Gruppentherapie: PORTRAIT - "The Host"
06.07.2024 | 00:16Muss von jedem gemocht werden, der mit Heavy Metal etwas am Hut hat!?
Willkommen zur ersten Gruppentherapie zum Juni-Soundcheck. Ja, ihr könnt es schon ahnen, es geht um Heavy Metal. Und das reicht schon, um sich gruppentherapeutisch aufzureiben. Wie soll das heutzutage klingen? Darf man sich wie PORTRAIT an alten Helden wie MERCYFUL FATE oder IRON MAIDEN orientieren oder wirkt das heutzutage nicht eher müffelig? Und wie alt sind wir, wenn wir diese Schweden, die schon seit zwanzig Jahren ihren Sound fahren, zu den "jungen Wilden" zählen? Ohgottogott...
Was sagt man zu einer Band, die bisher nur starke Alben herausgebracht hat und eigentlich von jedem gemocht werden müsste, der mit Heavy Metal etwas am Hut hat? Unser Frank zieht in seiner Hauptrezi zu "The Host" die richtigen Schlüsse, denen ich mich nur anschließen kann. Mit jedem Album klingt die Band etwas anders, ohne sich je zu weit vom Kern ihrer Inspiration zu entfernen. Und auch wenn Alben wie "Crimen Laesae Majestatis Divinae" nach wie vor toll sind, gehört "The Host" doch in eine andere Liga.
Das Songwriting ist abwechslungsreicher, die Songs kommen besser auf den Punkt und werden durch die runde Produktion auch perfekt in Szene gesetzt. Der inhaltliche rote Faden ist natürlich ein schöner Mehrwert [Anm. T.B.: Lest dazu das schöne Interview von Marcel mit Christan Lindell.], da ich Alben grundsätzlich nur am Stück höre und die Schweden sich mit dem physischen Produkt garantiert nicht lumpen lassen werden.
Nur bezüglich der Klasse von 'The Men Of Renown' muss ich widersprechen: Die feinen HELLOWEEN-Vibes in den Gesangslinien und Akkordwechseln machen die Nummer zwar nicht zum Highlight der Platte, sind von "maximal mittelmäßig" aber weit entfernt. Habe ich dieses Jahr schon ein besseres Heavy-Metal-Album gehört? Definitiv nicht.
Note: 9,0/10
[Nils Macher]
Welch fantastisches Album und wer hätte gedacht, dass der stark vom Diamantenkönig beeinflusste Schwermetall aus Schweden auch im sechsten Anlauf noch derart zu begeistern und überraschen weiß? Mit "The Host" schafft es die PORTRAIT-Bande dem ohnehin schon genialen "At One With None"-Vorgänger einen ebenbürtigen Nachfolger zu kredenzen und begibt sich hierfür das erste Mal auf Konzeptsuche: Okkultismus, der Pakt mit dem Teufel, die Suche nach Wahrheit, der Kampf gegen Unrecht - das alles macht mitsamt dieser herrlichen, erdigen Musik einfach große Freude.
Einmal mehr wird es düster und leicht schaurig, einmal mehr drücken sich krachende Uptempo-Nummern mit wummernden Brechern im Midtempo die Klinke in die Hand, einmal mehr überschlagen sich auf höchst spannende Art und Weise die Ereignisse auf einem PORTRAIT-Album und einmal mehr öffnen epische Melodien die Tore in eine andere Welt. Eine Welt, die diesmal eben eine sehr schöne, detailreiche Geschichte zu erzählen weiß und genau aus diesem Grunde der generell sehr guten PORTRAIT-Diskografie ein lichterloh brennendes Highlight hinzufügt. Ob 'The Blood Covenant', 'One Last Kiss' oder 'Sound The Horn', Dramatik, Theatralik und Härte gehen Hand in Hand, erzeugen eine dichte, wohlige Atmosphäre und was gibt es wohl Schöneres, als bei prasselndem Kaminfeuer und starkem Gewitter außerhalb dieses Album bei einem guten Rotwein zu hören und es sich richtig schön gemütlich zu machen? "The Host" ist großes Kino und ein heißer Anwärter, um in meine Top-20 in diesem Jahr zu kommen.
Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]
Es ist wieder Festival-Zeit und das bedeutet auch, dass meine Wenigkeit mal wieder zu eine paar traditionelleren Gruppen greift, um sich in Stimmung zu bringen. Irgendwie funktioniert solche Mucke für mich größtenteils nur noch in diesem Kontext. Die Frage ist dann aber immer nur: Sollen es mal wieder die Originale sein, also die Bands, mit welchen man selbst aufgewachsen ist und sozialisiert wurde, mit denen somit auch unendlich viele Erinnerungen verknüpft sind? Oder gibt man jungen Wilden die Chance, welche sich aufopferungsvoll einer solch antiquierten Klanglandschaft widmen und teilweise qualitativ auf einem ähnlichen Niveau musizieren wie die alten Helden?
Ich kann nur hoffen, dass PORTRAIT diese Impulse bei einigen Neuhörern genauso setzen können wird, wie RUNNING WILD, HAMMERFALL, JUDAS PRIEST und VIRGIN STEELE bei mir im Jahre 1998, und - auch bei mangelnder Qualität - davon in den Folgejahren profitieren wird. Ich verbinde mit den Jungs aus Schweden leider keinerlei vorgelagerte Emotionen und somit geht der Griff auch nach dem wiederholten Hören von "The Host" zukünftig eher wieder zu anderen Scheiben.
Dabei klingt das durch die Bank erstklassig umgesetzt und bietet kaum Punkte, die negativ ins Gewicht fallen. Ich finde zwar nicht, dass man 2024 noch so einen muffigen Klang haben muss, aber das ist wohl eh eine Gretchenfrage. Das Hauptproblem ist eher, dass eine solche Musik ohne Emotionen nicht funktioniert. Während ich mich beim Art-Rock oder progressiver Kunst auch an der Kreativität oder dem technischen Können hochziehen kann oder andere Musik mir vom Geschmack viel näher ist, komme ich hier nicht ins Schwärmen, Mitsingen oder Eskalieren. Von Gänsehaut brauchen wir erst gar nicht sprechen. Manchmal soll es wohl einfach nicht sein. Vielleicht ist "The Host" in einem Paralleluniversum ja auch 1998 erschienen.
Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]
Eine der wenigen "neuen" Bands, die ich tatsächlich konsequent verfolge. Seit dem tollen Demo "Welcome To My Funeral" liebe ich alle Studioveröffentlichungen der Band, die mich live leider nicht immer überzeugen konnte. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
Mit dem sechsten Album "The Host", auf welchem man sich erstmalig an einer Konzeptstory versucht, gelingt es den fünf Schweden allerdings, mich auch musikalisch komplett zu überraschen. Ohne vom grundsätzlichen MERCYFUL FATE-Musizierstil abzuweichen, gelingt es den Jungs im Jahr 2024 deutlich melodischer zu wirken. Dabei werden allerdings die kratzbürstigen Riffs und der teils extrem schrille Gesang von Per Lengstedt nicht über Bord geworfen.
Man weiß sofort, dass man ein PORTRAIT-Album vor sich hat, denn hier haben wir es schlicht und ergreifend nur mit einer wunderbaren Weiterentwicklung im Wortsinn zu tun. Die Songs sind noch immer furios, die Rhythmen schnell und treibend, aber dieses Mal ist das Melodieverständnis einfach unfassbar hoch. Wie man an meinem farbenfrohen Geschreibsel erkennen kann, bin ich sehr emotional, wenn es um diese Musik geht und von daher bin ich komplett bei Stefan, dass diese Musik nur mit eben dieser emotionalen Bindung wirklich gut funktioniert. Den Zusatz, dass er sich bei Prog dann alternativ an der Spieltechnik "hochziehen" kann, verstehe ich dann in dem Zusammenhang leider nicht so wirklich, denn diese Anerkennung einer spieltechnischen Fingerfertigkeit löst bei mir selten eine emotionale Beziehung zur Musik aus. Obendrein muss ich auch ganz vehement widersprechen, wenn es um die Klangqualität des Albums geht. Für mich ist das eine der Soundcheck-Scheiben mit dem angenehmsten Klangbild, denn hier haben die Instrumente noch Biss und sind nicht an allen Ecken rundgefeilt und mit einem Dynamik-Booster aufgepeppt worden. Junge Ohren mögen das müffelig finden, ich liebe es.
Note: 9,0/10
[Holger Andrae]
Kollege Frank Jäger sowie die meisten dieser Redaktion feiern "The Host" ja komplett ab. Ich selbst komme mit der Band als solches und auch mit dem vorliegenden Alben nicht so ganz klar. Natürlich wissen die Schweden, was sie tun und sie haben auch einige richtig starke Momente in dieses Album gepackt. Es ist vielmehr die Masse, die mich erschlägt und weniger die (mit Sicherheit vorhandene) Klasse. Kurz: Bin voll des Lobes für die eigentliche Darbietung, aber mit den Anleihen bei MERCYFUL FATE, die ich persönlich auch nicht zu meinen Lieblingsbands zähle, habe ich so meine geschmacklichen Schwierigkeiten. Am Ende schaffe ich es nicht, alle 14 Tracks am Stück zu genießen.
