Gruppentherapie DRAGONFORCE - "Reaching Into Infinity"

09.06.2017 | 14:17

Ermüdendes Gedudel oder famose Fingerakrobatik-Show? Egal, wie man es nimmt, die britischen High-Speed-Metaller DRAGONFORCE polarisieren bereits seit Beginn ihrer Karriere. Kein Wunder also, dass auch der aktuelle Langspieler "Reaching Into Infinity" in der Redaktion für gemischte Reaktionen sorgt und im Mai-Soundcheck dementsprechend nur auf Platz 9 landet. Höchste Zeit also, die Scheibe auch in unserer munteren Gruppentherapie-Runde zu beleuchten.

Verspielt, rasant, heiß und brandgefährlich. Nein, das ist nicht der Inhalt einer zweifelhaften Kontaktanzeige, sondern spiegelt in wenigen Worten das wider, was von "Reaching Into Infinity" bei mir hängenbleibt.
Mit ihrem neuen Langspieler lassen die Briten von DRAGONFORCE ihren unverkennbar virtuosen, atemberaubenden Stil der musikalischen Fingergymnastik ausreifen und erweisen sich als echte Füchse auf einem Gebiet, in dem man sich ein ums andere Mal mit Wow-Effekten und Bombast zu übertreffen zu versucht. Denn ein wahrer Gentleman weiß, wann er zu schweigen hat. Und so wählt auch DRAGONFORCE die Ruhepausen auf "Reaching Into Infinity" derart stillvoll, dass die besonderen Momente der Gänsehaut auch wirklich zu würdigen sind.
Die neuen Songs füllt DRAGONFORCE zudem mit harten Riffs und einem angezogenen Schärfegrad, der dem Album gut zu Ohr steht und einstweilen an mancher Stelle für Überraschung sorgt. Haarscharfe Turns, die man von der Band um den Heldensänger Marc Hudson so nicht erwartet hätte. Mit "Reaching Into Infinity" weist DRAGONFORCE sämtliche, aber so ziemlich sämtliche, Bands, die derzeit in den Gewässern des Power Metals schippern, in ihre Schranken und macht aus dem Titel des Silberlings kurzerhand Programm: ein Griff nach der Ewigkeit. Und in meinen Augen ein Aufstieg in den Olymp der Szene.

Note: 9/10
[Leoni Dowidat]

 

Ich kann mich in Leonis Zeilen eigentlich sehr gut wiedererkennen, nur hätte ich sie vor knapp vierzehn Jahren geschrieben, als mich damals das famose "Valley Of The Damned" voll und ganz in seinen Bann zog. Die halsbrecherischen Leads, die rasanten Rhythmusgitarren und dazu eine gigantische Hookline nach der anderen - ich glaube, ich habe die Scheibe für gute drei Monate kaum einmal aus dem heimischen CD-Spieler genommen. Wenn ich mir nun allerdings den aktuellen Release aus dem Hause DRAGONFORCE anhören, dann stellt sich bei mir nicht ansatzweise die gleiche Begeisterung wie damals ein. Klar sind Hermann Li und Sam Totman auch heute noch ein wahnwitzig gutes Sechsaiter-Gespann, doch das ewige High-Speed-Gegniedel der beiden hat sich seit dem angesprochenen Debüt nicht wirklich weiterentwickelt. Erschwerend kommt hinzu, dass ich mich auch beim zweiten Silberling in neuer Besetzung noch immer nicht an die Stimme von Marc Hudson gewöhnen kann. Klar ist der Mann ein astreiner Sänger, trotzdem ertappe ich mich während der elf Songs auf "Reaching Into Infinity" immer wieder dabei, wie ich mir Ex-Fronter ZP Theart und seine einmalige Stimme zurück wünsche. Dementsprechend fällt mein Fazit auch deutlich gedämpfter aus als das meiner Kollegin, denn für mich sind die Briten aktuell nur noch eine bessere Coverband ihrer eigenen Glanztaten. Der Überraschungseffekt, der "Valley Of The Damned" anno 2003 zu einem brandheißen Insider-Tipp gemacht hat, ist für mich jedenfalls inzwischen vollends verflogen und übrig bleiben nur jede Menge hektische Leads, Songstrukturen nach Schema-F und zwanghaft um Eingängigkeit bemühte Hooklines.

