Gruppentherapie: BLEEDING - "Behind Transparent Walls"

08.04.2015 | 12:20

Diesmal müssen sie bluten, die armen Männer im Therapiesessel.

BLEEDING ist eine ganz feine Newcomerband aus Hamburg, die sich zum Ziel setzt, Genregrenzen umzustoßen und den Metal in seiner ganzen Bandbreite zu umfassen. "Newcomer" ist dabei vielleicht etwas missverständlich, denn sie alle sind erfahrene Musiker mit einem Altersschnitt vermutlich sogar jenseits dem der Powermetal.de-Soundcheck-Redaktion (höhö...) und Sänger Haye Graf spielt dazu auch im Theater. Kennen gelernt hat man sich auf einem PSYCHOTIC WALTZ-Konzert und konsequenterweise auch nach einem Album dieser Band benannt.
BLEEDING hat bereits eine Mini-EP mit vier Songs veröffentlicht, die zumindest bei uns in der Redaktion ganz gut die Runde gemacht hat. Unser Hamburger Jungspund mit dem Künstlernamen André Holgersen sprach damals sogar von einer der "besten deutschen Prog-Bands der Neuzeit" (zum Review) und auch über "Behind Transparent Walls" redet er immerhin von einem "Jahreshighlight". Das Soundcheck-Team folgt ihm blind und hievt die Scheibe auf Platz 2 im März-Soundcheck, nur dem übermächtigen ENSLAVED-Album muss man sich geschlagen geben. Wir denken jedoch nicht, dass dies blutende Wunden in das Ego der Nordlicher schlägt, vor allem nicht bei den warmen Worten, die folgen. Und nun lest selbst!

Ich und Prog? Aber sicher doch, wenn er so vorgetragen wird wie von BLEEDING - einer Band, bei der der Prog-Geist der 90er Jahre noch einmal zum Rundumschlag ausholt und ehemalige PSYCHOTIC WALTZ-Glanztaten aufleben lässt. Auch wenn ich von euphorischem Gekreische noch etwas entfernt bin, fasziniert mich dieser Rundling, weil er mich mit all seinen Facetten um den Finger wickeln kann. Thrashige Parts hier, furiose Gitarrensoli dort, es geht Schlag auf Schlag, hin und her, vertrackte Rhythmen und wunderbare Melodien geben sich gegenseitig die Klinke in die Hand. Der Gesang ist eine Wonne und gemeinsam mit zum Teil sogar akustischen Spielereien und atmosphärischem Hintergrundgesang öffnen sich spätestens nach dem zweiten, dritten Durchgang weitere Dimensionen, die es zu durchforsten gilt. Zugegeben, "Behind Transparent Walls" ist vielleicht kein allzu einfaches Album und braucht gewisse Zeit. Doch hat man Herz und Ohren einmal geöffnet, nistet sich der Longplayer gemütlich ein und verweilt für eine Weile dort. Auch wenn mir das letzte Zünglein an der Waage, dieser gewisse Dosenöffner noch fehlt, funktioniert "Behind Transparent Walls" als Gesamtpaket ausgesprochen gut. Immerhin kommen 'Symbol Of The Sun', 'Madness' und 'Humanoluminiscence' dem perfekten Song schon äußerst nahe.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Wenn es um Dosenöffner geht, sollte man im Falle von BLEEDING nicht an Kosten für ein gutes Gerät sparen, denn in diesem Gefäß befindet sich keine Billig-Konserve sondern Degustiner-Edelstoff (Bayern verstehen mich?). Schon die selbstbetitelte Debüt-EP hat Lust auf mehr gemacht und "Behind Transparent Walls" ist genau das erwartete Meer aus Lust. Vor allem wenn man den querdenkerischen Prog Metal aus den 90igern, von PSYCHOTIC WALTZ über LAST CRACK, CIVIL DEFIANCE bis hin zu DEPRESSIVE AGE verehrt. Die SYSTEM OF A DOWN-Schlagseite der EP ist etwas zurückgenommen, was ich sogar etwas schade finde, doch das Gebotene ist so einfallsreich und erfinderisch, dass man eigentlich sowieso keine Bandvergleiche mehr bemühen sollte. Alle Songs haben ihre Stärken und Eigenarten, wollen ergründet und durchleuchtet werden, ja, das macht bei BLEEDING Spaß wie schon lange nicht mehr. Doch der Primus Inter Pares ist für mich die Halbballade 'Symbol Of The Sun', die an alte DEPRESSIVE AGE-Glanztaten wie 'Innocent In Detention' oder 'Psycho Circle Game' anknüpft, ja diese sogar übertrifft. Allein dieser Song ist ein absoluter Kaufgrund.

