehr zusammen im Proberaum und jammt beim Songwriting, sondern das findet überwiegend online statt?
So ist es. Die Recording- und Songwriting Sessions zu "Heavy Metal Breakdown" liefen wie folgt ab: "Hey, sollen wir zur Tanke fahren und ein paar Sixpacks holen? Hat noch einer Shit in der Tasche? Dann lasst uns mal zum Proberaum fahren." Da wurden dann erstmal ein paar Büchsen geöffnet und einer gebaut und irgendwann hatte dann einer ein geiles Riff... einer brüllte dann 'Heavy Metal Breakdown', ey geiler Text... so lief das damals!
Und heute sind wir über ganz Deutschland verteilt, da brauchen wir die Technik...

... und ein paar Jahre älter seid ihr auch geworden...
...und ich trinke und kiffe seit 24 Jahren nicht mehr, das würde also auch wegfallen (grinst).
Nein, im Ernst - wir nehmen uns da heute echt Zeit, wir tauschen uns aus, telefonieren viel über die Songs, wir schicken immer wieder Sachen hin und her und machen eine ausgiebige Vorproduktion, bevor wir mit den eigentlichen Aufnahmen beginnen. Das läuft heute schon deutlich professioneller ab.

Du hast 2022 mit Marcel in unserem POMMESGABEL-Podcast zum letzten Album "Symbol Of Eternity" deinen allerersten Podcast aufgenommen. Den habe ich mir zu Vorbereitung auf dieses Interview auch nochmal angehört. Da hast du gesagt, dass das nächste Album wieder ein Konzeptalbum wird. Das ist es nun nicht geworden. Wenn man die Songtexte liest, wimmelt es von Metal-Klischee-Schlagworten wie Devil, Doom, Hate, Madness, Graveyard, Evil, Damned... was steckt dahinter?
Ganz einfach: GEIL!

Ok, das reicht schon als Antwort!
Ihr könnt mich ja jetzt als Lügner diffamieren (lacht). Ach ja, aber diese Aussage stammt wohl aus der Zeit, als Axel noch dabei war und wir wirklich überlegt haben, noch ein Konzeptalbum zu machen. Ein wenig wollten wir da wohl auf Nummer sicher gehen... Aber ich habe einfach gemerkt, dass das so nicht mehr das Richtige für mich ist.
Genauso, wie ich jetzt sage, dass es keine Konzeptalben mehr geben wird (grinst) ... aber das ist wahrscheinlicher als das, was ich damals im Podcast gesagt habe, weil wir jetzt einfach Lunte gerochen haben, was Nicht-Konzeptalben angeht. Und wir wollen eben nicht mehr auf "Nummer sicher" gehen, daher wollen wir diese Konzeptalben nicht mehr. Entweder finden die Leute das geil, was wir machen, oder sie sollen es halt lassen. Das ist halt das, wonach uns der Sinn steht.
Der "Bone Collector" ist ja nur ein anderer Begriff für den Reaper, aber wir konnten das Album ja nicht "The Reaper Comes Out Of The Coffin Again" oder "The Reaper Returns" nennen. Daher haben wir nach einem Synonym gesucht – und deshalb ist es der "Bone Collector" geworden. Ich liebe diese Texte einfach. Und wenn Leute sagen, dass das der totale Schwachsinn ist, dann haben sie es einfach nicht verstanden. Das sind oft kleine Horror-Stories in der Art von Edgar Allan Poe. Ich möchte mir nicht anmaßen, wie Edgar Allan Poe zu sein, ich bin wohl eher der Trivial-Edgar-Allan-Poe in Sachen Lyrics schreiben. Das sind die Metal-Klischees, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir jetzt auswringen, bis da nichts mehr kommt! (grinst)

Aber absolut ausschließen würdest du ein weiteres Konzeptalbum auch nicht, wenn euch nochmal eine gute Idee kommt?
Ich sage es mal so: Im Moment fühle ich bei diesem Gedanken grenzenlose Leere.

