Gruppentherapie: OPETH - "Pale Communion"
30.08.2014 | 22:19Das wichtigste Album für den Progger dieses Jahr in der Gruppentherapie.
Quasi-Höchstnote von Nils (zum Review), aber nur Platz Zehn mit mageren 6,81 Pünktchen im Schnitt im August-Soundcheck. Klar, in unserem bunt gewürfelten Team mag eben nicht jeder, was OPETH uns seit beinahe zwei Dekaden liefert. Schon gar nicht, wenn die Zeiger wie anno 2014 voll auf Progrock stehen. Für diese Gruppentherapie indes melden sich fast nur Bandanbeter (einer gibt sogar die Zehn) zu Wort. Diese diskutieren unter anderem Prog-Nerdismen betreffs Komposition und Rhythmus, doch auch basischere Themen wie Fußball und Würstchen werden angeschnitten. Und auch in die entgegengesetzte Richtung der Komplexitäts-Skala wird debattiert. Was ist schwieriger als Prog? Klar: Frauen...
Wir setzen einmal die Nostalgie-Brille auf und schreiben das Jahr 2006: Ich war damals mit einer Dame zusammen, die unheimlicher OPETH-Fan war. Rauf und runter haben wir die damaligen Scheiben gehört und ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich häufiger gegähnt habe. Das lag weniger an meiner Freundin als mehr an der Tatsache, dass ich mit OPETH so rein gar nichts anfangen konnte. Sogar live hab ich der Band auf der 2006er Ausgabe des "Earthshaker-Festivals" eine Chance gegeben. Ergebnis: 20 Minuten habe ich es tapfer ausgehalten und mir danach aus Langeweile eine Bratwurst gekauft. Acht Jahre später sieht die Situation nicht anders aus: Wir haben es hier mit Ausnahmemusikern zu tun, die ihr Handwerk definitiv verstehen. Die Songs sind ungemein facettenreich und anspruchsvoll. Doch mich lässt "Pale Communion" wie auch OPETH im Allgemeinen leider kalt. Anstatt eines Zugang zum neuen Achtteiler zu finden, plätschern eigentlich gute Songs gnadenlos und unbarmherzig an meinen Ohrmuscheln vorbei. Einst sagte ein weiser Mann (in Wahrheit hab ich das letzte Woche zu einem Freund gesagt): "Musik kann noch so stümperhaft vorgetragen werden. Sobald mich die Songs jedoch packen und emotional auch nur ansatzweise etwas in mir auslösen, bin ich schon sehr zufrieden." Bei OPETH ist es eben der umgekehrte Fall. Denn bis auf Bratwurstappetit, so wie damals, löst "Pale Communion" trotz aller Professionalität eher wenig in mir aus.
Note: 6,0/10
Jaja, die OPETH-Frauen! Es waren schon immer eine Stange äusserst ansehnlicher Mädels in sexy OPETH-Girlies auf den Konzerten damals. Aber die Zeiten ändern sich. OPETH ist jetzt eher Darling des angegrauten Proggers Mitte Vierzig und der schöne Mika wurde vom weiblichen Augenschmaus zum Propheten für rückwärts-gerichtete Fortschrittsmusiker. Also Leute so wie mich. Auf die Frage, ob ich denn unbedingt noch Åkerfeldt-Growls brauche, kann ich lässig erwidern, "geht auch super ohne" und ob OPETH nun Metal macht oder doch Cock-Rock oder gar Weicheier-Mucke, ist mir schnuppe.