Note: 9,0/10

[Thomas Becker]

Progressive Metal findet in meinem CD-Player vergleichsweise wenig statt. Oft fehlt mir der Faustfaktor, der für mich essentiell ist, um bei der Musik mitgehen zu können. Doch "Behind Transparent Walls", das Debüt von BLEEDING, hat genau diesen Faustfaktor zu bieten, der mir beim Prog manchmal fehlt. Die Kunst, die Songs mit überraschenden Wendungen zu versehen, dabei aber stets nachvollziehbar zu bleiben und sich nach und nach im Ohr festzusetzen, hat die Band natürlich bei den bereits von meinen Kollegen genannten Genrevätern aus den 90er Jahren gelernt, doch gerade Sänger Haye Graf konnte mich vom ersten Hören an für BLEEDING einnehmen. Seine Stimmfarbe und Phrasierung erinnert mich ein ums andere Mal an Warrel Dane, den ich, egal ob bei NEVERMORE oder SANCTUARY, über alle Maßen verehre. Haye Graf schafft es, die Songs auf "Behind Transparent Walls" in gleicher Weise wie Dane so mit Emotionen aufzuladen, dass es fast wehtut. Im Grunde ist es da fast egal, welchen Song man sich herausgreift, denn alle bestechen mit den gleichen, gerade genannten Qualitäten. Dennoch ragt die göttliche Halbballade 'Symbol Of The Sun' noch ein ganzes Stück heraus. BLEEDING präsentiert sich auf "Behind Transparent Walls" aus dem Stand als ebenbürtig mit den alt eingesessenen Genregrößen und angenehm zugänglich, weshalb ich dieses Album auch ganz besonders jedem Progmuffel wie ich oft einer bin, ans Herz legen möchte.

Note: 9,0/10
[Arne Boewig]

Aus meiner Sicht kann man BLEEDING für das, was die Hamburger auf "Behind Transparent Walls" machen, gar nicht genug über den grünen Klee loben. Dieses bisher kaum in Erscheinung getretene Quintett verarbeitet auf dem hier zur Diskussion stehenden Debüt mit faszinierender Kreativität und felsenfester Geschmackssicherheit so ziemlich alles, was unverkrampften und niveauvollen Metal ausmacht. Der Spagat zwischen Tradition und Moderne gelingt genau so selbstverständlich wie der zwischen griffiger Härte und kompositorischem Anspruch. Alle bisher genannten Assoziationen und Vergleiche sind natürlich völlig richtig und nachvollziehbar, aber ganz besonders heraus stechen die Parallelen zu den göttlichen ersten beiden Alben der Berliner Prog-Combo DEPRESSIVE AGE. Diese betreffen sowohl die stilistische Ausrichtung per se als auch die tief unter die Haut gehende, unterschwellig panische Atmosphäre der Songs, die "Behind Transparent Walls" zu einem mitreißend intensiven Hörerlebnis macht. Gewöhnliche Schubladisierungs-Versuche schlagen hier notgedrungen fehl; Meisterwerke wie der Titelsong, das atemberaubende 'Madness' oder die emotionale Achterbahnfahrt 'Solitude Pt. 2' sind einfach nur ganz großes Kopfkino der Meisterklasse. Ich kann mir schon Ende März nicht mehr vorstellen, dass BLEEDING meinen persönlichen "Newcomer des Jahres 2015"-Titel noch verlieren wird.

Note: 9,5/10
[Martin van der Laan]


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Review von Holger Andrae

Redakteur:
Thomas Becker

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