Gruppentherapie: LORD GOBLIN - "Lord Goblin"

11.12.2024 | 17:53

Knoten-Rhythmiker zwischen Hammondgeflatter und Spielwiesen voller Schwarzmetall: Therapiesitzung dringend notwendig!

Die Soundchecker nennen die Band "kauzig" oder "eigenwillig", hier in der gemeinschaftlichen Sitzung wird die Beschreibung des Stils mit Begriffen wie "krude", "schräg" und "abenteuerlich" flankiert - das allein reicht ja schon aus, um das vorliegende Scheibchen therapeutisch genauer zu begutachten. Nimmt man nun noch hinzu, dass "Lord Goblin" trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb, mit der Silbermedaille dekoriert den November-Soundcheck bestritten hat, freuen wir uns auf die Einordnung und Erleuchtung, die die folgenden Zeilen der in die (Un-)Tiefen dieses musikalischen Potpourris abtauchenden Sachverständigen bereithalten.

Ein Hoch auf unser Kompetenz-Team "Neuer Heißer Scheiß". Ich bin mir nicht sicher, ob mir ohne meine Kollegen eine solche Underground-Perle wie das LORD GOBLIN-Debüt nicht durch die Lappen gegangen wäre. Das Ding ist zwar schon seit März 2024 im Streaming verfügbar, aber lief bis zum Quartalsrückblick der Jungs komplett unter meinem Radar. Dabei signalisiert doch schon das Artwork, dass es sich in meiner Okkult-Rock-Sammlung wunderbar zuhause fühlen würde. Dabei greift das Label Okkult Rock bei dieser Truppe de facto viel zu kurz.

Klar schwebt eine sinistre, mysteriöse Atmosphäre über sämtlichen Tracks und auch der Charme der 1970er ist überall greifbar, aber LORD GOBLIN bietet so viel mehr. Neben den bekannten Retro-Elementen, inklusive fantastischer Hammond-Orgel, welche unweigerlich Assoziationen zu URIAH HEEP heraufbeschwört, integrieren die Engländer fast Black-Metal-artige Blastbeats und weitere musikalische Kniffe, die nach anderen schwarzmetallischen Spielwiesen schreien, in ihren Sound. Dazu gibt es dann einen leicht konträren Gesang, der sich als Vorbild eher progressiven US-Epic Metal genommen hat, aber auch vor mehrstimmigen Momenten nicht zurückschreckt.

Das klingt erstmal nach einem ziemlich kruden Stilmix, welcher in der Realität aber fantastisch funktioniert. Dabei ist neben dem überaus abwechslungsreichen Songwriting und der brutalen Eigenständigkeit der eigentliche Haupttrumpf, dass die ganze Melange auch noch unerwartet eingängig tönt. Auch ein Instrumental wie 'Freedom Rider' integriert sich einwandfrei und selbst ein Drum-Solo-Track mit 'Thunderous Smite' hat seine Berechtigung. Ob ein solcher "Song" im Jahr 2024 überhaupt noch Sinn macht, ist dabei zweitrangig, weil er diesen Retro-Moment der ganzen Scheibe nochmal multipliziert. Da es sich, wie gesagt, um ein Debüt handelt, ist auch eine weit überdurchschnittliche Benotung mehr als verdient. Willkommen LORD GOBLIN - ich kauf mir jetzt ein Shirt.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Von LORD GOBLIN habe ich noch nie gehört. Dachte, da kommt nun sowas wie POWERWOLF trifft SABATON und VISIONS OF ATLANTIS, vielleicht auch noch HAMMERFALL. Schon die ersten Takte belehren einen Unwissenden rasch eines Besseren: Hier kommt geile Mucke um die Ecke, kein Power-Gedöns, sondern ein schräger Mix aus Rock, Black-Metal-Anwandlungen und flirrendem Hammondgeflatter.

