Gruppentherapie: AIWAZ - "Darrkh... It Is!"
08.11.2024 | 17:13Darum kann man sich freuen, wenn das Album zu Ende ist.
Das Projekt namens AIWAZ besteht nur aus zwei Musikern, nämlich Timo Maischatz an allen Instrumenten und Arkadius Kurek am Mikrophon, den man von den deutschen Doomern WHEEL kennt. Mit letzterem hat Kollege Nils vor kurzem ein Interview geführt, in dem die beiden Herren unter anderem über Gefühle reden. Dies tun wir jetzt auch in der Gruppentherapie, denn "Darrkh... It Is!" ist ein Album, das manche zu Tränen rühren kann, andere jedoch lediglich zum Knabbern an den Fingernägeln anregt. So ist auch die Notenspanne im Oktober-Soundcheck (zwischen 6,5 und 10 Punkten). Unseren Meister Lenze beglückt das Album mit "Momenten für die Ewigkeit", während andere nach dem Schnupftuch suchen.
[Thomas Becker & Frank Jäger]
Puh, schwere Kost. Denn während der Herbst mit unaufhaltsamen Schritten auf uns zukommt, sorgen die brockenschweren, stark emotionsbeladenen Melodien aus dem Hause AIWAZ für Melancholie in höchsten Tönen. So hätte der Titel "Darrkh... It Is!" kaum besser gewählt werden können, denn irgendwo zwischen Gothic und Doom fließen die knapp 54 Minuten wie eine bittersüße Masse durch Mark und Bein, hängen schwere Gewichte an die Glieder und drücken die insgesamt sechs Stücke des AIWAZ-Debüts stoisch über die Ziellinie.
Nein, einfach gestrickt ist das Album definitiv nicht, und man muss aufpassen, nicht gänzlich von der Melancholie aufgesogen zu werden, doch ihr kennt mich: Ich bin ein wetterfühliger Musikkonsument und so versprühen auch die "Darrkh... It Is!"-Töne durchaus ihre Reize. Das Duo Maischatz/Kurek ist gut aufeinander abgestimmt, stimmlich drückt Arkadius den Finger tief in die Wunde, die vor allem bei 'The Ghost That Once Was I' sowie 'Cemetary Of Hearts' vor Wehmut nur so klafft.
Nach dem zehnminütigen 'When Judas Spins The Wheel'-Opus ist AIWAZ auch am Ende angekommen, und man weiß nicht, ob man sich darüber freuen soll oder nicht. Denn einerseits ist der Doom auf "Darrkh... It Is!" sehr kräftezehrend und unterdrückend, andererseits versprüht das AIWAZ-Duo damit auch gewisse musikalische Reize, denen man sich nur schwer entziehen kann.
Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]
AIWAZ? Noch nie gehört. "Darrkh... It Is!" ist erst einmal ein seltsamer Albumtitel. Die Musik? Ein für mich unerwarteter Mix aus atmosphärischen Parts mit Doom-Anleihen, Death-Grunts (nur im ersten Track) und hellem Powergesang, etwas an QUEENSRYCHE gemahnend, jedoch leidender, leiernder. Schon der Opener, der dem Album den Titel gab, mäandert durch beinahe elf Minuten, der gegruntete Part bildet den Höhepunkt des Songs. Der Beginn von 'The Ghost That Once I Was' erinnert an einen französchen Sänger und Liedermacher aus den Siebzigern, dessen Name mir entfallen ist. Wenn dann diese seltsame Mischung, die mit einem lupenreinen PARADISE LOST-Riffing aus "Draconian Times"-Zeiten aufwartet (wozu der helle Gesang nicht recht passen will), ihre Opulenz entfaltet, muss zumindest meine Wenigkeit zunächst einmal die Professorensehhilfe anlegen. Also nochmal starker Tobak zum Rezensieren: Irgendwie wollen es die Metaller im Moment alle noch einmal wissen.
Ist 'In This Silence' nun Doom? Okay, MY DYING BRIDE können die beiden Musiker auch. Sogar eins zu eins. Der endlose softe Trauerweidengesang fängt jedoch an zu nerven. Entweder weint er nun mal oder er lässt es, aber minutenlang im Vorstadium, wer soll das aushalten, zumal der Bus nach Dunwich erst morgen wieder geht? Die Band ist nicht schlecht, allerdings wäre etwas Spannung, ein Break und ein etwas variablerer Gesang schon nicht von der vernarbten Klaue zu weisen. Zumal 'Cemetary Of Hearts' wieder trauert; schade, dass die Growls bisher nicht wiederkamen. Die könnten scharfkantige Kontraste setzen, und hier und da ein eruptiver Gitarrenmoment wäre auch nicht zu verachten. Mir ist ja schon KATATONIA zu anstrengend mit den immer gleichen Phrasierungen.