Dann spare ich mir die Frage, was du von Ideen wie dem Wilden Westen oder dem alten Rom hältst. Aber ich frage nach einem Text, von dem ich gelesen habe, dass er durchaus mehr als nur Metal-Klischees beinhaltet, nämlich dem von 'Whispers Of The Damned'. Ich gestehe, ich hätte diese Bedeutung nicht unbedingt herausgehört, aber der Song soll von Rudolf Heß handeln, dem Lagerleiter von Auschwitz und der Tatsache, dass er mit seiner Familie neben dem Lager gelebt hat, wo tagtäglich Menschen massakriert wurden.
Genau. Das habe ich nach dem Solo textlich angedeutet, wo ich den Part eines KZ-Insassen einnehme und singe, dass hinter der Mauer die Blumen blühen, ich sie aber nicht mehr sehen werde. Dazu habe ich im Hintergrund Kindergeschrei eingespielt, als kleine Hörspiel-Sequenz. Die Banalität des Bösen ist auch so etwas wie der Untertitel des Songs, das kommt auch im Chorus vor: "The Banality Of Evil". Es ist mit einem gesunden Menschenverstand auch gar nicht zu verstehen, wie jemand als Nine-To-Five-Job Menschen zu Tausenden in die Gaskammern schicken kann und dann abends den Kindern zum Einschlafen aus Grimms Märchen vorliest.
Mit 'Killing Is My Pleasure' ist ja noch ein Song, der in eine ähnliche Richtung geht, da singe ich über den Mafia-Mörder Richard Kuklinski, genannt Iceman. Der hat zwar nicht jeden Tag Menschen umgebracht, aber in seiner Karriere auch so um die 200 und war im Knast dann auch sehr auskunftsfreudig über seine Taten.
Diesen Leuten scheint das Gefühls-Gen abhandengekommen zu sein, oder sie sind ohne dieses Gen geboren worden, ich weiß es nicht. Andererseits gab es im Dritten Reich ja eine ganze Menge solcher Leute, die das drauf hatten. Und das scheint sich aktuell zu wiederholen...

Leider hast du da Recht. Gibt es denn außer den bereits genannten Songs noch andere, die einen Text haben, wo du gern erzählen möchtest, worum es geht?
Neben den kleinen Gruselgeschichten haben wir noch einen Text, der in Richtung Kapitalismus-Kritik geht, nämlich 'The Rich, The Poor, The Dying'. Hier zitiere ich leicht abgewandelt eine meiner damaligen Lieblingsbands, die DIRE STRAITS, aber statt "Money for nothing and chicks for free" singen wir "Money for nothing and deaths for free". Ein sehr aktuelles Thema, wenn man sich anschaut, wie viele reiche Leute sich heute in Regierungen platzieren. Unser aktuelles Video zu 'The Devil's Serenade' ist umso aktueller, man darf ja nicht sagen, das ist Trump oder Boris Johnson, sondern nur eine Puppe, die viel Geld hat...

The Devil's Serenade



https://www.youtube.com/watch?v=cl64z5Qvnpc

... und eine scheußliche Frisur...
... die vielleicht so aussieht, wie jemand, den man kennen könnte. Manche mögen es nicht, wenn GRAVE DIGGER politisch wird, aber wenn man sich so anhört, was Frau Weidel am vergangenen Wocheneden so von sich gegeben hat... da muss man sich echt gut überlegen, ob man diese Partei wählen kann, muss und will. Aber das ist nur meine persönliche Meinung, und in erster Line ist GRAVE DIGGER eine unpolitische Band. Aber etwas Sozialkritik bringe ich gern mal in meinen Texten unter.

Das ist auch definitiv gut so! Aber gerade in diesen Zeiten tut es einfach gut, vor einer Bühne zu stehen und eingängige Refrains und Hymnen mit gleichgesinnten Richtung Bühne zu brüllen und den Kopf zur Musik zu schütteln.
Und dafür ist GRAVE DIGGER natürlich die perfekte Band!

Mit 'The Grave Is Yours' habt ihr vor dem Album einen Song veröffentlicht, der es nur als Japan-Bonustrack auf das Album geschafft hat. War das Lied von vornherein als Stand-Alone-Single konzipiert?
Ja. Das Lied haben wir nur digital veröffentlicht und auf Vinyl 500 Seven-Inches davon veröffentlicht. Mehr sollte es auch gar nicht werden. Es sollte ein Appetizer werden und den Leuten einen Eindruck vermitteln, wohin die Richtung mit Tobias gehen würde. Man konnte anhand des Songs ja schon ahnen, dass kein drittes "Tunes Of War" kommen würde.