'Northern Skyline' würde auch BORKNAGAR gefallen. Oder ARCTURUS. So geht es auch weiter, was mich völlig überrascht, weil die Musik, die tatsächlich URIAH HEEP aus der "Return To Fantasy"-Phase zitiert, mit überraschenden Wendungen und feinen Harmonien begeistert, die zeigen, dass Neues keinesfalls Schablone sein muss. 'The Oracle' könnte auch DIMMU BORGIR gefallen, Hall, eine düstere Festung, das Orakel spricht seine Mahnung in Richtung des Mourning Palace.

Darauf folgt ein mit Flitzefingern quirlig gespieltes Instrumental, das irgendwie zwischendrin etwas an 'Transsylvania' von IRON MAIDEN erinnert. Am Ende ist dann Ktulu-Riffing zu hören - mich wundert hier gar nichts mehr. Nach dem Instrumental ist vor dem Instrumental, im Ernst: Es folgt ein Schlagzeugsolo, ganz im Stile der Siebziger, als Peter Criss in 'Hundred Thousand Years' das Maß der Dinge war.

Dann geht es wieder ab: 'Light Of A Black Sun', die Stimme gemahnt schon an einen gewissen Simen, der uns irgendwoher bekannt ist. Die Stimme ist klarer, nicht so nasal. Das Black-Metal-Riff ist großartig, mit Speed zieht es rauschend vorbei, den Biss des Impalers merkt man gar nicht. Die längere Solopassage mit den fliegenden Hammonds muss mich einfach wegfegen, sehr fein. URIAH, do it! Und eine MSG-Gedenkminute zum Abschluss setzt es auch noch!

Die Band könnte im Vorprogramm von DIMMU BORGIR, BORKNAGAR oder BLUE ÖYSTER CULT touren. Das Finale mit dem zweiten Part des Lichtes der schwarzen Sonne bietet dem Hörer einen Retro-Track der Art 'Easy Livin' im Labyrinth in Blashyrk, falls ihr versteht: Speed, ein Solo, Speed, Luftgitarre und Lufthammonds müssen einfach, echte natürlich auch, und nicht zu knapp. Könnte zehn Minuten länger sein, aber überraschend geil, diese Ideen!

Note: 8,5/10
[Matthias Ehlert]

 

Nachdem ich mich gerade in einer anderen Gruppentherapie am Doom-Unverständnis von Stefan abgearbeitet habe, möchte ich hier frohlocken. Wir sind uns nämlich einig, dass LORD GOBLIN eine ziemlich coole Angelegenheit ist. Zugegeben: In der Soundcheck-Routine haben es Underground-Perlen gerne mal schwer, wenn man sie zwischen seinen persönlichen Highlights hört, um sie "abzuarbeiten". Glücklicherweise habe ich hier noch gerade so die Kurve gekriegt, denn diese wunderbar verschrobene Mischung aus Epic Metal, Black Metal und was weiß ich noch spielt sich immer weiter die Geschmacksnerven hinauf.

Ach, personelle Überschneidungen mit MEMENTO WALTZ gibt es auch? Ja, die Metal-Welt ist klein, obwohl diese beiden Bands unterschiedlicher wohl kaum sein könnten. Es spricht vielleicht nicht gerade für einen kohärenten Musikgeschmack, dass ich den abenteuerlichen Mix auf Songs wie 'Light Of A Black Sun' oder 'The Oracle' gar nicht so seltsam finde. Nur beim Schlagzeug-Solo 'Thunderous Smite' bin ich irgendwie raus. Das brauche ich auf Platte schon seit 'Rat Salad' nicht mehr. Ansonsten traue ich der Scheibe durchaus zu, in den nächsten Wochen noch mehr mit den Gehörgängen zu verwachsen. Ich merke jetzt schon, dass ich im Soundcheck mindestens einen halben Punkt zu wenig verteilt habe. Der Test of Time wird schließlich zeigen, ob die Schrulligkeit als Trademark auch auf Dauer Bestand haben kann. Diese 39 Minuten werden ja hoffentlich nicht das letzte Lebenszeichen der in Großbritannien lebenden Italiener sein. Ein Shirt kaufe ich mir nicht direkt, die CD habe ich aber umgehend eingetütet!