OPETH ist auch auf "Pale Communion" OPETH. Gott bewahre es, ich hatte noch nie ein Problem mit irgendeinem Output der Schweden, sei es "Orchid", sei es "Heritage" und egal was die Band gerade probiert, für mich funktioniert es. "Pale Communion" besticht wieder einmal durch filigranes und spannendes Songwriting, ähnlich der "Heritage" mit vielen Retro-Prog-Reminiszenzen, und neuerdings sogar einer besonders auffälligen Rhythmus-Sektion. Drumming und Bass sind mir noch nie so sehr herausgestochen wie hier und jetzt. Das sind aber sicher auch Dinge, die die OPETH-Frauen nimmer so sehr interessieren werden. Denen gefiel die Männlichkeit der abartigen Growls und die darauf immer folgende Zärtlichkeit in der Stimme eines langhaarigen Schweden. Oder brettharte Sounds gefolgt von Akustik-Gitarren. Diese Zeiten scheinen vorbei. Heute tummeln sich hier eher nichtsingende Raben, verkrüppelte Phönixe und anderes seltsames Getier, dem die Weibchen erstmal relativ egal sind. OPETH steht ja immer noch in voller Pracht auf der Bühne.
Note: 9,0/10
Ich habe leider keine OPETH-Frau vorweisen, aber "Pale Communion" ist ja auch Nerdmusik und damit eher weniger auf Zweisamkeit ausgelegt, als zum Beispiel das immer wieder sehr schwelgerische Frühwerk der Band. Nerdmusik ist an sich eine feine Sache und das Album gehört sicherlich zu diesen Fällen, auch wenn es kein Über-Werk ist. Nach den großartigen ersten zwei Stücken ist z.B. 'Moon Above, Sun Below' in meinen Ohren viel zu wenig stringent komponiert und nimmt insbesondere seiner famosen ersten Hälfte viel an Klasse. 'Goblin' hingegen höre ich aufgrund des Grooves gerne zu, auch wenn er ab dem zweiten Drittel durch abermals nicht nachzuvollziehende kompositorische Bewegungen für mich etwas abfällt. Das ist nicht besonders komplex, aber gerade hier kommt auch die von Thomas schon gelobte Rhythmus-Sektion sehr schön zum Zug - das Drumming war schon immer hervorragend bei OPETH und ist auch hier eines der großen Pluspunkte. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Monotonie, die durch einige allzu repetitive Stellen entsteht und wohl der Grund ist, warum Marcel lieber Würstchen isst, als OPETH zu hören. Ob ich "Pale Communion" der "Heritage" vorziehe, kann ich (noch) nicht beurteilen, vielleicht, weil diese Art Musik zu weit von meinen üblichen Hörgewohnheiten entfernt ist, mir dabei beides über lange Strecken außerordentlich gefällt und manchmal auch staunen lässt.
Note: 8,5/ 10
Leicht macht es "Pale Communion" einem wahrlich und wahrhaftig nicht. Jede halbfreie Minute nutzte ich, um ein faires, ehrliches Beschreiben dieser Musik anzubieten und lande bei folgenden Stichworten: Interessant. Schwierig. Melodisch. Und dazu: Gelungen!
Sehr gelungen sogar. Denn ich merke, wie sich Beiträge wie 'River' oder 'Moon Above, Sun Below' einschleichen, darbieten und sich wieder und wieder meine Aufmerksamkeit holen. Das ist für mich ein Qualitätsmerkmal erster Güte. Und, da müssen sich, glaube ich, Musikliebhaber nicht in die Wolle kriegen: Das, was die Musiker von OPETH da zusammenkonstruieren, verbinden, verknüpfen, ausprobieren – das ist kaum einholbar. Ich kann nun immer besser verstehen, wenn Fans mit denen mitgewachsen sind und (wieder) Begeisterung für ein griffiges Stück Klugmusik aufbringen. Dann hör ich mal weiter, nicht?
