Gruppentherapie: DYMYTRY - "Five Angry Men"

01.02.2024 | 15:44

Einhornsterben im Gentechniklabor!

Es wird Zeit für die erste Soundcheck-Therapie des Jahres 2024 (zum Januar-Soundcheck 2024). Hier hat DYMYTRY regelrecht einen Keil zwischen die Redakteure getrieben. Es gibt die Höchstnote von Frank Wilkens. Und einen Dreier von unserem Raben Stehle. Beide melden sich hier zu Wort und das eine oder andere Einhorn muss bei ihrem Wortgefecht dran glauben. Andere Redakteure therapieren das Album der "Superstars auf Mainstream-Level" (zu Björns Hauptrezension von "Five Angry Men") dann aus dem Gentechniklabor. Ist das gut oder schlecht?



Als ich das erste Mal FIVE FINGER DEATH PUNCH bewusst wahrnahm - für mich mit "Got Your Six" verhältnismäßig spät - war ich enorm geplättet. Verdammt, das Album war ja auch eine Wucht! Bei DYMYTRY hatte ich im Vorfeld ob der Vorschusslorbeeren, der Modern-Metal-Ausrichtung und des Vergleichs mit den Amis die Hoffnung, dass es mir mit "Five Angry Men" ähnlich ergehen würde.

Vom Wow-Effekt ist DYMYTRY dann leider doch weit entfernt, was "Five Angry Men" allerdings zu keinem schlechten Album macht. Im Gegenteil, denn das, was die Tschechen machen, hat Hand und Fuß. Ein wenig SLIPKNOT und TRIVIUM hier, dezente FEAR FACTORY- und BULLET FOR MY VALENTINE-Momente dort, gepaart mit zwar abwechslungsreichen, aber in sich durchaus vorhersehbaren Songs und fertig ist das Gebräu, das eine stattliche Figur macht. Allerdings - und das muss man klar und deutlich sagen - verdienen die Songs keinen Innovationspreis. Mal richtig offensive Momente ('In Death We Trust', 'Everything Is Black'), einige ruhigere Sachen ('Legends Never Die', 'The Revenant'), man erahnt schon früh, was man bekommt. Ein gutes, wenngleich auch nicht überraschendes Modern-Metal-Album, das auf eingängige Refrains und knackige Riffs aufgebaut ist.

Note: 7,0/10
[Marcel Rapp]

Für sich genommen funktioniert auf "Five Angry Men" schon relativ viel: kräftiger Groove, kräftige Stimme, kräftige Hooks, kräftige Kraft. Ah, also: "Five Angry Men" aktiviert die Metal-Faszien mindestens so gut wie meine Black Roll. Aber irgendwie kommt der Sound mehr als zehn Jahre zu spät. Modern Metal mit Industrial-Elementen ist ja fast schon old school. Aber für ein Retro-Modern-Metal-Album sind da zu wenig Ideen drin, um es nachhaltig auf den Plattenteller zu tackern. Da gebe ich Marcel Recht. Bands wie EMERGENCY GATE haben das schon viel früher und mit mehr Nachdruck ausgelotet. Aber versteht mich nicht falsch: Klar, das wird den einen oder anderen ganz gut abholen. Und wenn das Label die fünf wütenden Männer zum Dauergast auf den kommerziellen Sommerfestivals macht, dann sind die richtigen Zutaten schon mal beisammen. Ich werde dann am Bierstand stehen und meinen Ärger mit lackem Bier im Plastikkelch ausdiskutieren.

Note: 6,0/10
[Julian Rohrer]

Ich fürchte, ich tanze hier mal wieder sprichwörtlich komplett aus der Reihe. DYMYTRY hatte ich bisher nur am Rande wahrgenommen und erst jetzt, da ich mich im Zuge des aktuellen Soundchecks mit "Five Angry Men" beschäftigen durfte, komme ich wohl nicht mehr an dieser Band vorbei. Bereits beim ersten Anhören packte mich das Album an diversen Körperteilen. Klar tendiert die Musik stark in Richtung FIVE FINGER DEATH PUNCH, für mich eine der besten Metalbands der Neuzeit. Insofern ist das, was wir auf "Five Angry Men" geboten bekommen, sicher nicht die Neuerfindung des Rades. Aber mich faszinieren auf dem Album vor allem zwei Dinge: Zunächst ist es der Sound. Mir ist ziemlich egal, ob der Modern Metal Sound möglicherweise (zumindest nach heutigen Maßstäben) schon veraltet ist. Ich finde den Klang auf "Five Angry Men" schlichtweg überragend und absolut normgerecht auf diese Art von Musik zugeschnitten. Der zweite Punkt sind die Songs. Alle zehn Tracks sind Volltreffer, da gibt es nichts zu meckern. Wenn du morgens aufwachst und stets ein anderer Song von ein und demselben Album im Kopf umherschwirrt, dann haben die Protagonisten wohl ziemlich viel, wenn nicht alles richtig gemacht. Für mich jetzt schon eines der absoluten Highlights des Jahres.