Bei dem Album lagen Produktion und Mix wieder in Deinen Händen?
Ja, ich habe gelernt (schmunzelt). Zwischen dem letzten Album und diesem liegen ja auch wieder zweieinhalb Jahre, ich beherrsche die Technik besser als früher. Ich hatte für dieses Album meine eigene Soundvorstellung, und die trifft diese Produktion 100%ig. Sehr erdig, rough, ziemlich direkt, nicht blinky-blinky, und ich wollte keine 80er-Snare-Sound, der nur so "plöpp-plöpp" macht, sondern richtig in die Fresse geht.

Das Album klingt wirklich gut und mir gefällt auch der Bass, man hört ganz klar raus, was der Jens da spielt. Und das ist schon amtlich! Eine verdammt gute Produktion.
Danke schön!

In unserer Soundcheck-Pommesgabel-Podcast-Folge August 2022 gab es eine - nennen wir es - spannende Diskussion zwischen unserem Tobias und Marcel bezüglich des Gitarrensounds von "Symbol Of Eternity" (wer es nachhören möchte: Pommesgabel Folge 101 vom 14.08.2022 ab ca. 48:30 bis 1:00:00). Hast du das mitbekommen oder die Folge sogar gehört?
Ja, der Tobias Dahs war das! Ich fand es ein kleines bisschen respektlos, wie er sich da gegeben hat, aber in Ansätzen hatte er ja vielleicht auch recht. Das hätte man aber in andere Worte kleiden können, um der "LEGENDE" Respekt zu zollen (grinst).

Marcel hat dich aber mit Klauen und Zähnen verteidigt!
Ja, ein absolut geiler Typ (lacht). Den Marcel kenne ich echt schon ewig. Ein GRAVE DIGGER-Supporter par excellence. Für das neue Album haben Tobias Kersting und ich eine Woche an dem Gitarrensound gearbeitet, bis wir den so hatten wie wir ihn wollten – den klassischen GRAVE DIGGER-Gitarrensound! Axel war halt ein bisschen anders gepolt und wollte den Gitarrensound so haben, wie er ihn mir abgeliefert hat. Ich konnte das dann in der Produktion leider auch nicht so umsetzen, wie ich wollte – vielleicht war das auch einer der Gründe, warum es zum Split gekommen ist. Mit dem neuen Gitarrensound bin ich hingegen sehr glücklich, der setzt auch nahtlos an den Sound von Uwe Lulis an, den ich einfach geil finde, oder den von Manni Schmidt. Und ich hoffe, dass euer Tobias diesmal nichts zu meckern hat. Ich bin mal auf den nächsten Soundcheck gespannt.

Hättest du dir damals, vor 40 Jahren, träumen lassen, dass du das mit über 60 Jahren immer noch machst? An dieser Stelle: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag, der 63igste ist ja erst ein paar Tage her!
Danke dir! Ich hätte damals noch nicht mal geglaubt, dass ich überhaupt 30 Jahre alt werde, wegen der Sauferei und dem Kiffen. Dann war ich plötzlich 30 und habe mir gedacht, na gut, aber die 40 schaffe ich bestimmt nicht mehr. Mit 38 habe ich dann aufgehört zu trinken und zu kiffen, ich bin Vater geworden und spiele Golf. Es kommt im Leben oft anders, als man denkt und ich bin froh darüber, dass ich die Kurve gekriegt habe und bin voller Tatendrang!
Wir haben schon den Titel für das nächste Album, wir schreiben Songs und Riffs und haben eine Idee für das Cover. Es steht eigentlich schon alles, so dass wir theoretisch im nächsten Jahr veröffentlichen könnten – aber das nächste Album wird erst in zwei Jahren kommen.

Grave DiggerDu hast mir schon was zur Tour verraten, es wird keine Keyboards geben, nur ganz klassisch Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Was dürfen wir denn an Songs verraten, wird es ein Mix aus dem neuen Album und ein paar alten Klassikern oder mixt ihr alle Bandphase durch?
Es wird definitiv kein Old-School-Set wie beim "Keep It True". Wir werden drei Songs vom neuen Album spielen, welche, kann man sich an drei Fingern abzählen - es werden natürlich die Video-Songs sein. Dann haben wir einen Klassiker ausgepackt, den wir weder mit Axel noch mit Manni je gespielt haben, sondern vor Ewigkeiten als Uwe Lulis noch dabei war. Das ist 'Keeper Of The Holy Grail' vom "Knights Of The Cross" Album. 'The Curse of Jacques' haben wir ja immer mal wieder im Set, es wird ein paar Sachen vom "Reaper"-Album geben, 'Heart Of Darkness', wir spielen mal wieder 'Scotland United' von "Tunes Of War", zwei Songs aus der Ära mit Manni wie 'Valhalla' vom "Rheingold"-Album und die Klassiker, die wir immer spielen müssen, wie 'Round Table', 'Excalibur', 'Heavy Metal Breakdown' und natürlich wie schon erwähnt 'Rebellion'. Insgesamt 17 Stücke, da sollte für jeden was dabei sein.