Note: 8,5/10
[Nils Macher]

 

Ich bin ein großer Freund der italienischen Knoten-Rhythmiker MEMENTO WALTZ und wenn deren Sänger Marco Piu mit einem neuen Projekt namens LORD GOBLIN um die Ecke kommt, stehen meine Ohren natürlich auf Hab-Acht-Stellung. Ich mag ja auch sein RED WARLOCK-Album aus dem Jahre 2010 sehr gern und weiß, dass er es nicht immer frickelig haben muss. Mit dem RED WARLOCK-Klampfer Andy Mornar hat er auch gleich einen Kollegen mitgebracht.

Schaue ich im Netz nach Infos zu LORD GOBLIN, stelle ich erstaunt fest, dass die Band bereits 2016 eine digitale Veröffentlichung am Start hatte. Oh, ein IRON MAIDEN-Cover von 'Quest For Fire'. Ungewöhnliche Songauswahl. Dieser gibt aber auch keine verbindliche Stilrichtung vor, an der man jetzt das aktuelle Werk der Band festmachen könnte. Wie das wundervolle Artwork bereits vermuten lässt, bekommen wir hier nämlich okkulten Heavy Rock zu hören, der sich so anhört als würde URIAH HEEP mit gelegentlichen Black-Metal-Rhythmen herum experimentieren. Dabei erinnert die Musik aber zu keiner Sekunde an BLOOD INCANTATION. Nur, damit hier niemand falsche Rückschlüsse zieht. Sphärische Passagen gibt es nämlich auch, dazu aber noch herrliche, mehrstimmige Gesangspassagen, die mich an JESS AND THE ANCIENT ONES denken lassen. Doch die Musik von LORD GOBLIN ist eingängiger, durchsetzt von grandiosen Hooks, toller Gitarrenarbeit und vielen Details und Überraschungen.

Da muss man über ein echtes Schlagzeug-Solo als Song ein bisschen schmunzeln. Ich brauche das auf einem Album tatsächlich nicht, aber er zeigt die anachronistische Herangehensweise der Musiker. Die Liebe zu solchen Verrücktheiten breitet sich in allen Songs aus und genau diese Spielfreude ist es, die mich sofort fasziniert hat. Wer mehr zu diesem Knaller-Album lesen möchte, darf gern unseren Quartalsrückblick in Sachen "Neuer Heißer Scheiß" anklicken.

Note: 9,5 /10
[Holger Andrae]

 

Man sollte nie den Fehler machen die ersten zehn Zeilen seines Gruppentherapie-Beitrags einzutippen ohne sich vorher die Stellungnahmen der Kollegen durchgelesen zu haben. Tja, liebe Leute, ich hätte nicht gedacht, dass der Tag noch kommen würde, an dem ich das hier schreibe, aber: Der Kollege Rosenthal hat in allen Punkten völlig Recht! (Sic transit gloria mundi...) Er beschreibt das Klangbild des selbstbetitelten Hammeralbums von LORD GOBLIN äußerst zutreffend und präzise.

Mich persönlich beeindruckt an dieser Platte vor allem die überbordende Kreativität und das mitreißende Schaffenskraft-Level. Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit hier düster-flirrende Uptempo-Parts zusammen mit ebenso melodischen wie musikalisch raffinierten Heavy-Metal-Versatzstücken in fette Retro-Heavy-Rock-Soundgewänder gesteckt werden. Allein das Opening-Duo 'Northern Skyline' und 'The Wanderer' bringt eine solche Intensität und dramaturgische Geschlossenheit auf den Platz, wie man das sonst höchstens von PRIMORDIAL geboten bekommt. Leider kann das Schluss-Doppel 'Light Of The Black Sun Part I & II' in meiner Wahrnehmung nicht ganz mithalten, weil die nicht enden wollenden Gesangsmelodien etwas zu plakativ und aufdringlich geraten sind. Aber das sind nur winzige Schönheitsfehler; LORD GOBLIN kann mich auf ganzer Linie überzeugen, und ich hätte gerne mehr von dieser tollen Musik!

Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]

Redakteur:
Thomas Becker

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