Auch die IRON MAIDEN-Einflüsse aus deren 80er-Zeit wie zum Beispiel das über elf Minuten lange 'The Passions Of Sophia' reißen es am Ende nicht wirklich raus. Ich habe zwar keine jungen Ohren (mehr), aber mich persönlich berührt die Band auch in Zukunft vermutlich eher nebensächlich. Aber nochmal, es ist musikalisch gut gemacht, daher immerhin sechseinhalb Punkte.
Note: 6,5/10
[Frank Wilkens]
Ich gehöre bisher eindeutig zu den Fans von PORTRAIT, auch wenn es mir live ähnlich erging wie Holger: Da war neben viel Licht (Auftritt beim "Keep It True"-Festival!) auch mal Schatten dabei (Auftritt beim "Trveheim"-Festival). Die Alben waren aber immer stark, auch wenn mich nicht jedes in gleichem Maße abgeholt hat.
"The Host", das nunmehr sechste Werk der Schweden, ist bei mir bisher kein Diskografie-Highlight, sondern einfach "nur" ein gutes traditionelles Metal-Album geworden. Die MERCYFUL FATE-Anleihen höre ich hier eher wieder verstärkt, das Album wirkt etwas weniger eigenständig als zum Beispiel der direkte Vorgänger. Zudem ist die Scheibe mit 74 Minuten definitiv zu lang. Da wäre weniger eindeutig mehr gewesen. Die 45-50 besten Minuten des Albums, also eine Art "Greatest Hits", hätte ich jedenfalls als deutlich wertiger empfunden.
So ist das Album phasenweise auch etwas ermüdend, was den letztlich weitestgehend starken Einzelsongs nicht so ganz gerecht wird. Der Gesang ist weiter magisch - und wenn man ehrlich ist, sogar etwas besser als beim König persönlich. Wer damit ein Problem hat, der wird mit dieser Band eh nicht mehr warm werden. Gute Scheibe letztlich, aber da wäre mehr drin gewesen.
Note: 7,5/10
[Jonathan Walzer]
So, jetzt gibt der Dr. Thunderlaan auch noch mal seinen Mostrich zur neuen PORTRAIT. Der ist an dieser Stelle nämlich eher "Fraktion Macher" als "Fraktion Walzer", also der Thunderlaan, nicht der Mostrich. Ich gebe zu, dass auch "The Host" bei mir ein paar Durchläufe gebraucht hat, aber schließlich sind mir besonders die kompositorische Klasse und die erfrischende Vielseitigkeit des Albums im Ohr und im Herzen geblieben.
Natürlich wird gleich im ersten Song auch wieder amtlich dem einzig wahren König der Dänen und seinem barmherzigen Schicksal gehuldigt. Aber der Hörer, welcher es schafft seinen persönlichen Schubladisierungsprozess um einen Moment zu verzögern und weiter zu hören, kann auf "The Host" wirklich toll gemachte Melodic-Metal-Passagen, Gänsehaut erzeugende Würfelmetal-Hymnen-Hooks, mächtig Dynamik generierende kompositorische Wendungen und hochwertige Spannungsbögen entdecken, verpackt in Geschichten erzählende, kompakt gebaute und mitreißend dargebotene Lieder.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die PORTRAIT-Jungs aus diesem sensationellen Songmaterial noch etwas mehr hätten rausholen können, wenn sie etwas mutiger gewesen wären. So hätte man sich zum Beispiel bei Produktion und Arrangements für etwas mehr dramaturgisches Lametta entscheiden können. Oder man hätte die hier nur angedeuteten Progressive-Metal-Elemente weiter ausgebaut und zum Bespiel den eher langweiligen Solo-Part im zweiten Drittel von 'Treachery' durch ein schräges Überraschungsmoment ersetzt. Hätte auch als Übergang zum Uptempo-Hammer 'Sound The Horn' noch besser gepasst. Aber ich weiß ja: hätte, hätte, Fahrradkette. Auch in der vorliegenden Fassung ist "The Host" ein ganz hervorragendes und mitreißendes Metal-Album geworden, das im Juni 2024 knapp hinter EVERGREY und CRYPT SERMON über die Ziellinie geht.
Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]
Fotocredits: Stefan Johansson
- Redakteur:
- Thomas Becker