Es folgen noch 'Garden Of Despair' und 'When Judas Spins The Wheel' nach dem gleichen Schema. Die etwas kitschig-gehauchte Sprechpassage in ersterem stellt endlich mal eine Bridge dar, die jedoch wieder nur runter zum Friedhof und zum Gejammer der Angehörigen und leider nicht zu schwarzen Engeln mit rauschenden Schwingen in der gähnend offenen Gruft am Rande des Sichtfeldes führt. Das Finale eröffnet richtig geil, das schreddernde Riffing nach "Killers"-Manier, ja, IRON MAIDEN, ihr habt richtig gelesen. Hier ist der Gesang nicht ganz so dem Schnupftuch verhaftet. Der 'Judas'-Track ist mein Fave. Okay, am Ende wird doch wieder geflennt. Die Band könnte viel ausdrucksstärker agieren, wenn sie die Weiden gegen verschneite Nordtannen tauschte und Growls regelmäßig auf uns losließe.
Note: 6,5/10
[Matthias Ehlert]
AIWAZ wandelt auf einem schmalen Grat zwischen romantisch-ästhetischer Tristesse mit emotionaler Tiefe auf der einen und käsig-verstrahltem Einschlafgeschrammel auf der anderen Seite. Der eröffnende Titeltrack 'Darrkh... It Is!' zum Beispiel hat mich gleich im Herzen und in der Seele gepackt und hält trotz seiner Überlänge und der im Grunde minimalistischen Instrumentierung den Spannungsbogen gekonnt aufrecht. Die wunderbar elegischen Geigenklänge tragen einen großen Teil zur Schönheit des Songs bei. Die Gesänge werden sanft und vorsichtig übereinander geschoben und der Chorus ist eine hinreißende Macht. Die kurze Death-Metal-Eruption in der Mitte kommt zwar zunächst überraschend, macht dann aber doch durchaus Sinn.
Nehmen wir als Gegenbeispiel nun den Song 'Cemetary Of Hearts'. Der vereint so ziemlich alles, was mir an dieser Art von Musik nicht gefällt. Die undifferenzierte Gitarrenarbeit, wie Kaugummi in die Länge gezogene monoton klagende Melodielinien, alles plätschert ziemlich ziellos vor sich hin. Genau diese Anwandlungen sind der Grund, warum ich irgendwann ganz aufgehört habe PARADISE LOST zu hören. Der Rest pendelt in meiner Wahrnehmung irgendwo zwischen diesen beiden Extremen hin und her.
Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]
Manchmal muss ich mich kneifen. Vor allem dann, wenn die geschätzten Kollegen einem künftigen Underground-Klassiker wie dem AIWAZ-Debüt so unterirdische Noten verpassen. Das "Einschlafgeschrammel", dass Mr. Thunderlaan da vernimmt, höre ich einfach anders.
Ziellos? Ich sage nur: Augenblick, verweile doch! Habt ihr denn alle keine Muße mehr für die traurigen Dinge im Leben? Und wenn Matthias den ausdrucksstarken Gesang von Arkadius als "flennen" bezeichnet, kann ich nur vermuten, dass er mit emotionaler Musik anscheinend gar nichts anfangen kann. Matthias schreibt dann von fehlenden "Breaks", wie soll das klingen? Phil-Collins-Gedächtnis-Schlagzeug mit so viel Hall auf den Toms, dass das Jahr 1981 anruft und seine Sounds zurückhaben möchte?
Mich hat die ungehobelte, nicht-wegpolierte Mischung aus basischem, aber wirkungsvollem Doom-Songwriting und Gänsehaut-Vocals von Anfang an in ihren Bann gezogen. Wie ginge es auch anders? Nun, immerhin mit einem Satz von Chef Marcel komme ich überein: Ich freue mich, wenn die letzten Takte von 'When Judas Spins The Wheel' verklungen sind. Denn das bedeutet, dass ich diesen Schatz von einem Album wieder von vorne hören kann. Das Jahres-Treppchen ist an der Spitze schon verdammt gut besetzt und AIWAZ gesellt sich sehr, sehr weit oben dazu.