Note: 10/10
[Frank Wilkens]



In Augenblicken wie diesen stellt sich dem Verfasser dieser Zeilen gerne mal die Sinnfrage. Gerade ob des Begriffs, der über unserer monatlichen tabellarischen Werkschau der Neuveröffentlichungen steht. Denn wie ich es auch drehe und wende, diesen Sound checke ich nicht. Eher ist es eine Art kulturellen Bodychecks wider den traditionellen stählernen Geschmack, denn auf diesem Album passiert exakt gar nichts, was ich auch nur im Entferntesten mit dem zusammenbringen würde, was ich unter Metal oder Rock verstehe. Das Klangbild ballert breitwandig laut und doch allzu gebügelt vor sich hin, die Gitarren klingen nach flächiger Schwere ohne jede Ecke und Kante, nichts brät knusprig und nichts schneidet messerscharf durch die Luft, es gibt kein Soundloch, nichts atmet, alles ist kalt, aber nicht kalt im guten Sinne, wie im norwegischen Winterwald, sondern kalt wie im Probenschrank eines Gentechniklabors. Steril. Leblos. Im Zusammenspiel mit den grausigen Elektroelementen wähne ich mich gar mitten im Gruselkabinett zwischen SANTIANO, ELECTRIC CALLBOY und ja, von mir aus, Kollege Fränky, auch FIVE FINGER DEATH PUNCH. Schlimm genug, dass mir diese Assoziationen einfallen, denn wie schön war es unter jenem Steine, wohin dieselben nicht dringen konnten. Wäre es das schon gewesen, dann hätten wir das Schlimmste bereits hinter uns gebracht, doch weit gefehlt: Die hypercleanen Vocals sind glattgezogen wie bei den härtesten Boygroups der Neunziger, und auch die coreig herausgewürgten Growls sind so individuell und hintergründig wie 'ne Flasche Pommes Frites im Bierzelt. Sollte kein Autotune im Spiel gewesen sein, dann hat der Knöpfchenmann jedenfalls ganze Arbeit dabei geleistet, es so klingen zu lassen, wie es die TikTok-Generation sich wünscht. Die zuckersüßen, übereingängigen und durchflutschenden Refrains setzen einem wunderhübschen Pop-Bömbchen schließlich die Krone auf, und während ich so zuschaue, wie die rosafarbigen Einhörner den Regenbogen hochhoppeln, erschrecke ich doch fast zu Tode, als plötzlich eines von ihnen von einem bösen Krokodil wegschnabuliert wird. Einfach so. Komisch. Ist aber so. Was soll ich sagen: Ob all der Unsäglichkeit, die mir hier begegnet ist, hat mir das Werk immerhin klar gemacht, dass ich öfters mal klassische, reduzierte, kitschfreie und erdige Musik hören sollte. Daher lief im Anschluss eine Best-of von WHAM!, vermutlich weil der Refrain eines besonders perfiden Zappelbudentracks mit "wake me up before..." beginnt und unweigerlich den Wunsch zum Vater des Gedankens werden lässt: "... you go-go!", aber pronto! Eine Wohltat für die Ohren. Also WHAM!, meine ich. Im Anschluss kommt dann "Transilvanian Hunger", und alles wird wieder gut.

Note: 3,0/10
[Rüdiger Stehle]

Palim Palim. Da haut Rüdiger mal drei Punkte aufs Tableau, während Kollege Fränky völlig ungeniert die Höchstnote aus der Tasche zieht. Wo sind wir denn hier gelandet? Da entwickelt sich "Five Angry Men" doch tatsächlich zu einem Referenzbeispiel, wenn es um eine gute Gruppentherapie geht. Die Wahrheit liegt wie so häufig wohl in der Mitte solcher Extreme. Zum einen ist FIVE FINGER DEATH PUNCH zwar kommerziell ziemlich erfolgreich, aber von einer der besten Bands der Neuzeit zu sprechen, legt die Messlatte so niedrig, dass DYMYTRY mit dem neusten Werk diese natürlich deutlich überspringt. Da muss man dann fast gezwungen notentechnisch ins oberste Regal greifen. Auf der anderen Seite sind drei Punkte in diesem Zusammenhang ein unerlaubter Tiefschlag. In meiner Welt bekommt so eine Note, wer handwerklich dilettantisch agiert, kein Gefühl für sein Zielpublikum hat und Songwriting erstmal googeln muss.

