Gruppentherapie CRIMSON CULT-"Tales Of Doom"
12.04.2012 | 07:54
Was haben Namen wie Günter Maier und Walter Stuefer mit Bruce Dickinson, Criss Oliva oder US Power Metal zu tun? Dies alles und noch viel mehr lest ihr in der Gruppentherapie zu unserem März-Dritten im Soundcheck: CRIMSON CULT!
Power Metal aus Österreich? Man könnte schmunzeln und unwissend an Gejodel und Triolen denken. Der wissende Metalinsider ist aber natürlich bestens darüber im Bilde, dass er es bei CRIMSON CULT mit ehemaligen Musikern der Band STYGMA IV (STIGMATA) zu tun hat. Und eben jene Band hatte schon die brachiale Gitarrenkraft der alten SAVATAGE in ihrer Milkamilch. Und auch wenn der zackige Opener 'State Of Fear' zu Beginn etwas arg zeitgemäß aus den Boxen dröhnt, hört man sofort die grantige Handschrift von Gitarrist Günter Maier. Und spätestens beim wuchtigen 'Behind The Curtain' glaubt man sich im siebten "Sirens"-Himmel. Da verwandelt sich Drummer Peter Bachmayer in Steve "Killdrums" Wachholz und Herr Maier riffelt Oliva-Gedenkakkorde. Und dabei klingt die Chose nicht eine Sekunde altbacken. Je länger die Scheibe läuft, desto besser wird die Musik. So kratzt man mit dem epischen Bombastknüller 'Choshinja' ein paar Meter unter meinem Gefühlsradar herum. Eine fantastische Nummer, in der man sich durch die grandiosen Backingvocals beinahe an ein Musical erinnert fühlt. Und Sänger Walter Stuefer plättet mit seinem facettenreichen Monsterorgan hier mal so eben alles. Wie übrigens auch im anschließenden Mammutsong 'The Long Way Home', welcher während seiner neun Minuten Spielzeit nicht eine Sekunde langweilig wirkt. Mit diesem Track erreicht das Album dann in der Mitte ihren absoluten Höhepunkt. Das bedeutet nun natürlich nicht, dass die nachfolgenden Titel schlecht wären. Nein, mit 'On The Edge' hat man sogar noch eine wundervolle Ballade im Programm. Allerdings ist man nach dem langen Weg nach Hause so dermaßen satt und glücklich, dass weitere Musik beinahe egal wird. Vielleicht finde ich auch nur deshalb 'Warrior Son' und 'Crimson Empire' nicht ganz so zwingend. 'Second Life' überrascht zumindest noch mit gesteigertem Tempo und kann so ganz schnell punkten. Und das instrumentale Abschlussgefrickel mag ebenso zu überzeugen, hätte für meine Bedürfnisse aber nicht mehr dahin gemusst. Anyway, ein tolles Album. Mehr US-Metal aus Europa geht kaum.
Note: 8,5/10
[Holger Andrae]
CRIMSON CULT sind mit "Tales Of Doom" direkt in der Tradition all ihrer Vorgängeralben, egal ob als die genannten STYGMA IV (drei Alben), STIGMATA (ein Album) oder STIGMATA IV (zwei Alben). Das ist bereits ein großes Lob, und wer eben diese Alben nicht kennen sollte, darf dies gerne als Kaufempfehlung für alle auffassen. Denn der mitreißende Power Metal der Österreicher steht den von meinen Vorgängern genannten Größen tatsächlich nicht nach. Es ist ein Wunder, dass sie so unbemerkt geblieben sind, und eigentlich eine Schande. Zumal sie zu jeder Zeit gute Sänger hatten. Aber - und das ist möglicherweise der größte Vorteil für CRIMSON CULT - singt hier Walter Stüfer (siehe Foto links), den ich für den bislang besten Vokalisten der Band halte. Er erinnert mich gelegentlich sogar an Bruce Dickinson, zum Beispiel in 'Institution Christ' und das meine ich ausschließlich positiv (Anm. TB: Kann man das ernsthaft auch negativ meinen?). Eintüten. Zumal sich nach mittlerweile doch einiger Zeit, die ich das Album hören kann, keinerlei Abnutzungserscheinungen zeigen. Ich bin mit meiner Note eher noch zu konservativ gewesen...
Note: 8,0 / 10
[Frank Jaeger]
Die alten STYGMA IV-Hasen, die jetzt unter dem Banner CRIMSON CULT musizieren, gehören zu den großen Unglücksraben der Szene. Durch Probleme mit den Namensrechten immer wieder zurückgeworfen, wurde die hohe Qualität aller Veröffentlichungen gerne übersehen. Da half auch Kritikerlob wenig. Vielleicht ändert sich das ja mit dem zweiten CRIMSON CULT-Album, es wäre ohne Zweifel verdient. Auch auf "Tales Of Doom" gibt es abwechslungsreichen, kraftvollen, teilweise leicht epischen Power Metal zu hören, der so ganz und gar nicht europäisch klingt. Dampframmen wie das eröffnende Doppel 'State Of Fear' und 'Behind The Curtain' lassen einen die Faust ballen und den Kopf in der Vertikalen schütteln, das beinahe doomige 'Choshinja' wird im Refrain lauthals mitgegrölt und das mehr als neunminütige 'The Long Way Home' ist eine Power-Ballade, die gar Erinnerungen an eine Götternummer wie METAL CHURCHs 'Anthems To The Estranged' weckt. Wer mal wieder auf ein Lebenszeichen von SAVATAGE, MORGANA LEFAY, BRUCE DICKINSON oder METAL CHURCH wartet, schlägt hier zu.
