Gruppentherapie: NOCTE OBDUCTA - "Umbriel (Das Schweigen Zwischen Den Sternen)"

03.04.2013 | 14:34

NOCTE OBDUCTA machen eine Musik, die im März-Soundcheck sehr kontrovers aufgenommen wurde. "Umbriel" fährt Noten zwischen 4,0 und 9,0 Punkten ein. Man hasst es oder liebt es. Lest hier, warum.

Der Musik der Mainzer Band NOCTE OBDUCTA wird gerne der Titel "Avantgarde Black Metal" verliehen. Jedoch waren NOCTE OBDUCTA niemals wirklich ein Teil der Black-Metal-Szene und auch musikalisch entfernte man sich im Laufe der Karriere immer mehr von klirrenden Blastbeat-Gewittern. Nach elf jahren gemeinsamen Musizierens löste sich die Band um Marcel "Traumschänder" Breuer und Torsten "der Unhold" Hirsch auf, um 2011 neu zu starten. "Umbriel - Das Schweigen Zwischen Den Sternen" ist das zweite Album der Wiedervereinigung. NOCTE OBDUCTA haben mit ihrer Musik schon immer die Meinungen gespalten und dies tun sie mit dem spacigen "Umbriel" nun auch wieder (Platz 13 im März-Soundcheck). Dies führt dazu, dass manche Hörer tief fasziniert in den Klangwelten versinken, während andere gelangweilt sind und sich sogar veräppelt fühlen. Wir sammeln unterschiedlichste Meinungen und Höreindrücke, wie immer in unserer Gruppentherapie. Viel Spaß!





NOCTE OBDUCTA. Und ich dachte Black Metal. Dann kam ein Piano, und ich hoffte auf einen melodischen, vielleicht atmosphärischen Black Metal. Dann kam die Ernüchterung, als kein Black Metal kam, sondern die große Langeweile. Klangcollagen statt Songs, NOCTE OBDUCTA mäandrieren ja mehr als jede Prog-Kapelle. Und da passiert aber auch wirklich gar nichts! Fast vierzehn Minuten 'Dinner Auf Uranos' enthalten nicht einmal genug Musik für zwei Minuten! Dafür aber gefühlt unendliches Keyboardwabern. Und dann gibt es noch ein Reprise von viereinhalb Minuten weiteres Gewaber! Selbst die kürzeren Songs verdienen meist diese Bezeichnung nicht, und sollte mich mal jemand fragen, ob ich mit zu Edgar will, sage ich ganz sicher 'nein'. Wenn der Typ so öde ist wie das Lied, gucke ich lieber einen "Marienhof"-Marathon. Ich habe das Gefühl, die Musiker wollen mich auf den Arm nehmen. Dafür haben die Jungs eines geschafft: Ich weiß, wenn da mal ordentlich Black Metal drin wäre, würde es mir besser gefallen. Weil nämlich der Song 'Mehr Hass' ganz klar der beste auf dem Album ist. Da gibt es nämlich das, was ich erwartet hatte, und dieses Stück macht drei der vier vergebenen Punkte aus. Der vierte? Respekt vor den Musikern, eine 0 würde ich nie geben, selbst dann nicht, wenn sie mich offensichtlich vera***schen wollen. Ansonsten wäre mir das Schweigen zwischen den Sternen in der Tat lieber.

Note: 4,0/10
[Frank Jaeger]


