Gruppentherapie: GRENDEL'S SŸSTER - "Katabasis Into The Abaton"

07.09.2024 | 11:06

Zupfgeigenhansel und der Ansturm der Nacktschnecken.

Frauenpower im August-Soundcheck! Erst BLUES PILLS auf Eins (zur Gruppentherapie), aber die Frau Larsson kennt ja mittlerweile jeder. Doch wer ist die Frontdame von GRENDEL'S SŸSTER? Vielleicht verrät das ja Jens Wilkens in seinem Hauptreview zu dieser seltsam betitelten Scheibe? Eventuell kommt auch etwas Licht ins Dunkel, wenn ihr unser Interview lest. Falls nicht, lade ich euch ein in die verkauzte Welt der schwurbeligen Waldschrate, Zupfgeigenhansel (und seiner Schwester Caro), Kräutergärten und Hochbeete. Doch passt auf, man könnte mit Knochen bewaffneten Kampfeichhörnchen begegnen oder - viel schlimmer noch - eine Nacktschneckenattacke abwehren müssen. Und nein, wir haben keine Pilze geraucht...  zumindest unser Holg nicht, der mit klarem Blick erkannt hat, dass das Artwork eine wunderbare Hommage an den Klassiker "Frost And Fire" ist.

Da ich mir beim ersten Hördurchgang lediglich die erste Hälfte des Materials zu Gemüte führen konnte, war ich zu jenem Zeitpunkt noch felsenfest davon überzeugt, eines der absoluten Top-Alben dieses Soundchecks gehört zu haben. Diese positive Energie versprühende, eigenbrötlerische Melange aus leichtfüßigem Vortrag, eleganter Stilwechsel von Hardrock, Metal, Doom und Folk in mannigfaltiger Machart (zum Teil auch innerhalb einzelner Tracks, und das ohne jeglichen Qualitätsabfall oder auch nur den Faden zu verlieren – Respekt!) und den zwar fordernden, zumeist aber durchaus überzeugenden Gesangspassagen, hat es mir definitiv angetan (8,0/10).

Mit der zweiten Hälfte der Scheibe dagegen kann ich leider nicht wirklich viel anfangen. Das liegt daran, dass ich, als ohnehin nicht unbedingt zu den ausgewiesenen Liebhabern deutschsprachiger Lyrics zählender Zeitgenosse, gedacht habe, ich höre jetzt plötzlich eine andere Scheibe. Natürlich wird die Musik subjektiv betrachtet dadurch nicht schlechter, der Fokus lag beim Hören bei mir dann aber doch auf den Texten, und die verortete ich objektiv irgendwo zwischen kitschig, abgehoben und mitunter sogar schwurblerisch (5,0/10).

Man nehme es mir bitte nicht übel, aber mit Ausnahme früher NOVALIS und ähnlicher Lyriker von jenem Format, fühle ich mich beim Hören von Kompositionen wie 'Güldenes Schlüsselein' leider eher an dubiose Jahrmarktveranstaltungen erinnert; und auch davon werde ich in diesem Leben kein Fan mehr.

Note: 6,5/10
[Walter Scheurer]

 

Jetzt verstehe ich Walter nicht so wirklich. Weil die Band als Bonus noch eine weitere Variation/Sichtweise auf das eigentliche Album mitveröffentlicht, wird sie notentechnisch so abgestraft? Dabei sind die Texte doch auch in der von ihm höher bewerteten Version genauso "schwurblerisch" - nur halt in Englisch umgesetzt. Das verstehe ich nicht und macht mich irgendwie sprachlos. Aber das war ich nach dem ersten Hören von "Katabasis Into The Abaton" ebenfalls. Aber auf positive Weise!

Was für eine Reise kopfüber durch den Kräutergarten! Und der ist so perfekt angelegt. Ich habe hier schon häufiger aufgezeigt, welche Musik ich wirklich gerne mag, abfeiere oder wem ich künstlerisch einiges abgewinnen kann. Aber ich habe noch nicht so häufig über die Musik gesprochen, welche ich wirklich liebe. Ein Bereich ist der Folk Rock. Nicht nur der tanzbare, irische oder der schottische, epische Vertreter, sondern auch der alt-englische, kauzige Vortrag solcher Künstler wie FAIRPORT CONVENTION, JUNE TABOR und STEELEYE SPAN. Am liebsten dann auch mit der Beimischung von progressiven Klängen, so wie es GENTLE GIANT (besonders durch die Barock- und Renaissanceklänge nah an GRENDEL'S SŸSTER dran), GRYPHON oder, um einen neueren Vertreter zu nennen, TUSMØRKE tun. Über allem thront aber meine Lieblingsband in ihrer absoluten Prime-Phase, nämlich JETHRO TULL in den Endsiebzigern. Also nur das feinste Zeug.