Note: 8,0/10
OPETH neckt einmal mehr die Fans, oder wenigstens die, die noch immer zum schwedischen Musikchamäleon halten. Denn "Pale Communion" ist genau das Album, das den Übergang von "Watershed" zu "Heritage" erleichtert hätte und die beiden Alben logisch miteinander verbindet. Doch das veröffentlicht man natürlich erst nach dem vermeintlichen Stilbruch des Vorgängers. Wer jetzt jedoch aber glaubt, "Pale Communion" sei ein Rückschritt, der irrt, denn auch wenn es hier ein wenig zurück zu härteren Klängen, zumindest bei den Gitarren, geht, so werden diese jedoch mit dem Prog- und Melodieverständnis eingesetzt, das "Heritage" zum ersten wirklich überzeugenden OPETH-Album für mich machte. Hier sind Musiker am Werk, die den Prog der 70er auf eine Weise verstanden und durchdrungen haben, von der all die Retro-, Okkult- und Psychedelic-Bands, die momentan wie Pilze aus dem Boden schießen, nur träumen können. Die Stilsicherheit aber mit großartigen Kompositionen zu verbinden, das zeigt eben, dass wir es hier nicht nur mit eifrigen Schülern und Musiknerds zu tun haben, sondern eben auch mit brillanten eigenständigen Künstlern. Denn "Pale Communion" klingt eben nicht nach einer 70er-Platte, die im Jahre 2014 aufgenommen wurde, sondern wie ein zeitgemäßes Album, das gekonnt Elemente und die Atmosphäre jener Zeit in einen aktuellen Kontext transportiert. Wenn sich Vergangenheit und Moderne auf diese Weise treffen, ist das Ergebnis im besten Sinne zeitlos und nebenbei gesagt vor allem mal wunderschön. Außerdem hat es OPETH erneut geschafft, die wahrscheinlich beste Produktion des Jahres auf Tonträger zu bannen, denn so klar, ehrlich und transparent wie "Pale Communion" klang zuletzt eigentlich nur "Heritage". Große Musik.
Note: 9,0/10
OPETH erinnert mich ein wenig an unsere deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Genau wie unsere Kicker liefern Akerfeldt und seine Mannen seit Jahren eine grandiose Performance ab. Wie die DFB-Elf hat sich das System OPETH stetig weiterentwickelt und verändert, sei es personell oder spieltechnisch. Und genauso wie es unzählige "Experten" gibt, die die richtige Mannschaftsaufstellung und Taktik besser zu kennen glauben als der Bundestrainer, treten immer wieder Kritiker auf den Plan, die die Entwicklung von OPETH verteufeln: zu soft, zu retro, kein Growling mehr et cetera.
Mir war jedenfalls nach dem ersten Durchlauf von "Pale Communion" klar, dass ich dieses Album lieben würde. Ich hatte zwar noch lange nicht alles verstanden und wusste, es würde noch vieler Durchläufe bedürfen, um auch nur halbwegs die Komplexität und Genialität dieses Meisterwerks (Superlativen galore, ich weiß!) zu durchdringen, aber ich nahm bereits zu diesem Zeitpunkt die ganz großen Momente wahr. Das fängt beim Opener 'Eternal Rains Will Come' mit dem spektakulären Zusammenspiel von Neu-Keyboarder Joakim Svalberg und Drummer Martin Axenrot an, und hört beim melancholisch-besinnlichen 'Faith In Others', mit seinem zauberhaften Orchestereinsatz, auf.
Was mich an diesem Album vielleicht am meisten beeindruckt und was OPETH von dem Gros der Bands unterscheidet, die uns heutzutage mit ihrem Sermon beschäftigen, ist die Fähigkeit, alle möglichen Einflüsse, egal ob Prog, Metal, Rock, Folk oder Jazz hörbar zu verarbeiten und trotzdem unverwechselbar zu klingen. Um abschließend meinen Vergleich vom Anfang nochmals aufzugreifen: Für mich sind OPETH mit "Pale Communion" bis auf Weiteres Weltmeister und verdienen somit nicht weniger als die Höchstnote!
Note: 10,0/10
Mehr zu diesem Artikel:
Review von Nils Macher
- Redakteur:
- Thomas Becker