Darf ich das schon schreiben oder verderbe ich dann die Überraschung?
Wir sind ja ab Donnerstag, den 16.01. auf Tour, also kann dann jeder ab ca. 23:00 Uhr im Internet herausfinden, was wir spielen - von daher: ja, kannst du schreiben.

Wir haben vorhin schon über Peavy gesprochen, hast du seine Biografie gelesen?
Ne, ich komme kaum zum Lesen, und wenn, dann schlafe ich nach zwei Seiten ein. Ich habe im Moment auch viel um die Ohren, ich mache ja das Management selbst. Die ganze Organisation der Konzerte, die Produktion mit den Venues, das mache ich alles selbst, damit da auch nichts anbrennt.
Aber hey, er hat mir noch nicht mal ein Exemplar zugeschickt, der blöde Peavy (lacht). Was ich aber mache, seit der "Full Metal Cruise", sind Lesungen mit meiner eigenen Biografie.

Darauf wollte ich noch zu sprechen kommen. "GRAVE DIGGER – die definitive Biografie". Wobei der Zeitraum nach der Veröffentlichung 2002 ja nun genauso lang, wenn nicht länger ist als die Zeit, die in der Biografie abgedeckt wird. Kommt ein zweiter Teil oder eine aktualisierte Neuauflage?
Nein, nein, es wird keinen zweiten Teil geben, weil mein Leben seitdem nicht mehr so viel hergibt. Welche Runden ich morgens auf dem Golfplatz spiele, interessiert wohl die wenigsten. Aber es macht Spaß, aus dem Buch vorzulesen und den Leuten dann Anekdoten dazu zu erzählen. Ich wollte die Auftritte auf der Cruise eigentlich wieder absagen, weil ich dachte: ach, das wird eh nichts. Aber Holger Hübner hat mich dazu überredet, das doch zu machen. Das erste Mal war auch noch etwas holprig, aber die zweite Lesung war dann schon supergeil. Ich bin auch fürs WACKEN gebucht, da darf ich eine Lesung auf der Bühne machen und Mitte März mache ich eine Lesung in Gladbeck im Dröhnschuppen, wo GRAVE DIGGER gegründet wurde. Das wird eine zweistündige Spaß-Session!

Was verbindet denn GRAVE DIGGER und VICTORY, die auf der Tour als Special Guest dabei sind?
Eigentlich gar nichts (lacht). Das ist einfach eine geile Band und ich kenne VICTORY schon ewig lange, ich fand sie damals mit Charly Huhn am Gesang schon geil, 'Check's In The Mail' und solche Sachen. Wir haben sie letztes Jahr live auf der "70.000 Tons Of Metal" gesehen, eine geile Band, die live tierisch abräumt und haben uns gedacht: Die nehmen wir mit, Legende meets Legende (lacht).
Die Vorverkaufszahlen geben und da auch recht, dass das die richtige Entscheidung war. Das ist sicher auch eine Band, die wir uns vor unserer eigenen Show das eine oder andere Mal ansehen werden.

Verfolgst du die Metal-Szene noch aktiv und hörst du dir neue Bands an?
Ich höre schon in neuere Sachen immer wieder rein und ab und an finde ich auch mal was, das mir gefällt. Ich habe mir gerade erst einen Plattenspieler gekauft und entdecke in meiner Sammlung meine alten Platten wieder, APRIL WINE zum Beispiel.
Oft kicken mich die neuen Sachen auch nicht, mit diesen Euro-Disco-Metal-Bands kann ich eh nichts anfangen, wenn ich das so sagen darf. Weißt du, wenn man ein Keyboard benutzt und das Keyboard sogar neben dem Gesang der Main-Factor in der Band ist, aber kein Keyboarder auf der Bühne steht, dann ist das schon befremdlich. Da hatten wir in unseren Songs weniger Keyboards und trotzdem einen Keyboarder auf der Bühne. Aber die Leute stehen halt drauf, sich von Backing Tracks einlullen zu lassen. Das ist aber auch eine andere Generation und es ist vielleicht auch nicht das Publikum, das unsere Musik hört. Aber wenn die das so wollen, ist das auch okay. Unser Ding ist es nicht, wir stehen auf den handgemachten Metal und wenn bei mir die Kiste mal zugeht, kann ich sagen, dass ich die Leute nie beschissen habe. Bis auf ein paar Keyboards kam bei uns nie was vom Band, sondern alles "natural" von der Bühne, und so soll's auch sein.