Note: 10/10
[Nils Macher]
Ich kann Nils gut verstehen. Auch ich hatte AIWAZ bei der ersten Runde im Kreis der 10-Punkte-Kandidaten verortet. Zwar war nicht alles komplett magisch, aber für ein Debüt doch unfassbar beeindruckend und mit Gesangslinien und Harmonien ausgestattet, welche mich schlicht in den Bereich der weiteren Unzurechnungsfähigkeit getragen haben. Kitschig? Weinerlich? WTF! Viel stärker geht es in dem Bereich 2024 oder generell nicht!AIWAZ schafft es über weite Strecken, Doom für mich nicht nur ertragbar, sondern sogar spannend und begeisternd zu servieren. Da kann sogar ein Stefan mitsingen.
Je häufiger ich "Darrkh... It Is!" jedoch gehört habe, umso mehr offenbarten sich für mich Schwächen, die ich am Ende nicht mehr ignorieren konnte. Tatsächlich sind die Songs durch die Bank länger, als sie unbedingt sein müssten. Dieses repetitive Auswalzen von Motiven mag in diesem Genre zwar Usus sein, stört mich bei Liedern, welche ich ansonsten überzeugend finde, aber noch stärker. Da würden kleinere Variationen tatsächlich als Multiplikator wirken und für Abwechslung und Auflockerung sorgen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ein echter Freund doomiger Klänge diese Auflockerung tatsächlich bräuchte.
Warum Matthias sich tatsächlich noch mehr Growls wünscht, kann ich ebensowenig nachvollziehen. Die sind in meinen Ohren ein weiterer Schwachpunkt eines ansonsten makellosen Albums. Weder passen sie in die jeweilige Umgebung, noch klingen sie so, dass ich nach mehr dürste. Es hat zwar nicht jeder einen Åkerfeldt in seinen Reihen, aber sowas geht viel besser.
Somit habe ich lange mit mir gehadert, ob es am Ende 8,5 oder 9 Punkte werden und mich für die leicht niedrige Note in einem übertrieben starken Soundcheck entschieden, in weiser Voraussicht, dass dieser halbe Punkt in der Jahreswertung noch drin ist. Eine Band mit unfassbarem Potential und der klaren Vorgabe an alle Düsterheimer da draußen, sie zukünftig auf dem Schirm zu haben.
Note: 8,5/10 Punkte
[Stefan Rosenthal]
Nun, ich habe hier auch ein wenig Zeit investiert, weil mir die Bandreferenzen eine interessante Mischung suggeriert haben. Da wird neben CANDLEMASS und SOLITUDE AETURNUS auch QUEENSYCHE und MARILLION genannt. Dummerweise höre von den letzteren so gut wie gar nichts heraus und ich merke, dass dies genau der Aspekt ist, der mir bei der Musik fehlt. Ich bin nämlich so einer, der es oft kaum schafft, ein CANDLEMASS- oder SOLITUDE AETURNUS-Album komplett durchzuhören, obwohl mir die Musik an sich immer gefällt. Für zwei, drei Songs. Dann wird es mir zu langsam, zu eintönig, zu repetitiv, von allem beim klassischen Epic Doom.
Natürlich ist AIWAZ klanglich schon ein Stück weit von Doom-Prototypen entfernt, die Musik wirkt etwas ätherischer und nachdenklicher, vor allem durch den Gesang. Für einen kleinen Moment dachte ich sogar, AIWAZ wäre die neue Band von MAYFAIR-Mario, nach wie vor einer meiner Lieblingssänger.
Aber nach dem sehr ordentlichen Opener ergeht es mir dann doch ähnlich wie meinen Triple-M-Vorrednern (Marcel, Matthias und Martin). Hinter vorgehaltener Hand muss ich gähnen. Zuviel Herbst, zuviel klamme Kälte und irgendwie ist mir das auf Dauer auch zuviel Emo. Es ist nicht so, dass ich den traurigen Momenten des Lebens zu wenig Zeit gönne, lieber Nils, und ich mag die Musik von AIWAZ auch (also für 2-3 Songs), aber am Ende erreicht sie mich dann doch nicht auf emotionaler Ebene. Ach ja, und die Growls auf diesem Album sind furchtbar, da hat eindeutig Stefan recht und nicht Matthias.
Note: 7,0/10
[Thomas Becker]
Fotocredits: Band
Hier nochmal das ganze Album im Stream:
- Redakteur:
- Frank Jaeger