Gruppentherapie SHINING-"Redefining Darkness"

25.10.2012 | 22:43

Die schwedischen SHINING begeistern die Soundchecker und gewinnen souverän den Oktober. Doch auch ausserhalb des Soundcheckteams begeistert "Redefining Darkness" die Redaktion, wie unsere Gruppentherapie zeigt.

Kollege Stehle, unser Black-Metal-Experte zückt zehn Punkte für "Redefining Darkness" (zum Review), was bei nordischem Black Metal schon mal passieren kann. Warum aber geben die Proggies und Melodiefreaks auch so hohe Noten? Antworten gibt es hier.

Es gab mal eine Jazz-Combo aus Norwegen mit Namen SHINING, die im Verlauf der Zeit immer metallischer geworden ist. Daneben gibt es auch eine schwedische Band, die sich SHINING nennt, die über einen ähnlichen Zeitraum hinweg die engen Grenzen des Depressive Suicidal Black Metal gesprengt hat, um auf ihrem neuen Album "Redefining Darkness" alle möglichen Einflüsse (ironischerweise darunter auch Jazz) nutzen zu können. Um noch ein wenig länger beim Namen der neuen Scheibe zu bleiben: Man kann der Band eine gewisse Cleverness nicht absprechen, denn dieses Album definiert mit seinen vielschichtigen Stilelementen und für Black-Metal-Verhältnisse untypisch sanften Stimmung die Dunkelheit tatsächlich neu. Das heißt zwar nicht, dass man gänzlich auf gewalttätige Riff-Attacken oder fiese Screams verzichtet. So ist gerade 'Han Som Hatar Människan' eine richtig gemeine Black-Metal-Walze, die herrlich stampfend eine morbide Atmosphäre verbreitet. Die Gitarrensoli sind durchweg eine schwermetallische Delikatesse und insbesondere das Double-Bass-Drumming ist eine vorzügliche Angelegenheit. Auch mit einem Song wie 'Hail Darkness Hail' marschieren die Schweden auf den gleichen Pfaden wie andere Qualitäts-Schwarzmetaller à la SECRETS OF THE MOON, gehen dabei noch einen Schritt weiter und schwenken in der Mitte komplett rum, um unverzerrt und mit Klargesang fast schon im südeuropäischen Musikraum anzukommen und in der letzten Minute des Songs doch wieder eine Rolle rückwärts zum Anfangssound zu machen. Heftige Ausbrüche und zerbrechliche Klänge stehen hier wie selbstverständlich neben einander und wirken zu keinem Zeitpunkt deplatziert. Nie denkt man sich, dass ein Bruch übertrieben war, sondern ist auch beim fünften Durchlauf überrascht, dass mit zum Beispiel 'Det Stora Grå' auf einmal ein Klavier-Instrumental folgt. Dieses stete Überraschungspotenzial und die ungewöhnliche Instrumentalisierung, allen voran der Einsatz des Saxophons, machen "Redefining Darkness" zu einer runden Sache und einem der spannendsten Black-Metal-Alben des Jahres. Außerdem ist es mal erfrischend, dass die Innovationskraft hier nicht wie bei anderen Gruppen des Genres allein von einer ordentlichen Postrock-Schlagseite ausgeht, sondern auch mal ungewöhnliche Inspirationsquellen wie Jazz mit einbezieht.

Note: 9,0/10
[Adrian Wagner]

cover



Nach mittlerweile nicht weniger als einem Dutzend Durchläufen bin ich immer noch ratlos. Die Skandinavier paaren hemmungslos, was eigentlich gar nicht zusammen passt. Ruhiger, gefühlvoller Prog dominiert einen Teil, und harscher Black Metal übernimmt die Kontrolle im zweiten Teil. Des Albums? Nein, jedes Songs (okay, bis auf 'Det Stora Grå', aber das ist ein Intermezzo und gilt nicht). Da ich grundsätzlich ja kein großer Black-Metal-Freund bin, finde ich das reichlich seltsam, aber die progressiven Passagen sind großartig. Und nach ein paar Durchgängen kristallisiert sich dann doch so etwas wie ein Stil heraus und die beiden Musikstile gebären eine Chimäre: Black Prog. Glücklicherweise sind die Extrem-Metal-Passagen nicht ganz so extrem, und der Sänger durchaus verständlich und artikuliert, was bei mir bei solchen Stilen immer den entscheidenden Unterschied macht. Und so schwanke ich weiterhin zwischen den 6 Punkten, die das Album hätte, wenn es durchgehend dem Black-Part frönen würde, und den 8 Punkten, die der Prog-Teil verdient. Dass ich zur höheren Note tendiere, liegt an zwei Dingen: Zum einem am Rausschmeißer 'For The God Below', der absolut faszinierend ist, und der Tatsache, dass das Ding weiterhin wächst und ich es nicht mehr aus Neugierde höre, sondern weil ich Lust darauf habe. SHINING machen es dem Hörer nicht leicht. Aber es lohnt sich, sich ein paar Durchläufe durchzubeißen.

Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]

Von SHINING habe ich im Vorfeld ungemein viel gehört, überwiegend Überschwängliches, ging mit entsprechenden Erwartungen in diesen Monat und ließ dann "Redefining Darkness" jungfräulich verlauten. Was sich dann nach diesem Song-Sextett zeigte: Die Jungs nehmen den Titel ihres Albums wahr, die Dunkelheit wird neu definiert, eine bisher nie vorhanden gewesene Facette der Finsternis erstreckt ihre tiefen Wurzeln. Dabei legt SHINING keinen enormen Wert auf Wucht und Boshaftigkeit, sondern auf Melancholie und Atmosphäre. Ihr wundert euch immer noch, warum dieses, im Vergleich zu simpler gestrickten Genre-Werken, ungemein progressive Schwarzmetall oben landete? Die Vielzahl der Stücke ist komplex durchdacht und dürfte auch die Progger dieser Welt ansprechen, stets unwissend dessen, was da in den folgenden Augenblicken passiert: eine akustische Achterbahnfahrt durch die Gefühlswelt. Auch ich bin immer noch perplex, eine derart große Fülle von großartigen Momenten und mittelmäßigen Akten summiert sich zu einer ordentlichen Gesamtnote, das erkennt der Großteil der Redaktion zu Recht an, auch wenn diese Mittelmäßigkeit an manchen Stellen "Redefining Darkness" ein wenig hinunter zieht. Gemeint sind hier jene Stellen, die es zulassen, dass doch ein Schimmer durch die dicke, düstere Wolkendecke bricht und so die leicht depressive Grundhaltung nicht über die gesamte Länge aufrecht erhalten bleibt. Dass SHINING hier dennoch außergewöhnliche Arbeit leisten, sollte hinreichend erkannt und gewürdigt sein.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

Ober-Weirdo Niklas Kvarforth und seine Truppe SHINING haben mit ihrem achten Studio-Album "Redefining Darkness" das Kunststück fertig gebracht, eine prinzipiell ziemlich wenig Schwarzwurzel-affine Person wie mich von der ersten Sekunde an völlig zu begeistern, zu fesseln und in ihre abgründige Musik ganz tief hineinzusaugen. Es gab bisher höchstens ein, zwei Platten in diesem Jahr, die ein derartiges Suchtpotential bei mir entwickelt haben. Stellt sich die Frage, was so besonders ist an "Redefining Darkness". Ich bin geneigt zu sagen, das muss man einfach selbst gehört haben; aber für einen Kritiker ist das wohl eine denkbar schlechte Aussage. Versuche ich es mal so: 50% des Albums bestehen aus Black Metal für Erwachsene. Das soll heißen, dass es kein pubertär-hysterisches Gekreische und keine klirrende Rumpelsound-Raserei zu hören gibt, sondern wahrhaft mächtige, düstere Musik, die in meinen Ohren gar nicht depressiv klingt (ein Etikett, das dieser Band oft angeheftet wird), sondern vielmehr nach zornig-ernüchtertem Ernst. Es ist, als ob Niklas uns endlich mal klar machen will, dass das Licht am Ende des Tunnels noch nie was anderes war als ein entgegenkommender Zug. Die anderen 50% des Albums sind eine überaus faszinierende Mischung aus Art Rock, Post Rock, Prog Rock und melancholischen folkloristischen Tupfern. Entscheidend ist dabei, dass es zu keinem Zeitpunkt schrammelig-fusspilzig klingt, sondern diese Passagen getragen werden von unter die Haut gehendem Klargesang, wunderbar kreativen Gitarrensoli und allerlei atmosphärischen Achterbahnfahrten. Wenn dann bei 'The Ghastly Silence' auch noch eine klagende Oboe (?) durch die Klanglandschaften mäandert, tut mir die traurige Schönheit des Moments fast körperlich weh. Wäre das nun schon alles, könnte man noch annehmen, das Album sei fragmentarisch und inhomogen, aber das Gegenteil ist der Fall. Die unterschiedlichen Elemente verschmelzen zu einem wunderbar ästhetischen Ganzen, dass höchsten kompositorischen Ansprüchen genügt und sogar echtes Hitpotential entwickeln kann ('Hail Darkness Hail'). Somit stellt "Redefining Darkness" für mich eine echte Sternstunde des Dark/Black Metal dar, eine der ganz wenigen Genre-Verlautbarungen, die ich immer wieder vom ersten bis zum letzten Ton gebannt und ergriffen hören will, hören muss. Und das ist mehr als Grund genug mich noch einmal ausführlicher mit dem Back-Katalog der Combo zu befassen. Vielleicht ist meine Überraschung ja nur ein Resultat jahrelanger Ignoranz!?