Das alles kann und darf man DYMYTRY nicht attestieren. Wenn man sich so positioniert, muss ich meine ganzen 6-7,5 Punkte für irgendwelche US-Metal-Scheiben, traditionellen Stahlgeschichten und wahrscheinlich 80% der ganzen Musikrichtung stark überdenken. Also Rüdiger, ich bin auch im Soundcheck – spiel nicht mit dem Feuer. Sicherlich ist "Five Angry Men" keine Scheibe für die Ewigkeit (noch nicht mal für die Jahrescharts), die man auch in 10 Jahren aus Liebe auf den Plattenteller legt, aber es ist eine anständige Party-Platte, welche mit diesen poppigen, ohne doppelten Boden komponierten Refrains in allen Songs einen zugkräftigen Anziehungspunkt bildet, der jeden Hörer (und insbesondere unser aller Nachwuchs) auch ohne Vorwissen mit ins Team Metal ziehen könnte. Das wäre doch schön. Somit ist "Five Angry Men" ein ordentlicher Soundtrack auf der musikalischen Reise von IMAGINE DRAGONS über FIVE FINGER DEATH PUNCH bis hin zu neuen PARKWAY DRIVE. Und vielleicht landen sogar ein paar Hörer am Ende bei DARKTHRONE.

Note: 7,5/10
[Stefan Rosenthal]

Tja, ich für meinen Teil bin ja raus, wenn jemand eine gute Metalband mit WHAM! vergleicht, aber das mag ja an mir liegen. Dass ich im Gegensatz zu Rüdiger auch glatten Klängen mit einigem gewollten Perfektionismus und vor allem modernem Klang durchaus viel abgewinnen kann und auch vor elektronischen Sounds und Samples nicht zurückschrecke, macht es mir aber viel einfacher, DYMYTRY zu mögen. Dabei stimme ich einigen meiner Vorredner zu, eine leichte Parallele zu FIVE FINGER DEATH PUNCH mag es geben, aber "Five Angry Man" wäre für die kommerziell erfolgreiche US-Band das Diskographie-Highlight (mal davon abgesehen, dass DYMYTRY mir auch live viel besser gefallen hat als 5FDP). Ich bin näher an Fränky, auch wenn ich nicht ganz so viele Punkte ziehen möchte, da ich dann doch ein paar nicht ganz so zwingende Passagen vor allem in den Strophen entdecken kann, wo auch ein bisschen abwechslungsreicheres Riffing noch ein paar Gummipunkte einheimsen könnte, aber dafür ist 'Enemy List' ein veritabler Hit modernen Metals, von Alan Magic mit kraftvoller Stimme in Szene gesetzt, 'Everything Is Black' und 'In Death We Trust' trumpfen mit ganz großen Refrains auf, 'Legends Never Die' vereint Gefühl und Kraft, eigentlich ist jedes Stück klasse, nur ausgerechnet mit dem Titellied habe ich so meine kleinen Schwierigkeiten. Aber das ist nun wahrlich kein Grund für Meckern. Im Gegenteil, ich bin bereits auf der Entdeckungsreise durch die Diskografie der Tschechen (aktuelles Highlight: 'Nemi Nam Souzeny'). Hier sind reife, erfahrene Musiker am Werk, die genau das machen, was sie machen wollen, und zwar seit zwanzig Jahren. Da gibt es auch jenseits der fünf Angepissten so viel zu entdecken!

Note: 8,5/10
[Frank Jaeger]

Ich glaube, ich bin hier der einzige, der FIVE FINGER DEATH PUNCH noch nie bewusst gehört hat. Aber ich habe dafür DYMYTRY schon einmal live gesehen. Vor LORDI Anfang 2023 (zum Konzertbericht). Das war eine ganz ordentliche Show mit Mucke für die eher jüngere Generation, live war der Gesang allerdings eher wackelig. Vielleicht musste man ja deshalb im Studio ein wenig nachhelfen, wie Kollege Stehle weiter oben mutmaßt. Ansonsten muss ich meinem geschätzten Kollegen wohl ein wenig Trost spenden, denn gefühlt nimmt die Anzahl der Bands, denen DYMYTRY ähnelt, immer mehr zu. Und ein Soundchecker muss das ja anhören, ob er will oder nicht.

Ich finde "Five Angry Men" allerdings weniger problematisch. Den Gentechnik-Vergleich finde ich aber gar nicht so schlecht, denn ich weiß aus erster Hand, wieviel Leben in so einem Probenschrank ist. Aus Altem entsteht Neues. DYMYTRY ist eine solche Mutation des guten alten Metal und ähnlich wie Stefan finde ich es nicht zu weit gegriffen, beides gut finden zu können. Zum Beispiel ist 'Legends Never Die' doch auch keine sieben Meilen entfernt von MANOWAR'schem 'Heart Of Steel'-Pathos. Ich finde mich dementsprechend in beiden Welten zurecht und somit positioniere ich mich hier zwischen den Fronten.

Allerdings gefällt mir in dieser Richtung MANNTRA und vor allem AVATAR besser und einiges auf "Five Angry Men" ist mir dann doch zu durchsichtig. Somit ist ein "fast gut" eine wie ich finde faire Beurteilung für ein ordentliches Album, das sich aber noch ein wenig eigenes Erbgut aneignen sollte.

Note: 6,5/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: Alen Ljubic

Redakteur:
Thomas Becker

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