All die Samen dieser Bands haben die Stuttgarter nun wild durchgemixt und im Hochbeet eingesetzt. Um dem Ansturm der Nacktschnecken Herr zu werden, wurde zusätzlich noch flächendeckend Schneckenkorn der Marke MANILLA ROAD oder CIRITH UNGOL hinzugefügt. Fans von Epic Metal finden vielleicht sogar noch passendere Assoziationen, aber ich denke die Richtung müsste passen. Zum Abschluss dann noch eine kontinuierliche Befeuchtung des ganzen Anbaus mit einer unwiderstehlichen Krautrock-Attitüde und fertig ist ein Zauberwald im Hochbeet – ein unwiderstehlicher musikalischer Mikrokosmos. Das Rock/Metal-Äquivalent von ZUPFGEIGENHANSEL könnte man meinen und greift trotzdem zu kurz. Man muss es einfach erleben!

Um diesen Naturgarten zu erkunden, braucht man aber viel Zeit und Hilfe, um sich nicht in jeder Schlingpflanze zu verfangen. In der Regel sorgt dafür der Gesang. Doch den Gesangslinien von Caro zu folgen, ist eine besondere Aufgabe, da man das Gefühl bekommen könnte, dass sie selbst nicht so genau weiß, wo sie eigentlich hin will. Somit springen auch diese wild umher und fordern die Hörer doppelt und dreifach. Verstörend, aber ungemein spannend. Und dann erst die Texte. Getreu dem Motto: "Wir laufen durch den Birkenwald, weil die Pilze wirken bald" möchte man sich einfach nackt auf Moos betten und dieser wirren Naturmystik mit einem Hauch TERRY PRATCHETT lauschen. Das ist 100%-ig irritierend, aber auch 100%-ig erfrischend anders und 100%-ig geil. Alles wirkt auf charmante Art antiquiert, verschroben, spleenig, kauzig und passt somit auch perfekt zu jemandem, der im Harz aufgewachsen ist.

Da selbst das Artwork mit Krieger-Eichhörnchen ein absoluter Genuss ist und wir hier immerhin über ein gottverdammtes Debüt reden, vergebe ich ohne schlechtes Gewissen die absolute Höchstnote. Ich höre jetzt das Album noch eine komplette Runde und gucke dann, was die Rainbow Family so in der Nachbarschaft treibt. Ich habe gehört, dass dort das güldene Schlüsselein nicht mehr klemmen soll.

Note: 10,0/10
[Stefan Rosenthal]

Nachdem es länger still um die Schwaben war, kehren sie fünf Jahre nach ihrem EP-Doppelschlag mit ihrem ersten Full-Length-Album zurück und diese Mischung aus Epic Metal und Folk ist wirklich etwas Besonderes. Man muss sich auf die Gegebenheiten einlassen: Man hat das Gefühl als sei man mitten im Wald und sieht eine Lichtung. ATLANTEAN KODEX für Waldmenschen quasi, haha. Es geht sehr melodisch und ausschweifend zur Sache, ohne dass die Songs zu sehr in die Länge gezogen werden; denn wenn man den deutschsprachigen Teil abzieht, hat man eine kompakte Scheibe von knapp 40 Minuten. Dazu ein sehr bedeutungsschwangeres, faszinierendes Artwork und einen Sound, der zwischen Proto-Heavy-Rock und melodischer Moderne schön hin- und herpendelt.

Und so gibt es von 'The Plight Of A Sorcerer' 'Golden Key (Won't Fit)' und 'In Praise Of Mugwort' hübsche Melodien und ein ganzes Bündel an esoterisch angehauchten, schwer melodischen, aber zeitgleich auch luftig leichten Waldhymnen, die mein Herz erfreuen und frischen Wind in diesen Monat bringen. Es fehlt nur noch das Zwitschern eines Vogels wie auf den beiden "Nordland"-Alben von BATHORY, die mich in Sachen Stimmung zeitweise an den Abstieg in die Traumkammer erinnert haben. Insofern wurde der Albumtitel sehr sinnvoll verwendet und ich habe einen neuen Soundtrack für abendliche Spaziergänge durch unser Naherholungsgebiet.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

 

Ich dachte bei der Anmeldung zur Gruppentherapie, dass ich einem der Vorredner ins Gewissen reden müsste. Das hat aber Stefan schon ganz wunderbar getan, sodass ich mich lieber an seine Jubelarie anschließe. Bis zu unserem Soundcheck war mir GRENDEL'S SŸSTER kein Begriff und der erste Durchlauf ließ mich erst einmal staunend zurück. Als dann iTunes nach acht Songs nicht etwa das nächste Album abspielt, sondern die deutschsprachige Version läuft, hat die Band endgültig mein Interesse geweckt.

