BLEEDING - Behind Transparent Walls
Auch im Soundcheck: Soundcheck 03/2015
Mehr über Bleeding
- Genre:
- Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Pure Prog Records (H'Art)
- Release:
- 27.03.2015
- Behind Transparent Walls
- Fading World
- Humanoluminiscence
- Symbol Of The Sun
- Madness
- Infinite Jest
- Solitude Pt.1
- Solitude Pt.2
Jahreshighlight!
Es gibt Alben, auf die freut man sich so sehr, da könnte man beinahe von einer Vor-Angst reden. Angst davor, dass die Band der eigenen Erwartungshaltung nicht gerecht werden könnte. Nicht selten scheitern Interpreten an dieser selbst gebastelten Messlatte, was vorschnell zu schlechten Kritiken führt. Völlig zu Unrecht, wie man mit der nötigen zeitlichen Distanz nicht selten feststellen kann, denn solche Alben sind häufig einfach nur "anders als erwartet". Kann der Interpret ja nichts dafür. So geht es mir mit dem Debütalbum der Band BLEEDING aus dem Städtchen Stade. Weshalb sind meine Erwartungen so hoch? Ganz einfach. Die vier Songs der Demo-EP zählen für mich zu den besten Songs einer deutschen Band in dieser Dekade und der Liveauftritt bei legendären "Birthday Bash" mit MAYFAIR und B.S.T. war ebenfalls granatenstark. Nun kommen die fünf Proggels mit ihrem ersten Langeisen um die Ecke und ich erwarte nichts anderes als einen potentiellen Anwärter auf den Jahresthron.
Schon die Eröffnungsnummer zeigt aber ganz deutlich, dass ich mir dieses Mal nicht selber ein Bein mit den eigenen Erwartungen gestellt habe. Der fünfminütige Titelsong präsentiert die Band in einer Form, wie ich sie mir in meinen kühnsten Träumen nicht erhofft habe. Dabei lassen mich die sofort aufkommenden Erinnerungen an ganz frühe DEPRESSIVE AGE natürlich gleich emotional im Dreieck springen. Sänger Haye Graf klingt in dieser Nummer erstaunlich ähnlich wie Jan Lubitzki, den ich für einen der originellsten deutschen Sänger halte. Ein ganz dickes Kompliment also gleich zu Beginn. Allerdings ist auch die musikalische Untermalung ganz wundervoll. Der Band gelingt es, ganz wie den großen Namensgebern PSYCHOTIC WALTZ (hint: Albumtitel deren letzter Scheibe! - HA), verschachtelte Songstrukturen so umzusetzen, dass sie sofort hängen bleiben.
Im nachfolgenden 'Fading World' faszinieren die wunderbar flirrenden Gitarren und der ungewöhnlich harsche Tiefgesang. Das klingt beinahe wie eine andere Band, aber trotzdem typisch blutig. Ganz ausgezeichnet. Und genau so wild geht die musikalische Achterbahnfahrt weiter. So verwirrt man den Zuhörer im bereits vom besagten Konzert bekannten 'Madness' mit irrwitziger Rhythmik und wahnwitzigen Temposchüben. Spätestens, wenn die irre klingende zweite Stimme aus dem Off mitsingt, wird der Titel zum Programm. Wahnsinn!
'Infinite Jest' erfreut dann mit hektischen Bassläufen, abgestoppter Rhythmik und erneut mit diesen herzöffnenden Flirr-Gitarren. Es ist eine Wonne, solche Musik genießen zu dürfen. Besonders hervor heben möchte ich hier den – leider viel zu kurzen – Stereo-Effekt bei den Soli.
Das abschließende, in zwei Teile gesplittete, 'Solitude' beginnt im Intro melancholisch und getragen, nur um im Hauptsong schnell sehr rabiat und ungestüm nach vorne zu preschen. Aber dieses elf Minuten andauernde Ungetüm eines Songs wäre kein BLEEDING-Song, wenn er nicht mit zunehmender Spieldauer immer verschnörkelter und verspielter werden würde. Ich gehe soweit und schreibe jetzt hier von einem waltzigen Kniefall, der mich in ähnliche Sphären entführt, wie es das kalifornische Quintett immer wieder schafft. Der ultralange Instrumentalpart ist einfach gigantisch! Muss man gehört haben!
Jetzt habe ich zwei Nummern ausgelassen. Warum? Weil sie sogar noch etwas über den restlichen Stücken anzusiedeln sind und für mich das Beste sind, was ich lange hören durfte. 'Humanoluminiscence' ist exakt so abgedeht, wie es der geniale Titel schon vermuten lässt. Behutsam schleichend und die Seele streichelnd in den Versen, rifft und flirrt es im Chorus aus den Lautsprechern, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Sound turns to light.
Mein bisheriges Jahreshighlight hört auf den Namen 'Symbol Of The Sun' und ist so etwas wie der legitime 'Halo Of Thorn'-Nachfolger. Balladesk eingesäuselt von akustischen Saiteninstrumenten und einem Grafen, der meine Seele berührt. Urplötzlich kippt der Song und überwältigt mich mit krachenden Riffs und einem beinahe heillosem Chaos, in dem man sich zwar verliert, diesen Zustand aber nicht als unangenehm empfindet. Das ist die ganz große Vertracktheitskunst, die nicht viele Bands beherrschen.
BLEEDING ist für mich die Band der Stunde und ich war versucht den 10er zu zücken, aber irgendein Ansporn muss ja noch bleiben, oder?
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae