Gruppentherapie: KATATONIA - "Sky Void Of Stars"
23.01.2023 | 13:26Ein neues Jahr, eine neue Gruppentherapie. Nicht nur unser beliebter Soundcheck, sondern auch die nicht minder spannenden Gruppentherapien sind wieder am Start. Den Anfang machen die Meister der Melancholie KATATONIA, die mit "Sky Void Of Stars" ein ungemein intensives und schlichtweg tolles Album abgeliefert haben. Somit geht die Goldmedaille an Lord Seth und Co. Verdientermaßen? Wir diskutierten...
Lest dabei auch gerne die Rezension und das Interview von unserem Nils!
Die Meister der Melancholie sind zurück. Und welcher Veröffentlichungszeitpunkt könnte für ein KATATONIA-Album besser ausgewählt worden sein als der Januar? Die Feiertage sind vorbei, es ist nass und kalt, Sonnenstrahlen sind in weiter Ferne. Und somit entfaltet auch die "Sky Void Of Stars"-Platte ihre ganz eigene Wirkung. Angeführt von einem wunderbar zeitlosen, dichten Sound, einer wie eh und je nachdenklichen Aura und einer sehr detailverliebten, hauchzart progressiven Spielweise, ist es neben der etwas härteren Gangart als zuletzt vor allem die Ohrwurmdichte, die beeindruckt. Hier drücken sich die Hits gegenseitig die Klinke in die Hand, die Melodien entfalten sich in vollster Pracht und schönste Harmonien sind in Hülle und Fülle vorhanden. Auch wenn 'Colossal Shade' ob des schweren Grooves sich von 'Opaline' inklusive elektronischer Untermaltung unterscheidet, 'Drab Moon' den Fokus auf den wunderbaren Gesang legt oder 'Impermanence' den Refrain in den Vordergrund setzt, alle Songs haben diesen wohligen KATATONIA-Flair und legen uns in diesen kalten Wintertagen einen warmen Soundmantel um die Schultern und schützen unsere Seele vor Frost. Die Kunst, melancholische Wärme und traurige Kälte unter einen Hut zu bringen, hat KATATONIA stets unverwechselbar, gar einzigartig gemacht. Und mit "Sky Void Of Stars" unterstreichen die Schweden ihren Status.
Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]
Marcel lobt die katatonischen Schweden, und der alte Zausel, der von ihm den Staffelstab übernimmt, der kann nicht umhin, zuerst der Wehklage zu frönen, dass halt nimmer 1993 ist und die Dezemberseelen längst mit dem Tanzen aufgehört haben. Nun, es ist, wie der Herr Chefredakteur betont, ja auch schon Januar, also hat es sich zu Recht ausgetanzt. Schade dennoch, denn der eine oder andere hängt eben an alten Zöpfen, gerade wenn er mit dem nordischen Black- und Death Metal der frühen 1990er aufgewachsen ist. Dennoch ist neidlos anzuerkennen, dass KATATONIA der Aufbruch zu neuen Ufern besser, flüssiger gelungen ist als manch anderen einstigen Härtnern, die viel krassere Wandelungen hingelegt haben, und dass auch die Ergebnisse des Wandels sich einfach sehen lassen können. Denn was die Schweden von ihrer alten Inkarnation in die nun auch schon längst nicht mehr neue Inkarnation hinüber mitgenommen haben, das sind die Elemente der düsteren Melancholie und der atmosphärischen Kälte, und wer würde je behaupten wollen, dass ein progressiv-rockiges Ambiente mit allerlei spacig-elektronischem Sphärenbau und bei aller Distanziertheit doch emotionalem Gesang nicht geeignet sein sollte, eben diese Emotionen zu transportieren. Außerdem gelingt es KATATONIA trotz der vertrackten Rhythmik und den verspielten Instrumentalparts bei allen Songs, die entscheidenden melodischen Hooks nicht aus den Augen zu verlieren und auf diese Weise den Hörer niemals von der Hand zu lassen, auf seinem Weg durch die Eislandschaften. Am Ende muss also auch der zurückgelassene Altfan anerkennen, dass das hier alles Hand und Fuß hat, und seine Zielgruppe blendend unterhält, bevor er sich heute, zu Hochneujahr, dann doch wieder abwendet und gen Dezember wandert, um dort die Seelen zu suchen, die er verloren hat.
