Gruppentherapie: GHOST - "Skeletá"
07.06.2025 | 15:03Flauschiger Ohrenschmeichel oder kalkulierte Künstlichkeit?
Die nächste Gruppentherapie bringt uns zu GHOST. "Skeletá" kam schon vor ein paar Wochen raus, und wir hatten nun alle Zeit der Welt, um zu überprüfen, wie "wirkungsvoll, exzentrisch und eigenständig" – was unser Cheffe höchstpersönlich so anteasert – das neue GHOST-Album denn ist. Die Therapeuten widmen sich der Musik mit offenen Ohren und Whiskygläsern in ihren muskulösen Fäusten. Fragt sich nur, ob von ihr etwas im Gedächtnis bleibt.
Ich war bislang noch kein Gast auf dem Schiff GHOST. Natürlich habe auch ich den Hype um die Schweden wahrgenommen und ich durfte (musste?) sie einmal live erleben, als Vorband von SLAYER und METALLICA in Hamburg. Aber weder vom besagten Konzert noch von den paar Versuchen, die ich unternommen hatte, um die Band kennenzulernen und den Hype zu verstehen, ist wirklich etwas bei mir hängen geblieben.
So stellt "Skeletá" quasi meinen Erstkontakt mit der Truppe dar. Und wie zuvor auch, kann mich die Band auch hier nicht sofort überzeugen. Der Unterschied zu meinen vorherigen Versuchen ist jedoch, dass ich dieses Mal dabeibleibe und versuche, mir "Skeletá" schön zu hören. Und zwar ohne Alkohol. Aber auch das klappt tatsächlich irgendwie. Irgendwie schaffen es zumindest die ersten drei Songs 'Peacefield', 'Lachryma' und 'Satanized' schon mal, dass ich Spaß beim Hören habe und sogar die eine oder andere Passage auch später noch im Ohr habe.
Und auch am Rest finde ich nach und nach immer mehr Gefallen. Ich mutiere hier jetzt zwar nicht direkt zum GHOST-Fan, aber zumindest ist mein Interesse auf positive Art und Weise geweckt, so dass ich jetzt auch den Drang verspüre, mich doch nochmal genauer mit den vorherigen Werken zu beschäftigen. Und wenn dieser Punkt erreicht ist, hat eine Band eigentlich viel richtig gemacht. Die hier vergebene Note stellt natürlich eine Momentaufnahme dar, und ich kann nicht ausschließen, dass da in den kommenden Wochen und Monaten nicht vielleicht doch noch ein halber, einer oder mehr Punkte dazukommen.
Note: 7,5/10
[Mario Dahl]
Ich gebe ja zu: GHOST hat mich nie vom Barhocker gerissen, ich behielt mein Whiskyglas in der muskulösen Faust und blieb lässig auf der gewählten Position, einen neuen Interpreten geduldig abwartend. Zu geölt, zu sehr auf mittige Gefälligkeit getrimmt tönte das poppige Liedgut. Der Chorus von 'From The Pinnacle To The Pit' blieb hängen, das war's aber auch. Und so stellte ich an die neue Veröffentlichung "Skeletá" keine hohen Anforderungen und wurde auch nicht enttäuscht.
Das Eröffnungstrio klingt so, wie ich es von den älteren Alben her gewohnt bin; mit starken Selbstzitaten versetzte Tracks fließen an mir vorüber, Hochglanz, aber ohne zu packen. Die Stimme ist auch nicht meins, zu sehr an MEAT LOAF angelehnt, ja, steinigt mich, ich brauche das. 'Satanized' ist der beste Track, da funktioniert das Selbstplagiat bestens. Allerdings auch nur bedingt, wenn man vorher IMMORTAL mit 'Tragedies Blow At Horizon' gehört hat.
Danach folgt eine belanglose Schlagerschnulze mit Toni-Marschall-Flair – wohl bekomm's! Uns begleiten 'Frozen Tears' zu Chorussen, die nie das wattig Rosige von DEF LEPPARD erreichen, in dem man sich so geborgen fühlen kann, weil Rüschen flauschen, Nylons knistern und ein Nebel aus Tüll uns umhüllt. Eher setzt der Fluchtreflex ein und eine diabolische Idee gewinnt Konturen: Spielen nicht die wesentlich härteren FLIPPERS im Stadtpavillon?
Das freundlich komponierte 'Marks Of The Evil One' lässt nochmal kurz aufhorchen, mehr auch nicht. Die bleiern schwelgende Opulenz erstickt kurze progressive Ansätze. Fazit: Die Musik von GHOST krankt an ihrer sterilen, kalkulierten Künstlichkeit. Das Selbstgekupfer in Dauerschleife ist zu absehbar.
Note: 4,5/10
[Matthias Ehlert]
Meine erste Begegnung mit GHOST war ähnlich wie bei Mario ein Auftritt im Vorprogramm von IRON MAIDEN auf der "The Book Of Souls World Tour" im Jahr 2016. Damals fand ich die Show in Ordnung, aber auch nicht mehr. Richtig angefixt wurde ich dann erst durch "Prequelle", was auch dem fantastischen Artwork zu verdanken war.