Obwohl ich von Stefans erwähnten Referenzen zwar JETHRO TULL, GENTLE GIANT und TUSMØRKE gut kenne, sind das auch schon meine Grenzen dieses Klangkosmos. Von den Einflüssen, die die Band selbst in Interviews beziffert, mal ganz abgesehen. Und trotzdem, oder gerade deswegen läuft "Katabasis Into The Abaton" seit Bemusterung fast täglich. Meistens in der deutschsprachigen Fassung, die mir sogar noch ein Stück besser gefällt als die englischsprachige. Außer einer unbedingten Antest-Empfehlung habe ich nur noch ein Problem: Ich habe bei Abgabe der Soundcheck-Noten mindestens einen halben Punkt zu wenig gegeben. Das kann ich jetzt gutmachen. Und wenn das Jahr nicht noch völlig aus dem Ruder läuft, landet diese folkige Proto-Kauz-Metal-Erzählung recht weit oben in meiner Jahresliste.

Note: 9,0/10
[Nils Macher]

 

GRENDEL'S SŸSTER war schon ohne Plattenvertrag eine sehr eigenständige Band. Jetzt kommt "Katabasis Into The Abaton". Diesen Titel werde ich mir erstmal nicht merken. Aber spielen die Leute wirklich "ATLANTEAN KODEX für Waldmenschen"? Das behauptet ja unser Chef. Und er hat damit sicher nicht ganz Unrecht. Gleichzeitig ist der von Nils gut erkannte Siebziger-Einschlag aber hörbar, und diese Kombination gefällt mir auch auf Albumlänge gut. Stefan Rosenthal zählt enorm viele Künstler auf. Aber am Schluss ist diese Truppe doch einfach wahnsinnig eigenständig. So etwas wie GRENDEL'S SŸSTER habe ich noch nie gehört! Das ist einfach Fakt.

Ob es mich völlig fasziniert oder ob ich das Scheibchen nur relativ gut finde, das wird nur die Zeit zeigen. Daher preise ich noch nicht die hohe Platzierung in meinen Jahrescharts an. Bei den Artworks wird man natürlich weit vorne liegen. Da ich die deutschen Texte nicht brauche (mal im Ernst, wann haben deutsche Texte schon etwas aufgewertet? Aber das ist mein subjektiver Geschmack), lasse ich sie für die Wertung unter den Tisch fallen. Das ist erstmal nicht so mein Ding, aber das ist halt sehr individuell gedacht. Die Stimme von Sängerin Caro geht immer, sie hat wunderbare Linien, die sie singen darf. Für mich ein ganz faszinierendes Album! Ich weiß nur noch nicht, ob ich es großartig finde.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

Ich beginne mal mit der Hin-und Hergerissenheit, die meine Kollegen Scheuer und Walzer plagt. Ich war mir anfangs auch nicht sicher, ob ich diese Mucke gut oder schlimm finde. Doch wie Herr Rosenthal schon erwähnte, ist das Album tatsächlich eine Schlingpflanze. Erst verfängt man sich, dann saugt sie einen ein. Jetzt ertappe ich mich dabei, dass ich das Album immer und immer wieder hören will. Die verschrobene Schönheit hat mich erst verschreckt, jetzt kann ich mich kaum satt sehen. Das liegt nicht zuletzt an der deutschen Bonus-Version. Mir bricht es das Herz zu lesen, dass einige so auf Kriegsfuß mit unserer schönen Sprache sind. Gerade bei Folk ist es doch etwas besonders Schönes, wenn die Musik in der Sprache ihrer Erschaffer vorgetragen wird. Wie wär's das nächste Mal mit Schwäbisch?

Note: 8,5/10
[Thomas Becker]


Fotocredits: Tilman Weigele

Redakteur:
Thomas Becker
1 Mitglied mag diesen Artikel.

Login

Neu registrieren