Was waren deine musikalischen Einflüsse? Zu Deiner Teenager-Zeit habe ich ja noch Drei???-Kassetten gehört und dazu Lego gebaut.
Mit zehn Jahren habe ich angefangen, SUZI QUATRO zu hören und natürlich war die Musik durchaus manchmal nebensächlich, wenn die Dame in ihrem hautengen Lederkostüm aufgetreten ist. Und Sachen wie '48 Crash' und Marc Bolan mit T-REX, aber dann kam relativ schnell DEEP PURPLE und BLACK SABBATH. Das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin und die ich immer gehört habe und auch noch immer gern höre. Wenn ich ehrlich bin, ich höre mir lieber 'The Song Remains The Same' von LED ZEPPELIN an, anstatt fünf neue Bands zu entdecken. Ich bin da wohl etwas konservativ, aber mit 63 Jahren darf ich das auch.

Ich finde es immer noch unglaublich, wie viele Metal-Bands, die ich in einer Teenager-Zeit Mitte bis Ende der 80er entdeckt habe, heute noch aktiv und relevant sind, neue Alben rausbringen und auf Tour gehen. HELLOWEEN, RAGE, IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, SAXON, ACCEPT, GRAVE DIGGER natürlich, und die ganzen Ruhrpott-Thrasher wie SODOM und KREATOR, um nur ein paar zu nennen. Wenn mir einer damals gesagt hätte: das hörst du noch, wenn Du 50 bist – ich hätte wohl nur gelacht. Und heute höre ich nicht nur immer mehr Metal, sondern ich schreibe auch noch darüber!
So ist das, einmal Metal-Fan, immer Metal-Fan. Vor zwei Jahren auf dem WACKEN OPEN AIR hat Rob Halford von JUDAS PRIEST mich Backstage eingeladen, mit den Worten: "Ich kenne dich, du bist doch der Chris von GRAVE DIGGER!" Und ich so: "Wow..."
Da habe ich ihm erzählt, dass ich Ende der 70er/Anfang der 80er wahrscheinlich jede JUDAS PRIEST Show im Ruhrgebiet und Kölner Raum besucht habe und immer in der ersten Reihe stand und ihm an die Stiefel gegriffen habe und "Hey Rob!" geschrieben habe. Ich war einer der nervigen Fans, die du immer so gehasst hast! Und jetzt stehe ich hier und fühle mich geehrt. Ich bin immer noch Fan, und das möchte ich mir auch bewahren.
Aber mittlerweile gehe ich nicht mehr auf so viele Konzerte, wie früher. Im letzten Jahr war ich mit meiner Frau und meinem Sohn bei GLENN HUGES in Köln, unglaublich was der mit über 70 Jahren noch abgeliefert hat! Früher war ich auf fast jedem Konzert in der Gegend, das ist heute nicht mehr so, aber: im Herzen bin ich immer noch Metal-Fan!

Kingdom Of Skulls

https://www.youtube.com/watch?v=NmYPjHBCshk

Hast du damals eigentlich damals mitbekommen, wie die Szene um euch alle herum gewachsen ist, mit den ganzen Magazinen und allem? War Dir das bewusst, was da entsteht?
Ich bin mit den beiden klassischen Magazinen, dem Rock Hard und dem Metal Hammer, aufgewachsen. Die erste oder zweite Ausgabe vom Rock Hard, die noch in schwarz-weiß und selbst kopiert war, die habe ich damals in Händen gehalten. Heute wäre das wahrscheinlich eine Wertanlage.
Ich erinnere mich noch, wie ich damals mit Charly Rinne den ersten Metal Hammer durchgeblättert habe, damals war er der Chefredakteur und hat mir ganz stolz das Ding gezeigt... warte mal... hier! Das ist die allererste Ausgabe vom Metal Hammer!