Note: 6/10
[Tobias Dahs]

 

Sowohl Leoni als auch Tobias haben irgendwie Recht, aber auch nicht so ganz. Oder: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Denn DRAGONFORCE bietet uns auch auf "Reaching Into Infinity" viele Melodien und gute Laune. Und das war auch vorhersehbar. Die Band liefert konstant Qualitätsarbeit ab. An der Instrumentalfraktion haben wir es eh mit einer Weltklassetruppe zu tun, aber auch beim Songwriting wird regelmäßig die oberste Klasse des europäischen Melodic Metals erreicht. Dass die Band manchmal im Kitsch untergeht (der Opener 'Ashes Of The Dawn') ist nichts Neues. Ebenso, dass der Sound immer etwas zu klinisch klingt. Dafür entschädigen viele Hits, eine hörbare Spielfreude, erstklassiger Gesang und natürlich pfeilschnelle Lead-Gitarren, die jeden Hobby-Gitarristen beim Nachspielen in den Wahnsinn treiben werden. Freunde der Band können bedenkenlos zugreifen und werden ein starkes Album in die Hand nehmen. Die Kritiker werden weiter einen großen Bogen um die Truppe machen. Ich möchte aber hier auch mal eine Lanze brechen für die Jungs: Dieser Sound ist für mich absolut authentisch, die Leute haben Spielfreude ohne Ende (habe mich auch live schon mitreißen lassen), und sie ziehen aller Kritik zum trotz gnadenlos ihr Ding durch. Davor habe ich großen Respekt. Aufgrund des Kitschfaktors (wie kann man 'Judgement Day' musikalisch so umsetzten?!?) muss ich aber bei der Note einen kleinen Abzug machen.

Note: 8/10
[Jonathan Walzer]

Am Anfang ihrer Geschichte hieß diese Band noch DRAGONHEART und veröffentlichte im Jahre 2000 eine superbe, herzerfrischende Demo-CD mit dem Titel "Valley Of The Damned". Das gleichnamige Debütalbum erschien dann schon unter dem Namen DRAGONFORCE. Die Trademarks der Truppe um die Klampfen-Magier Hermann Li und Sam Totman kennt inzwischen vermutlich jeder Metal-Fan: supereingängige, hymnische Melodic (Power) Metal-Songs, meistens im ICE-Tempo gehalten, mit ultraschnellen Gitarrensolo-Duellen. Longplayer Nummer 7, "Reaching Into Infinity", haut genau in diese Kerbe und bietet stilistisch wenig Überraschendes. Die anfängliche Begeisterung für diese höchst lebendige, frech-virtuose Musik ist auch bei mir über die Jahre ein wenig abgeklungen. Trotzdem fühle ich mich wieder mal vorzüglich unterhalten von DRAGONFORCE. Die Songideen zünden mit wenigen Ausnahmen, der kraftvolle, nicht zu klebrige Sound betont die wohl dosierten, aber klar wahrnehmbaren höheren Härtegrade ('Judgement Day', 'War!'). Allerdings übertreiben es die Jungs auch wieder manchmal mit den selbstverliebten Teufelsgeiger-Melodic-Speed-Ausbrüchen ('Midnight Madness', 'Astral Empire'). Da verkommt man schnell mal zur eigenen Karikatur, wenn man nicht aufpasst. Aber letztlich gibt hier es deutlich mehr Licht als Schatten. Somit ist "Reaching Into Infinity" insgesamt eine gute Platte geworden, bei der DRAGONFORCE-Fans voll und ganz auf ihre Kosten kommen werden. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Note: 7,5/10
[Martin van der Laan]

Redakteur:
Tobias Dahs

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