Gruppentherapie: ANIMALIZE - "Verminateur"

10.06.2025 | 14:07

Wer bremst die Croissant-Euphorie des Soundchecksiegers?

Soundcheck, jaja, da war doch was! Bisher waren wir in unseren Mai-Gruppentherapien ja eher außerhalb unserer Monatsliste und auch unserer musikalischen Stammkompetenz unterwegs. Deshalb springen wir jetzt auch gleich zum Mai-Sieger, und der ist wirklich durch und durch Metal: ANIMALIZE bedient uns voll mit schnörkellosen Riffs, schnellen Gitarrensoli und sirenenhaftem Gesang. Da gibt es doch nichts dran auszusetzen, oder?

Nun, so restlos begeistert war unser Walter von "Verminateur" dann doch nicht, und man hat auch schon Leute gehört, die es stört, wenn die Singsprache nicht Englisch ist. Ob das auch für unsere Therapeuten ein Problem ist, lest ihr hier.




Überraschender, aber letztlich auch verdienter Soundcheck-Sieger, wenn ihr mich fragt. Ich bin zwar der französischen Sprache nicht mächtig, aber rein musikalisch bockt "Verminateur" auf Teufel komm raus. Das Artwork ist herrlich trashig, der Sound druckvoll, die Songs mehr als dynamisch und die Ausrichtung klar in den 1980er Jahren verankert.

ANIMALIZE schafft es mit Spielfreude und Engagement, die Sprachbarriere hinter uns zu lassen und liefert ein astreines, abwechslungsreiches Riff- und Melodienbollwerk ab. Mal hardrockiger ('Damnée'), mal schnellmetallischer ('Armées De La Nuit' oder 'Verminateur'), ja selbst im ruhigeren Fahrtwind wie mit 'Prière De Remords' kommt das ANIMALIZE-Schlachtschiff gut und elegant durch die Gewässer, und vielleicht lohnt es sich dann doch, sich bei dem einen oder anderen Lernmodul Französisch anzumelden. Da hat Dying Victims Productions jedenfalls ein kleines Juwel in der Hand, das ich auch auf den künftigen "Keep-It-True"-Ausgaben sehen würde.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

 

ANIMALIZE? Noch nie gehört. Habe auch etwas ganz anderes erwartet, progressivere Musik mit dem typisch französischen Melancholie-Touch und ein paar fein gesetzten Stilbrüchen. Französisch klingt hier jedoch nur der Gesang, musikalisch erinnert mich das an Achtziger-NWOBHM, wobei jede Entwicklung seitdem konsequent negiert wird. Das neue Album "Verminateur" bietet dazu auch das passende Cover: So hätte man auch für ACCEPT oder SCORPIONS ein Cover designen können, oder für Bands von 1980.

Ob da eine Frau singt oder ein Mann, erschließt sich mir auch nicht, was aber auch egal ist. Ist das jetzt Speed Metal mit etwas Romantik oder Heavy Metal mit zuckrigen Melodien und Kastratengesang? Wenn ich retro gestimmt bin, lege ich TRÖJAN auf, TANK, PICTURE oder TYGERS OF PAN TANG, da haben es Epigonen schwer. Die Gitarrenriffs und typischen Soli gefallen mir sogar bisweilen, mit Betonung auf ansatzweise, denn der zu hohe, sehr eindimensionale, zum Teil auch recht kitschig daherkommende Gesang und die französischen Texte erweisen sich auf Dauer als anstrengend.

Auch die Tatsache, dass hier wirklich konsequent bereits bekannte Mucke von 1980 geboten wird, aber weit harmloser, kantenloser, glatter als 1983, stimmt nicht positiver. AGENT STEEL ist jedenfalls meilenweit entfernt. Ein seltsames, etwas uninspiriertes Paket, das diese Band hier bietet  von mir gibt es knappe fünf Punkte.

Note: 5,0/10
[Matthias Ehlert]

Je suis assez excité – aber sowas von. ANIMALIZE ist meine Überraschung des Monats und wahrscheinlich auch der gesamten ersten Jahreshälfte. Die Franzosen zocken, wie von meinen Kollegen bereits aufgezeigt, eingängigen old-school Heavy Metal direkt aus den 1980ern gebeamt. Dabei bedient sich die Band sicherlich aus der großen Klischeekiste, aber nimmt sich nur das feinste Zeug raus. Die Riffs sitzen, und es gibt eine ordentliche Anzahl richtig starker Solos. Dazu sind die Refrains absolute Champions League und die zahlreichen Melodien versprühen mit jeder Faser Lebensfreude und gute Laune. "Verminateur" ist ein 1A Stimmungsaufheller und profitiert von der besten Entscheidung, die ANIMALIZE treffen konnte – und zwar beim Zweitwerk vollständig auf Französisch zu setzen.