Note: 8,0/10
[Peter Kubaschk]
In den letzten Jahren bin ich dazu übergegangen, solchen Alben besondere Beachtung zu schenken, die ich spontan sehr interessant aber nicht völlig umwerfend fand. Damit bin ich immer gut gefahren, denn so entdeckt man vor allem Platten, die nicht auf den plakativen Aha-Effekt setzen, der sich nach fünf Durchläufen abgenutzt hat, sondern echte kompositorische Substanz und Langzeitwirkung haben. Das Zweitwerk von CRIMSON CULT gehört in eben diese Kategorie. Die erste flüchtige, unbedarfte Begegnung mit "Tales Of Doom" weckt freundliches Interesse – viel Midtempo, abwechslungsreiche, raffiniert gemachte Musik. Mit jedem weiteren Durchlauf wächst dann die Begeisterung. Nach und nach zünden die großartigen Ideen, es erschließt sich der tiefere dramaturgische Sinn aller zunächst nur erahnten Pointen. All die Vergleiche meiner Kollegen stimmen irgendwie schon, aber auch nicht. Das liegt daran, dass CRIMSON CULT es tatsächlich schaffen innerhalb der stilistischen Grenzen des Heavy Metal eine erstaunliche Eigenständigkeit zu entwickeln. Da wird dann ein episch-dramatisches Songwriting eben nicht mit "Herr der Ringe"-Feeling unterlegt, sondern mit direkten und kraftvollen Gitarrenwänden inszeniert. Es mischen sich moderne Schrot-Riffs in klassische Strukturen, Heavy-Rock-Grooves tragen ganz entspannt melodisches Freiluftkino, und Dynamik entsteht unter der Oberfläche und nicht im "Hoppel-Galoppel"-Rhythmus. Außerdem merkt man zu jeder Sekunde, dass hier erfahrene Könner am Werk sind, die genau wissen, wie man mit Stimmungen und Stilelementen kreativ spielt ohne den kompositorischen Faden zu verlieren. Referenzbands wurden schon zur Genüge genannt, ich versuche es noch einmal für die U30-Fraktion zu formulieren: Wer die aktuellen Scheiben von LANFEAR und MYSTIC PROPHECY mochte, wird "Tales Of Doom" lieben lernen.
Na, das ist doch mal Musik, die mir beinah bedingungslos zusagt. Bin ich doch als langjähriger Freund saftiger, kraftvoller Power-Metal-Klänge, die nicht nach diesem europäischen 08/15-Strickmuster zusammengeschustert wurden, stets für neue Combos offen, wie das aktuelle Beispiel "Tales Of Doom" beweist. CRIMSON CULT sagten mir vor dieser Veröffentlichung nur vom Namen etwas, also konnte ich gänzlich ungezwungen an dieses Trommelfeuer herangehen. Dennoch ist auch mir nicht entgangen, dass die Vergangenheit die Österreicher nicht besonders rosig behandelte und die aktuellen zehn Stücke bei meinen Kollegen unter besonderer Sichtweise standen. CRIMSON CULT faszinieren, sie haben Herzblut, zeigen Engagement und spielen mit einer leidenschaftlichen Variabilität und einer gewissen leck-mich-am-Arsch-Attitüde ihre Songs souverän herunter. 'State Of Fear' überzeugt ab der ersten Sekunde und schreddert ein wahres Rifffeuerwerk zum Herrn hinauf, 'Institution Christ' zeigt facettenreiche Eingängigkeit (so widersprüchlich sich das auch anhören mag), 'The Long Way Home' und 'On The Edge' sind traumhaft schön und das abschließende 'The Inquisition' zeigt die Band CRIMSON CULT in all seinem verrückten Können, die Solo-Gitarrenarbeit treibt mir im wahrsten Sinne die Tränen in die Augen. Allein dafür gebühren Letztgenanntem 11 von 10 möglichen Punkten. "Tales Of Doom" wächst von Durchlauf zu Durchlauf und könnte sogar in einigen Monaten locker die Neuner-Schallmauer durchbrechen.
Wenn eine großartige und zu Zeiten ihrer Existenz leider kaum beachtete Band wie STYGMA IV durch schicksalhafte Ereignisse vergeht, bevor sie den verdienten Lohn ihrer Arbeit genießen konnte, dann ist das sehr traurig. Wenn indes aus den Resten jener Band eine neue Truppe entsteht, die an das Schaffen der Vorgängerband anknüpfen will und kann, dann lässt das zumindest die Hoffnung aufkeimen, dass nicht alles vergebens war. Nach dem nicht unbedingt euphorisch, aber doch verhalten wohlwollend aufgenommenen Debüt ist den Österreichern CRIMSON CULT um die beiden ex-Stigmatiker Alexander Hilzensauer und Günter Maier nun, mit dem deutschen Label Pure Legend Records im Rücken, doch noch der große Wurf gelungen. Nun gut, zumindest etwas, das ein großer Wurf sein könnte, wenn es im Business Gerechtigkeit gäbe. Denn "Tales Of Doom" ist in der Tat ein wahrer Brecher vor dem Herrn, der mit seiner leidenschaftlichen Art ebenso an die großen Tage von STYGMA IV erinnert, wie an die besten Momente von Bands wie den frühen ROUGH SILK und natürlich an die großen Vorbilder SAVATAGE. Progressiver, emotionaler und in erträglichem Maße erhaben bombastischer Power Metal, wie ihn heute nur noch wenige Bands auf die Reihe bekommen. Dieser ist noch dazu mit eingängigen, aber dabei völlig unkitschigen Refrains gesegnet, die sich ganz tief in die Hirnrinde eingraben. Alle Daumen hoch dafür!
Note: 8,5 / 10
[Rüdiger Stehle]
- Redakteur:
- Thomas Becker