Gruppentherapie: KANONENFIEBER - "Die Urkatastrophe"

10.10.2024 | 14:28

Gnadenlos durchgetakteter Masterplan oder taktlose Marketingkatastrophe?

Und nun ran an die erste größere Kontroverse aus dem September-Soundcheck. "Hype" schreit man in der Metalszene sehr schnell, vor allem wenn eine Band überall überdurchschnittlich gute Bewertungen bekommt, wenn auf einmal alle über eine Band reden oder wenn eine Band weit oben in den Albencharts landet. Letzteres ist bei KANONENFIEBER geschehen. Und das obwohl - oder vielleicht sogar weil - sich die Band lyrisch und vor allem auch optisch Themen aus dem ersten Weltkrieg widmet. Kollege Nils Macher hat sich in seiner Hauptrezension zu "Die Urkatastrophe" und vor allem in einem Interview mit Frontmann "Noise" näher mit der Band beschäftigt. Ihre Kriegsästhetik - gepaart mit eher harschen Metalklängen -  kommt aber nicht bei allen Soundcheckern an und so landet "Die Urkatastrophe" im hinteren Drittel (Platz 17). Die Therapeuten klären auf, was es mit dem angeblichen Hype auf sich hat, was das Besondere an KANONENFIEBER ist, oder ob man lieber die Finger davon lassen sollte. 

Um die im Black Metal verhaftete Band KANONENFIEBER wird derzeit ein ziemlicher Hype veranstaltet. Der erste Weltkrieg scheint sie sehr zu interessieren, die giftig vorgetragenen Texte des neuen Albums "Die Urkatastrophe" entführen in die Zeiten von Verdun, Bajonettkämpfen, auch die Ritter der Luft dürfen nicht fehlen. Von Anfang an wird gerasselt, dass sich die Balken biegen.

Der stark militaristische Unterton ist ziemlich Geschmacksache - meinen trifft es nicht, sage ich ehrlich. Der keifende Gesang der Tracks ist mir zu eindimensional. Es geht hymnisch und bisweilen episch in Richtung des gegnerischen Grabens. Manchmal sind auch Panzer im Wege, gekämpft wird immer, für Kaiser, Volk und Vaterland. Das Thema ist nicht neu, die Herangehensweise auch nicht. Mir fehlt ein wenig das kreative Element, der spannende Aufbau der Tracks. Die Band lässt unablässig heroische Melodien von Größe, Erhabenheit und Glorie erklingen, scheppernden Schlachtenlärm. Manchmal setzt sie auch auf eine Art rhythmischen Sprechgesang. Ich glaube, es ist Teil des Konzeptes, dass das Liedgut recht ähnlich klingen soll: militärische Märsche in schnell, sozusagen.

Anderen wird das mehr zusagen, ich aber bevorzuge Atmosphäre und weniger Drill. Im Grunde erinnert mich das außer der führenden Stimme weniger an Black Metal, sondern an kämpferische Deutschrockkombos oder verwandte Metalvarianten. Das Album ist klar und druckvoll produziert und wird Anhängern von oben genannten Themen und Metal mit schwarzer Schlagseite zusagen.

Note: 6,0/10
[Matthias Ehlert]

Als ich neulich einen Aufkleber mit der Aufschrift "Nett hier aber waren Sie schonmal bei Kanonenfieber" sah, musste ich einerseits ein wenig schmunzeln, weil dies ein wirklich kreativer Marketingstreich ist, und andererseits reflektieren, wie sehr KANONENFIEBER mittlerweile aus der breiten Masse vorsticht. Das neue Album "Die Urkatastrophe" passt da genau in dieses Schema. Black Metal wird hier massentauglich gemacht ohne auf essenzielle Eckpfeiler des Genres zu verzichten. Etwas eingängiger als der Vorgänger "Menschenmühle" präsentieren sich Geschichten aus dem ersten Weltkrieg aus interessanten Perspektiven. Egal ob unter der Erde oder hoch in der Luft, es werden viele Themengebiete um das Kriegsgeschehen aufgegriffen und von "Noise" keifend ins Mikrofon gebrüllt.

Instrumental ist es mir ein bisschen zu flach gehalten und könnte durchaus etwas mehr Tiefgang vertragen. Hier merkt man, dass etliche Ecken und Kanten abgeschliffen wurden um möglichst viele Metalfans abzuholen. Stampfende Riffs in Abwechslung mit Melodic-Black-Metal-Parts sind ein bewährtes Konzept, das in meinen Ohren allerdings recht schnell nach Abwechslung schreit.