Der Gesang und vor allem die aus dieser Entscheidung resultierenden Gesangslinien sind formidable. Der Überhit 'Damnée' wirkt ähnlich euphorisierend wie Croissants frisch aus dem Ofen. Das ist von vorne bis hinten "Joie de vivre"! Wer an einer französischen Version von NIGHT DEMON zu "Outsider" (insbesondere auch durch die gelungenen, partiellen Synth-Effekte) Gefallen finden könnte, sollte das Album definitiv anchecken. Ich bin jedenfalls in diesem "Native Speaking"-Bereich dieses Genres das letzte Mal von TIERRA SANTA so begeistert gewesen ("Indomable"), und das ist auch schon wieder über 20 Jahre her.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Auch wenn ich im Ergebnis so gar nicht mit des Herrn Kollegen Ehlerts Note konsentieren möchte, so ist ihm immerhin zuzugestehen, dass unsere jungen französischen Freunde von ANIMALIZE das Rad keineswegs neu erfinden. Dass es indes allein die Singsprache von Frontmann Coyote sei, die auf französische Stahlschmiedekunst verweise, möchte ich dagegen ins Reich der Mythen verweisen, denn diese Art von Metal wurde auch in den Achtzigern schon zwischen Rhein und Atlantik, Pyrenäen und Ärmelkanal zelebriert, und zwar aufs Feinste, was Bands wie SORTILÈGE und ADX eindrucksvoll belegen, die von ihren Fans weltweit auch genau dafür noch heute gefeiert werden.

Besagte Künstler gehören auch ganz offensichtlich zu den Einflüssen der Truppe aus Lyon, und für die ist der Sänger auch ein echtes Aushängeschild: Er singt einfach, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und stets klingt er dabei super, sowohl in den harten, wilden Momenten wie etwa beim Opener 'Armées De La Nuit', als auch bei den sanfteren Tönen, wie sie etwa der durchaus poppige, keyboardlastige 1980er-Schmachtfetzen 'Damnée' erfordert.

Warum französische Texte und hohe Sirenenvocals anstrengend sein sollen, erschließt sich mir auch nicht. Die Truppe ist offenbar mit Vorbildern groß geworden, die genau diese Stilelemente zelebriert haben, seien es ihre bereits oben genannten legendären Landsleute, oder auch ähnlich illustre Heroen aus Japan wie etwa LOUDNESS oder ANTHEM, oder aus so unexotischen Gefilden wie England (OZZY zu "The Ultimate Sin"-Zeiten) oder Schweden (ENFORCER).

Um gleichwohl nochmals an Matthias' Überlegungen anzuknüpfen: Ich kann verstehen, wenn man nicht direkt bei jeder jungen Truppe begeistert im Dreieck springt, die sich haarfein an die Vorbilder aus den Achtzigern anschmiegt. Aber manches Mal springt der Funke einfach über, weil es sich echt anfühlt und nicht gewollt auf retro getrimmt und nicht gekonnt. So liegt der Fall hier. Den Jungs aus dem Rhônetal nimmt man ihre Begeisterung für diesen Sound und diese Vibes einfach ab, und dementsprechend cool wurde das musikalische Oeuvre auch auf Vinyl und CD gebannt. So darf und soll klassischer Metal heute klingen, gleich ob von nativen Frankophonen oder von nativen Anglophonen!

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]

Gut, dass ich hier alle Beiträge erst genau lese, bevor ich loslege. Ich hätte jetzt fast einen Riesenquatsch geschrieben. Ich hätte schwören können, hier singt eine Frau. Gut, dass Kollege Ehlert hier zumindest unsicher ist. Ich wollte ANIMALIZE nämlich mit SKUNK ANANSIE (zur Gruppentherapie) vergleichen und in puncto Sängerin hätte ANIMALIZE bei mir voll verloren. Damn it, das geht jetzt nicht mehr.

Aber auch ohne Sängerinnen-Vergleich wäre SKUNK ANANSIE in meinem Soundcheck vor ANIMALIZE gelandet, weil nämlich auch die Musik auf Albenlänge interessanter, abwechslungsreicher, mutiger ist. Aber wir sind ein Metalmagazin, also sollte Metal natürlich oben stehen auf der monatlichen Musikrangliste.

Vor allem die zweite Hälfte des Albums kann dies auch rechtfertigen; die Musik klingt zwar alt aber knackig, die Musiker scheinen, wie Rüdiger schon schreibt, auch Begeisterung für solche Musik außerhalb des eigenen Klangkosmos und zumindest SORTILÈGE in ihren Genen zu haben. Ja, macht Spaß, kann man hören, die Frage ist nur, ob die Band länger als ein paar Tage im Gedächtnis bleibt. Eine Liveshow könnte da sicher helfen. Und was für ein Typ hat denn eine solche Stimme?

Note: 7,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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