Gruppentherapie: DIAMOND HEAD - "Diamond Head"

11.05.2016 | 15:53

Starkes Comeback oder lahme Eigenkopie?

Diese Band aus Stourbridge, England, musiziert schon seit Mitte der Siebziger und beeinflusste neben METALLICA und MEGADETH ein ganze Generation von Metallern. Mit dem selbstbetitelten neuen Comeback-Album setzt die Band nun ein weiteres Statement. Was sagen die alten Fans? Und können die Briten gar neue gewinnen?

Starkes Comeback, lahme Eigenkopie oder doch der Abgesang einer scheidenden NWoBHM-Legende? So ließen sich wohl kurz und knapp die möglichen Ausgänge zusammenfassen, als DIAMOND HEAD das Studio enterte, um den neuen Langspieler "Diamond Head" einzuzimmern. Ich muss zugeben, dass ich dem neuen Album bis zuletzt sehr skeptisch gegenüber stand, da ich mir nicht sicher war, ob die Urgesteine der Szene den Abgang von Nick Tart würden verkraften können. Außerdem liebe ich das Frühwerk der Briten, was es umso schwieriger macht, dieser großartigen Band beim Altern zu zusehen. Aber schon nach dem ersten Hördurchlauf der neuen Scheibe kann ich in allen Punkten Entwarnung geben, denn "Diamond Head" ist ein bärenstarkes Album geworden. Zu keiner Zeit wirken Brian Tatler und seine Kollegen hier wie eine müde Kopie ihrer selbst, sondern schaffen es vielmehr den klassischen DIAMOND HEAD-Sound mit modernen Komponenten zu vereinen. Wenn dann noch feine Steicher-Arrangements und ein bisschen LED ZEPPELIN-Vibe dazukommen wie in 'Silence', dann ist schnell klar, dass die Jungs noch lange nicht am Ende sind. Insbesondere der neue Frontmann Rasmus Anderson macht nicht nur am Mikrofon eine gute Figur, sondern scheint der Band noch einmal einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasst zu haben, was auch Brian Tatler in unserem Interview bestätigte. All das macht "Diamond Head" zu einer nahezu perfekten Platte, mit der die Truppe auch im vierzigsten Jahr ihrer Karriere locker gegen die aktuell aufkeimende Welle von jungen Newcomern in diesem Genre bestehen kann. Einfach stark!

Note: 9,0/10

[Tobias Dahs]

Wenn eine langgediente, routinierte Formation ein deutlich jüngeres Mitglied in ihre Reihen holt - vor allem, wenn es sich um den Sänger handelt - ist bei Fans, sehr häufig leider zu Recht, ein gehöriges Maß an Skepsis vorhanden. Bei dieser britischen Szene-Ikone ist das jedoch nicht nötig, denn man muss neidlos attestieren, dass die beste Wahl getroffen wurde. Der seit knapp zwei Jahren zum Line-up zählende Rasmus Bom Andersen (der seine Live-Kompetenz längst unter Beweis gestellt hat) lässt seinen Vorgänger Nick Tart nämlich zu keiner Sekunde vermissen und schafft es mit seiner vollmundigen, leicht angerauten Stimme locker den typischen Bandsound in die Gegenwart zu transferieren. Klar, dazu gehört an sich mehr als nur ein talentierter Stimmbandakrobat, dennoch muss ein Löwenanteil am Gelingen dieses Albums Rasmus zugeschrieben werden. Schließlich konnte er die musikalischen Steilvorlagen von Brian Tatler und Co. allesamt locker und lässig verwerten. Egal, ob die Band mit Tempo im Stile der glorreichen Vergangenheit zur Sache geht, wie im programmatischen 'Speed', sich mit dem elegant-epischen 'Silence' ihrer Wurzeln besinnt, oder aber in 'Set My Soul On Fire' einen stampfenden Rocker mit dezent bluesig-souligen Untertönen auffährt - auf diesem Album sucht man Ausfälle vergeblich. Keine Ahnung, ob sich die Herren der Klasse dieses Albums bewusst waren, Tatsache ist jedenfalls, dass die Hymne 'Diamonds' durchaus als Programm zu betrachten ist, denn es fällt in der Tat verdammt leicht mit Überzeugung in den Chorus "Diamonds Are Forever" einzustimmen!

Note: 9,0/10
[Walter Scheurer]

Ich muss gestehen, dass DIAMOND HEAD für mich bislang eher ein rotes Tuch darstellte. Seit acht oder neun Jahren steht die 1996er Compilation "Helpless" in meinem Regal und seit acht oder neun Jahren finde ich bis auf zwei Ausnahmen ('Borrowed Time' und 'Helpless') das darauf befindliche Songmaterial so dermaßen langweilig, dass eine weitere Beschäftigung mit dem Schaffen der britischen Legende ausgeschlossen schien. Naja, ein paar Jahre hab ich es ja durchgehalten. Der Zuteilung als Gruppentherapeut ist es nämlich geschuldet, dass ich mit "Diamond Head" der Abstinenz ein Ende bereite. Und ich bin froh darüber. Wer hätte bitte gedacht, dass eine Kapelle, die schon auf einer alten Compilation total müde klingt, im vierzigsten Jahr ihres Bestehens so ein hochenergetisches, mitreißendes Hard-Rock-Album auf die Beine zu stellen vermag? Die lange Verbindung mit dem Edelsteinschädel, die meine Vorredner haben, besitze ich zwar nicht, trotzdem bin ich überaus begeistert vom neuen Werk. Allerdings mag ich Tobias nicht ganz zustimmen. 'Silence' finde ich ebenso wie das ähnlich langsame 'Set My Soul On Fire' recht langweilig. Die anderen vom Energielevel an AUDREY HORNE erinnernden Songs - allen voran die famose Hymne 'Diamonds' - gefallen mir da viel besser. Also gibt's zwei Punkte Abzug, aber dafür ein paar Ausrufezeichen auf dem Einkaufszettel.

Note: 8,0/10
[Marius Lühring]

Ein Gitarren-Riff klopft an. Hallo wach? Oh ja, sehr wach. Ein Sänger singt "Lightning Strikes The Air", was bedeutet, dass gleich Donner kommt. Und der kommt, 'Shout At The Devil' fetzt, ich bin beeindruckt. Sind das wieder so junge Schweden? So tote Lords und schwarze Trips? Die können so Mucke derzeit ja am besten. Wobei, Moment mal, die alten EUROPE-Mannen haben ja letztes Jahr auch ein Wonnebecken für jung gebliebene Alt-Rocker veröffentlicht und was hier tönt, ist tatsächlich auch so ein Dino namens DIAMOND HEAD. In den hintersten Hirnwinkeln regt sich was. Ach ja, METALLICA und 'Am I Evil?'. Sicher ein top Song, dennoch deckte sich meine Vorstellung von einer neuen Musik dieser Dinos eher mit dem Bild von Marius' verstaubter Compilation-CD. Hust. Tut das wirklich Not? Aber sowas von, denn die CD startet wild und wird tatsächlich mit jedem Lied noch besser. Geile Riffs, toller Gesang, pfiffige Song-Führung und als klangliche Basis dieses von mir so geliebte Retro-Feeling. Yeah, ich rocke durchgehend. Die Truppe scheint tatsächlich das Feuer des gehörnten Audrey im Hintern zu haben. Und das Beste kommt dann wie sich's gehört am Schluss und nennt sich 'Silence'. Das ist groß, das ist episch, hierin steckt die Passion mehrerer Dekaden Rock-Geschichte. Go for it!

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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