Gruppentherapie THE INTERSPHERE - "The Wanderer"

07.06.2023 | 22:54

Kunstwerk oder Quälerei?

Diese letzte Gruppentherapie für ein Album aus dem Soundcheck im Monat Mai behandelt "Wanderer" von THE INTERSPHERE. Das Album landete auf Platz 9 des Mai-Soundchecks und wurde durchaus variabel benotet. Vertreter des oberen wie unteren Notenspektrums kommen hier nun zu Wort. Zur ersten Kategorie zählt Tobias, der in seinem Hauptreview 9 Punkte gibt.

Ein fantastisches Album! Welch wunderbares Liedgut, in das man förmlich einsinken, es sich gemütlich machen und über das Hier und Jetzt sinnieren kann. "Wanderer" ist mein persönlicher Soundcheck-Sieger, auch wenn die neue THE INTERSPHERE-Scheibe zwei, drei Durchgänge bis zum Durchbruch brauchte. Doch nun erfüllen diese durch und durch besonderen Lieder meinen Geist. Wer weiß, welcher Teufel mich bei "The Grand Delusion" oder "Relations In The Unseen" im Schlepptau hatte, doch auf einmal - besser spät als nie - packt mich der klanglich und atmosphärisch überragende Indie-/Progressive Rock der Mannheimer bei den Hörnern und ist inmitten einer sehr stürmischen Zeit mein Anker, mein persönlicher Ruhepol, mit dem ich vor wenigen Wochen überhaupt nicht gerechnet habe. Doch der Wechsel aus ruhigeren und härteren Stücken, das gewisse Pop-Appeal wodurch sie im Gedächtnis bleiben, diese wunderbaren Ecken und Kanten, an denen ich mich so herrlich festhalten kann, Songs wie das Titelstück, 'Who Likes To Deal With Death?', 'A La Carte' oder 'Treasure Chest', nahezu alle Songs haben eine so schwerwiegende Bedeutung, erzählen eine ganz eigene Geschichte und faszinieren mich ob ihrer Frische und Warmherzigkeit immer wieder aufs Neue. "Wanderer" ist ein famoses Album, das von Durchgang zu Durchgang wächst und gedeiht, tiefe Wurzeln gräbt, um auch für die etwas kältere Jahreszeit muckelig warme Töne bereitzuhalten.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Da der Sinn und Zweck unserer Gruppentherapien ja ist, völlig unterschiedliche subjektive Perspektiven auf Musik zu beleuchten, soll euch an dieser Stelle nicht vorenthalten bleiben, warum von mir im Soundcheck die mit deutlichem Abstand niedrigsten Note für THE INTERSPHERE zu Buche schlägt. Nicht um die Band zu ärgern, sondern vielleicht ganz im Gegenteil, um der Band und ihren Fans zu zeigen, warum es gar nicht wichtig ist, was der olle Zausel zu sagen hat. Legen wir also erst einmal den Grundstock mit den Aktiva, welche die Band zu bieten hat: Das Album ist grandios ausgewogen, transparent und harmonisch produziert, so dass zu jeder Zeit sämtliche Feinheiten der anspruchsvollen, detailverliebten Instrumentalarbeit zutage treten und es einem ob des tighten Zusammenspiels, des gefühlvollen Grooves und der technischen Finessen der Rhythmusgruppe nur bleibt, respektvoll den Hut zu ziehen. Wo ist also mein Problem? Nun, ganz einfach: Die Band musiziert auf bestechendem instrumentalem und kompositorischem Niveau an meinem angestaubten Geschmack vorbei, und das fängt schon beim ersten Gitarrenanschlag des Albums an, denn ich bin echt kein Freund der offenen, tieferen Gitarrenstimmung, auch wenn anzuerkennen ist, dass THE INTERSPHERE für Bands, die ein solches Tuning bevorzugen, sehr organisch und lebendig klingt. Das durch die Stimmung und das Gitarrenspiel induzierte postrockig-alternative Klangbild, ist für mich auch eher befremdend. Das setzt sich mit dem Gesang fort, der einerseits die androgyne Emo-Ausstrahlung des Britpop zu ehren scheint, andererseits aber auch stark artikulierten, melodischen Sprechgesang bereithält, der hier und da auch zum einen oder anderen artsy Hip-Hop-Act passen könnte. Ja, am Ende bleibt also ein in jeder Hinsicht toll gemachtes Album, das allerdings in so vielen Punkten zielsicher an meinem Geschmack vorbei geht, dass ich am Ende doch froh bin, wenn ich es nicht hören muss, und genau das sagt die den Definitionen entsprechend völlig subjektive Wertung auch aus. Aber eine Band wie THE INTERSPHERE ist auch nicht auf die Punktealmosen der "Gimme steel or gimme death!"-Fraktion angewiesen, von daher wissen alle, wo sie dran sind.

Note: 5,0/10
[Rüdiger Stehle]

Grundsätzlich hat Rüdiger schon recht, aber ich persönlich lasse objektive, qualitative Faktoren meine Note noch etwas mehr beeinflussen als mein geschätzter Kollege. Das ist auch gut so, da ich sonst bei den nächsten vermeintlichen Legendenveröffentlichungen im traditionellen Metalbereich ins ganz tiefe Regal greifen müsste. Aber bleiben wir bei THE INTERSPHERE und starten keine Grundsatzdiskussion. Auch meine Geschmacksknospen lässt "Wanderer" erwartbar kalt. Das liegt zu einen an der grundsätzlichen Ausrichtung hin zum Alternative- und Indie Rock und zum anderen an einzelnen Tracks, die mich echt nerven. Ein Song wie 'Heads Will Roll' stört schon tierisch, da auch Bands wie ENTER SHIKARI für mich nicht in der Wohlfühlzone liegen. Der andere Vertreter heißt 'Bulletproof' und klingt für mich nach einem angestrengten Versuch einer COHEED & CAMBRIA-Single. Und das geht subjektiv voll nach hinten los. Dass THE INTERSPHERE es besser kann, zeigt einzig allein der Hit 'Always On The Run'. Diese poppige Unbekümmertheit steht der Band deutlich besser zu Gesicht als der ständige Versuch, zwanghaft etwas Progressives zu kreieren und dabei doch bloß andere Bands zu zitieren und den eigentlichen Fokus zu verlieren. Das schafft eine Band wie SUBSIGNAL deutlich besser.

Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]

Der erste Höreindruck ist ja oft wichtig, und was einem bei "Wanderer" gleich in den Sinn kommt, ist: Wahnsinn, dieser Abwechslungsreichtum! Es ist sehr gut hörbar, dass die Songs keine Produkte von Jam Sessions sind, sondern mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet wurden. Das hat Frank in unserem Soundcheck ganz richtig auf den Punkt gebracht. Die Mischung aus Postrock, Prog, Indie und Alternative klingt sehr stimmig und durchdacht. Besonders schön ist das abschließende 'Under Water', dessen Pop-Schlagseite ein klarer Pluspunkt ist. Auch an interessanten Gitarrensounds wird nun wirklich nicht gespart und das Drumming ist auf sehr hohem Niveau. Das war auch gleich mein erster Gedanke, als ich den famosen Titeltrack zum ersten Mal hörte. Groove und Progressivität schließen sich eben nicht unbedingt aus. Kenner der Materie dürfen mich gerne der Unkenntnis zeihen, aber "Wanderer" hat durchaus seine THRESHOLD-Momente ('Wanderer', 'Down'). Doch nicht alle Titel können gleichermaßen entzücken, so trifft 'Heads Will Roll' so gar nicht meinen Geschmack. Experimentierfreude ist sicher eine Tugend, aber es besteht auch immer die Möglichkeit, dass der eine oder andere stilistische Ausflug nicht von allen Hörern goutiert wird. Traditionsmetaller wird das ausgesprochen moderne Soundgewand nicht gerade entzücken. Insgesamt passt die Produktion aber zur musikalischen Ausrichtung der Band. THE INTERSPHERE ist ein interessantes und vielschichtiges Album gelungen. Noch ist mir aber nicht ganz klar, ob es das Potenzial für etliche weitere Rotationen hat. Im Moment überwiegt eher der Respekt als die flammende Begeisterung.