Note: 9,5/10
[Martin van der Laan]


"SHINING auf Platz 1? Und auch um meine Meinung wird gebeten? Oh weia..." - das waren meine ersten Gedanken, als ich das Ergebnis des Soundchecks zur Kenntnis genommen habe. Denn ich habe die schwedischen SHINING bisher ganz bewusst ignoriert; zu sehr haben mich das Image der Truppe sowie Aussagen von "Ober-Weirdo Niklas Kvarforth" (vielen Dank für diesen Ausdruck, Martin) gestört - schließlich gab und gibt es genug andere spannende Black-Metal-Bands, da kann man auf die ein oder andere ziemlich problemlos verzichten. Nun ist es jedoch soweit; ich bin bereit für den Erstkontakt - und sprachlos. So etwas habe ich nicht erwartet. So etwas ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Und so etwas wäre fast an mir vorbeigegangen. Dieses Album macht etwas mit mir. Ich ringe nach Worten es zu beschreiben, finde jedoch eigentlich keine Formulierungen, die angemessen wären. SHINING kommen aus dem dunklen Keller, nehmen einen dann in einen hellen Raum mit - doch man weiß, man muss weitergehen, und es wird wieder Dunkelheit folgen. Das Bewusstsein darüber, dass Schwarz und Weiß keine unterschiedlichen Pole sind, sondern sich bedingen, zueinander gehören, Teil eines jeden sind, das habe ich ewig nicht mehr so bewusst vor Augen gehabt wie beim Hören von "Redefining Darkness". Schon beim Opener 'Du, Mitt Konstverk' kommen mir im ruhigen Mittelteil unheimlichere Bilder in den Kopf als irgendwelches Geknüppel es jemals schaffen wird. Man kuschelt sich in diese Stellen ein wie in eine Decke im dunklen Wald, wohlwissend, dass das den Wald und die Nacht nicht wegzaubern wird - aber an etwas anderes kann man sich gerade halt nicht klammern. Und so nimmt man diese eigenartige Wärme gerne an, im Glauben es würde alles gut werden. Aber so funktioniert "Redefining Darkness" nicht. Die Decke wird weggerissen, es wird wieder kalt. Richtig kalt. Was ist hell, was dunkel? Wo ist der Weg und was bin ich? Fragen. Nur Fragen. Es ist erstaunlich, es ist toll und auch erschreckend zugleich, dass Musik so wirken kann. Ich verbleibe überwältigt.

Note: 9,5/10
[Oliver Paßgang]



Die Kollegen van der Laan und Passgang haben eigentlich schon wunderbar beschrieben, was "Redefining Darkness" mit dem Hörer anzustellen vermag. Mir geht es nämlich ganz genau so. Die ersten zwei Minuten des Openers 'Du Mitt Konstverk' mögen für Feingeister noch abscheckend wirken, doch schon hier offenbart sich eine sagenhafte Akkordfolge, bei der man die Sogkraft der Musik schon spüren kann. Spätestens beim harschen Gesangseinsatz und dem folgenden Break ist man gefangen und wenn es dann übergeht in die erste ruhige Passage mit wundervollem Gitarrensolo, elegischen Akkordmustern und gänsehäutendem Flüstergesang auf schwedisch, ist es um mich geschehen. SHINING werden angebetet! Und nein, depressiv machend und suizidgefährdend ist diese Musik beileibe nicht. Welcher Depp wird sich denn bei so genialer Beschallung aufhängen? Völlig absurd! Dieses kindische Blutgetue und Hautgeritze ist sowieso nur Provokation, die eine Band dieser Klasse doch gar nicht nötig hat. Aber zurück zur Musik: Meine Kollegen, die schon so viele Worte des Lobes und der Wertschätzung verloren haben, haben alle recht: Die Musik vereint Fans von so verschiedenen Stilen wie (New) Artrock und Black Metal (BURZUM!) und veredelt ihre große Kunst mit herausragenden Gitarrensoli von Gastklampfer Andy La Roque (u.a. KING DIAMOND und DEATH). Dies alles ergibt ein einzigartiges Ganzes, das so rund wirkt, als ob es diese Stilverquickung schon jahrzehntelang gäbe. Gehört habe ich so etwas wie SHINING aber noch nie.

Bleibt eigentlich nur die Begründung dafür, warum ich keine Höchstnote gebe: Wie kann man ein solch schmissiges Riff wie am Ende von 'Hail Darkness Hail' das jeden Headbanger minutenlang zur Extase bringen könnte, einfach so nach dreißig Sekunden ausfaden? Das tut fast weh! Macht aber nix. Genial isses dennoch. Basta. Kaufen!

Note: 9,5/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker
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