"Wirklich schade mein Herz, dass ich das alles ganz anders seh". Das sind die abschließenden Worte des Openers "Kerkerwelten" und diese Worte könnten nicht besser sein, um eine Gegenmeinung zu Franks Sicht auf "Umbriel" zu formulieren. Zunächst muss ich jedoch erwähnen, dass ich erstmal überhaupt keine Erwartungen an "Umbriel" hatte, da mir NOCTE OBDUCTA ausser dem schieren Namen unbekannt waren. Aber schon der leicht jazzige Anfang, der prägnante Bass, das tolle Cleangitarrensolo und die atmosphärischen FLOYD-Synthies am Anfang von 'Kerkerwelten' machen mir klar, dass NOCTE OBDUCTA ein Klangbild haben, das ich sehr gerne mögen werde. Auch mein Fazit nach dem Schlusstrack 'Kerkerwelten Teil 2' ist, dass 'Umbriel' ein phantastisch produziertes Album ist, in das man sich mit Herz und Seele reinfallen lassen kann, ein hohes Gut also, gerade in Zeiten, wenn der Stress an den Nerven des Hörers zerrt. NOCTE OBDUCTA erschaffen tatsächlich eher Klangwelten als Rocksongs und das ist möglicherweise der Punkt, an dem sich ein paar Soundchecker mächtig stören. Tolle Musik ist das aber trotzdem! Das vierzehnminütige 'Dinner auf Uranos' hat doch eine saucoole Steigerung, das Slidegitarrenabenteuer in der Mitte des Songs baut sich fast wie ein AMPLIFIER'sches Klangungetüm auf und am Schluss zerstreuen sich alle einzelnen Moleküle der Seele im fernen Raum irgendwo zwischen Jupitermonden und Saturnringen. Ziel: Uranus, Pluto und das Ende des Sonnensystems. Die zweite von mir favorisierte Klangreise nennt sich 'Ein Nachmittag mit Edgar' und verbreitet - auch durch den abgefahrenen Text - eine dunklere und gruftige Stimmung. Ich glaube, langweilig ist dieser Edgar in keinem Falle, doch ich würde mich ihm dennoch mit Umsicht nähern. Das gilt für das gesamte Album, das insgesamt wunderbar stimmig und in sich geschlossen wirkt, eben gerade weil Reprisen am Ende die besten Passagen des Albums noch einmal in anderem Gesicht aufgreifen. Nein, Frank, das ist toll!
Bleibt nun noch die Frage nach dem von Frank so dringend gesuchten Black Metal. Black Metal? Okay, hin und wieder hört man die eine oder andere Strumming-Gitarre, manchmal gibt es auch harsche Vocals, was vor allem im Duett mit dem flüsternd-mystischen Cleangesang sehr sehr gut kommt, dazu ist die Musik insgesamt recht dunkel (der Weltraum ist halt dunkel), doch "Umbriel" ist genauso viel oder wenig Black Metal wie Doom Metal wie Post Rock wie Art Rock wie Gothic Rock. NOCTE OBDUCTA ist NOCTE OBDUCTA. Und jetzt guck ich gleich mal, was die Band noch so rausgebracht hat, während IHR dem Ding zumindest eine Lauschprobe leiht. Lohnt sich!

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]




NOCTE OBDUCTA schaffen es wunderbar, im Rahmen ihrer Entwicklung mit den Erwartungshaltungen ihrer Hörer zu spielen. Einigen erscheint das verkünstelt und gewollt, anderen ist die Truppe der Stern des deutschen Avantgarde Black Metal. In jedem Fall können sie überraschen und reüssieren auch mit "Umbriel", was das Umwerfen gängiger Bewertungs-Strukturen angeht - auch bei uns, schaut man sich andere Reviews dieser Therapie an. Eigentlich läuft mir diese Musik ja wunderbar rein, selbst mit dem niedrigen schwarzmetallischen Anteil, den man heute wieder pflegt. Das Album beginnt auch klasse, verliert aber ziemlich an Fahrt in dem zu lang geratenen 'Dinner Auf Uranos' (welches nichtsdestotrotz sicherlich wesentlich mehr als zwei Minuten Musik enthält), was durch das aggressivere 'Mehr Hass' noch kompensiert werden kann, letztendlich aber die sonstigen Längen der zweiten Hälfte schon vorwegnimmt. Trotz dieses Makels verstehen NOCTE OBDUCTA es immer wieder hervorragend, eine düster-gespenstische, elegische Stimmung aufzubauen, die eben nur bisweilen in sich selbst ertrinkt. Ein schönes Album zum Entspannen oder für nebenbei. Für ein bewusstes Hören hätte man dem Willen zur vollen Spielzeit doch deutlich Einhalt gebieten sollen.

Note: 7,5/10
[Christian Schwarzer]