Note: 7,5/10
[Jens Wilkens]

Bisher war noch jedes Album von THE INTERSPHERE eine kunterbunte Wundertüte mit ganz vielen raffiniert zusammengestellten Leckerlis aus feingliedrigem Progressive Rock, energetischem Alternative Rock und melodisch wertvollem Gitarren-Pop. Als Einflüsse und Referenzen wurden immer all die Bands aufgezählt, die unser ex-Chef (Hallo, Kubi!) toll fand (und findet, nehme ich an). "Wanderer" knüpft nahtlos an frühere Großtaten an, wobei ja schon Tobi in seinem völlig richtigen Review anmerkt, dass der Anteil an nachdenklicher und irgendwie britisch sonor klingender Pop-Musik etwas zugenommen hat. In meiner persönlichen Differenzialdiagnose hört sich das eröffnende Song-Trio noch am ehesten nach dem klassischen THE INTERSPHERE-Musikentwurf an. Kompositorische Kreativität und Variabilität waren ja schon immer fester Bestandteil des Band-Sounds. Im Mittelteil der Platte haben sich die Mannheimer Jungs dann viel Beinfreiheit genommen, um mit unterschiedlichen Klangbildern, Harmonien und Emotionslagen zu arbeiten. Das ist alles zunächst einmal hochinteressant und man hat zumindest das Gefühl, den Musikern hier ein bisschen in die gegenwärtigen Seelenlagen und Befindlichkeiten reingucken zu können. Andere würde vielleicht etwas von einem "sehr persönlichen Album" erzählen. Wie dem auch sei: "Wanderer" ist eine schlicht und ergreifend schöne und bewegende Platte geworden, in der man wunderbar versinken und eine erfüllende Zeit erleben kann. Ich persönlich hätte doch gerne mehr Lieder von der Lebendigkeit und vom Intensitätskaliber des Titelsongs oder eines 'Bulletproof' gehört. Aber ein Kunstwerk ist nun mal ein Kunstwerk und kein "Wünsch-dir-was"!

Note:
8,0/10
[Martin van der Laan]

Hauptrezensent Tobias hat in seinem Review recht: Fans, die der Entwicklung der Band seit "Hold On, Liberty!" nicht ganz gefolgt sind, dürften durchaus überrascht sein. Ich bin so ein Exemplar, das eher die älteren THE INTERSPHERE-Alben (bis zu eben jenem "Hold On, Liberty!") gut kennt, und so war meine Reaktion auf den ersten - zugegebenermaßen nicht sehr sorgfältigen - Durchlauf ein verblüfftes "Was'n'das?". "Wanderer" zeigt die Mannheimer in der Tat stilistisch deutlich gestreckter, unter den bekannten Alterna-Prog alter Tage mischt sich von Indie-Pop über Art Rock bis hin zu rauen Industrial-Sounds ein wahrhaft buntes Stil-Sammelsurium. Aber ist breiter auch besser? Ich bin mir noch nicht sicher. Das Album ist auf jeden Fall - und erwartetermaßen - ein Grower. Man sollte schon etwas genauer und aufmerksamer zuhören, um die manchmal hinter oberflächlicher Eingängigkeit versteckte Komplexität der Musik zu erfassen. Tatsächlich verhindern hier und da ein paar seltsame Passagen, die, lieber Stefan, in der Tat ein wenig nerven, den Hörspaß. Und manche Songs plätschern auch noch an mir vorbei (z.B. 'Treasure Chest' am Ende). Aber die Lust auf "Wanderer" wächst von Mal zu Mal. Denn anders als Rüdiger fühle ich mich in dem Klangbild durchaus wohl, mag die Art des Gitarrenspiels sehr und bin immer auch für so ein artsy-fartsy Emo-Gedöns zu haben, das vor ein paar Jahren für mich gar Maß aller Dinge in Sachen Musik war. Heut bin ich allerdings nicht mehr schnell dabei, so ein Album ein "Kunstwerk" zu nennen. Für jenes würde ich dann auch - im Gegensatz zu Martin - mehr als acht Punkte geben. "Wanderer" ist ein schönes Album, auf das ich so langsam auch richtig Bock bekomme. Dafür gibt es, ähem, acht Punkte.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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