Ist das die Original-Ausgabe, die Du da in die Kamera hältst?
Ja, das Original. Man, ist das lange her, seitdem der Charly, der alte wilden Vogel, mir auf seiner Couch in Gelsenkirchen-Buer ganz stolz das erste Heft gezeigt hat. Und in Ausgabe zwei war dann auch schon das Review "Heavy Metal Breakdown" drin. Es war einfach klasse, wie die Szene sich dann entwickelt hat. Heute ist es alles etwas unübersichtlicher geworden. Es ist schon fast eine andere Szene geworden.
Damals gab es bei uns in Gladbeck den Plattenladen Dreesen, da durfte man sich drei LPs anhören – aber eine musste man kaufen, sonst gab es Ärger! Da habe ich so viele Klassiker gehört und gekauft, ich habe erst mein Taschengeld und dann mein Ausbildungsgeld hingetragen.
Mein Sohn ist riesiger VAN HALEN-Fan und hört meine ganzen alten Platten, die ich damals da gekauft habe.

Bei mir war es in Gelsenkirchen-Buer "Die Schallplatte" oder die Tonträgerabteilung bei Karstadt.
Ja, "Die Schallplatte"! Mein Gott, ein sensationeller Laden! Für uns war das etwas weiter von Gladbeck aus bis dahin, aber als Dreesen zugemacht hat, mussten wir ja zur Schallplatte nach Gelsenkirchen fahren. Das war aber recht beschwerlich, weil wir, um dahin zu kommen, immer durch den Busbahnhof in Gladbeck mussten. Und da hingen zu der Zeit solche Gestalten wie Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösler ab, die ja später zu traurigem Ruhm gekommen sind. Denen musste man damals eine Mark als Wegzoll abdrücken (lacht). Uns hat es nicht gewundert, als die dann die Bank überfallen haben. Das war ja kein Glanzstück der deutschen Geschichte.

Ich habe kurz danach meine Lehre bei der Deutschen Bank gemacht und dabei Kollegen kennengelernt, die damals betroffen waren. Das war schon heftig, wie die zum Beispiel auf einen Motoradfahrer reagiert haben, der aus Versehen mit seinem Helm auf den Kopf in die Filiale gekommen ist.
Das kann ich mir vorstellen. Gibt es diese Filiale in Gladbeck-Rentfort, die damals überfallen wurde eigentlich noch?

Nein, die ist kurz darauf geschlossen worden. Aber nicht wegen des Überfalls. Aber es gibt ja heute eh kaum noch Bankfilialen, genauso wenig wie Plattenläden.
Ich höre da heraus, du bist alter Ruhrpottler?

Ja, ich komme aus Gelsenkirchen-Buer. Wohne aber seit Anfang der 2000er nicht mehr im Ruhrgebiet, sondern am Niederrhein.
Mensch, da waren wir damals ja fast Nachbarn! Ich habe in Gelsenkirchen-Buer auf den Veba-Kraftwerken Betriebsschlosser gelernt.

Und da in der Nähe, wenn man von da in die Richtung gefahren ist, wo heute Movie World in Bottrop ist, da ist meine Frau aufgewachsen – und die hat dann Mitte der 90er für Charly Rinne bei der Euromedia, der Plattenfirma für Gothic, Darkwave und Co., die er damals hatte, gearbeitet.
Oh man, die Welt ist klein (lacht) Aber Charly lebt noch?

Ja, soweit ich weiß, ja. Der macht jetzt eine Art Heimat-Magazin.
(Anm. des Verfassers: 100% Buer und andere Stadtmagazine im Ruhrgebiet und andere Veröffentlichungen über die Firma www.crc-media.de)

Aber wie sieht es denn in Sachen STEELHAMMER aus, geht es da weiter?
Schwierig. Wir sind jetzt erstmal live unterwegs und dann ist ja, wie gesagt, auch schon das nächste GRAVE DIGGER Album in unserem Kopf, das ja Mitte nächsten Jahres auch fertig sein muss, damit es dann Anfang 2026 rauskommen kann. Und darauf haben wir schon tierisch Bock. Von daher glaube ich erstmal nicht mehr an STEELHAMMER.

Also ist die Aussage von Mitte der 2010er Jahre, wo Du gesagt hast, dass Du mit 65 in Rente gehen möchtest, hinfällig geworden.
Seit ich 60 geworden bin, zähle ich eh rückwärts – ich bin also gerade mal 57. Von daher habe ich noch ein paar Jahre. Solange alle gesund sind und alle Spaß daran haben, wird es noch einige Zeit weitergehen.

Das hoffen wir doch alle, oder?

Fotocredit: Jens Howorka

Redakteur:
Maik Englich

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