Note: 7,5/10
[Rüdiger Stehle]
Ich kann Rüdigers Nostalgie für die frühe Phase der Katatoniker absolut nachvollziehen. Die ersten Alben und EPs haben schon eine besondere Qualität. Die Metamorphose, die die Band durchgemacht hat, ist wirklich erstaunlich. Der Erfolg gibt den Schweden natürlich recht, nur mit Heavy Metal hat die Musik von KATATONIA heute nichts mehr zu tun. Das ist prinzipiell auch nichts Schlechtes. "Sky Void Of Stars" – ein schöner Titel übrigens – ist schon anspruchsvoll komponiert und arrangiert, auch die elektronischen Elemente bereichern den Sound. Es fehlen mir bei aller Qualität aber die großen Momente. Das Album kann man gut nebenbei laufen lassen, zum intensiven Hören ist es für meinen Geschmack weniger geeignet. Beim Gesang fehlt die Abwechslung und die Eindringlichkeit, was mir immer den emotionalen Zugang zu Musik erschwert. Insofern ist "Sky Void Of Stars" für mich nicht mehr als ein gutes Album.
Note: 7,0/10
[Jens Wilkens]
Zumindest mal kann ich hier völlig neutral rangehen. Ich bin weder ein besonders großer Fan der frühen Doom/Death-KATATONIA, noch habe ich mich besonders intensiv mit den letzten Werken beschäftigt. Da gibt es ja durchaus einige Fans der Band in meinem Umfeld. Die resultierenden zufälligen Begegnungen mit KATATONIA habe ich meistens so empfunden: Die Musik ist angenehm, wenn sie da ist. Man vermisst sie aber auch nicht, wenn sie nicht mehr da ist. Und "Sky Void Of Stars" nun also? Erster Eindruck vom ersten Song: Das mag ich! Schön wave-spaciges Eletronik-Feeling und eine Melodieführung, wie sie meine Lieblinge von VOYAGER auch schätzen und pflegen. Da guckt sogar das Pferd vom ollen Caligula mal kurz um die Ecke. Der Beginn von 'Colossal Shade' könnte auch von TYPE O NEGATIVE kommen. Der Assoziationsblaster sagt: Veilleicht ist das der schwarz gekleidete Bruder von PORCUPINE TREE? Aber so langsam werde ich ungeduldig. Wo bleibt denn nun die vertrackte Rhythmik, auf die Rüdiger hinwies? Meint er die sperrigen Breaks in 'Drab Moon'? Und was ist mit den Hits, die sich laut Marcels Jubelhymne die Klinke in die Hand geben sollen? Zwischen den Highlights 'Austerity' und 'Atrium' hängen eine ganze Menge schlapper, unberührter Klinken herum. Wo überhaupt hat die Abteilung Komposition die letzten Winter UND Sommer verschlafen? Kinder, Kinder, so etwas verspeisen Kubis australische Alternative-Progger doch zum Frühstück! Nee, Leute, ich kann mit "Sky Void Of Stars" nicht viel anfangen. Ich mag große Teile der musikalischen Ästhetik. Aber das Songmaterial empfinde ich als weitestgehend langweilig und austauschbar. Sorry, Jungs! Aber Kontroversen sollen ja das Salz in der journalistischen Suppe sein. There you go...
Note: 5,5/10
[Martin van der Laan]
Ich kann die schlechten Bewertungen mancher Kollegen nicht nachvollziehen. Klar, hier wird das Rad nicht neu erfunden, ein solides neues Album ist "Sky Void Of Stars" aber dennoch. Auch wenn mich der Albumtitel an COLDPLAYs 'A Sky Full Of Stars' denken lässt. Zum Glück verfliegt diese Assoziation aber, sobald der erste Song des Albums anläuft. 'Austerity' begrüßt mich mit bekannten KATATONIA-Klängen. Bekannt auch, weil ein großer Musikstreamingdienst mir diesen Track schon viele Male um die Ohren gepeitscht hat, wenn ihm der entsprechende Freiraum gelassen wurde, mir Titel vorzuschlagen. Klar nutzt KATATONIA elektronische Elemente, aber wenn es so gut funktioniert wie auf 'Opaline', wer soll der Band da einen Vorwurf machen? Puristen können ja auch andere Alben hören. Sehr gut gefällt mir die Dynamik des Albums, KATATONIA kann eben dicht und laut, aber auch leise und gefühlvoll. Insgesamt ist "Sky Void Of Stars" einfach ein gutes KATATONIA-Album, das perfekt in die Diskographie der Band passt.