Ich steige hinab in den Kerker. Habe ich Angst dabei? Es hält sich in Grenzen. Denn so richtig dunkel ist die 'Gottverreckte Finsternis' nicht. Dafür wirkt alles zu wenig real. Im ersten Raum betritt man Umbriel. Und zwar ganz vorsichtig auf Zehenspitzen, denn es ist ganz schön still - und man möchte als Gast auf einem fremden Mond schließlich nicht unangenehm auffallen. Auch wenn es dort ganz nett ist, deutet das Grummeln in der Magengegend darauf hin, dass es Zeit für ein 'Dinner auf Uranos' ist. Und was wird serviert? Eine feine, sehr dezent gewürzte Suppe, die insgesamt aber ein wenig zu dünn ist, um wirklich satt zu machen. Da kann man noch so lange über den Wert der einzelnen Zutaten sinnieren. Nicht wirklich glücklich mit meinem Mahl ziehe ich weiter und habe dabei deutlich 'Mehr Hass' im Sinn als zuvor. Keine Ahnung, wo in diesem Drecksloch der Weg ist; ich trete die nächstbesten Türen einfach mal ein. Das tut zwar weh, macht aber wenigstens Spaß. Leider finde ich nichts außer 'Leere'. Die kann grundsätzlich auch mal ganz schön sein, jedoch nicht, wenn sie dermaßen lang andauert. Zum Glück kommt Edgar vorbei. "Zum Glück"? Das war vielleicht etwas voreilig, denn von dem Kollegen bin ich ziemlich schnell genervt. Er hat einfach nichts zu sagen hat, tut es aber dennoch. Der Kellner von Uranos ruft, ich soll nochmal zurückkommen, es gäbe noch Nachtisch. Der schmeckt dummerweise genau wie die Suppe nach einem Hauch von Nichts. Dort ist die Treppe zum Ausgang, endlich verlasse ich den Kerker. Ob ich noch einmal heruntergehe, irgendwann? Allzu viel spricht irgendwie nicht dafür.

Note: 5,0/10
[Oliver Paßgang]





Manchmal ist es nicht schlecht, die Assoziationen der Kollegen erst zu erfahren, wenn man die Scheibe selbst oft genug gehört hat, um sich ein Urteil zu bilden. Hätte ich des Herrn Jägers Verriss und des Herrn Beckers Vergleiche mit PINK FLOYD und AMPLIFIER, sowie die gelegentlichen Gothic-Assoziationen und die Feststellung des Mangels an schwarzem Stahle vorab gelesen, ich wäre wohl befangen gewesen und "Umbriel" hätte es viel schwerer gehabt, bei mir zu landen. So, wie es ist, hat es mich dagegen ziemlich erwischt und ich zögere nicht, zu sagen, dass die neue NOCTE OBDUCTA im aktuellen Soundcheck die mit Abstand spannendste und eigenständigste Scheibe ist. Die Assoziationen der Kollegen müssen nicht falsch sein, doch ich habe andere, und die lassen das Album auf mich über weite Strecken faszinierend wirken. Ambient-Space-Klänge treffen auf gelegentliche, zaghafte Black-Metal-Anklänge wie bei den hier und da surrenden Riffs beim Opener und zur Gänze bei "Mehr Hass", oder auf Doomiges wie bei 'Ein Nachmittag mit Edgar' und dem Abschlusstrack. All das verbindet sich zu einer für die Band typischen, morbid-makabren, geisterhaften Atmosphäre und fühlt sich an wie schaurig-schöne Geistergeschichten, in die man sich wunderbar versinken lassen kann - und damit haben wir dann doch die gemeinsame Wahrnehmung mit dem Kollegen Becker gefunden, die sich dann auch in einer sehr ähnlichen Note widerspiegelt.

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]


NOCTE OBDUCTA also. In diesem Fall sogar ein Erstkontakt für jemanden, der Black-Metal-affin ist und auch gegen avantgardistische Einflüsse nichts einzuwenden hat. Und wenn man etwas nicht kennt, vergleicht man es mit Bekanntem. NOCTE OBDUCTA, und Fans werden mich vermutlich einen Ketzer nennen, klingen wie Tilo Wolff goes Black. Das muss nicht unbedingt etwas negatives sein, kann ich mit den frühen LACRIMOSA doch einiges anfangen. Ich will auch nicht auf möglichen Schubladen rumreiten, denn das ist bei Bands wie NOCTE scheinbar ein schwieriges Unterfangen. Was für mich in dem Fall zählt, ist die Wirkung der Musik. Und da bekomme ich einiges geboten, das mir ausgesprochen gut reinläuft. Mir geht es ähnlich wie Rüdiger, wenn ich mich hauptsächlich im morbiden und sphärischen Klang der Truppe wälzen möchte. Die Verbindung von (Black) Metal mit Ambient-Sounds und sogar Artrock-Bezügen verlangt jedoch einiges von mir, wenn ich nicht in der richtigen Stimmung bin. Bin ich es aber, möchte ich mehr und mehr von NOCTE OBDUCTA hören. Das ist das Kompliment, das ich zu verteilen habe.

Note: 8,0/10
[Nils Macher]

Mehr zu diesem Album:
Soundcheck 03/2013
Review von Marcel Rapp


Redakteur:
Thomas Becker

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