Als Album funktioniert für mich "Die Urkatastrophe" trotzdem super, weil die Defizite auf der instrumentalen Seite ohne Schwierigkeiten durch gut recherchierte Textpassagen aufgehoben werden. Klar, das Thema ist nicht neu und kommt auch immer wieder mal aus dem Schützengraben ans Tageslicht, aber KANONENFIEBER erschafft eine interessante Mischung aus eingängigen Texten mit melodischen Metal-Elementen, die so doch recht frisch und spannend klingt.

Refrains wie bei 'Der Maulwurf' funktionieren einfach und schaffen einen Wiedererkennungswert. Allein die Tatsache das neue Album im gewählten Kontext des ersten Weltkrieges "Die Urkatastrophe" zu nennen, finde ich beeindruckend, weil schon dies zum Nachdenken anregt, und dies ganz abseits der Musik. Ich kann den aktuellen Hype um KANONENFIEBER also durchaus nachvollziehen, da die Musik nicht nur auf Platte funktioniert, sondern auch live mitzureißen vermag. In Dauerschleife wird "Die Urkatastrophe" bei mir zwar nicht landen, macht mir aber derweil doch viel Spaß.

Note: 8,0/10
[Norman Wernicke]

Ganz im Gegensatz zum Kollegen Wernicke kann ich den aktuellen Hype um KANONENFIEBER überhaupt nicht verstehen, sondern bin mir sicher, dass selbiger primär durch das Auftreten in Weltkriegsuniformen und das sonstige Marketing der Band befeuert wird. Musikalisch jedenfalls ist "Die Urkatastrophe" in meinen Ohren nichts Besonderes, sondern bietet schlicht und ergreifend melodischen Black Metal, der durchaus auf der eingängigeren Seite des musikalischen Spektrums über die Linie geht. Dabei gibt's durchaus ein paar spannende Melodien und Riffs zu hören, doch insgesamt finde ich hier keine Merkmale, die KANONENFIEBER dramatisch über die Pfeiler des doch recht dicht besiedelten Black-Metal-Sektors hieven könnten.

Bleibt also die in deutschen Texten erfolgende Auseinandersetzung mit dem ersten Weltkrieg als Alleinstellungsmerkmal, dessen Nutzung bei mir aber irgendwie im Gesamtpaket nach hinten losgeht. Ja, die Texte sind gut recherchiert und auch die dunklen Seiten dieses grausamen Ereignisses der Weltgeschichte werden herausgestellt. Wenn eine solche Katastrophe aber in dieser Form zu Marketingzwecken ausgeschlachtet wird und dann auch noch die Band in Uniform präsentiert, dreht sich mir der Magen um.

Klar, wie Norman schon anmerkte, ist das Thema Krieg im Metal sicher nichts Neues und kommt ständig wieder auf, dennoch empfinde ich es persönlich als geschmacklos, sich in Pickelhaube und deutscher Uniform auf die Bühne zu stellen, denn unsere Rolle in diesem Krieg ist mit Sicherheit kein Anlass dazu, selbige in dieser Form zu "zelebrieren". Gänzlich übersehen kann ich diesen subjektiven Umstand bei der Wertung nicht, aber selbst wenn ich dieses schlechte Gefühl in der Magengegend ausblenden würde, wäre mir das musikalische Material auf "Die Urkatastrophe" maximal sieben Zähler wert.

Note: 6,0/10
[Tobias Dahs]

 

Ich habe auf dem letztjährigen Dong Open Air eine mir bis dato vollkommen unbekannte Band namens KANONENFIEBER gesehen. Mir hat der Auftritt sehr gut gefallen, weil Stilrichtung und eine aufkommende, dichte Wolkendecke eine passende Atmosphäre kreierten. Ja, ich kann unseren lieben Tobi da sehr gut verstehen, dass der Band auf Platte das Besondere fehlt. Natürlich ist das wirklich gut gemachter, melodischer Black Metal mit einem Schuss Death- und winzigen Thrash-Metal-Elementen.

Auch ich war enttäuscht, als "Die Urkatastrophe" ihre ersten Runden drehte, doch muss man den Bambergern zugute halten, dass a) die Schrecken und das Unheil des ersten Weltkriegs recht authentisch und schonungslos präsentiert werden, b) das Album mit einem durchaus fetten Sound versehen wurde und c) KANONENFIEBER das Prozedere gut in Szene zu setzen weiß.