Note: 8,5/10
[Noah-Manuel Heim]
Wie schön, dass die Herren aus Schweden mit neuer Platte am Start sind, so gefielen mir die letzten beiden Alben "The Fall Of Hearts" (2016) und "City Burials" (2020) außerordentlich gut und auch das neue Album ist wunderbar geworden, geht aber deutlich mehr in Richtung "City Burials" als "The Fall Of Hearts". Die Songs sind trotz einer latenten Progressivität stets kompakt und eingängig und ich muss Marcel recht geben, dass sie auch etwas härter ausgefallen sind ('No Beacon To Illuminate Our Fall'). Dass es mit Heavy Metal nichts mehr zu tun hat, wie Jens feststellte, kann ich also nicht ganz nachvollziehen. Das Album entfaltet am besten seine Wirkung, wenn man es als Ganzes hört, denn jeder Song erzählt seine eigene Geschichte. Highlights sind für mich der quasi-Titelsong 'Author' (er enthält den Albumtitel als Textzeile) oder 'Colossal Shade' und 'Birds', da sie schön straight und trotzdem düster sind. Apropos straight: Teils fehlt mir tatsächlich etwas der Flow, die Musik hat die Tendenz ins zu Verkopfte abzudriften und die Songs scheinen sich nicht richtig zu entfalten, beziehungsweise so, als ob jemand mit angezogener Handbremse fährt. Nehmt das aber lieber als Anreiz, um alle Details der Musik zu durchleuchten, nicht nur hat man es dann mit einem sehr nachhaltigen Album zu tun, sondern kommt mit einem Song wie 'Impermanence' in den Ohren zum Schluss, dass KATATONIA zurecht die Meister der Melancholie sind.
Note: 8,0/10
[Jakob Ehmke]
Ich glaube, ich habe noch nie bei einem KATATONIA-Album so lange gebraucht, um eine emotionale Verbindung zu dem Gehörten aufzubauen, wie bei "Sky Void Of Stars". Und wie gut, dass diese Gruppentherapie danach verlangt hat, die Scheibe eben nicht nach zwei, drei Durchläufen beiseite zu legen, sondern sich weiter intensiv mit ihr zu beschäftigen. Und siehe da, aus dem - zugegeben - doch recht gleichförmigen, KATATONIA-typischen Signature-Sound schälten sich plötzlich doch mehrere Songs heraus, die sich in Kopf und Herz verankerten. Der recht harte Auftakt 'Austerity', das elektronisch angehauchte 'Opaline', das melodisch-griffige 'Birds' und das etwas vertracktere 'No Beacon To Illuminate Our Fall' sind meine Highlights der Platte. Dennoch kommt bei weitem nicht jede Nummer so prägnant, so gradlinig daher. Gerade in der Mitte schwächelt das Album irgendwie, insbesondere 'Drab Moon', 'Author' und 'Impermanence' (alle drei von einzelnen Kollegen hier auch als Highlights angesehen) plätschern doch irgendwie ohne Nachhall so durch. Die Klangfarbe des Gesangs von Jonas Renkse ist wirklich toll und betörend, doch auf längere Strecke offenbart sie auch zu wenig Facetten in den Gesangslinien. Ein Song mit den liebgewonnenen KATATONIA-Trademarks ist niemals schlecht, doch insgesamt überzeugt mich "Sky Void Of Stars" nicht über die volle Distanz und ein paar mehr Ausreißer aus dem recht gleichbleibenden Klangteppich, wie in Ansätzen bei 'Opaline', wären einem noch besseren Gesamteindruck sehr zuträglich gewesen. So wird "die Neue" in meiner Gunst sicherlich nicht zu meinen liebsten KATATONIA-Scheiben aufschließen können.
Note: 7,5/10
[Stephan Voigtländer]
- Redakteur:
- Marcel Rapp