Auch "Skeletá" beeindruckt wieder durch eine phänomenale Covergestaltung. Die Silberfolienoptik macht das Album zu einem Pflichtkauf für Vinylfans. Immer noch wird die Plattenhülle täglich in die Hand genommen und andächtig betrachtet. Die Musik hat mich auch wieder von Beginn an in den Bann gezogen. Die Eröffnung mit 'Peacefield' ist aber auch einfach traumhaft. Das sollte einer der Songs des Jahres werden.
Der Vorwurf des Kalkulierten, wie er von meinem Vorredner erhoben wird, ist bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar. Aber da die Musik von GHOST mich glücklich macht, ist mir das erst einmal schnuppe. Der noch deutlicher wahrnehmbare Pop-Appeal war ja auch durch die Entwicklung der Band in den letzten Jahren durchaus vorherzusehen. Eine Nummer mit einem simplen und dabei genialen Beat wie 'Satanized' kannte ich von GHOST aber bisher nicht. Auch die Anleihen am Pop der 80er gefallen mir extrem gut. Der Chorus in 'De Profundis Borealis' ist einfach perfekt.
Aber das Album will als Gesamtkunstwerk genossen werden. Ich liebe es, wenn ich den ganzen Tag über ständig andere Titel von "Skeletá" im Ohr habe. Die im gleichnamigen Song besungenen Missilia Amori haben mich wieder mitten ins Herz getroffen.
Note: 9,5/10
[Jens Wilkens]
Keine Frage, die letzten GHOST-Alben waren großes Kino! So viel besser kann man melodischen Hard Rock kaum machen. Außer man heißt NESTOR, aber das ist halt atmosphärisch schon ganz anders.
Mit "Skeletá" tue ich mich bisher allerdings schwer. Die Scheibe ist jetzt mehr als einen Monat draußen, lief etliche Male, gefiel mir auch jedes Mal beim Anhören. Ähnlich wie der Vorgänger ist auch "Skeletá" knieftief im Pop-Sound versumpft, was mich allerdings nicht stört. Die meisten Achtziger-Pop-Acts kann ich mir problemlos anhören. Das ist natürlich auch hier unproblematisch. Was mich aber stört: Sobald das Album aus ist, habe ich keinerlei Erinnerungen an die Songs. Das ist bei sehr avantgardistischen Sounds oder vertrackten Songsstrukturen vielleicht nichts Ungewöhnliches. Bei einer Band, die so dermaßen auf Hits schielt wie GHOST, ist es aber fatal.
Bei jedem Anhören ist das gefällig, es ist gut gemacht. Aber warum, warum kann ich mich zehn Minuten später an nichts mehr erinnern, während ich sofort etliche Hits der Vorgänger-Alben im Ohr habe, obwohl sie seit Jahren nicht liefen?
Note: 7,0/10
[Jonathan Walzer]
Kommt ja nicht so häufig vor, aber bei dieser Gruppentherapie bin ich anscheinend die Personalie, die eine Band bereits seit ihrem Debüt verfolgt und abfeiert. Butter bei die Fische – ich bin GHOST-Fan und zwar seit "Opus Eponymous". Zwar entwuchs die Band relativ zügig meiner Passion für nischigen Okkult Rock und mauserte sich zu einem lupenreinen Stadion-Act, jedoch konnte ich jeden Schritt von Tobias Forge plausibel nachvollziehen und qualitativ auch jederzeit bereitwillig mitgehen. Zu gut war immer das jeweilige Song-Material. Im Kern war und ist es mir nämlich schnuppe, welche Papa-Inkarnation grade am Ruder war und welches Storytelling die Rahmenbedingungen definiert. Das ist alles schön und auch ohne Zweifel ein Bonus für die Live-Situation – aber was im Kern zählt, ist die Leistung auf dem Tonträger, und da geht es auch weiterhin um die einzelnen Songs und welchen Mehrwert ein neues Album in der gesamten Diskografie bietet.
Das hat bis jetzt prima funktioniert, und da bildet auch "Skeletá" keine Ausnahme. Alles klingt zu 100% nach GHOST und nicht nach dem beschriebenen Selbstplagiat. Nicht mehr so heavy wie zu "Meliora" und "Impera", jedoch auch nicht so ruhig und poppig wie bei "Prequelle". Eher wie der Konsens dieser Pole und zusätzlich ergänzt mit einer AOR-Schlagseite, welche bisher zwar immer unterschwellig präsent war, aber sich nie so prominent in den Vordergrund rocken durfte. So weit, so dufte.