Natürlich war das Überraschungsmoment auf der Seite des Debüts, doch weiß auch "Die Urkatastrophe" vor allem ob 'Waffenbrüder', 'Menschenmühle' und 'Panzerhenker' zu gefallen. Sieben in Ordnung gehende Punkte müsste ich tatsächlich um einen halben Punkt nach oben revidieren, da das Album auch die Fähigkeit des Wachstums hat. Und wer weiß, in welchen Regionen es in einer Woche, in einem Monat, in einem Jahr umherwütet.

Note: 7,0-7,5/10
[Marcel Rapp]

Ich muss gestehen, dass mich das ganze Konzept schon irgendwie gereizt hat. Nicht, weil ich in irgendeiner Weise die zugrundeliegende Thematik verherrlichen möchte, ganz im Gegenteil. Die Aufarbeitung der deutschen Geschichte rund um die Weltkriege ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen. Es geht vielmehr um die musikalische Umsetzung. Das kann man im (nicht unumstrittenen) SABATON-Stil darbieten oder das Ganze in eine Extrem-Metal-Kiste packen wie hier geschehen.

Im Grunde ist das, was KANONENFIEBER hier anbietet, also nicht wirklich neu. Mit MARDUK und auch ENDSTILLE liegen diverse Referenzen vor. Im Gegensatz zu diesen Bands finde ich persönlich momentan kaum Anreize, KANONENFIEBER in der nächsten Zeit Aufmerksamkeit zu schenken. Das liegt nicht nur am fürchterlichen Artwork, aber auch. Die Songs zünden so gut wie überhaupt nicht, von einigen Ausnahmen mal abgesehen. Der Gesang scheint mir in seiner Intonation hier stark an EISREGEN angelehnt und wirkt über die Distanz etwas eintönig. In der Summe geht mir das (durchaus vorhandene) individuelle Potential etwas verloren und das Album rattert in Maschinengewehr-Mentalität durch, ohne wirklich akustische Geländegewinne zu erzielen.

Um es kurz zu machen: KANONENFIEBER ist per se kein schlechtes Projekt, gewiss nicht. Es bedarf aktuell jedoch einer ordentlichen Steigerung, auch und gerade bei den Songs an sich, will man sich bei mir den einen oder anderen Orden verdienen. Momentan sehe ich es wie Kollege Tobias und würde mir wünschen, dass die Aufarbeitung der letzten Kriege nicht unbedingt mit ungewolltem Pathos, Uniformen und anderem Schnickschnack einhergehen möge. Genau das hat dem Album mindestens einen Punkt gekostet.

Note: 5,0/10
[Frank Wilkens]

 

Also ich finde "Die Urkatastrophe" unspannend. Was soll das sein, MARDUK light? Und Black-Metal-Feeling kommt bei mir auch nicht auf. Ich wurde ja von Kollege Stehle in diesen Stil eingeführt und bei vielen Bands und Musikern, die er mir ans Herz gelegt hat, hatte ich das Gefühl, wirklich in ein schwarzes Herz, eine dunkle Seele zu schauen. Einen solchen Charakter finde ich bei KANONENFIEBER nicht. Mir scheint es eher so, als würde man hier ein bewährtes Rezept anrühren, das vielen schmeckt (mir allerdings nicht, musikalisch ist das gar nicht meins) und dann so geschickt verpacken, dass man von sich reden macht. Ich wünsche euch dennoch viel Spaß dabei.

Note: 5,0/10
[Thomas Becker]

 

Der Hype um KANONENFIEBER war für mich nicht abzusehen, als ich "Menschenmühle" zum ersten Mal hörte. Doch es ging im Eiltempo zu einem Major Label (für Szeneverhältnisse) und sehr weit nach oben auf den Billings der Festivals. Auf kleinen Konzerten kommt man mit Mainstream-Metallern plötzlich über die Bamberger Vermummten ins Gespräch. Für den gebürtigen Bamberger Rezensenten erstmal eine schöne Entwicklung!

Aber ist KANONENFIEBER so besonders, wie man gerade den Eindruck gewinnen kann? Der Mix aus Death und Black Metal, mit Einschüben aus Thrash, Doom und etwas Gothic, der ist in jedem Fall schon eigenständig - aber, wenn man ehrlich ist, auch nicht weltbewegend. Die Band lebt ganz stark vom Drumherum, von der Optik, der Weltkriegsthematik, dem Merch, den Fans. Da wird gekonnt eine Art Kult aufgebaut. Das ist ok, andere machen das auch.

Mich nimmt es bisher trotz alledem mit, da ich die Songs mag. Live habe ich die Truppe noch nie gesehen, aber auf dem Album (wie auf dem Vorgänger und den drei EPs) überzeugt mich das Material. 'Lviv zu Lemberg', 'Der Maulwurf' oder 'Gott mit der Kavalerie' sind Ohrwürmer. Vor allem packen mich immer noch die (etwas rareren) Black-Metal-Momente. Die hymnisch-deutschen Elemente gewinnen mich nur phasenweise. Der Überraschungseffekt des starken Debüts, das damals sogar in meine Jahres-Top-20 kletterte, ist weg. Gute Musik gibt es immer noch. Und den Hype muss ich nicht verstehen.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

Sprechen wir hier wirklich noch von einem Hype? Platz drei in den deutschen Albumcharts für eine solche Art von Musik ist doch schon mehr als pure Euphorie und trotzdem nur eine Zwischenstation. Hier geht grade ein gnadenlos durchgetakteter Masterplan der Extraklasse auf, und wir dürfen es miterleben und werden es auch kaum aufhalten können.

KANONENFIEBER ist wie RAMMSTEIN. Eine Band, die weit mehr ist als einzelne Songs. Während die Berliner mit ihrer Pyro-Show und wahnwitzigen Videos zu einer der größten Band des Planeten wurden, hat auch KANONENFIEBER viele individuelle Stärken, welche sehr offensiv zur Schau gestellt werden. Klar haben das schon so viele Bands auch auf qualitativ ähnlichem oder gar noch stärkerem Niveau umgesetzt, aber eben nicht genau in dieser Konsequenz und Zielstrebigkeit.

'Der Maulwurf' klingt wie die perfekte Mischung aus EISREGEN und MACBETH und gibt dem Publikum die Möglichkeit ihre bei WINDROSE einstudierte Choreo weiter zu perfektionieren. Ich freue mich jetzt schon auf die donnernden "Spatenstich"-Chöre auf den nächsten Sommerfestivals. Das ist natürlich in jeder Faser Kalkül, aber mich beeindruckt diese Herangehensweise und Zielstrebigkeit kommerziellen Erfolg zu erreichen ungemein. Wie Jhonny es schon gesagt hat, ist eben auch die musikalische Basis ohne Fehl und Tadel und serviert tolle Melodien und krachende Abrissmomente im Überfluss. Auch textlich ist das sehr schön ausgearbeitet, auch wenn an dem lyrischen Ich sich wieder einige Hörer stoßen werden.

Im Gegensatz zu Franky finde ich übrigens auch das Artwork großartig. Diese Art der Zeichnung passt nicht nur hervorragend zu der zeitlichen Einordnung, sondern ist bereits jetzt extrem ikonisch und kann, wie bei POWERWOLF, nahezu unendlich erweitert werden. Hinzu kommt mit der orangenen Signalfarbe ein cleverer Schachzug, der die Identifikation der Fans auf Festivals zukünftig blitzschnell gewährleistet. Chapeau!

Sicherlich kann ich nachvollziehen, wenn jemand diese Attitüde und den Live-Aspekt der Band befremdlich findet, aber im Endeffekt wird hier nur visuell aufgearbeitet, was unzählige Bands (BOLT THROWER, 1914, GOD DETHRONED um nur noch mal ein paar andere Beispiele zu nennen) bereits seit Jahren musikalisch servieren. Jetzt aber eben verständlicher und in unserer Muttersprache kommerziell zugänglicher aufgearbeitet. Ganz großes (Weltkriegs-)Kino.

Wenn mich tatsächlich diese Tage etwas aufregt, dann dass sich KANONENFIEBER in den Charts NIGHTWISH und den AMIGOS geschlagen geben musste. Gegen ein (meiner Meinung nach) großartiges NIGHTWISH-Album kann man den Kürzeren ziehen, aber dass man den beiden grenzdebilen Schlager-Clowns den Vortritt lassen muss, tut schon weh. Wenn ich bei einem Song wie 'Und dann war sie verschwunden' deren Aufarbeitung von Kinder-Suizid hören muss, dann bin ich nicht nur sprach- und fassungslos, sondern muss gestehen, dass die Schere zwischen Text und Musik nicht weiter auseinander driften könnte. Abartig! Da kann Noise mit seinen Jungs hundert Mal in Uniform und Pickelhaube über den 'Panzerhenker', die 'Ausblutungsschlacht' und die 'Waffenbrüder' schwadronieren, das ist in Summe deutlich respektvoller und sensibler aufgearbeitet als dieser Albtraum für die Ohren.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

Fotocredits: Tiffany Anne

Redakteur:
Thomas Becker
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