Da mich aber die beiden Vorab-Singles 'Lachryma' und 'Satanized' jedoch nicht wirklich überzeugen konnten und sich eher nach purer Standardware der Schweden (oder des Schweden) anhörten, war ich schon auf ein ziemlich durchschnittliches Werk eingestellt. Aber der Rest ist, dem Teufel sei Dank, stärker und in Summe funktionieren auch die beiden genannten Tracks besser. Ähnlich wie Jens bin auch bei 'Peacefield' direkt wieder komplett mit an Bord und hab eine verdammt großartige Zeit mit der Platte.
Aber auch Jhonny hat Recht. Die richtigen Stand-Alone-Hits oder die Leuchtturm-Tracks auf die man sich die ganze Spielzeit freut, gibt es diesmal bisher nicht (obwohl 'Umbra' und der Opener schon geil sind). Ich würde den neusten Output aktuell leicht hinter "Infestissumam" positionieren, da das 2013er Album mit 'Ghuleh / Zombie Queen', 'Year Zero' und 'Monstrance Clock' drei Killer mit am Start hatte, welche sofort herausstachen und den Test Of Time mittlerweile auch locker bestanden haben. Somit tut es mir in der Seele weh, und es ist bei einem so gutklassigen Album auch irgendwie paradox, aber bei aller Klasse von "Skeletá" ist es dann halt doch das schwächste Werk von GHOST. Weird – aber trotzdem noch die eindeutig schönere Art sich "ghosten" zu lassen.
Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]
Schwierige Kiste. Lange habe ich die Band komplett ignoriert. Der Hype hat mich nicht angesprochen, die Open-Air-Show vor METALLICA vor vielen Monden fand ich langweilig. Jetzt, zur aktuellen Konzertreise habe ich mich mal mit dem Schaffen und dem Phänomen GHOST intensiver beschäftigt und muss gestehen, zumindest die beiden letzten Platten "Prequelle" und vor allem "Impera" können was. Es ist jetzt zwar auch keine Liebe auf den zweiten Blick, aber immerhin muss ich anerkennen, dass Alleinunterhalter Tobias Forge durchaus nette, wenn auch immer wieder wohlbekannte Melodien hervorzaubert, die mich als bekennenden AOR- und Heavy-Rock-Fan irgendwie triggern.
Die neue Scheibe "Skeletá" setzt diesen Zyklus konsequent fort, wenn sich auch leichte Abnutzungserscheinungen eingeschlichen haben. Mit 'Lachryma', 'Satanized' und 'Excelsis' haben sie zumindest wieder Lieder kreiert, die auf keiner kommenden Best-Of-Scheibe und keinem Konzert mehr fehlen dürfen. Dazu kommt aber halt auch etliches Füllmaterial, das mich durchaus langweilt und nicht unbedingt abholt. Die Schweden haben eh das Problem, dass der Grat zwischen prägnanter Hook und netter Radiomelodieführung sehr schmal ist. Da die Musik kaum eigene Akzente setzen kann, liegt die gesamte Last auf des Papas Schultern, der diese nicht immer alleine tragen kann. Daher höre ich für mich auf dem neuen Werk einen Rückschritt, zumindest aber einen Stillstand. Und noch immer habe ich Schwierigkeiten, das Image und die Musik in Einklang zu bekommen, was mich irritiert, verwirrt und durchaus unbefriedigt zurücklässt. Kein schönes Gefühl, wenn es objektiv gefallen müsste, es subjektiv aber aus nicht erklärbaren Gründen einfach nicht tut.
Note: 7,0/10
[Chris Staubach]
Jetzt nutze ich die Chance, endlich mal ein GHOST-Album unter die Lupe zu nehmen. Ich kenne zwei, drei Lieder, die Lust auf ein Mehr gemacht haben, zu dem es bislang nie gereicht hat. Und was ich hier höre, vergnügt mich durchaus. Ich muss bisweilen an THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA denken, allerdings ist GHOST da der dunkle Bruder. Eine fluffige Eingängigkeit gibt es aber bei beiden, und ich kann mir jetzt auch nicht erklären, warum Jhonny sich hier nix merken kann. Auch Herr Ehlerts Text passt in meinem Ohr nicht zur Musik, außer dass diese in der Tat ziemlich weichgezeichnet ist. Aber ich finde das hier flauschiger als DEF LEPPARD, eine Band, die mich im Plüschbereich nie begeistern konnte.
Und sonst so? Nun, auch Chris' Anmerkung, dass jetzt nicht jeder Song der Knaller sei, stimmt. Man hätte mit drei, vier Songs weniger eine stringentere Platte vorlegen können, die es hier in eine Dauerschleife hätte schaffen können. So bin ich doch noch ein wenig gehemmt. Vielleicht ja doch mal live checken, vielleicht aber auch auf Stefan hören und eine der älteren Scheiben anchecken, denn die sollen ja allesamt besser sein. Die vorliegende ist aber auf jeden Fall schon mal gut!
Note: 7,5/10
[Thomas Becker]
Fotocredits: Daniel Tretter (vom Konzert in Neu-Ulm am 20.06.2023)
- Redakteur:
- Thomas Becker